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EU forciert Freihandel mit Südamerika

Beim bikontinentalen Gipfel in Madrid werden viele Vereinbarungen getroffen

Von Andreas Behn, Madrid *

Die Europäische Union und die Länder Lateinamerikas und der Karibik haben bei ihren Gipfeltreffen in Madrid den Abbau von Handelsschranken zwischen beiden Kontinenten vorangetrieben. In der Abschlusserklärung des zweitägigen Treffens sprachen sich die Teilnehmerländer »gegen Protektionismus in allen Formen« aus.

Drei neue Freihandelsabkommen, Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und dem Gemeinsamen Markt Südamerikas (Mercosur), ein gemeinsamer Aktionsplan und eine neue bikontinentale Stiftung. Dazu demonstrative Einigkeit und die Beteuerung, dem im Januar von einem Erdbeben zerstörten Karibikstaat Haiti weitere Hilfe zukommen zu lassen. Der Gastgeber, Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, feierte das für sein angeschlagenes Image so wichtige VI. Gipfeltreffen zwischen der EU, Lateinamerika und der Karibik als vollen Erfolg und »Gipfel der konkreten Ergebnisse«.

Weniger enthusiastisch zeigte sich der chilenische Präsident Sebastián Piñera, Gastgeber des nächsten Gipfels in zwei Jahren. »Es gab Ergebnisse, aber sie sind nicht ausreichend«, so Piñera, der vor allem die zögerliche Geschwindigkeit der interkontinentalen Gespräche monierte. Trotz der Vereinbarungen war während der drei Gipfeltage insbesondere seitens Lateinamerikas herauszuhören, dass in Sachen Wirtschaftspolitik unterschiedliche Visionen existieren. Die Sprecherin des lateinamerikanischen Blocks, Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner, verwies darauf, dass endlich nicht mehr nur orthodoxe Vorgaben, sondern auch »andere ökonomische Sichtweisen« Grundlagen der Verhandlungen seien.

Dieses Plädoyer für eine weniger marktliberale und mehr an staatlicher Einflussnahme orientierte Wirtschaftspolitik begründete sie sichtlich zufrieden mit dem vergleichsweise erfolgreichen Umgang Südamerikas mit der aktuellen Finanzkrise. Ins gleiche Horn stieß Brasiliens Präsident Luíz Lula Inácio da Silva, als er der EU empfahl, sich an den nachfrageorientierten Maßnahmen seines Landes zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise ein Beispiel zu nehmen.

Schon das Fehlen einiger wichtiger Staats- oder Regierungschefs an dem Präsidententreffen - auch Angela Merkel sagte kurzfristig ab - zeigte, dass in Zeiten der Wirtschaftskrise eine Annäherung der beiden Blöcke keine Priorität hat. Insbesondere die Wiederaufnahme der formalen Gespräche zwischen EU und Mercosur stieß bei vielen Europäern auf wenig Gegenliebe. Vor allem Frankreich, Polen und Irland, aber auch Italien und die Niederlande zeigten auf dem gleichzeitig in Brüssel stattfindenden Treffen der Agrarminister der Union wenig Verständnis für den in Madrid gefeierten Kompromiss.

Neben Differenzen zwischen den Blöcken standen auch innerlateinamerikanische Zwiste auf der Tagesordnung. Dass die EU sowohl mit Kolumbien als auch mit Peru ein Freihandelsabkommen unterzeichnet hat, dokumentiert zugleich das Auseinanderbrechen der Wirtschaftsgemeinschaft der Andenstaaten (CAN). Die weiteren CAN-Mitglieder Bolivien und Ecuador hatten bereits seit längerem signalisiert, dass sie im Gegensatz zu den konservativ regierten Nachbarländern Peru und Kolumbien nicht bereit sind, ein Abkommen auf Grundlage liberaler Wirtschaftspolitik mit der EU zu schließen. Andererseits hat die vehemente Kritik seitens verschiedener Menschenrechtsorganisationen an der Verfolgung Oppositioneller und genereller Straflosigkeit in Kolumbien die EU nicht daran gehindert, das Abkommen zu unterzeichnen.

Das Freihandelsabkommen zwischen EU und Zentralamerika kam erst in letzter Minute zustande. Die hierfür notwendige Anwesenheit des unter diktatorischen Umständen gewählten honduranischen Präsidenten Porfirio Lobo hatte bereits vor dem Gipfel zu Protesten der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten geführt. Boliviens Präsident Evo Morales brachte das Thema erneut zur Sprache: Die spanische Volkspartei sei 2009 in den Putsch in Honduras verwickelt gewesen, so Morales, der damit den diplomatischen Konsens bewusst durchbrach.

Das meiste Aufsehen freilich erregte die Argentinierin Cristina Kirchner mit der Bitte, Europa solle auf Gesetze, die Migranten diskriminieren, verzichten. »Mich besorgt die Diskriminierung, die Migranten in vielen, vor allem den entwickeltsten Ländern erleiden.« Migranten würden als Feinde behandelt, obwohl sie »die Arbeiten verrichten, die die Bürger dieser Länder nicht machen wollen«. Spaniens Zapatero antwortete, er teile diese Sorge. Der »Schutz der Menschenrechte aller Migranten« wurde daraufhin in die Abschlusserklärung aufgenommen.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Mai 2010


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