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Griechenland erhält nur verbalen Beistand

EU-Gipfel beschließt doch keine konkreten Finanzhilfen

Von Kurt Stenger *

Der Brüsseler EU-Gipfel hat es bei einer windelweichen Beistandsbekundung für das finanziell schwer angeschlagene Griechenland belassen.

Im Februar 2009 regte Frankreichs Staatschef Nicholas Sarkozy einen Sondergipfel zu den Finanz- und Kreditproblemen einiger kleiner Länder der Eurozone an. Und stieß damit auf brüske Ablehnung - unter anderem bei der schwarz-roten deutschen Regierung. Mit einer rechtzeitigen Reaktion hätte aber vielleicht vermieden werden können, dass ein Jahr später unter dem Druck der Ereignisse in Griechenland und auf den Finanzmärkten das Thema ad hoc an die Spitze der Tagesordnung eines EU-Gipfels gesetzt werden musste.

Bisher wurde in Brüssel immer ausgeschlossen, dass ein Mitglied der Eurozone Unterstützung von den Partnern oder der Europäischen Zentralbank bei der Bewältigung ihrer Verschuldung bekommt. Denn eigentlich sollten der Euro-Stabilitätspakt und der Maastricht-Vertrag mit ihren strengen Vorgaben für Neu- und Gesamtverschuldung verhindern, dass ein Land mit der Gemeinschaftswährung überhaupt in eine finanzielle Notlage geraten kann.

Griechenland hat nun den Gegenbeweis erbracht, was seit einigen Wochen für große Aufregung gerade unter den harten Verfechtern monetärer Stabilität in der EU sorgt. Die kürzlich abgewählte konservative Regierung in Athen hatte für 2009 ein unspektakuläres Haushaltsminus von 3,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nach Brüssel gemeldet. Die sozialdemokratische Nachfolgerin musste nun mitteilen, das Defizit habe 12,7 Prozent betragen. Und in diesem Jahr sehe es nicht besser aus. Zu allem Übel stuften die großen Ratingagenturen im Januar die Bonität Griechenlands herab, was die Aufnahme neuer Kredite verteuerte. Athen muss internationalen Investoren aktuell fast sechs Prozent an Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen bieten - etwa doppelt so viel wie die deutsche Regierung -, was die Haushaltskrise noch weiter verschärft.

Schon im April und Mai sind Kredite in Höhe von 20 Milliarden Euro fällig. Pessimisten warnen davor, dass Griechenland diese Summen eventuell nicht stemmen kann, wodurch ein Euromitglied quasi zahlungsunfähig wäre. Dies würde den Kurs der Gemeinschaftswährung, der zuletzt bereits merklich gegenüber dem US-Dollar abwertete - was freilich von Exportnationen wie Deutschland nicht ungern gesehen wurde -, auf steile Abwärtsfahrt schicken. Weitere Länder wie das wirtschaftliche Schwergewicht Spanien könnten ebenfalls ernste Probleme bekommen. Auch alle anderen Euromitglieder müssten mehr für Anleihen zahlen, was angesichts der generell angespannten Haushaltslage nach den Bankenrettungs- und Konjunkturprogrammen keine Regierung gebrauchen könnte.

Ein solches Szenario gilt unter Ökonomen jedoch als unwahrscheinlich. Möglicherweise deshalb hat der EU-Gipfel nun lediglich verbal Beistandsbereitschaft für Notfälle bekundet. Damit soll aber immerhin ein gemeinsames Signal an die Investoren gesandt werden, Athen bleibe als Teil eines stabilen Währungsraumes auf jeden Fall kreditwürdig.

Doch hinter den Kulissen in Brüssel herrscht weiterhin heftiger Dissens über das richtige Vorgehen. In der Nacht hatten sich die sozialistischen Regierungschefs der Eurozone noch auf konkrete Hilfen für Griechenland verständigt. Davon war auf dem EU-Gipfel, insbesondere nach Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel, keine Rede mehr. Dabei wäre eine Unterstützung für das hellenische Leichtgewicht finanziell keine große Sache oder, wenn sie in Form von Garantien gewährt würde, eventuell sogar kostenlos.

