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"Retter" atmen auf

Nach Vertrauensvotum für Griechenlands Regierungschef im Parlament erwartet Brüssel zügige Verabschiedung des neuen Kahlschlagprogramms

Von Klaus Fischer *

Nach der Bestätigung des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou durch das Parlament will dessen umgebildete Regierung nun mit aller Kraft das neue drastische Kürzungsprogramm durchpeitschen. Diese irreführend als »Sparmaßnahmen« titulierten Einschnitte in den Etat, verbunden mit umfangreichen Privatisierungen von Staatsbesitz, gelten bei den »Rettern« aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) als Voraussetzung für weitere Zahlungen an das faktisch bankrotte Land. Bis zum Ende des Monats müssen die griechischen Abgeordneten nun ein Gesetzespaket verabschieden, das Minderausgaben und Steuererhöhungen in Höhe von 28 Milliarden Euro genehmigt. Öffentliches Vermögen im Umfang von 50 Milliarden Euro soll verkauft werden.

Druck auf Parlament

EU, IWF und EZB setzen – entsprechend der Empfehlungen ihrer Experten – weiter auf Erpressungstaktik: Sollten die Volksvertreter ihre Zustimmung zu dem Maßnahmenpaket Ende Juni verweigern, wird die nächste Tranche der Rettungskredite von Europäischer Union und dem in Washington ansässigen Währungsfonds in Höhe von zwölf Milliarden Euro angeblich nicht freigegeben. Griechenland wäre dann tatsächliche zahlungsunfähig – ein Szenario, das schwer vorstellbar ist. Denn eine ungeordnete Pleite des Landes würde dem Konstrukt Euro-Zone, aber auch der gesamten EU, also dem Europa der Konzerne, erheblich schaden.

Kein Wunder, daß Brüsseler Spitzenbürokraten fast euphorisch auf die Bestätigung Papandreous reagierten und weiterhin sowohl mit Peitsche als auch Zuckerbrot wedeln: »Das ist eine gute Nachricht für Griechenland und die gesamte EU«, jubelte José Ma­nuel Barroso. Der positive Ausgang der Vertrauensabstimmung »beseitigt ein Element der Unsicherheit in einer sehr schwierigen Situation«, erklärte der EU-Kommissionspräsident Agenturberichten zufolge am Mittwoch. Der im Amt bestätigte Papandreou könne sich nun ganz darauf konzentrieren, für das Sparpaket zu werben, forderte Barroso und versprach zugleich, daß dessen Annahme nicht nur die rasche Auszahlung weiterer Notkredite ermöglichen würde, sondern auch ein großer Schritt zurück zu einem nachhaltigen Haushalt und zu Wirtschaftswachstum sei. Breits am Dienstag hatte Barroso den Hellenen bei Wohlverhalten weitere »Gaben« in Aussicht gestellt. So will Brüssel bis zu einer Milliarde Euro aus EU-Fördertöpfen lockermachen und den Griechen vorstrecken, denn sie bräuchten im Gegensatz zu den üblichen Gepflogenheiten keinen Eigenanteil beizusteuern.

Allerdings ist die Idee, Griechenland Geld zu borgen, nicht übermäßig originell. Solches Geld hilft dem klammen Hellenen kaum weiter. Von einem Schuldenschnitt (»Haircut«), also dem Erlaß eines Teils der Verbindlichkeiten, ist derzeit offiziell weiterhin keine Rede. Dabei bezeichnen viele Experten eine solche Maßnahme als unausweichlich. Praktisch habe das Land nur eine Zukunft, wenn es von einem großen Stück der Kreditlast befreit werde, argumentieren vor allem linksgerichtete Ökonomen.

Das allerdings ist den Finanzmärkten prinzipiell ein Greuel, müßten doch Banken und Fonds einen Teil ihrer Forderungen als uneinbringlich abschreiben. Dabei haben sich Privatbanken zuletzt offenbar sehr beeilt, griechische Schuldverschreibungen loszuwerden. Nach Ansicht zahlreicher Experten ist ein Großteil dieser Staatsanleihen mittlerweile im Besitz von Institutionen wie EZB oder staatseigener Banken. Das Risiko des Forderungsausfalls liegt also weitgehend bei den europäischen Steuerzahlern.

Furcht vor Märkten

Dennoch befürchten vor allem die von der mächtigen Finanzlobby eingeschüchterten Regierenden Ungemach. So könnten im Falle eines offiziell ins Auge gefaßten »Haircuts« die Ratingagenturen all jene EU-Staaten, die als Wackelkandidaten gelten – wie beispielsweise Irland, Portugal, Spanien, Italien und möglicherweis sogar Bel­gien – herabstufen. Dies würde »frisches Geld« weiter verteuern, die Bedienung (Zinszahlungen) der Verbindlichkeiten (alle Staaten sind mehr oder minder verschuldet) zusätzlich erschweren und am Ende unmöglich werden lassen. Ein Finanzkollaps in Europa wäre die Folge, und der dürfte nicht auf den alten Kontinent beschränkt bleiben. Ob dies eine gerechtfertigte Befürchtung ist, kann aufgrund der Gesamtsituation – also weitgehend unabhängiger, unregulierter und in harter Konkurrenz untereinander agierender Finanzmärkte – keiner tatsächlich einschätzen.

Hinsichtlich der Lage in und um die griechische Zahlungsfähigkeit scheinen die Finanzakteure durch die Vertrauensabstimmung in Athen vorübergehend milder gestimmt: Nach dem Parlamentsvotum in der Nacht zum Mittwoch, eröffneten am Morgen die asiatischen Börsen fester. Ein Hongkonger Börsenanalyst wird von der Nachrichtenagentur dapd mit den Worten zitiert: Es habe sich an den Börsen kurzfristig Optimismus breitgemacht, da die Griechenland-Krise gelöst scheine.

* Aus: junge Welt, 23. Juni 2011


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