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Merkel: "Dieser Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten ist ein Einsatz von historischer Dimension" - Lafontaine: "Das Völkerrecht kann man auf der Welt aber nur durchsetzen, wenn man es selbst beachtet"

Die Bundestagsdebatte um den Libanoneinsatz, 2. Teil - Mit Mützenich, Gerhardt, von Klaeden, Bisky, Müller, Merkel, Westerwelle, Weisskirchen, Lafontaine, Trittin

Der Bundestag hat am Mittwoch, dem 20. September 2006, den Einsatz deutscher Streitkräfte im Libanon beschlossen. 442 Abgeordnete votierten für die Entsendung von bis zu 2.400 Soldaten in den Nahen Osten. 152 Parlamentarier stimmten dagegen, 5 enthielten sich. Die namentliche Abstimmung folgte einer fast zweistündigen Debatte.
Im Folgenden dokumentieren wir große Teile der Debatte des zweiten Tages (20. September) - verzichten dabei aber auf den Großteil der Zwischenrufe und Beifallsbekundungen. Die Debatte des ersten Tages (19. September) haben wir hier dokumentiert:
Die Bundestagsdebatte um den Libanoneinsatz, 1. Teil. Nicht enthalten in unserer Dokumentation des zweiten Tages sind die Beiträge von: Ulrike Merten (SPD), Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU), Rolf Kramer (SPD), Dr. Christian Ruck (CDU/CSU), Gabriele Groneberg (SPD) und Dr. Sascha Raabe (SPD)

50. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 20. September 2006, Beginn: 9.00 Uhr

V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG

Dr. Rolf Mützenich (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion wird heute über den Einsatz der Bundeswehr vor der libanesischen Küste nicht einheitlich abstimmen. Wie sollte das in dieser Frage auch möglich sein? Der Libanoneinsatz ist nicht nur ein schweres, er ist auch ein außergewöhnliches Mandat. Er ist ein Mandat, das die Gefühle und das Gewissen aufwühlt. Unabhängig, wie einzelne Kolleginnen und Kollegen gleich abstimmen werden: Einige werden auch dann noch letzte Zweifel nicht bestreiten wollen.

Die Motive derjenigen, die mit Nein stimmen werden, sind vielfältig. Manche führen grundsätzliche Bedenken gegen einen militärischen Einsatz an; für manche kommt dagegen die ganze Anfrage zu früh; wieder andere befürchten die Einbeziehung in Kämpfe. Einzelnen Abgeordneten sind die Einsatzregeln und das Mandat zu ungenau und damit nicht ausreichend. Dennoch fragen diese Kolleginnen und Kollegen, ob ihr Nein nicht fehlgedeutet oder gar missbraucht werden könnte; denn es liegt auf der Hand: Wenn Israel eine deutsche Beteiligung wünscht, dann kann man doch schlecht argumentieren, dies widerspreche dem israelischen Sicherheitsinteresse.

Andere fragen, ob ein Nein eine wenn auch noch so geringe Hoffnung, aus der Gewaltspirale auszubrechen, behindern könnte, und vor allem: Könnte ein Nein eine dumpfe Minderheit in unserem Land dazu verleiten, dieses Nein als gegen Israel gerichtet zu sehen?

Aber auch einige derjenigen, die mit Ja stimmen werden, werden letzte Zweifel behalten. Manche werden mit Rücksicht auf Israel Ja sagen, andere werden Ja sagen, weil sie die Souveränität und die Autorität des Libanon stärken wollen, andere werden aus Respekt gegenüber den Vereinten Nationen zustimmen. Wieder andere wollen vor allem einen brüchigen Waffenstillstand sichern helfen. Die Zweifel werden dort bestehen, wo viele nicht ausschließen können, dass dies der Beginn eines langen militärischen Engagements sein könnte.

Andere wissen um die Gefahr militärischer Auseinandersetzung oder befürchten Anschläge gegen die Marineverbände. Diese von vielen gehegten letzten inneren Unsicherheiten sind meines Erachtens nicht Ausdruck von Unvermögen; vielmehr bildet diese Zerrissenheit die Komplexität und die Einmaligkeit der Entscheidung ab. Sie ist mithin angemessen.

Ich hätte mir gewünscht, dass auch die Spitzenvertreter anderer Fraktionen, vor allem jene, die in den vergangenen Tagen und Wochen mit apodiktischer Bestimmtheit Nein gesagt haben oder im Nachhinein alles besser gewusst haben, ein wenig Selbstzweifel gehabt hätten; das hätte der Debatte gut getan.

Noch vor wenigen Monaten hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Israel der Stationierung deutscher Truppen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zustimmen würde. Mehr noch ist eingetreten: Israel hat ausdrücklich um die Beteiligung der Bundeswehr gebeten. Darüber hinaus ist das Land bereit, seine Sicherheit im Norden einer durch die UN mandatierten und geführten Truppe zu überantworten. Beide Vorgänge sind beeindruckend und einmalig.

Deshalb geht es beim UNIFIL-Mandat auch um die Sicherheit Israels. Die Truppe handelt aber nicht anstelle Israels. Die Bundeswehr ist Teil einer UN-Friedenstruppe. Sie ist weder Partei noch Schiedsrichter.

UNIFIL handelt im Auftrag der internationalen Gemeinschaft, im Sinne der Sicherheitsratsresolution 1701 und der Einsatzregeln. Die neue UNIFIL kann keinen Frieden erzwingen. Äußerungen dazu während des Besuchs der israelischen Außenministerin waren missverständlich. Die Truppe kann den Waffenstillstand flankieren und den Waffennachschub an die Hisbollah behindern. Wenn sie sogar noch den Rahmen für Gespräche zwischen den Konfliktparteien erleichtern könnte, wäre dies ein gewaltiger Beitrag.

