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Athen im Kampf mit dem Spardiktat

Griechisches Parlament von Papandreou zur Zustimmung aufgefordert / Bundestag stimmt heute ab

Griechenland soll das von den übrigen Mitgliedern der EU verordnete Sparpaket akzeptieren. Ein entsprechendes Gesetz sollte am Donnerstag vom griechischen Parlament verabschiedet werden. Im Deutschen Bundestag wird am heutigen Freitag über den deutschen Anteil am Hilfsprogramm entschieden, wobei von den Oppositionsparteien lediglich die Grünen Zustimmung zum vorgelegten Entwurf signalisierten.

Die Griechen blickten gestern gebannt auf ihr Parlament. Dort sollte die Entscheidung über das umstrittene Sparpaket fallen. Nachdem die Sitzung unter dem Eindruck der gewalttätigen Ausschreitungen vom Vortag mit drei Toten zunächst vom Abend auf den Mittag vorgezogen wurde, zögerte sich die Abstimmung dann immer weiter hinaus. Der für 13.30 Uhr geplante Beginn der Abstimmung wurde für den frühen Abend erwartet.

Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hatte zuvor in einer emotional geladenen Rede an die Abgeordneten appelliert: »Entweder stimmen wir für das Gesetz oder das Land geht bankrott. Wir werden das nicht erlauben. Wir werden alles tun, damit das Land nicht Pleite geht.« Das Sparpaket ist Voraussetzung für die Hilfen des Internationalen Währungsfonds und der Euroländer in Höhe von 110 Milliarden Euro.

Für den Abend waren Mitglieder der zwei wichtigsten Gewerkschaften des staatlichen und privaten Sektors aufgerufen, am zentralen Syntagmaplatz gegen das Sparpaket zu protestieren. Die kommunistische Gewerkschaft PAME rief zur Kundgebung am Omonia-Platz auf.

Inzwischen gingen die Ermittlungen über den tödlichen Brandanschlag auf eine Bankfiliale weiter. Die Aufnahmen von Überwachungskameras zeigen, dass ein Vermummter zunächst die Scheiben der Bank mit einem Hammer einschlug. Anschließend warfen mindestens drei andere Vermummte Molotowcocktails in das Gebäude. Es werde sehr schwer sein, ihre Identität zu ermitteln, sagten Polizeiexperten. Am Vormittag kamen immer mehr Menschen vor der Bank zusammen und legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Zwei Frauen im Alter von 32 und 35 Jahren und ein 36-jähriger Mann waren bei dem Brandanschlag ums Leben gekommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Europäische Union für einen geschlossenen Kampf gegen Finanzmarktspekulanten gewinnen. Einen Tag vor dem Sondergipfel der Euroländer zur Griechenlandkrise sagte Merkel in Berlin: »Wir müssen jetzt in Europa deutlich machen, dass wir die politische Kraft haben - jeder in seinem Land -, wieder auf den Kurs des Stabilitäts- und Wachstumspakts zusammenzukommen.« Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso appellierte im WDR an die Euroländer, Griechenland geschlossen zu helfen.

Die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition über eine begleitende Griechenland-Resolution zu den deutschen Milliarden-Hilfen für Athen sind geplatzt. Das erfuhr dpa am Nachmittag aus SPD- und Unionskreisen. Union und FDP können das Gesetz für die Griechenland-Hilfen in Höhe von 22,4 Milliarden Euro bis 2012 zwar mit ihrer eigenen Mehrheit durchsetzen. Der Regierung war aber daran gelegen, als Signal an das In- und Ausland auch die SPD mit ins Boot zu holen. Die SPD-Spitze empfiehlt ihren Abgeordneten nun Stimmenthaltung. In der begleitenden Resolution sollte es unter anderem um Maßnahmen gegen Finanzspekulationen gehen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2010


Hilfe sieht anders aus

Michael Schlecht: "Griechenland wird in einen atemberaubenden Sozialabbau getrieben" **

Griechenland muss geholfen und der Euro gerettet werden. Mit dem Gesetz der Regierung wird jedoch die Situation für Griechenland und die Schuldenkrise in Europa verschärft. Deshalb lehnt die Fraktion DIE LINKE dieses Gesetz ab.

Das griechische Volk wird in einen atemberaubenden Sozialabbau getrieben. Vor allem auf Druck der »eisernen Kanzlerin«. Zusätzlich zu den bereits geplanten Verschlechterungen werden 30 Milliarden Euro weggekürzt. Die Agenda 2010 wird in radikalisierter Form exportiert. Der Kampf der griechischen Bevölkerung gegen das Kürzungspaket ist der gleiche Kampf gegen die Umverteilung, den auch wir in Deutschland führen. Er hat unsere volle Solidarität.

