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Die Hürden werden noch errichtet

Bei EU-Beitrittsverhandlungen mit Island könnte es Probleme geben

Von Gregor Putensen *

Island ist auf seinem Weg in die Europäische Union einen Schritt vorangekommen: Die EU-Außenminister erteilten der Europäischen Kommission am Montag in Brüssel den Auftrag, die Beitrittstauglichkeit der Atlantikinsel zu prüfen. Das isländische Parlament hatte Mitte Juli für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gestimmt.

Islands Antrag auf EU-Mitgliedschaft symbolisiert, dass das gewohnte Bild einer recht homogenen Region Nordeuropa mit seinen fünf Staaten und drei autonomen Teilgebieten – Åland-Inseln, Färöer-Inseln und Grönland – vor einem deutlichem Wandel stehen könnte. Als Konsequenz seines Fast-Staatsbankrotts wirkt unter westnordischem Aspekt aber nicht nur das EU-Beitrittsgesuch Islands als starker Veränderungsimpuls. Auch die im Juni vom ehemals kolonialen »Mutterland« Dänemark unterstützte markante Erweiterung der Selbstverwaltung Grönlands schließt eine staatliche Selbstständigkeit für die Zukunft keineswegs mehr aus.

Ein weiterer Aspekt für das Veränderungspotenzial im westnordischen Raum ergibt sich aus den innenpolitischen Konstellationen in Island und Grönland. Die Ablösung der in beiden Ländern über Jahrzehnte regierenden, zuletzt aber vor allem von finanzieller Verantwortungslosigkeit (Island) sowie von Korruption und Inaktivität (Grönland) gekennzeichneten politischen Gruppierungen brachte stärker sozial orientierte, im weitesten Sinne linke Kräfte ins Regierungsamt. In Island sind das die Sozialdemokraten und die Links-Grünen, die jedoch im Hinblick auf eine EU-Mitgliedschaft ebenso widersprüchliche Auffassungen vertreten wie das bürgerliche Parteienspektrum. Während die Sozialdemokraten geschlossen auf einen EU-Beitritt hinarbeiten, sind alle anderen politischen Kräfte in dieser Frage in sich gespalten. Dies findet seinen Ausdruck in der knappen Parlamentsentscheidung von 33 zu 28 Stimmen bei zwei Enthaltungen, mit der das EU-Beitrittsgesuch verabschiedet wurde. Den meisten Gegnern des Antrags wäre ein bloßer Beitritt zur Euro-Währungsunion ohne Mitgliedstatus am liebsten gewesen.

Willkommensgrüße der EU-Spitzen und die erklärte Absicht zu beschleunigtem Verhandlungstempo aufgrund der Zugehörigkeit zu Europäischem Wirtschaftsraum und Schengen-Abkommen verheißen Island einen Beitritt schon 2011, spätestens aber 2012. Dennoch könnten sich die Verhandlungen als problematischer erweisen als mit manch anderem EU-Beitrittskandidaten. Neben der Sanierung der Staatsfinanzen und der Landwirtschaft sind es vor allem zu gut 70 Prozent die gravierenden Probleme des isländischen Fischereiwesens, dessen Exportmöglichkeiten langfristig das Wohl und Wehe des Landes entscheiden werden. Dies gilt in noch stärkerem Maße nach den Erschütterungen der Finanzkrise. Eine Preisgabe der von Island bis heute praktizierten Politik erweiterter Fischereischutzzonen zugunsten eines ungehinderten Zugangs anderer Fischereiflotten von EU-Staaten ist kaum denkbar. Nach der geradezu freundschaftlichen Entgegennahme des isländischen Beitrittsgesuchs durch die schwedische EU-Präsidentschaft wird schon ab Beginn kommenden Jahres ein anderer Wind wehen, da Spanien als größte Fischereination der EU die Präsidentschaft übernimmt.

Gerade dieser Verhandlungsbereich aber dürfte mit wachsamer Aufmerksamkeit in Norwegen verfolgt werden. Sind es doch die norwegischen Fischereiinteressen, die trotz des Ressourcenreichtums an Erdöl und Erdgas nunmehr schon über Jahrzehnte den Widerstand des Landes gegen eine EU-Mitgliedschaft dominierten. Es sieht nicht so aus, als dass sich in Bälde alle fünf nordischen Staaten unter dem Dach der EU befinden werden.

* Aus: Neues Deutschland, 1. August 2009


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