Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"The end of the occupation is a vital national interest"
"Das Ende der Besatzung ist von größtem nationalen Interesse"

Die Position des israelischen Friedenslagers zum Abzugsplan von Ariel Sharon
Gush Shalom's position on the "Disengagement Plan"

Die Auseinandersetzungen um den israelischen Abzugsplan aus dem Gazastreifen spitzen sich zu. Zu Beginn der Parlamentssitzung, in der über Sharons Plan abgestimmt wird, gab es Demonstrationen. Darüber berichtete der Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin folgendes:

Tausende Linke, in der Vergangenheit eingeschworene Gegner Ariel Sharons, trafen sich am Montagabend zu einer Großdemonstration für den Abkopplungsplan des Ministerpräsidenten vor der Knesset. Bei der Polizei schätzt man, dass mehr als 5.000 Menschen an der Demonstration unter dem Motto „Rückzug aus Gaza – Beginn der Gespräche“ teilnahmen. Vor Ort befanden sich Knessetmitglieder (MdK) der Linken und zahlreiche Intellektuelle. Die Demonstranten zeigten Schilder mit der Aufschrift: „Räumung von Siedlungen – das Leben wählen“, „die Mehrheit entscheidet – Rückzug aus Gaza und Beginn der Gespräche“ und „2. Stufe – Verhandlungen“. Die Demonstration fand unter schwersten Sicherheitsvorkehrungen der Polizei statt. Redner wurden von Schutzschildern aus kugelsicherem Glas geschützt.

Der Oppositionsvorsitzende, MdK Shimon Peres, sagte: „Sie haben sich hier, im Herzen Jerusalems, neben der Knesset Israels, mit einem Ziel versammelt – den Staat Israel zu retten, ihn vor Fehlern zu retten, die intern gemacht wurden. Wir werden die Selbstmordattentäter nicht gewinnen lassen.“

„Generation für Generation haben wir hier einen ehrvollen, jüdischen Staat aufgebaut. Wenn wir uns jetzt nicht aus der Westbank und dem Gazastreifen zurückziehen, werden wir kein jüdischer Staat mehr sein. Die Vision Herzls kann nicht zerstört werden. Wir wurden nicht dazu geboren, mit dem Schwert (in der Hand) zu leben. Wir wurden geboren, um den Frieden zu bringen, uns, unseren Nachbarn, den jungen Generationen Israels. Wir werden gewinnen, da wir Recht haben, und sie werden verlieren. Was wollen sie? Der Demographie nachgeben? Dass wir ratlos werden? In der Welt isoliert? Einsam im Land? Für welchen Wahnsinn?“

Peres bezog sich auf die Rede des Ministerpräsidenten, in der dieser an die Worte Menachem Begins vom „Messianismus der Siedler“ erinnerte: „Begin nannte sie Messiasse der Lüge, und auch Sharon nennt sie Messiasse der Lüge. Sie wollen keinen Volksentscheid, sie wollen eine Ausrede, um den Abkopplungsplan zu torpedieren. Sie wollen die Zeit verschwenden und Israel als jüdischen Staat, der dem Frieden hinterherläuft, gefährden.“

Gegner der Abkopplung schickten die Kinder zur Knesset: Einige tausend Kinder und Jugendliche kamen in den Mittagstunden in den Rosengarten gegenüber dem Parlament, um gegen den Abkopplungsplan zu demonstrieren. Der Rosengarten war ganz in Orange getaucht, die symbolische Farbe der Gegner des Abkopplungsplans. Die Polizei schätzt, dass ca. 15.000 Personen zu dem Platz gekommen waren.

Es handelte sich hauptsächlich um Kinder, die aus den Siedlungen der ganzen Westbank und dem Gazastreifen gekommen waren. Für einen Moment hatte es wie ein Jahresausflug ausgesehen, der überhaupt nichts mit politischen Ereignissen zu tun hat. Die Kinder trugen Taschen und Feldflaschen, Mützen und orangefarbene Hemden, auf denen geschrieben stand: „Wir haben die Liebe, und die wird siegen – Gush Qatif und der Norden der Westbank“.

Tausende Kinder strömten auf geordnete Art und Weise am Morgen in den Rosengarten. Einige wurden von ihren Eltern begleitet. Der Besuch wurde mit dem Lesen von Psalmen und Gebeten begonnen. Die Erwachsenen erklärten, dass es sich um eine „Lektion in Demokratie“ gehandelt habe und dafür dürfe man auch einen Schultag streichen.

