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Die Europäische Union sieht das Wiedererstarken der Linken in Lateinamerika mit Grausen

Verhärtete Fronten beim Gipfel in Wien - Mageres Ergebnis. Pressestimmen

Von "Am Rande des Scheiterns" über "Europäer blieben eher Zuschauer" und "Lateinamerika spricht nicht mit einer Stimme" bis zu "Bolivien und Venezuela isoliert" reichen die Titelzeilen der einschlägigen Berichte über den EU-Lateinamerika und Karibik-Gipfel, der vom 11. bis 13. Mai in Wien stattfand. Im Folgenden dokumentieren wir eine Anzahl Pressestimmen vom 13. Mai 2006.



"Unpassend" findet der Kommentator Karl Grobe in der Frankfurter Rundschau die Kritik des UN-Generalsekretärs Kofi Annan an der Verstaatlichungspolitik des bolivianischen Präsidenten Morales. Grobe schreibt in seinem Kommentar:

Man muss den Populismus des bolivianischen Präsidenten Evo Morales nicht mögen. Dass er in dieser Hinsicht einer fünfzig Jahre alten Landestradition mit linken Tendenzen folgt, sollten seine rechtspopulistischen Kritiker wie Mexikos Präsident Vicente Fox aber nicht übersehen. Und dass die Verstaatlichung des Erdöls durch den ersten Indio-Präsidenten Boliviens populistisch sei, ist eine nicht sehr belastbare These. Die Verfügungsgewalt über die landeseigenen Rohstoffe einem armen Drittweltland abzusprechen ist ein starkes Stück.
Dieses - und den Hinweis auf die Interessen der ausländischen Investoren - hätte UN-Generalsekretär Kofi Annan bleiben lassen sollen. Er vertritt eine Welt-Organisation und nicht ein Konglomerat von Welt-Konzernen, denen der mögliche Wohlstand der Bolivianer immer egal war.
Wohl, das Welt-Erdölgeschäft hat Sicherheiten nötig. Daraus folgt nicht, dass nur korrupte Diktaturen oder dynastisch-feudalistische Regime Sicherheiten (der Investitionen und der Gewinne) gewährleistet werden. An saudischen Verhältnissen hat sich die Petrowirtschaft noch nie gestört; an Verstaatlichungen allerdings sehr wohl. Dies zeigte sich vor 53 Jahren, bei dem CIA-Putsch gegen den iranischen Verstaatlicher Mohammed Mossadek. Auch der war übrigens demokratisch gewählt.

Frankfurter Rundschau, 12. Mai 2006


Süddeutsche Zeitung
"Beim Gipfel in Wien sind die EU und die Länder Lateinamerikas mit dem Plan gescheitert, einander wirtschaftlich näher zu kommen. Das Treffen blieb bis zum Schluss überschattet vom Gegensatz zwischen zwei Gruppen innerhalb der lateinamerikanischer Länder: auf der einen Seite Venezuelas und Boliviens linksgerichtete Präsidenten, die stärkeren Einfluss ausländischer Investoren als Neokolonialismus ablehnten. (...) Auf der anderen Seite standen Verfechter des Freihandels wie Chiles Präsidentin Michelle Bachelet und Mexikos Vicente Fox. Europas Vertreter blieben eher Zuschauer. (...) Konkrete Fortschritte gab es mit den eher liberalkonservativ reagierten Ländern Mittelamerikas. Vom geplanten Assoziierungsabkommen mit der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur war jedoch kaum die Rede. Hindernis waren nicht nur die lateinamerikanischen Streitigkeiten, sondern vor allem die protektionistischen EU-Agrarsubventionen."

