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"Fortschritte" bei Gespräch in Athen

Stärkere Überwachung Griechenlands durch EU *

Die Gespräche zwischen griechischer Regierung und dem Internationalen Bankenverband (IIF) über einen Schuldenschnitt sind am Samstag zu Ende gegangen. An den Verhandlungen in Athen waren Premier Lucas Papademos und Finanzminister Evangelos Venizelos sowie die IIF-Vertreter Charles Dallara und Jean Lemierre beteiligt. In einer Erklärung hieß es, es seien »neue Fortschritte« gemacht worden; mit einem Abschluss der Verhandlungen könne in der kommenden Woche gerechnet werden.

Venizelos kam unmittelbar nach den Gesprächen zu einem Treffen mit Vertretern der Troika aus der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds zusammen. Dabei sollte es um die von der Troika geforderten strikten Sparmaßnahmen gehen. In den Verhandlungen geht es darum, dass private Gläubiger wie Banken, Versicherungen und Hedgefonds dem Land die Hälfte der Schulden erlassen. Das entspricht rund 100 Milliarden Euro. Der Schuldenschnitt ist auch die Voraussetzung für ein zweites Hilfsprogramm für Griechenland in Höhe von 130 Milliarden Euro.

Die EU-Kommission bestätigte unterdessen, dass sie eine »stärkere Kontrolle« über die griechische Finanzpolitik anstrebe. Allerdings solle Griechenland souverän bleiben. Brüssel reagierte damit auf Berichte, wonach Deutschland und andere Euro-Staaten für eine stringentere Überwachung Athens plädieren.

* Aus: neues deutschland, 30. Januar 2012


Politik der verbrannten Erde

Von Anke Stefan, Athen **

Die Empörung in Griechenland gegen den Vorschlag, einen Statthalter nach Athen zu schicken, der die Finanzpolitik des Staates übernehmen soll, ist nur die Spitze des Eisberges. Berichten griechischer Medien zufolge spielen sich die bereits in Athen weilenden Abgesandten der Gläubigertroika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank ohnehin wie die Herrscher des Landes auf. Auf alle Argumente gegen die jüngsten Forderungen der Troika hätten diese lediglich im arroganten Ton erklärt, es sei ihnen egal, was die griechischen Gesprächspartner denken.

Dabei dienen diese Forderungen - wie nach Abschaffung des 13. und 14. Monatsgehaltes, des Mindestlohns und nach Rücknahme eben erst im Parlament verabschiedeter Regelungen, nach denen Klein- und Mittelunternehmer ihre Schulden beim Staat mit Gegenschulden der öffentlichen Hand verrechnen können - nun wirklich nicht der Rettung des Landes. Geht Athen auf diese Forderungen ein, gingen Hunderttausende Betriebe in Konkurs, würde die Wirtschaft des Landes endgültig zerstört.

Entweder die Gläubiger versuchen, mit einer solchen Politik der verbrannten Erde den Boden für einen Raubtierkapitalismus zu bereiten, wie er sich nach Kriegen oder dem Zusammenbruch der Sowjetunion etablieren konnte. Oder man setzt darauf, dass kein Parlament derartigen Forderungen zustimmen kann - und will Griechenland zum Austritt aus Euro und EU zwingen.

** Aus: neues deutschland, 30. Januar 2012 (Kommentar)


Gier und Menschenrecht

Von Rudolf Hickel ***

Die Zukunft Griechenlands und wohl auch des Euro hängt vom freiwilligen Teilverzicht der Gläubiger ab. Auch durch politischen und öffentlichen Druck hatten zumindest die Banken und Versicherungen dies zugesagt. Der Verzicht hat nichts mit einer plötzlich entdeckten Verantwortungsethik zu tun. Vielmehr wissen die Gläubiger genau, dass ihre Verluste bei einer Totalpleite Griechenlands viel höher ausfallen würden.

Das diskutierte Modell sieht vor: 50 Prozent Verzicht auf die Anleiheforderungen von 200 Milliarden Euro, für weitere 15 Prozent Barauszahlung oder vom Rettungsfonds verbürgte Anleihen. Für die restlichen 35 Prozent sollen griechische Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit ausgegeben werden. Über den Zinssatz wird heftig gestritten. Je nach Ergebnis erwarten die Banken einen Forderungsverzicht von 70 bis 80 Prozent.

Mitten in die ohnehin schwierigen Verhandlungen kündigten einige besonders aggressive Hedgefonds an, sich nicht zu beteiligen. Ihr Anleihebestand wird auf 70 Milliarden geschätzt. Laut »New York Times« würden mit dieser Teilenteignung die Menschenrechte verletzt. Deshalb sei eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unverzichtbar.

Den Anspruch auf unbegrenzte Profite als Menschenrecht einklagen zu wollen, würde aus Tätern Opfer machen. Es sind doch diese Geierfonds, die mit ihren skrupellosen Praktiken die Menschenrechte verletzen. Ihre Wetten mit Agrarrohstoffen treiben die Armut in armen Ländern nach oben. Zu dem Geschäftsmodell gehört auch der kreditfinanzierte Kauf von Firmen, die schnell ausgeschlachtet werden. Bisher Beschäftigte verlieren ihre Existenzgrundlage.

Im Fall Griechenland haben die Geierfonds mit dubiosen Anlagestrategien dafür gesorgt, dass sie in jedem Falle profitieren würden. Der Druck, eine Einigung zustande zu bringen, wird so groß sein, dass die »Heuschrecken« wohl nicht in den Schuldenschnitt einbezogen werden. Dann würden die derzeit mit einem Marktwert von unter 50 Prozent gehandelten Staatsanleihen zu 100 Prozent ausbezahlt werden. Auch bei einer Komplettpleite könnten die Hedgefonds über die eingekauften Kreditausfallversicherungen bis zu 100 Prozent des Anleihewertes erhalten.

Das Geschäft mit dem Elend ganzer Staaten ist nicht neu: So kaufte der US-Hedgefonds Donegal 1999 einen 15-Millionen-Dollar-Kredit Sambias auf dem Sekundärmarkt zum Spottpreis von 3 Millionen auf und verlangte für Tilgung, Zinsen und Verzug am Ende 55 Millionen. Eine gerichtliche Klage zwang Sambia, 17 Millionen Dollar auszuzahlen. Noch mehr Armut war der Preis für das menschenverachtende Geschäft.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die Hedgefonds zum EuGH ziehen. In dem Verfahren ließe sich das Verhältnis von rücksichtslosen Profitgeschäften unter dem Ziel der Menschenwürde bewerten. Ein Urteil zugunsten der Menschenrechte wäre ziemlich gewiss.

Mit moralischer Einsicht ist bei den Geierfonds nicht zu rechnen. Deshalb müssen ordnungspolitische Spielregeln die einzelwirtschaftliche Gier eindämmen. Der Schuldenschnitt in Griechenland müsste wie das Bankenrettungsprogramm der USA obligatorisch für alle Gläubiger werden. Nicht die marktkonforme Demokratie, sondern demokratiekonforme Märkte sind das Gebot der Stunde.

*** Aus: neues deutschland, 30. Januar 2012

[In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.]


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