Nur die Konfliktparteien selbst können Frieden schließen. Wir dagegen können Brücken bauen; wir können zuhören, wir können Botschaften transportieren, wir können Ideen befördern. Das ist die Aufgabe der Diplomatie und diese hat die Bundesregierung, vor allem der deutsche Außenminister, in den vergangenen Wochen wahrgenommen. Der deutsche Außenminister war zur richtigen Zeit an den richtigen Orten. Wir unterstützen dies und ermuntern ihn, auf diesem Weg weiterzugehen.

Guido Westerwelle behauptete in diesem Zusammenhang, dass - Zitat - in der deutschen Außenpolitik das Militärische eine der ersten Antworten ist, nicht die letzte. Das ist nicht nur Unfug; das ist Demagogie.

Der Außenminister war während des Krieges in Beirut, in Jerusalem, in Ramallah, in Amman, in Kairo und in Riad. Er hat sich für eine Feuerpause stark gemacht und versucht, Denkblockaden aufzubrechen. Dies ist eine zivile Konfliktbearbeitung im freiheitlichen und demokratischen Sinne. Das hätten Sie unterstützen sollen.

Dabei will ich Ihnen gar nicht vorhalten, dass Sie die liberalen Traditionen in der Außenpolitik verlassen haben; denn in der Rückschau hat eine liberale Außenpolitik sowohl Licht- als auch Schattenseiten. Vielmehr möchte ich Ihnen sagen: In den vergangenen Monaten haben in erster Linie Sie nochmals unterstrichen, dass Sie derzeit nicht in der Lage sind, eine kluge deutsche Außenpolitik zu formulieren, weil Sie in einem innenpolitischen Tunnelblick gefangen sind. Das macht Sie an dieser Stelle so unglaubwürdig.

Dass weder der Vorsitzende der FDP noch die Linkspartei Zweifel haben, mussten wir in den vergangenen Tagen hinnehmen. Ein wohl begründetes, abgewogenes Nein kann niemand kritisieren. Was ich aber kritisiere, sind die Selbstgefälligkeit und die Maßlosigkeit.

Maßlos, liebe Kolleginnen und Kollegen, war der Vorwurf von Oskar Lafontaine, dass diejenigen, die eine militärische Flankierung des Waffenstillstands befürworten, Deutschland für terroristische Anschläge anfälliger machen. Selbstgefällig sind diejenigen, die ein Nein als das allein richtige Verhalten beschreiben. (...)

Ich glaube aber nicht, dass die Linkspartei den Wunsch der Vereinten Nationen nach Friedenstruppen für immer ablehnen kann. Schauen Sie nach Italien: Die italienischen Kommunisten - beide Parteien - haben einen langen, zum Teil schwierigen Lernprozess durchgemacht. Schauen Sie nach Spanien, wo sich bei der Abstimmung über die Beteiligung an UNIFIL lediglich zwei Parlamentarier der Stimme enthalten haben. In Sachen Friedenstruppen sind Sie innerhalb der europäischen Linken weitgehend isoliert. Das sollte Ihnen zu denken geben.

UN-Friedenstruppen können dann sinnvoll sein, wenn sie das Töten stoppen, wenn sie den Rahmen für Stabilität bilden und damit den Dialog zwischen den Konfliktparteien erleichtern.

Auch die Linkspartei wird sich dieser grundsätzlichen Frage in Zukunft stellen müssen. Konstruktiver Pazifismus erschöpft sich nicht in Antimilitarismus. Es kann durchaus sein, dass militärische Beiträge in begrenztem Umfang den Aufbau dauerhafter, friedensfördernder Strukturen und Mentalitäten erleichtern können. Um derartige Strukturen wird es in den kommenden Monaten gehen.

Deutsche Außenpolitik und somit europäische Außenpolitik muss einen politischen Prozess im Nahen Osten initiieren. Natürlich sind wir allein dazu nicht in der Lage; aber europäische Staaten sind derzeit die vorrangigen Partner für die Region - ob uns dies passt oder nicht. Wir werden akzeptiert und gebraucht, und - nicht zu vergessen - wir sind die unmittelbaren Nachbarn. Dabei geht es um Sofortmaßnahmen sowie um mittel- und längerfristige Schritte. Wie wir diesen Weg nennen, ist unerheblich. Es liegen genügend Vorschläge auf dem Tisch.

Es geht um die Beachtung der legitimen Interessen der Konfliktparteien, um die Förderung von Kompromissen und um die Bildung von Anreizen. Es geht um Entspannung in einem Zeitalter neuer Spannungen. Neben dem israelisch-palästinensischen Kernkonflikt müssen die Beziehungen zwischen Syrien und Libanon auf der einen Seite und die notwendigen Gespräche dieser Staaten mit Israel unterstützt und begleitet werden. Es geht auch um den innerlibanesischen und um den innerpalästinensischen Dialog. Gleichzeitig müssen wir die USA überzeugen, endlich wieder Schritte zu einer Konfliktregelung mitzugehen und Blockaden zu beenden.

Vor allem aber geht es um die Erkenntnis, dass die Konflikte im Nahen Osten kein Nullsummenspiel sind. Am Ende können alle nur gewinnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschäftigung mit der Vorlage der Bundesregierung zur Entsendung deutscher Soldaten, in diesem Fall der Marine, lenkt unseren Blick zum wiederholten Male auf eine Region, die es mit so vielen Katastrophen und Unverträglichkeiten zu tun hatte: mit autoritären Regimen, mit schwachen Institutionen, mit Trümmern eigener Politik, aber auch mit Trümmern der Politik anderer Mächte, die sich dort Verbündete suchten oder sich einzumischen versuchten.

