Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Iran-EU: "Win-win-Geschäft" im Blick

Von Jörg Kronauer *

Bereits im Mai hat Ali Majedi den Deutschen und der EU Hoffnungen gemacht. Iran suche nach einem »Win-win-Erdgasgeschäft mit europäischen Staaten«, erklärte der damalige stellvertretende Ölminister des Landes. Bis zu 50 Millionen Kubikmeter Erdgas am Tag könne man schon bald völlig problemlos in die EU liefern. Majedi hatte sogar schon konkrete Vorschläge parat. Am wirtschaftlichsten sei eine Pipeline durch die Türkei, äußerte er; doch seien auch Alternativen denkbar. Durch die Türkei verläuft die Täbris-Ankara-Pipeline, die allerdings für umfangreiche Erdgaslieferungen Irans nach Europa auf Dauer kaum ausreichen wird. Zusätzlich ist seit Jahren eine neue Röhre im Gespräch, die das weltgrößte Erdgasfeld »South Pars« mit der EU verbinden soll, gleichfalls über türkisches Terrain - »Persian Pipeline« heißt das Projekt. Und die Alternativen? Unter Umständen könne man Gas auch über Armenien, Georgien und weiter durch das Schwarze Meer oder sogar durch den Irak, Syrien und den Libanon bis ans Mittelmeer leiten, wurde Majedi zitiert. Nun, zumindest letzteres dürfte auf absehbare Zeit ausgeschlossen sein - ein Pluspunkt für das Transitland Türkei.

Iran ist das Land mit den zweitgrößten nachgewiesenen Erdgasreserven der Welt. Damit ist es für erdgasabhängige Staaten wie Deutschland stets ein interessanter Geschäftspartner. Das gilt umso mehr für Zeiten wie heute, da Berlin und Brüssel auf der Suche nach Alternativen zu russischen Rohstofflieferungen sind. Dementsprechend hat die EU-Kommission bereits nach der ersten Lockerung der Iran-Sanktionen zu Jahresbeginn ihre Fühler nach Teheran ausgestreckt. »Iran steht weit oben bei unseren Prioritäten für mittelfristige Maßnahmen, die unsere Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen mindern sollen«, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters im September eine anonyme Quelle aus der EU-Bürokratie. Fünf Jahre könne es zwar durchaus noch dauern, bis das Gas nach Europa fließe, urteilen Experten. Doch man dürfe die Gelegenheit nicht verstreichen lassen: Teheran denke auch darüber nach, statt auf Pipelines nach Europa vielleicht doch lieber auf Flüssiggas zu setzen, das in Ostasien, wo der Erdgaspreis deutlich höher liege als in Europa, teurer verkauft werden könne. Eine mögliche Fokussierung Irans auf Japan, Südkorea und China aber gelte es zu verhindern.

Gleich mehrere europäische Energiekonzerne haben ein starkes Interesse, iranisches Erdgas mit Gewinn in die EU zu transportieren und sich nach Möglichkeit auch an der Förderung selbst zu beteiligen. Dazu zählten schon in der Vergangenheit die französische Total und die italienische Eni, aber auch die deutsche RWE, die es bereits 2007 auf Gas aus dem »South Pars«-Feld abgesehen hatte. Deutsche Firmen haben dabei gegenwärtig gute Chancen. Die von Reuters zitierte Quelle in Brüssel gibt an, der »Hauptkontakt« der EU-Kommission zur iranischen Regierung verlaufe, was Erdöl und Erdgas betreffe, »über die Botschaft in Berlin«. Wieso? Neuer Botschafter ist dort der eingangs erwähnte Ali Majedi, als früherer Vizeölminister eine der zentralen Figuren der Energiebranche Irans. Er hat ein klares Programm. »Ich werde mich in Deutschland bemühen, die Deutschen zu überzeugen, sich an der Entwicklung von Öl- und Gasfeldern in Iran zu beteiligen«, teilte er erst vor kurzem in einem Interview mit: »Ich habe Pläne im Kopf, dass Iran Öl nach Deutschland verkauft oder Erdgas nach Deutschland exportiert.« Das setzt freilich eine Einigung im Atomstreit zwischen dem Westen und Iran voraus.

