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Hoffnung für den alten Kontinent

In Brüssel treffen sich die Staatschefs der EU und der Lateinamerikanischen Staatengemeinschaft CELAC. Politische Impulse gibt es aber vor allem beim "Gipfel der Völker"

Von Lena Kreymann und Peter Steiniger, Brüssel *

In Brüssel ist am heutigen Mittwoch das II. Gipfeltreffen der Europäischen Union (EU) und der Lateinamerikanischen und Karibischen Staatengemeinschaft (CELAC) eröffnet worden. Nach dem Eingangsstatement von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der Lateinamerika als eine Region des Friedens würdigte, ergriff Ecuadors Staatschef Rafael Correa, dessen Land aktuell den Vorsitz der CELAC ausübt, das Wort. Im Namen der Organisation kritisierte er unter anderem, dass die geltenden Investitionsschutzabkommen zwischen europäischen und lateinamerikanischen Ländern die Souveränität der Staaten des Südens verletzen und einseitig den Interessen des Großkapitals dienten. Im Kampf gegen die Armut werde die CELAC auch stärker die transnationalen Konzerne zur Kasse bitten, etwa durch eine progressiv steigende Besteuerung der Unternehmensgewinne. Correa begrüßte die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA, forderte aber die Rückgabe des von Washington okkupierten Gebiets um Guantánamo auf Kuba sowie die Aufhebung des von Präsident Barack Obama im März unterzeichneten Dekrets gegen Venezuela.

Parallel zum offiziellen Programm wurde am Mittwoch in Brüssel auch der »Gipfel der Völker« eröffnet, an dem Hunderte Vertreter sozialer Bewegungen, linker Parteien und von Solidaritätsinitiativen aus Lateinamerika und Europa teilnehmen. Zum Auftakt kamen Delegierte aus beiden Kontinenten im Veranstaltungszentrum »Passage 44« zusammen, um über eine bessere Zusammenarbeit zu diskutieren. Etwa 100 Teilnehmer diskutierten hier über Vernetzung, gemeinsame Medienprojekte und die Bedeutung des lateinamerikanischen Staatenbündnisses ALBA (Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas). Vor allem für die aus Lateinamerika angereisten Aktivisten war klar: Die Angriffe gegen Caracas und Havanna schaden letztlich den fortschrittlichen Bewegungen weltweit. »Was sie heute in Venezuela machen, versuchen sie morgen in meinem Land«, sagte ein Ecuadorianer.

Eine Repräsentantin der portugiesischen Frauenbewegung warnte angesichts des EU-CELAC-Gipfels vor Illusionen. »Die europäische Politik ist nicht solidarisch«, betonte sie. Es reiche nicht, sich nur für Kuba und Venezuela einzusetzen. Es komme darauf an, auch im eigenen Land für Verbesserungen kämpfen, »denn die EU macht das nicht«. Ein Vertreter der deutschen Solidaritätsvereinigung »Venezuela Avanza« ergänzte: »Europa braucht ALBA als Beispiel.«

Geleitet wurde die Zusammenkunft von Ammar Jabour, der im venezolanischen Außenministerium die Abteilung für Solidaritätsarbeit leitet. Er überbrachte Grüße des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro, der seine Teilnahme am Gipfel in Brüssel hatte absagen müssen. Jabour kündigte an, dass es im November ein Treffen der sozialen Bewegungen in Kuba oder Venezuela geben werde. Aus Havanna war Julia Cabrera von der Europaabteilung des Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP) nach Brüssel gekommen. Zentrale Aufgabe der Solidaritätsbewegung sei es, so Cabrera, alternative Medien zu schaffen, um »unsere Arbeit an die Öffentlichkeit zu tragen«.

In der anschließenden Diskussion befürworteten viele Teilnehmer die Idee einer weiteren Konferenz. Bis dahin müsse aber bereits konkrete Vernetzungsarbeit geleistet worden sein, forderte ein Vertreter der Bewegung für die 43 »verschwundenen« Studenten aus Mexiko. Mehrere Teilnehmer regten an, ein Vorbereitungsgremium zu schaffen, und schilderten ihre positiven Erfahrungen mit Vernetzungstreffen.

