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"Verhandlungen und nichtmilitärische Sanktionsmaßnahmen sind der einzig vertretbare Weg, um den Konflikt dauerhaft beizulegen"

Antrag der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag zum Atomstreit mit Iran (Wortlaut)

Am 14. Februar hat die Fraktion der von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag einen Antrag (BT-Drucksache 16/646) eingebracht, der sich mit dem schwelenden Konflikt um das iranische Atomprogramm befasst. Der Antrag schließt ein militärisches Vorgehen explizit aus, plädiert aber unter Umständen für die Anwendung von Sanktionen gegenüber dem Iran, falls dieser den Ansprüchen des Westens (EU-Troika) nicht genügen sollte.
Der Antrag wurde in den Auswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss (!) und den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe verwiesen. Eine kurze Debatte darüber fand im Bundestag am 17. Februar statt (siehe: Bundestagsdebatte über die Haltung der Bundesregierung im Streit um das iranische Atomprogramm).



(Elektronische Vorab-Fassung)

Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode 14.02.2006
Drucksache 16/651

Antrag

der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Rainder Steenblock und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm - Demokratische Entwicklung unterstützen


Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Seit der Wahl von Präsident Ahmadinedschad im Juni 2005 verschärft sich der Konflikt um das Atomprogramm des Iran. Diese Zuspitzung gibt Anlass zu großer Sorge. Eine Lösung dieses Konflikts kann nur mit zivilen Mitteln gelingen. Die Androhung oder gar die Anwendung jeder Form von militärischer Gewalt gegen das Atomprogramm des Iran beinhaltet ein unabsehbares Eskalationsrisiko. Militärschläge würden die gesamte Region destabilisieren und damit auch Israel gefährden. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, sich gemeinsam mit den Partnern in der EU nachdrücklich für eine zivile Beilegung des Konflikts einzusetzen und dieses auch öffentlich unzweifelhaft zu vertreten. Uneinigkeit in der Bundesregierung schwächt die internationale Verhandlungsposition gegenüber dem Iran. Das russische Angebot zur Urananreicherung außerhalb des Iran bleibt ein wichtiger Beitrag zur politischen Lösung des Konflikts. Verhandlungen und - sofern diese erfolglos bleiben - nichtmilitärische Sanktionsmaßnahmen sind der einzig vertretbare Weg, um den Konflikt über das Atomprogramm des Iran dauerhaft beizulegen. Nachdrücklich bekräftigt der Bundestag in diesem Zusammenhang die interfraktionell geteilte deutsche Verpflichtung zur Unterstützung des Existenzrechts Israels.

2. Iran ist ein regional und international wichtiger Akteur, an dessen stabiler und demokratischer Entwicklung Deutschland und die EU ein genuines Interesse haben. Deshalb sind die eindeutigen Anzeichen für eine Verschärfung des innen- wie außenpolitischen Kurses der iranischen Führung so besorgniserregend. Die internationale Gemeinschaft muss den politischen Druck auf die iranische Regierung deutlich erhöhen und gleichzeitig die demokratische Entwicklung des Iran fördern. Iran verfügt über eine vergleichsweise gut entwickelte zivilgesellschaftliche Basis. Die Bundesregierung hat die Entwicklung der iranischen Zivilgesellschaft – die weiter auf die volle Unterstützung der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages zählen kann - stets mit großer Aufmerksamkeit und großem Interesse begleitet. Zudem ist Deutschland über eine Vielzahl von Kontakten auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene eng mit Iran verbunden. Diese Kontakte müssen weiter genutzt werden, um die iranische Demokratiebewegung aktiv zu unterstützen. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass ein offener Dialog nicht nur auf der Ebene von Regierungsvertretern, sondern auch zwischen den Zivilgesellschaften stattfindet. Ziel eines solchen Dialogs ist die Herstellung von Offenheit, Transparenz und Vertrauen als Voraussetzung für konstruktive politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen. Nicht zuletzt die Verpflichtung jeder deutschen Regierung zum Eintritt für das Existenzrechts Israels erfordert dies angesichts der öffentlichen und wiederholten Vernichtungsdrohungen des iranischen Präsidenten und anderer Mitglieder der iranischen Führung mehr denn je.

3. Die Entwicklung des Iran während der Amtszeit des Präsidenten Khatami von 1997 bis 2005 war widersprüchlich: Einerseits gelang es den reformorientierten Kräften in der iranischen Zivilgesellschaft, sich sukzessive größere politische, gesellschaftliche und kulturelle Freiräume zu erobern. Andererseits blieb die fundamentale Machtstruktur des Staates unangetastet. Massive Menschenrechtsverletzungen waren weiterhinan der Tagesordnung, politische und bürgerliche Freiheitsrechte wurden weitgehend missachtet. Dennoch bot die damalige Entwicklung Aussicht auf eine graduelle Transformation des Regimes zu mehr Demokratie, Partizipation und Transparenz. Daran anknüpfend entwickelte die rot-grüne Bundesregierung gemeinsam mit den Partnern in der EU einen vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dialog. Die Voraussetzungen für die Fortführung dieses Dialoges schwinden unter dem neuen Präsidenten Ahmadinedschad zusehends. Der seitens des Iran nicht fortgesetzte Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Iran steht stellvertretend dafür.