Einige EU-Regierungen wollen offenbar vor allem jeden Eindruck vermeiden, finanzielle Hilfsbereitschaft könnte den Druck auf Athen zur Haushaltssanierung aufweichen. Dieser wird in nie dagewesener Weise ausgeübt; faktisch steht der griechische Staatsetat unter EU-Kuratel. Die Regierung hat ein umfangreiches Sparprogramm aufgelegt, das neben einer Kürzung der gewaltigen Militärausgaben vor allem aus Sozialkürzungen für öffentlich Bedienstete und Rentner besteht. Dies hat bereits für Protestaktionen gesorgt, die sich im streikerfahrenen Griechenland in den nächsten Wochen wohl noch erheblich ausweiten dürften.

Der Unmut vieler Griechen, dass man für eine von ihnen nicht selbst verursachte Krise bezahlen soll, ist verständlich. Und das Krisenmanagement widerspricht auch dem ökonomischen Verstand. Derartige Sparprogramme führen zu einem massiven Einbruch der Binnennachfrage, was die ohnehin schwache Konjunktur weiter abbremst. Die Schuldenkrise dürfte dadurch noch verschärft werden.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2010


Sparen, bis es quietscht **

Die »Konsolidierungspläne« des griechischen Staatshaushalts, die Brüssel Athen diktiert, stoßen weiter auf Widerstand. Einen Tag nach dem Streik im öffentlichen Dienst Griechenlands legten die Taxifahrer die Arbeit nieder. Sie protestieren vor allem gegen eine Erhöhung der Mineralölsteuer und gegen die Einführung einer allgemeinen Quittungspflicht. Zugleich wurden am Donnerstag in Athen die neueste Arbeitsmarktstatistik vorgelegt. Die Erwerbslosenquote erreichte demnach im November mit 10,6 Prozent den höchsten Stand seit fünf Jahren. Im Oktober betrug sie noch 9,8 Prozent. Insgesamt waren offiziell 531953 Griechen als erwerbslos gemeldet.

Die Bekanntgabe der neuen Arbeitsmarktdaten fiel mit dem EU-Sondergipfel zur Schuldenkrise in Griechenland zusammen. Zum Rapport war der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou nach Brüssel beordert worden, wo er erklären sollte, wie das antisoziale Sparprogramm noch enger geschnürt werden könnte. Bisher hatte der unter anderem die Erhöhung des Rentenalters bei gleichzeitigen Gehaltskürzungen angekündigt. Nun riefen die in der belgischen Hauptstadt versammelten Staats- und Regierungschefs Athen in einer gemeinsamen Erklärung auf, das Staatsdefizit in diesem Jahr »rigoros und entschlossen« von derzeit 12,7 Prozent um vier Punkte zu senken. Dafür seien »zusätzliche Maßnahmen« nötig, heißt es in dem Text.

Bundeskanzlerin Angela Merkel tat sich besonders hervor und drängte Athen zur »Achtung des europäischen Stabilitätspaktes«, der ein Defizit von maximal drei Prozent erlaubt. »Es gibt Regeln, und diese Regeln müssen auch eingehalten werden«, betonte Merkel - wohl wissend, daß die BRD die Drei-Prozent-Latte reißt. In welchen Bereichen die abhängig Beschäftigten des Ägäis-Landes ihre Gürtel enger schnallen sollen, blieb offen: Die konkrete Ausgestaltung der Vorgaben obliegt der sozialdemokratischen PSOE-Regierung in Athen. Bereits im März ist dann eine Überprüfung des griechischen Sparprogramms durch die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank angesetzt, unterstützt durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington.

Finanzielle Unterstützung von der EU oder bilateral gibt es bis dahin nicht. Entgegen aller Spekulationen wurden vorerst keine Finanzhilfen der Europäischen Union beschlossen. Auch habe die Regierung in Athen am Donnerstag in Brüssel »keinerlei finanzielle Unterstützung« zur Abwehr eines Staatsbankrotts beantragt, sagte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Ein späteres Hilfspaket ist zwar nicht ausgeschlossen, die EU setzt aber zunächst auf einen noch härteren Sparkurs Athens.

Für die jahrelange systematische Bilanztrickserei und Haushaltsschlamperei in Athen, war in Brüssel zu hören, müsse Griechenland nun den angemessenen Preis zahlen, und zwar allein. Damit seien allerdings »soziale Unruhen programmiert« (apn). »Die Antwort des Gipfels auf die Krise ist eine Enttäuschung«, hieß es aus Börsenkreisen. Und der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion die Linke, Alexander Ulrich, meinte: »Die EU spielt mit dem Feuer«. Wenn Europa den Griechen nicht helfe, würden Spekulanten weitere EU-Mitglieder in die Knie zwingen. Ähnlich argumentiert der »Wirtschaftsweise« Peter Bofinger. Dem Tagesspiegel (Freitagausgabe) sagte er laut Vorabmeldung, es gebe keine Alternative zu Hilfsmaßnahmen.