* Aus: junge Welt, Montag, 24. November 2014


Attraktiver Absatzmarkt

Neue Geschäfte mit Teheran: Die deutsche Wirtschaft hofft auf eine Einigung im Atomstreit und ein Ende der Iran-Sanktionen

Von Jörg Kronauer **


Die deutsche Wirtschaft drängelt. Neue Geschäfte mit Iran? Die könne man bestens gebrauchen, verkünden die einschlägigen Verbände von Handel und Industrie seit Wochen über ihre Sprachrohre in den Wirtschaftsmedien. Die Verhandlungen im Atomstreit mit Teheran haben zu Jahresbeginn eine erste Lockerung der Sanktionen mit sich gebracht, und kommt es an diesem Montag zu der erwünschten Einigung, dann könnten die deutschen Exporte in den Golfstaat rasch steigen, hofft etwa der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Iran sei nach wie vor »ein lohnender Markt«, heißt es beim Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Ein attraktiver Absatzmarkt käme der exportfixierten deutschen Industrie gerade jetzt sehr recht. Die Euro-Krise hat ihre Ausfuhren in die Länder der südlichen Euro-Zone empfindlich reduziert, und nun verschlimmert auch noch der Machtkampf mit Russland die Lage. Er könnte laut Schätzungen aus dem Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft allein 2014 einen Exporteinbruch um bis zu sieben Milliarden Euro zur Folge haben. Das muss aufgefangen werden, und dazu könnte aus Sicht der deutschen Wirtschaft Iran die eine oder andere Milliarde beitragen. Das freilich verlangt eine Lösung des Atomstreits und ein Ende der Sanktionen.

Die Iran-Hoffnungen deutscher Unternehmen ruhen nicht zuletzt darauf, dass das Land traditionell ein Expansionsschwerpunkt der bundesdeutschen Wirtschaft in Mittelost ist. Schon zur Zeit des Schah sei die Bundesrepublik »der wichtigste Wirtschaftspartner« Irans gewesen, hielt die Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer 2009 in einem Überblick fest. Sie habe ihre »führende Position« trotz »aller Höhen und Tiefen« in den vergangenen Jahrzehnten halten können. »Höhen und Tiefen«? Starke, durch die politische Konjunktur bestimmte Schwankungen in den Ausfuhren bundesdeutscher Firmen in das Land sind in der Tat regelmäßig aufgetreten, seit die Exporte von umgerechnet 3,2 Milliarden Euro 1978 auf 1,2 Milliarden Euro 1979 abstürzten, um 1983 wieder fast vier Milliarden Euro zu erreichen, 1989 auf knapp 1,3 Milliarden zu fallen, 1992 erneut auf über vier Milliarden zu steigen und dann nochmals rasant abzustürzen - und so fort. Insofern sind die Hoffnungen, es könne nach dem jüngsten, durch die Sanktionen verursachten Tiefpunkt von 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2013 wieder schnell aufwärts gehen, keineswegs unbegründet: Es kann rasch gehen mit dem Iran-Geschäft.

Sorgen macht den deutschen Unternehmen diesmal allerdings, dass sie - anders als in den 1990er Jahren - heute mit starker internationaler Konkurrenz zu rechnen haben. Während Westeuropa und die USA Teheran mit Sanktionen politisch in die Knie zu zwingen suchten, haben andere Staaten ihre Geschäfte mit dem Land deutlich ausgeweitet - und nicht nur die Volksrepublik China, die längst zum zweitgrößten Lieferanten des Golfstaats aufgestiegen ist. Auch Südkorea und die Türkei exportieren mittlerweile mehr Waren nach Iran als Deutschland. Offiziell jedenfalls. Beobachter weisen immer wieder darauf hin, dass seit einigen Jahren - Sanktionen hin, Sanktionen her - die Vereinigten Arabischen Emirate, einer der loyalsten Kooperationspartner des Westens am Persischen Golf, die Rangliste der Lieferanten Irans unangefochten anführen. Bei den boomenden Ausfuhren aus den Emiraten nach Iran handle es sich gewiss nicht um ein Zeichen eigener industrieller Stärke, sondern »zum überwiegenden Teil« schlicht »um Re-Exporte aus Drittländern«, räumte die Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer schon im Jahr 2009 ein. Nicht zuletzt deutsche Firmen sicherten sich damit unter der Hand ihr Iran-Geschäft. Die Ausgangsposition der deutschen Wirtschaft ist also wohl besser als der Eindruck, den die offiziellen Daten erwecken.