Trotz gemeinsamer arabischer Kultur in der gesamten Region ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit unterentwickelt. Das spüren wir im Barcelonaprozess, den wir ja den Ländern des mediterranen Raums bis in den Nahen Osten anbieten. Das hat auch der Vater des jetzigen Präsidenten Bush gespürt, der nach dem ersten Golfkrieg mit der Madrider Konferenz den aus meiner Sicht überzeugenden Versuch gemacht hat, ein Stück KSZNO zur Kontrolle von militärischen Kapazitäten, zu Menschenrechten, zu Fragen der Wasserrechte in diese Region zu bringen. Die Modernisierungsfähigkeit vieler Eliten und Gesellschaften ist dort recht dürftig. Manche kulturelle Authentizität wird von der dortigen Region behauptet, um nicht über Menschenrechte in den eigenen Gesellschaften ernsthaft reden zu müssen.

Wir reden hier über mehr - deshalb möchte ich jede Überhöhung vermeiden, möchte sie aber auch nicht gegen meine Argumentation gerichtet sehen - als über den schmalen Beitrag der Entsendung von Marinesoldaten.

Zum wiederholten Mal beschäftigen wir uns auch mit Israel, einem Land, für das wir zu Recht besondere Gefühle hegen.

Wir wollen, dass seine Bürgerinnen und Bürger in Frieden leben können und ihre Zukunft nicht mehr durch Anschläge beeinträchtigt wird. Es ist im Übrigen aber auch unsere Überzeugung, dass das der überwiegende Wille der Mehrheit des palästinensischen Volkes ist.

Wenn man genau hinhört, kann man feststellen, dass auch dort der Wunsch nach einer Zweistaatenlösung und die Bereitschaft zur Akzeptanz einer solchen, die es ermöglicht, in Frieden nebeneinander leben zu können, überwiegen. Dazu gab es im Übrigen viele Chancen.

In entscheidenden Punkten ist aber immer wieder nicht genügend Kraft aufgebracht worden, die Chancen zu ergreifen. Es gab einen sehr mutigen Schritt von Sadat. Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt. Es gab eine mutige Politik von Yitzhak Rabin. Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt. Auch die Chance beim Angebot von Ehud Barak an Jassir Arafat wurde nicht genutzt. Das war aus meiner Sicht ein großer Fehler des damaligen palästinensischen Führers. Immer wieder haben die Extremen auf beiden Seiten die Mehrheit daran gehindert, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Meine Bewertung ist also, dass die Mehrheit zum Frieden schon willens ist.

- Lassen Sie mich doch in Ruhe argumentieren. Ich habe es vorhin schon einmal gesagt: Ich bin gegen jede Überhöhung dieser Diskussion. Da es in Ihren Reihen vielleicht Kolleginnen und Kollegen gibt, die genauso denken wie ich, sollten wir uns das auch ersparen. Es ist doch niemand im Besitz der ganzen Wahrheit.

"Zum Frieden oft nicht in der Lage“, so würde eine Bilanz lauten können. Wir können uns mit dieser Verstrickung von Gewalt und Gegengewalt - in diesem Sinne bin ich mit dem Zwischenruf einverstanden - nicht mehr abfinden; wir wollen es auch nicht. Deshalb streiten wir hier auch nicht über das Ob eines Beitrags, sondern über das Wie eines Beitrags. Darauf möchte ich hinweisen.

Das Potenzial zur militärischen Konfliktlösung ist an seinem Ende angekommen. Es war auch nie ein wirksames Instrument; jetzt ist es für jeden offenkundig. Das Selbstverteidigungsrecht Israels gegen terroristische Anschläge steht außer Frage. Aber in dieser asymmetrischen Auseinandersetzung nutzt militärische Überlegenheit erkennbar wenig. Diese Erkenntnis setzt sich jetzt in Israel durch. Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser kann nicht mit Anschlägen, die unschuldigen Zivilisten in Israel unendliches Leid zufügen, in irgendeiner Weise wahrgenommen oder verbessert werden. Auch das muss gesagt werden.

Eigentlich wollen das auch alle nicht, äußerte neulich ein israelischer Staatsbürger in einem eindringlichen Beitrag und schrieb dann weiter: Wenn auf allen Seiten aber nur noch über die Rechtmäßigkeit gesprochen wird, dann bleibt kein Raum mehr für Mitgefühl. - Das ist aber die Voraussetzung für eine Lösung und die Respektierung der Lebensinteressen anderer.

Es geht um Grenzen. Es geht möglicherweise um Wasserrechte. Es geht um Transparenz hinsichtlich der militärischen Arsenale. Es geht um eine Einigung über die heiligen Stätten und es geht um regionale Vereinbarungen. Aber wenn das ganze Konzept den Menschen nicht die Aussicht auf ein halbwegs erträgliches Leben in der Zukunft ermöglicht, dann wird das nicht gelingen.

Es muss überprüft werden, ob der jetzige Beitrag Deutschlands, ob die internationale Zusammenarbeit, ob die Absprachen in der Europäischen Union und ob die Einflussnahme Amerikas, Russlands und Chinas - bei der einen Seite geht es die Einflussnahme auf die Sponsoren und bei der anderen Seite um den Einfluss auf die Politik - ausreichend besprochen worden sind.