EU und IWF gehen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2010 um vier Prozent einbrechen wird. Bankökonomen befürchten einen Rückgang um zehn Prozent. Dies wird desaströse Auswirkungen auf die Steuereinnahmen haben und die Verschuldungsquote in die Höhe treiben.

Deutschland macht mit dem griechischen Desaster auch noch satte Profite. Für fünf Prozent werden die Kredite vergeben, für rund 2,3 Prozent refinanziert - macht 300 Millionen Euro jährlichen Gewinn. Mitverursacher des griechischen Dramas sind die Spekulanten, die seit Monaten auf den Staatscrash wetten und die Zinsen in die Höhe getrieben haben. Kreditversicherungen, sogenannte CDS, und Leerverkäufe müssen endlich verboten werden.

Die privaten Banken und Finanzprofiteure müssen zur Kasse gebeten werden. Deshalb wollen wir ein Schuldenmoratorium. Damit würden alle Zinszahlungen und Schuldentilgungen für drei Jahre ausgesetzt. Darüber hinaus muss geprüft werden, ob Zwangsanleihen sinnvoll sind. Mit der Verpflichtung, Anleihen in Höhe von 0,5 Prozent der Bilanzsumme zu halten, würden bis zu 35 Milliarden Euro zusammenkommen.

Ebenso muss die Möglichkeit einer Umschuldung geprüft werden. Die Krise in Griechenland ist nur die Spitze des Eisbergs. Mit den Rettungsaktionen der Finanzmärkte steigen die Staatsdefizite in den 27 EU-Staaten 2010 auf den Rekordstand von 7,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Deutschland auf fünf Prozent.

Für eine dauerhafte Lösung müssen die Ungleichgewichte im europäischen Handel beseitigt werden. Die Lohnstückkosten stiegen seit dem Jahr 2000 in der Eurozone um 27 Prozent, in Griechenland um 28 Prozent. In Deutschland jedoch nur um sieben Prozent! Der Grund: Nur in Deutschland sind die Löhne seit 2000 preisbereinigt gesunken. In allen anderen Ländern sind sie gestiegen.

Dieses deutsche Lohndumping hat den Unternehmern eine Streitaxt zur Eroberung anderer Länder in die Hand gegeben. So auch gegenüber Griechenland. Deutschland ist verantwortlich für den Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Deutschland muss den Exportüberschuss zurückfahren und die Binnennachfrage stärken. Unter anderem durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns mit 10 Euro, ein Zukunftsinvestitionsprogramm von 100 Milliarden Euro für Bildung, Energie, Verkehr und die Schaffung von zwei Millionen tariflich bezahlter Jobs.

** Michael Schlecht ist Chefvolkswirt der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2010


Deutschland billigt Milliardenhilfe für Griechenland - Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht

Bundestag und Bunderat billigten am 7. Mai nach einer hitzigen Debatte Kredite von bis zu 22,4 Milliarden Euro für das vom Bankrott bedrohte Land.
Im Bundestag stimmten CDU/CSU, FDP sowie die Grünen für den deutschen Beitrag zu dem Rettungsplan, während die SPD sich der Stimme enthielt. Von den 602 anwesenden Bundestagsabgeordneten votierten 391 mit Ja. Es gab 139 Enthaltungen vor allem aus der SPD. Mit Nein stimmten 72 Abgeordnete vor allem der Linken. Nach der Zustimmung des Bundesrats unterzeichnete Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz.

SPD-Chef Sigmar Gabriel verteidigte die Stimmenthaltung seiner Partei. Die SPD wolle keine "reine Kreditermächtigung" ohne schärfere Kontrolle der Finanzmärkte. Er warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, bei der Bewältigung der Krise "katastrophal gescheitert" zu sein.

Beim Bundesverfassungsgericht legten fünf Kläger Beschwerde gegen das Griechenland-Paket ein. Sie bezeichnen den Notkredit als "offene Inflationspolitik", weil Griechenland das Geld "keinesfalls zurückzahlen" könne. Die deutsche Finanzwirtschaft kündigte laut Bundesfinanzministerium unterdessen an, sie wolle sich mit rund acht Milliarden Euro an den Hilfen für Griechenland beteiligen.

Quelle: AFP, 7. Mai 2010




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