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Eigene Kuba-Politik wird EU zur Last

Die Mehrheit der 27 Mitgliedsstaaten will einen Neuanfang mit Havanna. Die größte Hürde ist ein EU-Positionspapier aus dem Jahr 1996

Von Harald Neuber *

Die Europäische Union will ihre Beziehungen zu Kuba ungeachtet der systemkritischen Haltung einzelner Mitgliedsstaaten neu ordnen. Nach Informationen aus diplomatischen Kreisen in Brüssel setzten sich Vertreter der 27 EU-Mitgliedsstaaten vor wenigen Wochen im Rahmen der Lateinamerika-Arbeitsgruppe des Europäischen Rates (COLAT) in einer mehrstündigen Diskussion mit dem bilateralen Verhältnis auseinander. Dabei wurde auf der Basis einer Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) der Versuch unternommen, eine gemeinsame Linie zu finden, um das seit Jahren schwer belastete Verhältnis zur sozialistischen Regierung in Kuba zu verbessern.

Für Probleme sorgt seither vor allem der sogenannte Gemeinsame Standpunkt der EU, der seit seiner Verabschiedung 1996 auf einen Systemwechsel in Kuba drängt. Obwohl das von der damaligen rechtskonservativen Regierung Spaniens durchgesetzte Dokument inzwischen nur noch eine Minderheitenposition darstellt, blockieren einzelne EU-Staaten die Abschaffung: Eine Entscheidung kann indes nur im Konsens getroffen werden. Die ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas aber – allen voran Tschechien und Polen – verhindern einen Neuanfang. Sie koordinieren ihre Kuba-Politik dabei offensichtlich mit den USA.

"Dieses Positionspapier, für das sich auch die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl stark gemacht hatte, stellt tatsächlich eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes dar und ist das größte Hindernis auf dem Weg der Normalisierung der Beziehungen zwischen Europa und Kuba", sagte im Gespräch mit amerika21.de der Politikwissenschaftler Steffen Niese, der in Havanna zur deutschen Kuba-Politik und der regionalen Integration des Landes forscht. Der "Gemeinsame Standpunkt" sei der bereits bei seiner Verabschiedung unangemessen und nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr zeitgemäß gewesen, so Niese.

Dennoch wehrt sich eine Minderheit von EU-Mitgliedsstaaten gegen die Abschaffung der Position – und belastete damit auch die jüngste Debatte in Brüssel. Es sei eine "Herausforderung", eine kohärente Politik der EU gegenüber Kuba zu bewahren, beklagte ein Führender Vertreter des EAD in der Aussprache. Die Brüssler Diplomaten drängen nun auf ein vereinfachtes bilaterales Abkommen zwischen der EU und Kuba, um die Zusammenarbeit auszubauen. So könnte die beabsichtigte Wirtschaftskooperation mit dem Karibikstaat ausgeweitet werden, ohne den "Gemeinsamen Standpunkt" abzuschaffen. In Havanna sieht man das Papier inzwischen ohnehin gelassen. Der EU-Standpunkt aus dem Jahr 1996 sei durch zahlreiche bilaterale Kooperationen "de facto ausgehebelt" heißt es im Außenministerium in Havanna.

Nach Meinung von Eduardo Perera vom Kubanischen Zentrum für Europastudien ist der 1996 zementierten Kuba-Politik für die EU inzwischen immens. "Die Beibehaltung dieses Papiers zeigt doch deutlich die fehlende Kohärenz der EU auf dem internationalen Parkett", sagte Perera gegenüber amerika21.de: Die Interessenunterschiede ließen dem Bündnis inzwischen kaum mehr außenpolitischen Spielraum. Dies und die offensichtliche Existenz doppelter Maßstäbe im Verhalten gegenüber Drittstaaten schmälerten die Möglichkeit der EU, international eigene geopolitische Werte zu etablieren. Wenn Brüssel eine konstruktive Haltung gegenüber Kuba zeigen wolle, dann müsste der Gemeinsame Standpunkt abgeschafft werden, fügte der Europaexperte Perera an.

Der Frust über die starre Kuba-Politik belastet das Klima in Brüssel mehr als die Stimmung in Havanna. Die EU habe es nicht vermocht, auf "positive Entwicklungen in Kuba zu reagieren", beklagte sich bei der Unterredung in Brüssel die portugiesische Delegation. Griechenland verwies auf die Öffnungspolitik Brüssels gegenüber Myanmar. Und auch Spanien, obwohl inzwischen wieder von der rechtskonservativen "Volkspartei" regiert, machte auf den "grundlegenden Wandel in Kuba" aufmerksam. Eine neue Übereinkunft zwischen Brüssel und Havanna werde nicht nur wegen der Veränderung in dem Karibikstaat gebraucht. Sie sei auch nötig, weil die EU offensichtlich ihre Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln in der Kuba-Frage verliere. Die österreichischen Diplomaten brachten es auf den Punkt. Es sei an der Zeit, hieß es von dieser Seite, dass die EU sich bewege.

* Aus: Portal Amerika21, 17. Mai 2012; http://amerika21.de


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