Ich wehre mich dagegen, in Deutschland seit Wochen über Truppenstellerkonferenzen zwar zu diskutieren, aber nicht ausreichend öffentlich deutlich zu machen, was denn am Ende die politische Konzeption, für die wir das alles unternehmen, sein soll.

Mich persönlich hindert die deutsche Katastrophengeschichte nicht daran, einem militärischen Beitrag zuzustimmen, wenn er erforderlich wäre. Aber wenn ein militärischer Beitrag erforderlich ist, dann muss er von dem Primat der Politik begleitet werden, und zwar eindringlicher und klarer, als es bisher geschehen ist.

Die Fragen, die ich dazu stelle, sind nicht illegitim. Ich glaube, dass es nicht zu viel verlangt ist, wenn man das Minimum für einen weiteren politischen Lösungsweg anspricht.

Die Befürworter des Einsatzes leben bisher allein von dem Prinzip Hoffnung.

Das ist im politischen und menschlichen Leben allgemein ein wichtiges Prinzip. Aber dies allein ist kein Konzept, um in dieser Region weiterzukommen.

Deshalb gibt es legitime Fragen zu den Ressourcen des Mandats, seiner Aufgabengerechtheit und seinen Risiken.

Ich möchte auch beschrieben haben, was das Kriterium des Erfolgs ist.

Denn wahr ist, dass die Hisbollah im Innern nur in einem langjährigen Verhandlungsprozess entwaffnet werden kann und nicht ausreichend klar ist, ob den Sponsoren außerhalb der Meilenzone und der Patrouillen wirklich das Handwerk in Bezug auf Waffenlieferungen gelegt werden kann.

Wenn man ein Mandat erteilt, dann ist die Frage gerechtfertigt, ob die Krisendiplomatie das Ihre dazu beiträgt, dass die Soldaten das Gefühl haben, dass sie Teil einer Lösung sind, die Lösung aber nicht allein bei ihnen liegt. Diese Dimension hat die deutsche und internationale Politik bisher nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht.

Manches an dieser Debatte, die überhöht wurde, hat mich sehr gestört. Sie verlief so, als wären die einen mehr im Recht und hätten die höheren moralischen Argumente und die anderen nicht. Heute entscheidet sich nicht, wer von uns, wenn es hoffentlich zu einem Verhandlungsprozess kommt, historisch Recht hat; das wollen wir einmal dem Ablauf der Zeit überlassen. Heute interessiert, ob man dem Mandat zustimmt.

Ich sage für meine Fraktion, wobei ich auch die Meinung derjenigen Kolleginnen und Kollegen respektiere, die sich anders als ich entscheiden: Das Mandat ist uns zu schmal. Die politische Begleitung im Hinblick auf einen Lösungsansatz reicht uns nicht aus. Wir neigen nicht dazu, Soldaten einzusetzen, wenn ihr Teilbeitrag im politischen Lösungsprozess nicht klar ist. Es vergeht ein Tag nach dem anderen, ohne dass wir dazu Ausreichendes hören.

Ich komme zum Schluss. - Sie sagen, das alles komme jetzt. Es wäre zu wünschen, dass es so wäre. Aber auf sicherem Boden befinden Sie sich nicht. Unser Argument ist, dass vorher etwas mehr Klärung stattfinden sollte. Wir können diesem Mandat so nicht zustimmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr Kollege Gerhardt, man hat Ihnen anmerken können - so war mein Eindruck -, wie unwohl Sie sich in Ihrer Position fühlen, die Sie hier haben vortragen müssen.

Sie haben Ausführungen zu einer Nahostfriedenskonferenz gemacht, denen in dieser Allgemeinheit jeder hier zustimmen kann. Aber die Begründung, warum Sie dem Mandat, das heute zur Entscheidung ansteht, nicht zustimmen, sind Sie schuldig geblieben.

Jeder, der sich mit dieser Frage sachkundig beschäftigt, weiß, dass dieses Mandat mit Gefahren, Risiken und Schwierigkeiten verbunden ist. Das liegt daran, dass das Mandat nicht wie bei anderen Mandaten am Ende eines Friedensprozesses, zum Beispiel zur Absicherung eines Friedensvertrages, steht, sondern dass es der Beginn eines politischen Prozesses ist und die Voraussetzung dafür - darüber darf nicht hinweggesehen werden -, dass dieser Prozess gelingen kann.

Jeder, der sagt, man könne eine Friedenslösung auch ohne das UNIFIL-Mandat erreichen, nimmt gleichzeitig in Kauf, dass die Kampfhandlungen in der Region wieder beginnen.

Der Weg wird schwierig sein. Die Ursachen für den Konflikt sind nicht gelöst. Die UN-Resolution 1559, die unter anderem die Entwaffnung der Milizen, so vor allem der Hisbollah vorsah, ist nicht umgesetzt worden. Dass die Hisbollah Israel angegriffen hat, ist die Folge davon. Die Resolution 1680 beinhaltet den Auftrag, dass die offenen Grenzfragen zwischen Syrien und dem Libanon geklärt werden und Syrien vollständige diplomatische Beziehungen zum Libanon aufnimmt. Diese nicht gelösten Aufgaben werden die Kontrolle der syrisch-libanesischen Grenze erheblich erschweren.

Nichtsdestotrotz brauchen wir einen politischen Prozess, bei dem UNIFIL eine wesentliche Voraussetzung und ein Bestandteil ist, um diese Fragen zu lösen.