Der Tagesspiegel, Berlin
"Dem Wiedererstarken der Linken in mehreren Staaten Lateinamerikas begegnet die Europäische Union mit dem Angebot von mehr politischer und wirtschaftlicher Hilfe. Beim Gipfel waren die derzeit prominentesten Vertreter linksnationalistischer Politik auf dem Kontinent zwar politisch isoliert, dennoch vertraten sie unbeirrt ihre Linie, Schlüsselbereiche der Wirtschaft zu verstaatlichen. (...) UN-Generalsekretär Annan sagte an die Adresse von Chávez und Morales: 'Investoren müssen davon ausgehen können, dass die Bedingungen, unter denen sie investieren, mittel- und langfristig erhalten bleiben.' (...) Kubas Vizepräsident Carlos Lage Davila, der Fidel Castro vertrat, ging die EU hart an. 'Die EU verliert an Gewicht und Boden in Lateinamerika und der Karibik', sagte er. 'Die Wahrheit ist, dass die tatsächliche strategische Partnerschaft der EU diejenige mit den USA ist, der vorherrschenden Macht und dem Polizisten der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Ordnung'".

"Märkische Oderzeitung" (Frankfurt/Oder):
"Der Weg bis zu einer Freihandelszone beider Wirtschaftsregionen ist noch lang. Bislang werden nur fünfeinhalb Prozent des EU-Außenhandels mit den Ländern Mittel- und Südamerikas erwirtschaftet. Unter anderem stehen noch die Brüsseler Agrarsubventionen einer Zusammenarbeit im Wege. Auch in den drei Staatenbünden der Region liegt für die EU ein Problem: Lateinamerika spricht nicht mit einer Stimme. Trotz ähnlicher Sorgen - man denke an die erschreckende Armut großer Teile der Bevölkerung - sind die Rezepte in den Ländern sehr unterschiedlich."

taz, Berlin
"Venezuelas Staatschef liefert Öl an den Pariastaat Kuba und holt im Gegenzug Ärzte und Lehrer für Volksgesundheit und Alphabetisierung ins Land (...) und finanziert mit den Öldollars Antihungerprogramme. So etwas finden hiesige Beobachter mindestens befremdlich. Nicht weiter bemerkenswert findet man im freien Westen, dass es an solchen Programmen offenbar reichlich Bedarf in Lateinamerika gibt. Während Geschäftsleute in Lateinamerika und internationale Anteilseigner reichlich Gewinne machen mit den natürlichen Reichtümern, dem Produzieren und Handel auf den 'Emerging markets', nehmen Armut und Hunger in der Bevölkerung zu. Laut UNO und EU-Kommission hat die Anzahl der in Armut lebenden Menschen in Lateinamerika 2003 227 Millionen erreicht, das sind 44,4 Prozent der Bevölkerung. (...) Den 'Kampf gegen Hunger' findet besonders Brasiliens Präsident Lula für sein Land angemessen, ein Land, das die führende Wirtschaft Lateinamerikas beheimatet, in dem VW und andere rentabel produzieren. Aber Zweifel am kapitalistischen Wachstum und Außenhandel als Entwicklungsweg gehören sich einfach nicht im freien Westen."

El Pais, Madrid
"Selten in seiner Geschichte hat sich Lateinamerika so uneinig präsentiert wie beim Gipfel mit der EU in Wien. Darum wird es schwierig werden, gemeinsame Positionen bei den Themen zu finden, die auf der Tagesordnung stehen. Die Länder, Blöcke und Gruppen haben vollkommen unterschiedliche Strukturen. Vor allem aber sind sie von starkem Misstrauen gegenüber ihren jeweiligen Nachbarn geprägt, während die Europäische Union geeint auftritt und auf eine Antwort wartet, wie es weitergehen soll."

"La Tercera" (Santiago de Chile):
"Es fehlt an Integrationsmodellen und Institutionen, die dafür sorgen, dass Lateinamerika in seinen Beziehungen mit der Europäischen Union mit einer Stimme spricht. Unser Kontinent ist höchst komplex und heterogen. Viele seiner Staaten haben Probleme, dem internationalen wirtschaftlichen Konkurrenzdruck standzuhalten oder mit ihren Strukturen überhaupt regierbar zu sein. Um aus der wirtschaftlichen Stagnation herauszukommen und etwas zum Verteilen zu haben, benötigen wir Wachstum. Und dafür brauchen wir Lateinamerikaner eine Kooperation, wie sie uns einzig das vereinte Europa bietet."

