Multis angeklagt
Alternatives Forum begleitet EU-Lateinamerika-Gipfel
Von Darius Ossami, Madrid *
Ohne Venezuelas Präsident Hugo Chávez beginnt am heutigen Montag in Madrid das sechste Gipfeltreffen der EU und Lateinamerikas. Chávez zeigte sich empört über die Anwesenheit des honduranischen Staaatschefs Porfirio Lobo, der zwar kein offizieller Gast des Treffens in Madrid ist, aber am morgigen Dienstag an der Konferenz teilnehmen will. Man könne die Teilnahme Lobos an multilateralen Treffen nicht hinnehmen, denn obwohl dieser gewählt worden sei, legitimiere man dadurch den Putsch in Honduras. Demonstrativ wird Venezuela in Madrid deshalb nur durch Vizeaußenminister Francisco Arias Cárdenas vertreten sein.
Bei dem bereits seit Freitag in Madrids Universidad Complutense tagenden Alternativgipfel »Enlazando Alternativas« (Alternativen verknüpfen) dürfte diese Entscheidung Beifall finden. Wo sonst Mathematikstudenten über ihren Formeln brüten, diskutieren noch bis Dienstag Hunderte Vertreter sozialer Organisationen und Basisbewegungen Lösungsansätze für die Probleme in Lateinamerika und Europa. Infostände, Theatervorführungen und die unausweichlichen Clowns sorgen für etwas Abwechslung während der inhaltsreichen und manchmal etwas langen Vorträge. Kernstück dieses Alternativgipfels war am Wochenende das sogenannte »Tribunal der Völker«, bei dem zahlreiche Unternehmen symbolisch auf die Anklagebank gesetzt wurden, unter ihnen neben spanischen Konzernen wie Telefónica oder der Banco Santander auch solche Multis wie Shell, ThyssenKrupp oder Nestlé. Die offizielle Urteilsverkündung soll am heutigen Montag erfolgen.
Besonders im Blick sozialer Organisationen aus Mittelamerika sind die Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika. »Diese Verhandlungen werden auf dem Rücken unserer Völker geführt und dienen nur den Profitinteressen der Unternehmer«, erklärt der Costaricaner Jorge Coronado. Carlos Aguilar, Vorstandsmitglied der lateinamerikaweiten Organisation »Schrei der Ausgeschlossenen«, kritisiert das »ADA« genannte Abkommen nicht nur wegen der befürchteten Nachteile für die Menschen Mittelamerikas, sondern auch wegen des Putsches in Honduras. Nach dem Staatsstreich im vergangenen Juni waren die Verhandlungen ausgesetzt, doch nun aus wirtschaftlichen Gründen wieder aufgenommen worden. Aguilar sieht darin eine Legitimation des honduranischen Regimes, was er auch wegen der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen ablehnt. Das sieht auch Lorena Zelaya so. Die Aktivistin der honduranischen Widerstandsbewegung befürchtet, daß der Staatsstreich als eine Art Blaupause für weitere Umstürze in der Region dienen könne: »Im Land herrscht eine Diktatur. Die Strukturen der Putschisten sind erhalten geblieben. Das Militär ist auf den Straßen.«
Auch der geplante Freihandelsvertrag der EU mit Kolumbien und Peru steht im Zentrum der Kritik. Laura Rangel von der kolumbianischen Organisation Recalca befürchtet durch dieses Abkommen eine weitere Verschlechterung der Lebensqualität, eine weitere ungebremste Ausbeutung der Ressourcen und damit eine Fortsetzung der Kolonialisierung Lateinamerikas.
Parallel zu den Beratungen der Regierungschefs am Montag und Dienstag soll es zahlreiche Aktionen geben. Für Montag nachmittag ist außerdem eine gemeinsame Veranstaltung der sozialen Bewegungen und der linken Staatschefs aus Lateinamerika vorgesehen. Hierzu werden unter anderem Boliviens Präsident Evo Morales und Ecuadors Staatschef Rafael Correa erwartet.
* Aus: junge Welt, 17. Mai 2010
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