Wir haben als Deutsche eigene und wichtige Interessen daran, dass der politische Prozess in der Region gelingt. Wir haben ein Interesse, das sich aus der historischen Verantwortung ergibt, an dem Existenzrecht Israels. Das wird nur zu sichern sein, wenn es endlich einen lebensfähigen palästinensischen Staat gibt. Wir haben auch ein Interesse, das sich aus der Geographie ergibt, weil unsere Verbündeten in der Europäischen Union und in der NATO unmittelbar an die Krisenregion grenzen und die Gefahr besteht, dass die Konflikte übergreifen. Wir haben ein Interesse, das sich aus der inneren Sicherheit unseres Landes ergibt, weil wir immer wieder erleben müssen, dass Extremisten in unserem Land den Konflikt zum Anlass nehmen für ihre Aktivitäten bis hin zu Terroranschlägen. Wir haben letztlich auch ein wirtschaftliches Interesse, weil Konflikte in dieser Region zu steigenden Energiepreisen führen und es uns erschweren, die Arbeitslosigkeit in unserem Land zu bekämpfen.

Wenn wir aber über die historische Verantwortung sprechen, würde ich mir von der Linkspartei auch einige Ausführungen zu der historischen Verantwortung wünschen, die sie als ehemalige Staatspartei der DDR in die Wiedervereinigung eingebracht hat und die damit zu unserer gesamtdeutschen Verantwortung geworden ist. Dazu gehört zum Beispiel die Rolle von Abu Nidal, dem Drahtzieher von Anschlägen in über 20 Ländern, bei denen in den 70er- und 80er-Jahren Hunderte von Menschen ums Leben gekommen sind, und der mit dem Ministerium für Staatssicherheit kooperiert hat. Zu nennen sind auch die Zusammenarbeit mit RAF-Mitgliedern, ihre Ausbildung in Terrorlagern in Jordanien und die spätere Unterbringung in der ehemaligen DDR, sowie die Tatsache, dass der Drahtzieher des Attentats in München 1972, Abu Daoud, der Kommandeur des so genannten Schwarzen September, nach einem Attentat 1981 in der DDR gesund gepflegt worden ist und dort einen VIP-Status genossen hat. Die Kooperation von arabischen Terroristen und der Staats- und Parteiführung der DDR hätte von Ihnen durchaus erwähnt werden können; denn dies gehört zur Verantwortung unseres Landes, insbesondere zu der Verantwortung, zu der Sie sich bekennen müssen.

Ich merke, dass das bei Ihnen auf Widerspruch stößt. Deswegen will ich Ihnen ein Zitat von Markus Wolf vorlesen. Er hat auf die Behauptung, die DDR solle Kontakte mit Organisationen gepflegt haben, welche Terrorakte gegen jüdische und israelische Ziele verübt haben, geantwortet:

Man kann dies nicht ganz von der Hand weisen... Die Kontakte müssen aber heute so gesehen werden, dass damit faktisch terroristische Aktionen vom Territorium der DDR aus geduldet wurden... Es bleibt ... Verantwortung und Schuld dafür, etwas geduldet zu haben, was zu solchen Handlungen führte.

Ein Wort zu diesem Thema in Ihrer gestrigen Rede, Herr Gysi, wäre sicherlich angemessen gewesen.

Man darf nicht von historischer Verantwortung reden, wenn man die eigene immer ausspart.

Ich will auch auf die Argumente eingehen, die von der FDP vorgetragen worden sind. Der Kollege Hoyer hat gestern gesagt, es sei unklug, sich unnötigerweise militärisch zu beteiligen und das deutsche politische Vertrauenskapital aufs Spiel zu setzen.

Wer diese Ansicht vertritt, verkennt, dass die militärische Beteiligung und der politische Prozess untrennbar miteinander verbunden sind. Das haben bereits die Auseinandersetzung um die Rules of Engagement und die Luft- und Seeblockade gezeigt. Die Blockade Israels zur See und zur Luft konnte aufgehoben werden, weil sich die Bundeskanzlerin dafür eingesetzt hat, konsequent und besonnen, dass das deutsche Mandat robust ausfällt. Für die Robustheit dieses Mandats hat sie sich nur deshalb einsetzen können, weil sie vorher die grundsätzliche Bereitschaft zur militärischen Beteiligung erklärt hat. Hätte sie diese Bereitschaft nicht erklärt, hätte die Luft- und Seeblockade nicht aufgehoben werden können. Das ist der erste große Erfolg der Bundesregierung und zeigt, wie das UNIFIL-Mandat, eine humanitäre Lösung und der Weg zu einer Friedenslösung zusammenhängen.

Die Kollegin Homburger hat gestern gesagt, Deutschland habe andere Fähigkeiten als nur das Militär. Das ist richtig. Ich verstehe aber nicht, warum Sie das sagen, Frau Homburger. Es ist doch völlig klar, dass wir auch unsere anderen Fähigkeiten anbieten, humanitäre Hilfe und die Begleitung des politischen Prozesses. Sie wollen damit suggerieren, es ginge nur um das Militär. Das ist eine falsche Darstellung, die die Öffentlichkeit in die Irre führen soll.

In dieses Horn stößt auch der Kollege Westerwelle. Er hat in der "Berliner Zeitung“ am 1. August gesagt:

Es war bisher eine klare Haltung aller Regierungen seit Gründung der Bundesrepublik, dass deutsche bewaffnete Soldaten im Nahen Osten nichts verloren haben.

Das ist völliger Unsinn; denn die deutschen Soldaten gibt es nicht seit Gründung der Bundesrepublik, sondern erst seit 1955,

Außerdem hat sich die Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr erst nach der Wiedervereinigung, also Anfang der 90er-Jahre, gestellt.