Ministerpräsident Ariel Sharon hatte seinen Abkopplungsplan am Montagabend in der Knesset als schwerste Entscheidung seines Lebens bezeichnet. (Hier geht es zu seiner Rede im Wortlaut.) Der Rückzug aus dem Gazastreifen und Samaria (nördliche Westbank) stärke Israel und sei für Israel notwendig. „Wir wollen nicht über Millionen Palästinenser herrschen, die sich in jeder Generation verdoppelt“, sagte Sharon. „Israel will eine Demokratie sein und kann das nicht tun. Sharon betonte, dass er wisse, welche Bedeutung diese Entscheidung für die israelischen Bewohner des Gazastreifens hat, die im Namen der Regierung einst ihre Häuser dort bauten. Wiederholt betonte er auch, dass der Abkopplungsplan nicht Verhandlungen mit den Palästinensern ersetzt und auch nicht dazu bestimmt sei, diese Situation einzufrieren. „Alles bleibt offen für ein Abkommen in Zukunft, das wir hoffentlich erreichen werden, wenn dieser mörderische Terror ein Ende hat und unsere Nachbarn verstehen werden, dass sie nicht über uns in diesem Land triumphieren können.“


Die Friedensgruppe Gush Shalom um Uri Avnery gab aus Anlass der Knesset-Debatte ein Positionspapier heraus, in dem die kritische Haltung der Friedensbewegung klipp und klar formuliert ist. Der Abzugsplan aus dem Gazstreifen macht nur dann Sinn, wenn er Auftakt zu echten Friedensverhandlungen und zum Abzug aus dem Westjordanland ist. Die acht Punkte von Gush Shalom wurden am 25. Oktober 2004 in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz veröffentlicht und werden im Folgenden dokumentiert (deutsch und englisch). Davor befindet sich noch eine kurze Presseerklärung von Gush Shalom. in der auf den Zynismus der Politik von Sharon hingewiesen wird, auf der einen Seite den Abzug aus dem Gazastreifen als Friedensgeste auszugeben und auf der anderen Seite die Militäraktionen gegen Palästinenser zu eskalieren.


Presseerklärung, 25.10.2004

Gush Shalom: Invasion und Tötungen in Khan Yuneis

Ein Versuch Knesset Stimmen mit palästinensischem Blut zu kaufen

Die Invasion von Khan Yuneis im Gaza Streifen, bei der 13 Palästinenser bislang getötet wurden, ist eine eindeutig politisch motivierte Handlung, ein Versuch, an den nationalistischen Sektor der israelischen Öffentlichkeit zu appellieren. In äußerst zynischer Art versucht Sharon parlamentarische Stimmen durch das Vergießen von palästinensischem Blut und der Zerstörung von palästinensischen Häusern zu kaufen. Dies ist ein weiterer Beweis für diejenigen, die noch einen benötigten, dass der Premierminister mit seinem 'Disengagement Plan', den er heute zu einer dramatischen Abstimmung im Rampenlicht der Öffentlichkeit vorlegt, nicht beabsichtigt, Frieden zu schaffen, sondern die Okkupation und Unterdrückung unter leicht geänderten Bedingungen fortzuführen.

Kontakt: Adam Keller, Gush Shalom Sprecher

Gush Shaloms Position zum "Disengagement Plan"

(heute als Anzeige veröffentlicht in Ha'aretz)

Die Okkupation ist die ursprüngliche Sünde, aus der Myriaden von täglichen Akten der Unterdrückung entspringen. Das Ende der Okkupation liegt im vitalen nationalen Interesse.

Die Siedlungen sind ein Desaster, eine Bedrohung für die Zukunft des Landes - extern und intern. Wir werden uns einsetzen für die Räumung jeder Siedlung, als einen Schritt in Richtung Frieden.

Dient der "Loslösungsplan" von Ariel Sharon diesen Zielen?
Das ist höchst fraglich:
Sharon und diejenigen, die in seinem Namen sprechen, betonten, dass das Ziel des Planes darin bestehe, den Friedensprozess für Jahrzehnte "einzufrieren", den Frieden in "Formaldehyd" zu legen, für immer die Schaffung eines Palästinensischen Staates zu verhindern, die gewählte Palästinensische Führung zu zerschlagen und die Siedlungen in der gesamten West Bank auszudehnen.

Hätte Sharon ernsthaft beabsichtigt, den Gaza Streifen zu räumen und die Siedlungen aufzulösen wäre ein Zeitplan von mehreren Wochen völlig ausreichend gewesen. Die Verschiebung der Umsetzung bis zum nächsten Jahr wirft Zweifel bezüglich seiner Ernsthaftigkeit auf.

Mit der Umsetzung in weiter Ferne und voller Zweifeln gibt die bedingungslose Unterstützung des Disengagement Plans Sharon eine israelische und internationale Legitimierung, die er in höchst gefährlicher Art missbrauchen könnte.