Dabei steigen auch die offiziellen Daten mittlerweile wieder an. Seit der Lockerung der Sanktionen ist es deutschen Unternehmen gelungen, ihre Iran-Exporte deutlich auszuweiten. Allein von Januar bis September 2014 nahmen sie gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent zu und erreichten mit 1,77 Milliarden Euro bereits das Volumen des Gesamtjahres 2013. Freilich kam das nicht von ungefähr. Bereits am 12. Dezember 2013 hatten das Auswärtige Amt und das Bundeswirtschaftsministerium interessierte Unternehmer über ein »Sonderforum Iran« des Nah- und Mittelost-Vereins (NUMOV) über die Lockerung der Sanktionen und die zu erwartende Entwicklung informiert. Am 8. April hatte der NUMOV eine - laut seinen Angaben hochfrequentierte - »Iranian German Business Conference« in Berlin folgen lassen, zu der ein einflussreicher Wirtschaftsberater des iranischen Präsidenten sowie Irans Industrieminister persönlich angereist waren. Für den 6. bis 9. Dezember lädt der Außenwirtschaftsverband nun zu einer Unternehmerreise nach Iran ein. »Das Land könnte sich zum größten Markt im Nahen Osten herausbilden«, schreibt er in seiner Ankündigung. »Außerdem locken die Energiereserven die Investoren an.« Und weil die Konkurrenz nicht schläft, muss es nun rasch gehen: Die deutsche Wirtschaft dringt auf ein Ende der Sanktionen.

** Aus: junge Welt, Montag, 24. November 2014

Langfristige Perspektive

Iran ist aus Sicht der deutschen Wirtschaft einer der wichtigsten Staaten im Mittleren Osten. In den aktuellen Außenhandelsstatistiken spiegelt sich das zwar noch nicht wirklich wider. Da rangieren die Vereinigten Emirate unter den Abnehmern deutscher Exporte am Persischen Golf mit einem Volumen von fast zehn Milliarden Euro im Jahr 2013 auf Platz eins - und auch wenn ein Teil davon letztlich in Iran landet, haben Abu Dhabi und Dubai für die deutsche Industrie ein beträchtliches Eigengewicht. Zudem lieferten deutsche Unternehmen 2013 Produkte im Wert von mehr als 9,2 Milliarden Euro nach Saudi-Arabien. Demgegenüber sind die 1,77 Milliarden Euro, die die deutschen Ausfuhren nach Iran in den ersten neun Monaten dieses Jahres erreichten, nur ein Klacks. Deutschland würde sich überaus glücklich schätzen können, wenn seine Iran-Exporte bis Ende 2014 wenigstens den Umfang seiner Lieferungen nach Litauen erreichen würden (2013: 2,5 Milliarden Euro).

Iran bietet allerdings langfristig immense Chancen. Das Land ist nicht nur wegen seiner Rohstoffe potentiell reich. Es bietet auch mit seinen fast 80 Millionen Einwohnern einen attraktiven Absatzmarkt. In Iran gebe es, anders als etwa in den Emiraten mit ihrem Heer an fürchterlich ausgebeuteten Arbeitsmigranten aus Südasien, eine zahlenstarke »konsumfreudige Mittelschicht«, hielt Jens Nagel, Leiter des Bereichs Außenhandel beim zuständigen Bundesverband BGA, kürzlich fest. Zudem finde man dort - günstig für den Aufbau einer profitablen Niedriglohnproduktion - »viele sehr gut ausgebildete Fachleute«. Nicht zuletzt habe Iran nach all den Jahren der Sanktionen »einen hohen Nachholbedarf an Investitionen, etwa in die Infrastruktur, in Industrieanlagen und die Ölindustrie«. Und: Das Land könnte sich mittel- bis langfristig zu einer einflussreichen Regionalmacht in Mittelost entwickeln, die in die Nachbarländer ausstrahlt. Dann könnte sich eine starke Präsenz in Teheran doppelt bezahlt machen. Die deutsche Wirtschaft drängt es daher mit Macht nach Iran.
(jk)




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