Sie suggerieren damit eine Tradition, die es überhaupt nicht gibt.

Der Kollege Niebel sagte in einem Interview mit der "Berliner Zeitung“:

Wir müssen Auslandseinsätze von unseren eigenen politischen Interessen abhängig machen.

Ich frage Sie, Herr Kollege Niebel: In welcher Region außerhalb Europas haben wir eigentlich mehr eigene Interessen als in dieser Region? Warum stimmen Sie anderen Einsätzen zu, lehnen diesen Einsatz aber ab?

Weiter sagt der Kollege Niebel - Ähnliches sagt der Kollege Westerwelle -:

Die Bundesregierung tut gut daran, sich an internationalen Friedenseinsätzen zu beteiligen. Aber sie tut auch gut daran, nicht bei jedem Einsatz dabei zu sein, gerade nicht bei diesem Einsatz.

Damit suggerieren Sie, wir würden zu den Toptruppenstellern im Rahmen der Vereinten Nationen gehören. Das Gegenteil ist richtig: Zurzeit gibt es 21 VN-Peacebuilding- und Peacekeeping-Missionen. Deutschland ist an zehn Missionen beteiligt. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl - das scheint mir der angemessene Maßstab zu sein - sind die größten Truppensteller die Vereinigten Staaten, Frankreich, die Niederlande, Ghana, Georgien und Großbritannien, aber nicht die Bundesrepublik Deutschland.

Warum wollen Sie den Eindruck erwecken, wir seien auf der ganzen Welt militärisch engagiert? Das ist schlichtweg falsch.

Sie setzen sich immer wieder dafür ein, und zwar zu Recht, dass bei der Lösung internationaler Konflikte ein multilateraler Ansatz gefunden wird. Sie kritisieren, dass sich die Vereinigten Staaten - angeblich - nicht ausreichend engagieren. Jetzt haben wir zum ersten Mal in einer wirklichen Krisenregion einen Einsatz mit einem multilateralen Ansatz, der von der Europäischen Union geführt wird.

Das Hauptargument der Falken in den Vereinigten Staaten gegen den Multilateralismus ist, dass er nicht effektiv ist und zu einer Ausrede für das Nichtstun degeneriert ist. Jetzt können wir das Gegenteil beweisen und zeigen, dass multilaterales Vorgehen effektiv ist. Das wird man aber nicht schaffen, wenn man sich von vornherein verweigert.

Sie treten für eine Nahostkonferenz ein. Dieses Bestreben wird von uns geteilt. Eine solche Konferenz kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn an ihr Länder teilnehmen, die den inneren Transformationsprozess hin zu den Prinzipien des Völkerrechts bereits hinter sich haben.

- Es geht doch um den Erfolg dieser Konferenz. Sie wollen sich ja nicht nur zusammensetzen und verhandeln. Sie wollen doch auch, dass diese Konferenz Erfolg hat. Wer soll denn zum Beispiel hinter dem Schild von Palästina sitzen? Ist es nicht wichtig, dass zunächst einmal in diesen Staaten ein Prozess befördert wird, der dafür sorgt, dass das Gewaltmonopol des Staates wieder hergestellt werden kann, dass sich die Regierungen zu den Prinzipien des Völkerrechts bekennen und diese Prinzipien auch umsetzen können?

Dann können sie an einer Nahostkonferenz teilnehmen.

Schließlich geht es auch um die Frage, wie wir insgesamt zur Durchsetzung des Völkerrechts stehen. Die Kollegin Homburger hat gestern gesagt, es käme im Grunde nicht darauf an, wer sich beteiligt. Deutschland müsse sich nicht beteiligen, da ja genug Angebote anderer Länder vorlägen. Dieser Ansatz ist falsch; denn das Völkerrecht kennt kein Gewaltmonopol im innerstaatlichen Sinne, wo Recht von der Staatsgewalt durchgesetzt wird. Die Vereinten Nationen müssen sich immer wieder um die Unterstützung der Staaten zur Durchsetzung des Völkerrechts bemühen. Deswegen hängt die Autorität des Rechts ganz wesentlich von denjenigen ab, die bereit sind, sich für seine Durchsetzung zu engagieren.

Angesichts der enormen Interessen, die wir in dieser Region haben, muss man doch fragen: Mit welchem Argument sollen wir erwarten, dass andere sich engagieren, während wir uns nicht beteiligen? Freiheit bedeutet Verantwortung; oder, um es anders zu sagen:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Ich kann nicht feststellen, dass die Welt an den Prinzipien, die von der FDP und der Linkspartei gegen diesen Einsatz vorgetragen wurden, genesen würde.

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass im Libanon die Waffen schweigen.

Es wäre besser gewesen, wenn durch den Einsatz der internationalen Gemeinschaft ein Waffenstillstand nicht erst nach 33 grausamen Tagen und Nächten erreicht worden wäre. Und um es diplomatisch auszudrücken: Die Bundesregierung hat hier keine rühmliche Rolle gespielt.

Die Geiselnahme und die Raketenangriffe durch die Hisbollah waren völkerrechtswidrig und sie sind zu verurteilen. Sie aber zu einem Anlass für einen größer angelegten Luftkrieg und für eine Bodenoffensive gegen den Libanon zu machen, war ebenso wenig im Einklang mit dem Völkerrecht.

Wir alle können nur wünschen, dass aus diesem furchtbaren Krieg die Schlussfolgerung gezogen wird: Mit militärischer Stärke und Überlegenheit lassen sich politische Konflikte nicht dauerhaft lösen.

Im Gegenteil! Deshalb gilt: Mit der Gewaltspirale im Nahen Osten muss endlich Schluss gemacht werden.