Daher muss jede direkte oder indirekte Unterstützung des Friedenslagers für den "Disengagement Plan" abhängig gemacht werden von den folgenden acht Bedingungen:
  1. Alle Stufen des Planes sollen von jetzt an im Einklang mit der Palästinensischen Behörde geplant und umgesetzt werden.
  2. Israel wird einem völligen Waffenstillstand im Gaza Streifen zustimmen, und in diesem Zusammenhang werden die bewaffneten Streitkräfte jegliche militärischen Aktivitäten im Streifen einschließlich der "Liquidationen" und Überfälle einstellen.
  3. Internationale Beobachter werden eingeladen um die Übergabe des Streifens an die Palästinensische Behörde zu überwachen.
  4. Die Bewegungsfreiheit für den Präsidenten der Palästinensischen Behörde, Yassir Arafat, wird wieder hergestellt, damit es ihm ermöglicht wird, in den Gaza Streifen zu kommen, die Ordnung wieder herzustellen und eine funktionsfähige Palästinensische Verwaltung aufzubauen.
  5. Durch die Räumung wird der Gaza Streifen offenen Zugang zur Außenwelt haben zu Lande, See und Luft. Die "Philadelphi Route" entlang der ägyptischen Grenze soll abgeschafft werden.
  6. Alle Infrastrukturen in den Siedlungen sollen unter vernünftigen Bedingungen an die Palästinensische Behörde oder an eine internationale Einrichtung übertragen werden, als ein Beitrag zur Lösung des Flüchtlingsproblems.
  7. Die Errichtung von Siedlungen in der West Bank soll eingefroren und die "Außenposten" geräumt werden.
  8. Friedensverhandlungen (für den "Endgültigen Status") zwischen der Regierung von Israel und der Palästinensischen Führung werden unmittelbar wieder aufgenommen, ausgehend von dem Punkt, an dem die Verhandlungen von der Barak Regierung in Taba im Januar 2001 abgebrochen wurden. Es wird einen verbindlichen Zeitplan geben für die Beendigung der Verhandlungen und die Errichtung des Palästinensischen Staates.
Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, wird jede direkte oder indirekte Unterstützung des "Loslösungsplans" die Chancen für einen Frieden sabotieren.

GUSH SHALOM


Press release, 25/10/2004

Gush Shalom: Invasion and killings in Khan Yuneis attempt to buy Knesset votes with Palestinian blood

The invasion of Khan Yuneis in the Gaza Strip, in which 13 Palestinians were so far killed, is a manifestly political act, an attempt to appeal to the nationalist sector of the Israeli public. In an utterly cynical manner, Sharon is trying to buy parliamentary votes with spilling Palestinian blood and destroying Palestinian homes. This is an additional proof, to whoever needed one, that in his 'Disengagement Plan' which he brings today to a dramatic vote in a blaze of publicity, the Prime Minister is not trying to achieve peace but to continue the occupation and oppression under slightly different conditions.

Gush Shalom's position on the "Disengagement Plan"

(published today as ad in Ha'aretz)

The occupation is the original sin, from which myriads of daily acts of oppression flow. The end of the occupation is a vital national interest. We will support the ending of the occupation in any part of the Palestinian territories, as a step towards peace.

The settlements are a disaster, a threat to the country's future - externally and internally. We will support the evacuation of any settlement, as a step towards peace.

Does the "Disengagement Plan" of Ariel Sharon serve these aims?

That is highly doubtful:

Sharon and those who speak on his behalf stated that the aim of the plan is to "freeze" the peace process for decades, put peace in "formaldehyde", prevent forever the creation of a Palestinian state, destroy the elected Palestinian leadership and extend the settlements all over the West Bank.

Had Sharon seriously intended to evacuate the Gaza Strip and dismantle the settlements there, a timetable of several weeks would have been quite sufficient. Delaying implementation until next year casts grave doubts its seriousness.

With implementation distant and doubtful, unconditional support of the Disengagement Plan gives Sharon an Israeli and international legitimacy which he might abuse in highly dangerous ways.

Therefore, any direct or indirect support of the peace camp for the "Disengagement Plan" must be made conditional upon the following eight conditions:
  1. All stages of the plan shall be, from now on, planned and implemented in accord with the Palestinian Authority .
  2. Israel will agree to a total cease-fire in the Gaza Strip, and in this context its armed forces will cease all military activity in the strip including "liquidations" and incursiuons.
  3. International observers will be invited to monitor the handing over of the Strip to Palestinian Authority.
  4. Freedom of movement will be restored to the President of the Palestinian Authority, Yasser Arafat, so as to enable him to come to the Gaza Strip, restore order and establish a functioning Palestinian administration.
  5. With the evacuation, the Gaza Strip will have open access to the outside world by land, sea and air. The "Philadelphi Route" along the Egyptian border shall be abolished.
  6. All structures in the settlements shall be handed over, in reasonable condition, to the Palestinian Authority or to an international institution, as a contribution to solving the refugee problem.
  7. Settlement construction in the West Bank shall be frozen and the "outposts" evacuated.
  8. Peace ("Final Status") negotiations between the government of Israel and the Palestinian leadership will be immediately resumed, from the point where negotiations were broken off by the Barak Government at Taba in January 2001. There shall be a binding timetable for finalizing the negotiations and establishing the Palestinian state.
If these conditions are not fulfilled, any direct or indirect support for the "Disengagement Plan" will sabotage the chances of peace.

Source: www.gush-shalom.org


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