Eduardo Paredes, ein enger Mitarbeiter des ecuadoranischen Außenministers Ricardo Patiño, warb um Verständnis für den eigenen Weg, den Ecuador mit der »Bürgerrevolution« beschreite. Es seien nicht die Hindernisse und Schwierigkeiten dabei, die ihm Angst machen würden. »Uns macht Angst, dass ihr möglicherweise unseren Prozess nicht versteht.«

Hauptveranstaltung des »Gipfels der Völker« war am Mittwoch vormittag allerdings ein Treffen von Intellektuellen und Parlamentsabgeordneten. Nachdem sich bei dieser Versammlung die Ovationen auf Kuba, Venezuela, Griechenland und die internationale Solidarität etwas gelegt hatten, diskutierten die Teilnehmer die Herausforderungen für die Linke auf beiden Kontinenten. Eingangs unterstrich die venezolanische Abgeordnete Carmen Borges als Moderatorin des Forums, dass heute ein gestärktes, geeinteres Lateinamerika als früher auf der Weltbühne agiere. Nicht zuletzt CELAC sei ein Beleg dafür. Mit ihr werde das politische Vermächtnis des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez verwirklicht.

Aus Portugal sind etwa 50 Teilnehmer nach Brüssel gekommen, die unterschiedlichen Organisationen angehören, so der Kommunistischen Jugend (JCP), Frauenrechtsgruppen und Initiativen, die für die Solidarität mit Kuba und Palästina arbeiten. Mit dabei ist die junge Archäologin Helena Barbosa aus der Stadt Vila Real in der nordöstlichen Region Trás-os-Montes. Sie wirkt im Portugiesischen Rat für Frieden und Kooperation (CPPC) mit, der Teil des Weltfriedensrates ist. Die Teilnahme am »Gipfel der Völker« ist für Barbosa nicht zuletzt ein Akt der Solidarität mit Venezuela. »Ein Erfolg der Bolivarischen Revolution ist nicht nur für Venezuela selbst, sondern für die ganze Welt von Bedeutung.« Auch in Portugal würden die tonangebenden Medien ein negativ verzerrtes Bild von Ländern wie Venezuela und Kuba propagieren. Deshalb sei es ein Anliegen auch des CPPC, über die Entwicklungen in Lateinamerika aufzuklären und darüber, wer den Frieden in der Welt tatsächlich bedroht. Auch Abel Prieto, früherer Kulturminister Kubas, betonte, dass der Imperialismus »alle Kräfte aufbietet, um die Bolivarische Revolution zu zerschlagen«. Venezuela sei besonders im Visier, um mit dem progressiven Prozess dort auch die Allianz der fortschrittlichen Länder zu sprengen. Als Beispiel der Hoffnung für den alten Kontinent nannte Prieto die griechische Syriza-Regierung, da diese Nein zum Neoliberalismus sage.

Die globale Macht und die Funktion der Medienkonzerne als »Werkzeuge des Imperialismus« war auch eines der Themen im Plenum. Dabei wurde hervorgehoben, dass die großen Medien in Europa meist das reproduzieren, was ihnen die Pressemonopole im Süden vorsagen. Dabei handele sich, wie bei Globo in Brasilien, dem Mercurio in Chile oder der Clarín-Gruppe in Argentinien, um Unternehmen, die stets die Agenda der Reaktion verfolgten. sie hätten die Militärdiktaturen mit herbeigerufen und gestützt und seien heute Sprachrohre des Neoliberalismus. Sobald linke Regierungen diese Monopole antasteten, beklagten ihre Schwestern in Europa das »Ende der Meinungsfreiheit«.

Am frühen Nachmittag versammelten sich die Teilnehmer zu einer Solidaritätsdemonstration am Simón-Bolívar-Denkmal nahe dem Bahnhof Gare du Nord.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Juni 2015


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