El Pais, Madrid
"Die Krise der lateinamerikanischen Integration wertet den Gipfel mit der Europäischen Union ab. Der Ausstieg Venezuelas aus dem Andenpakt erschwerte das Wirtschaftsabkommen mit den EU-25. Die Krise der Organisationen für die regionale Integration in Lateinamerika, hervorgerufen durch den Paktwechsel des Venzolaners Hugo Chavez zusammen mit seinen Einfluss auf den Bolivianer Evo Morales sorgte dafür, dass der Gipfel von Wien bis zuletzt am Rand des Scheiterns stand. Erst in letzter Sekunde und nur mit einem Kraftakt kam die Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den zentralamerikanischen Staaten zu Stande. Ein mangelhafter Erfolg."

The Independent
"Für viele auf der Linken ist Chavez zum Helden geworden, der sich gegen den US-Einfluss in Lateinamerika erhebt. Für die Rechte - und vor allem für die Regierung Bush - ist er ein gefährlicher Demagoge und eine Gefahr für die Stabilität. (Der britische Premierminister Tony) Blair wird erkennen, dass es im Rest der Welt eine ziemlich einfache Perspektive gibt: Man ist für Chávez oder gegen ihn." (APA/dpa)

"Auf dem EU-Lateinamerikagipfel gab es wirtschaftlich kaum Annäherungsschritte", stellte Erhard Stackl im Wiener "Standard" fest.
Mit Auftritten, in denen er wortgewaltig den Anbruch eines "post-neoliberalen" Zeitalters ankündigte, stahl Venezuelas Hugo Chávez beim EU- Lateinamerikagipfel in Wien allen anderen die Show. Mit Reden gegen Freihandel, für nachbarliche Solidarität sowie für einen, im Falle Venezuelas mit hohen Öleinnahmen finanzierten "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" durchkreuzte er Pläne der EU, mit Lateinamerika Handelsabkommen abzuschließen.
Doch Europas Strategie war im Grunde schon früher hinfällig geworden. Im Gegensatz zur Vorstellung der USA, alle Staaten des amerikanischen Kontinents in einer von ihnen geführten Freihandelszone zu vereinen, basierte sie auf der Idee, dass in Lateinamerika regionale Zusammenschlüsse nach europäischem Vorbild gefördert und mit diesen dann Freihandelsverträge ausgehandelt werden sollten.
Doch die beiden wichtigsten Handelsblöcke Südamerikas fallen gerade auseinander. Im Mercosur, in dem die riesigen Länder Brasilien und Argentinien den Ton angeben, schielen die vernachlässigten Kleinen - das konservative Paraguay ebenso wie das von Linken regierte Uruguay - nach Verträgen mit den USA. Wegen solcher Verträge Perus und Ecuadors droht auch die Andengemeinschaft zu zerfallen, da Venezuela zur Strafe aus diesem Klub austrat.
(...)
Demokratische Regierungen gibt es nun überall in Lateinamerika, und erstmals in der Geschichte haben auch die Nachkommen der Urbevölkerung in vielen Staaten eine unüberhörbare - in Bolivien sogar maßgebliche - Stimme bekommen. Und die sagt zum Neoliberalismus nein. Denn obwohl Politiker aller Lager, in Wien etwa auch Perus konservativer Präsident Alejandro Toledo, den "Kampf gegen die Armut" zum Hauptziel ihrer Politik erklären, geht dabei nichts weiter.
Wie Argentiniens Volksanwalt für Menschenrechte, Eduardo Mondina, in Wien sagte, sind in Lateinamerika mehr als 200 Millionen Menschen, 40 Prozent der Bevölkerung, arm. 56 Millionen leiden an Trinkwassermangel, wobei die Bezahlung von Wasser (und auch von Strom) für viele unerschwinglich geworden sei, seit die Versorgungsgesellschaften privatisiert worden sind.
Gerade im Bereich der Infrastruktur sehen die Europäer geschäftlich aber gute Chancen. Schon haben sieben der größten Firmen und fünf der zehn größten Banken Lateinamerikas ihre Zentrale in Europa, viele in Spanien. Wenn Manager ihre Geschäftsinteressen ohne Rücksicht auf die Menschen wahrnehmen, wie dies beim Alternativgipfel aufgezeigt wurde, werden rasch Erinnerungen an die Kolonialzeit wach. Rufe nach Nationalisierung sind die Folge.
(...)
Aus: DER STANDARD, 13./14. Mai 2006