In Griechenland selbst haben alle Gewerkschaften für den 24. Februar zum Generalstreik aufgerufen.

** Aus: junge Welt, 12. Februar 2010


Das Dominoprinzip

Ohne Finanzhilfen für Griechenland würden die Hegemonialmächte der Europäischen Union selbst ins Wanken geraten

Von Tomasz Konicz ***


Schon im Vorfeld des EU-Sondergipfels am gestrigen Donnerstag (11. Feb.) zeichneten sich die Umrisse möglicher Hilfsmaßnahmen für das von einer Staatspleite bedrohte Griechenland ab. So berichtete die Financial Times Deutschland unter Berufung auf den Vorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, den Dänen Poul Nyrup Rasmussen, die sozialdemokratischen Regierungschefs hätten sich bei einem Treffen am Mittwoch abend (10. Feb.) in Brüssel auf eine gemeinsame Aktion der Euro-Länder zur Rettung Griechenlands vor dem Staatsbankrott verständigt. Nach deren Plan sollten »die 16 Länder der Eurozone« Athen gemeinsam Kredite gewähren - ohne Alleingänge einzelner Staaten. Zuvor hatte Michael Meister, der stellvertretende Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag, entsprechende Planungen seitens der Bundesregierung bestätigt.

Berlin hat ein besonderes Interesse an der Aufrechterhaltung der Europäischen Einheitswährung, da durch den Euro der deutschen Exportindustrie ein gigantischer Absatzmarkt entstanden war. Die Erschütterungen des Finanz- und Währungsgefüges bei einer Staatspleite Griechenlands dürften aber nicht nur die europäische Hegenomialmacht hart treffen. Zwar halten deutsche Kreditinstitute Forderungen in Höhe von 43,2 Dollar gegenüber Griechenland. Die Bundesrepublik ist aber - nach Frankreich mit 75 Milliarden und der Schweiz mit 64 Milliarden - nur der drittgrößte Gläubiger Griechenlands, dessen Auslandsschulden sich nach jüngstem Kenntnisstand auf 302,6 Milliarden US-Dollar belaufen.

Athens Zahlungsunfähigkeit würde somit das europäische Bankensystem erneut in Schieflage bringen. An die 50 Prozent dieser »Forderungen ausländischer Banken gegenüber griechischen Schuldnern richten sich gegen den griechischen Staat. Eine Pleite Athens würde also das europäische Ausland und seine Banken heftig treffen«, erklärte die Citigroup-Analystin Giadi Giani gegenüber der FTD. Griechische Schulden sollen an die zehn Prozent der Anleihen-Bestände von Banken aus dem Euroraum umfassen. Nicht nur die schwachbrüstige Konjunktur in Europa, auch die Stabilität des europäischen Finanzsektors hängt von der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit europäischer Staatsapparate ab.

Eine Pleite Griechenlands würde aber auch einen weiteren globalen Krisenschub auslösen, da hierdurch die global in Staatsregie betriebene Defizitkonjunktur zusammenbrechen könnte. Laut der Investmentbank Barclays Capital werden beispielsweise die USA in diesem Jahr Staatsanleihen für 2500 Milliarden US-Dollar auf den Finanzmärkten plazieren. In der Eurozone sollen Staatsobligationen in Höhe von rund 1000 Milliarden Euro emittiert werden. Dies sind absolute Rekordsummen! Die Zahlungsunfähigkeit eines Staates der Euro-Zone würde das Risiko sttatlicher Schuldverschreibungen generell und damit die Zinslast für die sich notgedrungen immer weiter verschuldenden anderen Staaten steigen lassen. Zudem könnte bei den Staatsanleihen bestimmter Länder die Aufnahmekapazität der entsprechenden Finanzmärkte überschritten werden, wodurch weitere Staatspleiten drohen würden. Als weitere Pleitekandidaten sind - neben Griechenland - bereits Spanien, Portugal, Irland und Italien im Gespräch.