Innenpolitisch ist die Entwicklung im Iran seit der Wahl von Präsident Ahmadinedschad durch die Verschärfung der Verfolgung von Minderheiten, die Einschränkung gesellschaftlicher Freiräume und die wieder zunehmende Unterdrückung der Opposition gekennzeichnet. Beispielhaft für die andauernde Unterdrückung der Opposition steht der Fall Gandji. Seit April 2000 befindet sich der kritische Journalist Akbar Gandji in Haft. Gandji ist im Gefängnis schwer misshandelt worden und hat mehrfach u.a. mit Hungerstreiks gegen die katastrophalen Haftbedingungen protestiert. Er ist eine wichtige Symbolfigur der demokratischen Opposition des Iran. Das herrschende Regime statuiert an Gandji ein Exempel. Es ist deshalb umso wichtiger, dass die internationale Gemeinschaft ihre Solidarität mit Gandji klar ausdrückt.

Auch andere grundlegende politische Rechte werden im Iran regelmäßig missachtet. Jüngstes Beispiel ist die gewaltsame Verhinderung eines Streiks bei den Teheraner Verkehrbetrieben. In diesem Zusammenhang wurden mehrere hundert Busfahrer, teilweise mit ihren Angehörigen, unrechtmäßig inhaftiert. Die Situation der ethnischen und religiösen Minderheiten im Iran verschärft sich ebenfalls. Im Frühjahr 2005 unterdrückten iranische Sicherheitskräfte gewaltsam Demonstrationen in den arabisch besiedelten Regionen im Südwestiran. Dabei gab es nach Angaben von Human Rights Watch mehr als 50 Tote. Im Juli und August 2005 wurden Unruhen in den kurdisch besiedelten Regionen des Iran ebenfalls blutig niedergeschlagen. Ungeachtet der inneriranischen Kritik am unverhältnismäßigen Einsatz der Sicherheitskräfte muss festgehalten werden, dass es keine Anzeichen für eine grundlegende Änderung der repressiven Haltung des iranischen Regimes gegenüber den ethnischen und religiösen Minderheiten gibt.

Die iranische Opposition ist nach jahrzehntelanger brutaler Verfolgung durch das iranische Regime traumatisiert, schwach und gespalten. Auch in Deutschland wurden bereits iranische Oppositionelle auf Veranlassung iranischer Regierungsstellen ermordet, wie ein Berliner Gericht 1997 feststellte. Angesichts der jüngsten Zuspitzung wird die internationale Unterstützung einer handlungsfähigen demokratischen Opposition zum iranischen Regime immer wichtiger. In Deutschland gibt es eine Vielzahl iranischer Exilgruppen. Nicht alle erfüllen demokratische Kriterien, zu denen vor allem das glaubwürdige Bekenntnis zur Gewaltfreiheit, demokratische Strukturen und Transparenz nach innen wie nach außen zählen. Exilgruppen, die demokratischen Kriterien genügen, können aber einen Beitrag zur demokratischen Entwicklung des Iran leisten. Dafür brauchen sie Schutz und Unterstützung. Das unbeirrbare Eintreten für die Achtung der Menschenrechte, die Garantie bürgerlicher Freiheiten, die Durchsetzung der verfassungsmäßig verankerten Grundrechte sowie der Frauen- und Minderheitenrechte, Freiheit für politische Gefangene und die Stärkung demokratisch legitimierter Institutionen im Verfassungssystem Irans sind wichtige Signale an die demokratische Opposition des Iran.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die demokratische iranische Opposition bereit ist, intensiver zusammenzuarbeiten. Diese Bemühungen bedürfen internationaler Unterstützung, damit eine attraktive demokratische Alternative zu repressiven und terroristischen Oppositionsgruppen entstehen kann. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die Herausbildung einer demokratischen iranischen Opposition politisch und – soweit gewünscht und erforderlich - finanziell zu unterstützen, um eine handlungsfähige Alternative zum iranischen Regime zu fördern.

4. Außenpolitisch führt Präsident Ahmadinedschad Iran immer weiter in die internationale Isolation. Seine unerträglichen Drohungen gegenüber Israel bis hin zur wiederholten Ankündigung der Vernichtung des jüdischen Staates sowie die mehrfache Leugnung des Holocausts sind für die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmbar. Die Wiederaufnahme der Urankonversion in Isfahan entgegen der Pariser Vereinbarung zwischen Iran und den EU-3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) vom November 2004, die Fortführung von atomwaffenrelevanter Forschung und die hartnäckige Weigerung, eine Vereinbarung mit der internationalen Gemeinschaft auszuhandeln, die sicherstellt, dass Iran nicht über Atomwaffen verfügen kann, schüren schwerste regionale und internationale Befürchtungen. Es ist deshalb notwendig, dass sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Konflikt über das iranische Atomprogramm befasst. Dem Sicherheitsrat steht, mit der Autorität der internationalen Staatengemeinschaft versehen, eine Vielzahl von nichtmilitärischen Handlungsmöglichkeiten zur dauerhaften Konfliktregelung zur Verfügung.