Scheitern als Chance

Von Harald Neuber, Wien*

Die Fronten waren von Anfang an klar. Gleich zu Beginn des vierten Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik war der ehemalige Coca-Cola-Manager Vicente Fox, derzeit amtierender Präsident Mexikos, mit dem österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer zusammengekommen. Fox fand nach dem Treffen am Donnerstag lobende Worte für die EU, die er als »Vorbild für Lateinamerikas Integration« bezeichnete. Positiv bewertete der konservative Staatschef auch die Freihandelspolitik Brüssels. Das war ein beachtliches Urteil, denn immerhin haben die neoliberalen Vorgaben der EU ebenso wie deren Marktprotektionismus ein Abkommen mit einem der Wirtschaftsblöcke Lateinamerikas – Zentralamerika, Andengemeinschaft und Mercosur – seit dem ersten gemeinsamen Gipfel 1999 in Rio de Janeiro verhindert.

Während Fox mit seiner Stellungnahme indirekt die progressiven Regierungen Lateinamerikas – in Bolivien, Kuba und Venezuela – kritisierte, fand der britische Premier Anthony Blair, obgleich politisch schwer angeschlagen, deutlichere Worte. Die »linkspopulistischen Präsidenten Evo Morales und Hugo Chávez« müßten im Umgang mit der Energiegewinnung verantwortlich handeln, sagte Blair beim EU-Lateinamerika-Gipfel am Freitag. Die von Morales und Chávez vorangetriebenen Verstaatlichungen gäben Anlaß zur Sorge, so Blair: »Das wichtigste ist, daß jeder seine Macht verantwortlich nutzt«.

Daß Chávez und Morales eben das tun, meint Marc Weisbrot vom US-amerikanischen Zentrum für Wirtschafts- und Politikforschung mit Sitz in Washington. Bei einem äußerst bescheidenen Pro-Kopf-Einkommen von jährlich 900 US-Dollar – in den USA ist es 40mal so hoch – sei es durchaus verständlich, daß die Regierung neue Wege zur Generierung zusätzlicher Einnahmen einschlage, sagte Weisbrot der Nachrichtenagentur IPS. Und auch der Hamburger Erzbischof Werner Thissen, der die katholische Hilfsorganisation Misereor in der Deutschen Bischofskonferenz vertritt, hält die Verstaatlichungspolitik in Bolivien für durchaus sinnvoll, weil »eine angemessene Beteiligung der armen Bevölkerung am Abbau der natürlichen Rohstoffvorkommen« erreicht werden soll.

Diese Meinung vertraten indes auch 2000 Teilnehmer des Gegengipfels, der unter dem Titel »Enlazando Alternativas« (Alternativen verknüpfen) parallel zu dem Treffen der 60 Staats- und Regierungschefs tagte. Kernstück des insgesamt viertägigen Programms war ein »Ständiges Tribunal der Völker«, das die mitunter kriminellen Machenschaften transnationaler Konzerne detailliert darlegte. Im Resümee, das am Freitag von dem deutschen Politologen Elmar Altvater vorgetragen wurde, wiesen die internationalen »Ankläger« darauf hin, daß »bindende Regelungen für internationale Konzerne bislang fehlen«. Auf staatlicher Ebene müßten Instrumente geschaffen werden, um weltweit agierende Konzerne im Fall von Rechtsverstößen zur Verantwortung ziehen zu können.

Auf dem offiziellen Gipfel war von mehr Regelungen für Konzerne jedoch keine Rede. Hinter verschlossenen Türen verhandelten die Staats- und Regierungschefs über Freihandelsabkommen, die in eine gänzlich andere Richtung weisen. Im Gespräch mit junge Welt brachte João Pedro Stedile die Meinung der Teilnehmer des Alternativtreffens »Enlazando Alternativas« auf den Punkt: »Ich kann nur hoffen, daß der offizielle Gipfel scheitert«, sagte der Marxist und Mitbegründer der brasilianischen Landlosenbewegung MST.