Frau Bundskanzlerin, Sie haben in diesem Hohen Hause vor kurzem gesagt, Ihnen würde zu viel über den UN-Militäreinsatz und zu wenig über den politischen Friedensprozess diskutiert. Die Botschaft höre ich wohl und ich unterstütze sie. Das Handeln der Bundesregierung entspricht dem aber nicht. Bei den Menschen in unserem Lande setzt sich der Eindruck fest: Wenn die Politik Konflikte scheinbar nicht mehr lösen kann, werden die Truppen in Marsch gesetzt.

Sie haben Ihre viel geliebten Trippelschritte - zumindest in der Außenpolitik - sehr rasch aufgegeben. Ob Afghanistan, Kosovo oder Kongo - die Liste der Einsatzgebiete wird immer länger. Und es stimmt leider: Die vorherrschende Politik steckt mehr und mehr Gedanken und materielle Ressourcen in militärische Konfliktbearbeitung. Das ist nicht der richtige Weg.

Wir bevorzugen zivile Lösungen. Gerade im Nahen Osten, in einer Region, in der Gewalt zum Alltag geworden ist, muss die diplomatische, die zivile Lösung der Konflikte und ihrer Ursachen im Vordergrund stehen. Leider war die Bundesregierung mit als Erste bereit, Soldaten zu entsenden. Dabei wäre es in diesem Falle gut verstanden worden, wenn Deutschland gesagt hätte: Wegen unserer besonderen Geschichte werden wir uns im Nahen Osten engagieren, aber nicht militärisch. Sie versuchen, dieser Besonderheit dadurch Rechnung zu tragen, dass Sie keine Bodentruppen in den Libanon schicken. Wir sagen: Das ändert am Grundproblem gar nichts. Von einer historischen Mission ist die Rede und damit falle das letzte Tabu in Sachen deutscher Beteiligung an Militäreinsätzen. Die Tabus sind schon lange gebrochen und Die Linke will nicht, dass die Bundeswehr zu einem Instrument weltweiter und uneingeschränkter Interventionspolitik wird.

Wir müssen uns für ein Israel einsetzen, in dem man in gesicherten Grenzen und frei von Gewalt leben kann. Richtig ist aber auch, dass wir uns rechtzeitig und gleichzeitig für die legitimen Rechte der Palästinenser einsetzen müssen. Dieser doppelte kategorische Imperativ folgt aus unserer Geschichte. Darum sollte man die UN-Resolution 1701 nicht unter der Hand zu einer Entschließung machen, in der es fast nur um die Entwaffnung der Hisbollah geht, wenn der künftige Friede im Nahen Osten geklärt werden soll.

Nein, es geht um die dauerhafte Sicherung der territorialen Integrität und Souveränität Libanons. Und da darf daran erinnert werden, dass ein Teil dieses Landes 18 Jahre lang von Israel besetzt war. Der Antrag der Bundesregierung ist einseitig zulasten des palästinensischen Volkes formuliert. Sein Recht auf Sicherheit, Frieden und einen eigenständigen Staat ist nicht erwähnt. Nur wenn wir an den Verpflichtungen insgesamt festhalten - darum geht es mir -, werden wir unserer Verantwortung gerecht.

Damit wird zugleich deutlich, warum deutsche Soldaten in Nahost fehl am Platze sind. Denn wenn wir uns militärisch exponieren, sind wir Teil des Problems und gefährden unsere Rolle als Mittlerin zwischen Israel und der arabischen Welt. Darauf kommt es aber gerade jetzt an.

Deshalb begrüße ich, dass der Vorschlag zur Einrichtung einer ständigen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahost mehr und mehr Anhängerinnen und Anhänger findet.

Ich fordere die Bundesregierung auf, sich jetzt nicht nur beharrlich für diese Idee einzusetzen, sondern sie auch umzusetzen.

Wir haben eine besondere Verpflichtung, mitzuhelfen, dass die Menschen im Nahen Osten - Juden, Palästinenser, Libanesen, Syrer und die anderen - friedlich und in Würde zusammenleben können. Die Linke ist dagegen, diese Verantwortung nur militärisch zu definieren.

Wir möchten, dass die humanitäre Hilfe und die diplomatische Unterstützung des Friedensprozesses im Mittelpunkt deutscher Außenpolitik in Nahost stehen.

Genau deshalb bitte ich Sie um Ihre Stimme für unseren Entschließungsantrag. Er enthält konkrete Schritte für eine friedliche Hilfe im Nahen Osten. Wie auch immer Sie zu dem Einsatz der Bundeswehr stehen: Es wäre gut, wenn Sie unsere Vorschläge wenigstens vorurteilsfrei prüften und in Ihrer Außenpolitik aufgriffen. Auch heute gilt nämlich der Satz von Marie von Ebner-Eschenbach:

Frieden kannst du nur haben, wenn du ihn gibst.

Ich bedanke mich.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Bisky, Sie sagen:

Es ist gut, dass im Libanon die Waffen schweigen.

Die Frage ist aber: Warum? Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass es ohne die Resolution 1701 und ohne den Beschluss der internationalen Gemeinschaft, Truppen zu entsenden - die Aufstockung von UNIFIL -, noch heute keinen Waffenstillstand in der Region gäbe, sondern noch heute dort gekämpft würde.

Das ignorieren Sie einfach.

Sehr geehrter Herr Gerhardt, Sie können sich hier noch so winden, weil es inzwischen von allen Seiten Kritik an Ihrer Position hagelt. Man glaubt der FDP und vor allen Dingen ihrem Herrn Vorsitzenden nicht, dass sie wirklich aus Sorge über unser Verhältnis zu Israel diesem Einsatz nicht zustimmen wollen.