Es ist alles daran zu setzen, dass das Angebot Russlands, die Urananreicherung des Iran gemeinsam in Russland - zu dem ausschließlichen Zweck, Strom zu erzeugen - zu betreiben, als ein ernsthafter Ausweg aus dem Konflikt breite internationale Unterstützung findet. Vor diesem Hintergrund ist gerade jetzt eine grundsätzliche Neubewertung des deutsch-iranischen Atomabkommen von 1978 notwendig.

5. Der aktuelle Konflikt um das Atomprogramm des Iran verdeutlicht die Herausforderung, vor der die internationale Gemeinschaft steht. Dieser Konflikt kann dauerhaft nur mit zivilen Mitteln und mit Hilfe der iranischen Zivilgesellschaft gelöst werden. Dabei ist die Unterstützung der demokratischen Entwicklung des Iran ein wichtiges Element. Für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft sind Presse- und Meinungsfreiheit von entscheidender Bedeutung. Im heutigen Iran ist beides nicht gegeben. Vielmehr besteht eine rigide Pressezensur, die dazu führt, dass eine unabhängige Berichterstattung nicht möglich ist. Unter diesen repressiven Bedingungen hat sich daher in der iranischen Zivilgesellschaft bislang auch kein kritischer Diskurs über die Risiken der Atomenergie entwickeln können. Die demokratische Opposition muss dabei unterstützt werden, eine Debatte über diese Risiken und über Alternativen zur Atomenergie auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu führen.

Das niederländische Parlament hat im Dezember 2004 15 Mio. Euro bereit gestellt, um den Aufbau von unabhängigen Medienprojekten wie z.B. einem satellitengestützten Informationskanal zu ermöglichen, die den Iran erreichen können. Ungeachtet ihrer bislang unbefriedigenden Umsetzung ist diese Initiative ein wichtiges Vorbild für ein mit den Partnern in der EU abgestimmtes Vorgehen zur Unterstützung der Presse- und Meinungsfreiheit im Iran. Die Bundesregierung ist aufgerufen, sich für dieses und ähnliche Projekte einzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf:

1. Mit den Partnern in der EU und in Zusammenarbeit mit den USA, Russland und China dafür einzutreten, dass der Konflikt über das iranische Atomprogramm ausschließlich mit zivilen Mitteln gelöst wird und dieses auch nach außen deutlich zu machen. Dazu zählt auch, international dafür einzutreten, dass die Androhung oder gar die Anwendung militärischer Gewalt gegen das Atomprogramm des Iran unterbleibt und dass dem Iran in diesem Zusammenhang erneut eine Gewaltverzichtserklärung angeboten wird, wie sie bereits im Vorschlag der EU-3 über ein langfristiges Abkommen mit dem Iran vom August 2005 enthalten ist.

2. Sich nicht an der Vorbereitung militärischer Maßnahmen gegen das Atomprogramm des Iran zu beteiligen und sich, auch gegenüber anderen Regierungen, ausdrücklich gegen den Einsatz militärischer Gewalt auszusprechen und gegenüber anderen Staaten darauf zu drängen, keine Vorbereitungen für militärische Maßnahmen gegen den Iran in diesem Zusammenhang zu treffen.

3. Das russische Angebot zur Urananreicherung für den Iran zu unterstützen.

4. Gemeinsam mit den Partnern in der EU und den internationalen Partnern einen abgestuften Katalog realistischer nichtmilitärischer Sanktionsmaßnahmen zu entwickeln.

5. Sich nachdrücklich für die demokratische Entwicklung des Iran durch die politische und – soweit gewünscht und erforderlich - finanzielle Unterstützung der demokratischen Kräfte des Iran einzusetzen.

6. Sich für die Freilassung von demokratischen und gewaltfreien politischen Gefangenen wie Akbar Gandji einzusetzen. Dazu zählen Journalisten, Intellektuelle, Schriftsteller und Menschenrechtsverteidiger, die für die demokratische Entwicklung des Iran eintreten.

7. Sich auf allen politischen Ebenen für das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf politische und gewerkschaftliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einzusetzen und entsprechende Bemühungen der demokratischen Opposition des Iran stärker zu unterstützen.

8. Zusammen mit den Partnern in der EU darauf zu drängen, dass der von der iranischen Regierung nicht fortgesetzte Menschenrechtsdialog zwischen EU und Iran umgehend fortgesetzt wird.

9. Zu prüfen, wie demokratischen Kräften Gelegenheit gegeben werden kann, eine unabhängige Berichterstattung über die Entwicklungen im Iran, aber auch über internationale Ereignisse im Iran zu verbreiten.

Berlin, den 14. Februar 2006
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion


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