* Aus: junge Welt, 13. Mai 2006


Chavez fehlte bei Tisch in Schönbrunn

Linke sind die eigentlichen Stars auf dem Gipfel der EU und Lateinamerikas in Wien

Von Hannes Hofbauer, Wien*

Auf dem Wiener EU-Lateinamerika-Gipfel wird die Europäische Union als Beispiel für die Gäste aus Übersee angepriesen. Doch Staatschefs wie Hugo Chavez aus Venezuela wollen davon nichts wissen.

Evo Morales und Hugo Chavez sind die eigentlichen Stars des in Wien tagenden Gipfels EUeuropäischer sowie lateinamerikanischer und karibischer Staatsmänner. Dagegen verblassen UNGeneralsekretär Kofi Annan und die honorigen Brüsseler Bürokraten ebenso wie die übrigen Regierungschefs. Selbst zum so genannten Familienfoto kommen die beiden, sich gegenseitig demonstrativ vor sich herschiebend, zuletzt und achten gar nicht darauf, welche Plätze von den Organisatoren für sie vorgesehen wären.

Kurz zieht eine nur mit Stringtanga-Höschen bekleidete Frau die Aufmerksamkeit auf sich, als sie sich aus der Journalistenschar löst und per Transparent gegen eine drohende Umweltkatastrophe im Golf zwischen Montevideo und Buenos Aires protestiert. Ein finnisches und ein spanisches Unternehmen errichten in der ökologisch sensiblen Region zwei Zellstoffwerke, gegen die Greenpeace auf diese Art zu Felde zieht.

Bei der anschließenden Pressekonferenz von EU-Ratsvorsitzendem Wolfgang Schüssel, Kofi Annan und Mexikos Vicente Fox ist dann wieder alles in Ordnung. Neueste Export- und Importzahlen der EU und Lateinamerikas werden verkündet (50 bzw. 60 Milliarden Euro), man preist die Brüsseler Union als Vorbild für Lateinamerika und spekuliert über die Möglichkeiten einer riesigen Freihandelszone mit 500 Millionen Konsumenten. »Wir müssen unsere Integration verstärken und uns an der EU ein Vorbild nehmen«, findet Vincente Fox und setzt nach: »Noch spricht Lateinamerika mit zu vielen Stimmen.« Den Populismus sieht der mexikanische Präsident als »eines der größten Hindernisse, um die Armut zu bekämpfen«.

Die Seitenhiebe auf Chavez und Morales sind unübersehbar. Längst ist die Spannung zwischen den Freihandelsapologeten und den neuen linken Strömungen in Lateinamerika greifbar. Letztere sind allerdings ebenfalls gespalten. Während Brasiliens Lula da Silva zunehmend einen gemäßigten Kurs fährt, betreiben Venezuela, Bolivien und Kuba anstelle des von den USA dominierten Andenpaktes eine Dreiergruppe: die Bolivarianische Alternative für die Amerikas (ALBA). Diese sitzt dem EU-LACGipfel wie ein Stachel im Fleisch.

Nur mühsam versucht Wolfgang Schüssel, diplomatisch zu bleiben: »Wir sollen eine Win-win- Situation im Sinne einer wechselseitigen Abhängigkeit schaffen«, ruft er – vergeblich – die nach links abgedrifteten Länder und ihre Führer zur liberalen Ordnung. Von einer solchen will Hugo Chavez freilich nichts wissen. Am Donnerstagabend wetterte er zwei Stunden lang in der Wiener »Urania« gegen das geplante Freihandelsabkommen, sagte dem US-Imperium das baldige Ende voraus und erklärte sein bolivarianisches Konzept einer auf der Solidarität der Völker beruhenden Alternative.

Darüber vergaß der Präsident (als einziger) auch gleich noch das Abendessen der 58 Staatschefs im Wiener Schloss Schönbrunn. Die Umgebung der Volkshochschule behagt ihm sichtlich mehr als die k.u.k. Gemäuer. Der Alternativenkongress verläuft zwischenzeitlich ruhig und vorhersehbar. Auf dem »Tribunal der Völker« kommen lateinamerikanische Opfer der Globalisierung vor schütter besetzten Rängen zu Wort. Der Abrechnung mit der menschen- und umweltverachtenden Praxis großer Konzerne hätte man ein wenig mehr Elan gewünscht.

** Aus: Neues Deutschland, 13. Mai 2006


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