Hierbei ist nicht nur die Höhe der Gesamtschulden eines Staats ausschlaggebend, sondern auch die Verschuldungsrate. So geriet bei Krisenausbruch beispielsweise Ungarn an den Rand des Bankrotts, obwohl es eine Staatsverschuldung von »nur« rund 70 Prozents des Bruttoinlandsprodukts aufwies. Wie schnell die staatliche Verschuldungsmaschinerie derzeit in vielen Ländern heißläuft, mach das Beispiel Spanien klar: 2009 erreichte dessen Staatsverschuldung 54,3 Prozent des BIP. In diesem Jahr soll bei einer Neuverschuldung von rund zehn Prozent des BIP die Gesamtverschuldung des spanischen Staates bereits 65,9 Prozent des BIP entsprechen. 2008 waren es noch 39,2 Prozent. Drei Jahre in staatlicher Defizitkonjunktur reichten somit aus, um die öffentlichen Finanzen Spaniens zu ruinieren und den haushaltspolitischen Musterknaben in einen Pleitekandidaten zu verwandeln.

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht: Die EU-Kommission geht in ihrer Prognose davon aus, daß in diesem Jahr die Länder der Euro-Zone ein durchschnittliches Haushaltsdefizit von 6,9 Prozent ihres BIP erreichen werden. In der gesamten EU soll dieser Wert sogar 7,5 Prozent betragen. Neben Spanien (zehn Prozent) und Griechenland (12,2 Prozent) werden Irland (14,7 Prozent), Frankreich (8,2 Prozent) und Portugal (8,0 Prozent) besonders hohe Defizite vorausgesagt.

Dabei hat die kapitalistische Krisenpolitik keine andere Option, als durch kreditfinanzierte Konjunkturprogramme den ökonomischen Kollaps zumindest zu verzögern. Die Staaten übernahmen die Funktion, die bis zum Zusammenbruch der US-Immobilienblase von den wuchernden Finanzmärkten ausgefüllt wurde. Die schuldenfinanzierte Nachfrage, die etwa die auf Pump lebenden US-Konsumenten und der amerikanische Immobilienboom generierte, wird jetzt durch die Staatsausgaben aufrechterhalten. Sobald das nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, droht ganzen Volkswirtschaften der Absturz. Die privat oder staatlich betriebene Schuldenmacherei der letzten Dekaden verdeckte mit ihrer kreditfinanzierten Nachfrage nur die Ursachen der Krise in der kapitalistischen Warenproduktion, die an rasant fortschreitender Produktivität und folglich an einer gigantischen Überproduktionskrise zu ersticken droht, ohne daß sich neue Felder der Kapitalverwertung abzeichnen würden.

*** Aus: junge Welt, 12. Februar 2010


Die Euro-Schattenboxer

Von Kurt Stenger ****

Die monetaristischen Verfechter des Euro-Stabilitätspaktes haben sich mächtig ins Zeug gelegt, um konkrete Hilfen für Griechenland zu verhindern. Erst streuten sie die (falsche) Behauptung, nach EU-Recht sei es verboten, einem Euromitglied in Finanznöten unter die Arme zu greifen. Dann stellten sie den Athener Haushalt unter Kuratel, um dafür zu sorgen, dass die griechische Regierung ihr unsoziales und ökonomisch unsinniges Sparprogramm ohne Abstriche umsetzt. Und jetzt hebelten sie beim EU-Gipfel einen Beschluss der sozialistischen Regierungschefs über Finanzhilfen aus. Eine vage Beistandsbekundung blieb übrig.

Das Vorgehen gleicht einem ideologischen Schattenboxen. Griechenland hat in den letzten Jahren, wie von den neoliberalen »Sanierern« gewünscht, Staatsvermögen veräußert und die Einkommensteuern gesenkt. Die Folge waren geringere Staatseinnahmen. Und der Sündenbock an der südöstlichen Peripherie kann doch nichts für die massive Verschlechterung der Kreditbedingungen im Gefolge der Finanzkrise. Genauso wenig für die - über geringe Lohnsteigerungen geführte - Wettbewerbsstrategie u.a. Deutschlands und für den hohen Eurokurs. Beides hat die griechischen Exporte stark gesenkt und die Defizite erhöht.

Es ist richtig, dass Athen zu Hause viele Dinge bereinigen muss - den Klientelismus im öffentlichen Dienst und den Volkssport Steuerhinterziehung. Aber tiefgreifende Reformen brauchen Zeit und lassen sich nicht mittels Paniksparen realisieren, das ausgerechnet bei denen den Rotstift ansetzt, die für die Krise nun wirklich nichts können. Kurzfristig führt daher kein Weg an Finanzhilfen der Euroschwesterländer vorbei.

**** Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2010 (Kommentar)


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