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Notausstieg für Hellas

Entsetzen in Brüssel: Athen widersetzt sich neoliberalem Diktat der Troika

Von Rainer Rupp *

Auch eine Woche nach den Wahlen in Griechenland steckt Brüssel weiter in einer Art Schockstarre: Teils entsetzt, teils ratlos reagiert das neoliberale EU-Establishment auf die feste Haltung der neuen Athener Regierung. EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) schäumte am Wochenende vor Wut und bezeichnete den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras als »frech und unverschämt« – einzig weil dieser, anders als hiesige Politiker, seine Wahlversprechen ernst nimmt. »Die Brüskierung der EU-Institutionen« sei, so Oettinger weiter, »ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte«. Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments (EP), warnte den neuen griechischen Premier vor weiteren verbalen Attacken auf die Bundesregierung. Tsipras sei »gut beraten, seine Angriffe auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zu beenden«, sagte Schulz der Welt am Sonntag.

Empört ist man auch darüber, dass der neue Finanzminister Giannis Varoufakis am Freitag den EU-Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem bei dessen Besuch in Athen abblitzen ließ. Dijsselbloem hatte die weitere Kooperation Athens mit dem Kontrollgremium Troika sondieren wollen und bekam von Varoufakis Klartext zu hören: »Mit diesem auf verrotteten Grundlagen errichteten Ausschuss werden wir nicht mehr zusammenarbeiten«, sagte er Medienberichten zufolge. Und fuhr fort, der griechische Staat habe eine Zukunft, werde aber keine »sich selbst verstärkende Krise« aus Deflation und untragbaren Schulden akzeptieren.

In den letzten Jahren hatte der international bekannte Ökonomieprofessor Varoufakis immer wieder darauf hingewiesen, dass die »EU-Rettungspakete« fast ausschließlich an die Finanzkonzerne in anderen EU-Ländern gingen, um dort eine Bankenpleite zu vermeiden. Die Kosten dafür seien aber den griechischen Bürgern aufgebürdet worden. Dieser Vorwurf wurde jetzt durch eine Untersuchung der griechischen Nachrichtenagentur MacroPolis mit Fakten unterlegt. Demnach sind lediglich zehn Prozent der 240 Milliarden Euro »Rettungsgelder« in Händen der griechischen Regierung verblieben, der Rest ging sofort zurück an ausländische Banken und andere Gläubiger. Aus Varoufakis' Sicht ist das aber nur Teil eines finsteren Gesamtplans.

In einem Interview aus dem Jahr 2010 berichtete er von einem Gespräch mit einem hochrangigen Beamten der Europäischen Zentralbank, der ihm ein Vorhaben internationaler Gläubiger offenbart hatte. Demzufolge sollte Griechenland in eine »dauerhafte Rezession« gestoßen werden, um so drastische Kürzungen von Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen durchsetzen und das Land umfassend neoliberal »reformieren« zu können. Die Troika hat diesen Plan offensichtlich umgesetzt. Nur folgerichtig, dass Varoufakis das laufende »Rettungsprogramm« der Vertreter von EZB, IWF und Europäischer Kommission sofort beenden will, selbst wenn daraus noch Zahlungen ausstehen.

Auch die Drohung von EP-Präsident Schulz, dass bei Nichterfüllung des zwischen der Troika und den vorherigen Regierungen Vereinbarten »kein Geld mehr fließt«, scheint auf Athen keinen Eindruck zu machen. Allerdings wurde am Wochenende Tsipras’ Satz, er wolle »eine für beide Seiten nützliche Einigung erzielen – für Griechenland und für Europa als Ganzes«, weithin zitiert als Beweis für dessen angebliche Bemühungen, die Wogen zu glätten. Richtig gelesen bedeutet der Satz jedoch: Nützlich für Griechenland ist nur ein Schuldenschnitt – und für Gesamteuropa nur das Ende der von Berlin verordneten Verarmungspolitik.

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Februar 2015

Hier geht es zum Regierungsprogramm von Syriza:

Was die Syriza-Regierung tun wird
Das Regierungsprogramm von Syriza, vorgestellt auf der Internationalen Messe in Thessaloniki am 15. September 2014




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