Ihr Kollege Kinkel, immerhin ehemaliger Außenminister, hat dazu am Wochenende das Nötige gesagt. Er meinte, nachdem die israelische Regierung und die beteiligten arabischen Regierungen Deutschland um Beteiligung gebeten hätten, habe sich die Lage total verändert.

Natürlich ergibt sich aus der Bitte Israels kein Automatismus. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel in den letzten Jahren verändert hat. Genau das kommt in der Bitte Israels um Beteiligung zum Ausdruck. Es gehört schon besonders viel Ignoranz dazu, wenn man es - mit dem Argument, man habe eine besondere Verantwortung - trotzdem ablehnt, dieser Bitte Israels zu entsprechen.

Wie können Sie sich auf die deutsche Verantwortung gegenüber Israel berufen, wenn sich sowohl die israelische Regierung als auch die israelische Friedensbewegung - der Wunsch ist breit in der Gesellschaft verankert - und der Zentralrat der Juden in Deutschland explizit eine deutsche Beteiligung an UNIFIL wünschen?

Nein, mit außenpolitischer Seriosität hat die Entscheidung des größten Teiles Ihrer Fraktion wenig zu tun. Sie lehnen aus rein innenpolitischen Erwägungen und aus Populismus diesen Einsatz der Bundeswehr - wie schon den Einsatz im Kongo - ab.

Wir alle wissen, dass das anders aussähe, wenn Sie Regierungsverantwortung hätten. Der Kollege Kinkel sagte: Ich bin überzeugt, würde die FDP den Außenminister stellen, könnten wir uns ein Nein nicht leisten. - So ist es, meine Damen und Herren!

Herr Gerhardt, die Befürworter des Einsatzes leben nicht vom Prinzip Hoffnung. Diese Resolution und die damit verbundene UNIFIL-Aufstockung haben bereits jetzt - Herr von Klaeden hat es erwähnt - zur Aufhebung der israelischen See- und Luftblockade sowie zum erstmaligen Einmarsch der libanesischen Armee in den Südlibanon seit 1975 - seit der Bürgerkrieg begonnen hat - geführt.

Meine Damen und Herren, es ist ein historischer Schritt - das möchte ich zu bedenken geben -, dass Israel erstmalig der Internationalisierung eines Grenzkonfliktes zustimmt und eine robuste UN-Truppe an seiner Grenze akzeptiert. Das ist ein bedeutender Vertrauensbeweis Israels in die internationale Gemeinschaft, der ganz neue Chancen, etwa für die Lösung anderer Konflikte in der Region, eröffnen könnte. Hier denke ich zum Beispiel an den israelisch-palästinensischen Konflikt. Auch aus diesen Gründen unterstützt die Mehrheit meiner Fraktion nicht nur den UNIFIL-Einsatz, sondern auch eine deutsche Beteiligung daran.

Weil eine Beteiligung Deutschlands von allen Seiten gewünscht wird, sehen wir Deutschlands Rolle als ehrlicher Makler und Vermittler in der Region nicht gefährdet, sondern eher gestärkt. Dennoch war für uns von Anfang an klar: Aufgrund unserer Geschichte sollte der deutsche Beitrag möglichst zurückhaltend sein. Vor allem muss ausgeschlossen sein, dass deutsche Soldaten zwischen die Fronten von Hisbollah und Israelis geraten. Ich meine, das ist dadurch gewährleistet, dass die Bundeswehr nicht am Boden, sondern ?nur“ - das Wort ?nur“ meine ich natürlich in Anführungszeichen - zur seeseitigen Absicherung zum Einsatz kommt.

Das vorliegende Mandat ist hinreichend robust und nicht nur symbolischer Art. Deswegen - auch das muss man ehrlich sagen - ist dieser Einsatz risikoreich. Wie risikoreich der UNIFIL-Einsatz tatsächlich wird, hängt stark davon ab, ob der politische Prozess zur Stabilisierung des Libanon und der gesamten Region vorankommt. Hier erwarten wir Initiativen der Bundesregierung.

Wir brauchen Fortschritte im innerlibanesischen Dialog, die zu einer Stärkung des libanesischen Staates und zu einer friedlichen Entwaffnung der Hisbollah führen; denn international will niemand die Hisbollah mit Gewalt entwaffnen. Wir brauchen neue Initiativen im israelisch-palästinensischen Konflikt. Wir müssen auf Verhandlungslösungen mit dem Ziel einer friedlichen Koexistenz aller Staaten in der Region hinwirken, auch im Hinblick auf Syrien. Hier benötigen wir einen Perspektivwechsel. Alles dem Krieg gegen den Terrorismus unterzuordnen, wie es die aktuelle US-Administration leider getan hat, das führt wirklich in die Sackgasse.

Wir brauchen Lösungen auf multilateraler Ebene. Hier müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Vielmehr sollten wir die Initiativen neu beleben: das Nahost-Quartett, die Roadmap, die saudische Friedensinitiative, die Genfer Initiative, die Verhandlungen mit Syrien und dem Iran sowie die Überlegung, eine Nahostkonferenz einzuberufen. Ich sage sehr deutlich: Es ist nicht hinnehmbar, dass die USA solche multilateral wichtigen Abstimmungsprozesse verschleppen. Ich erinnere an die Blockade im Sicherheitsrat während des Libanonkrieges und an die Nichteinberufung des Nahost-Quartetts. Das war fahrlässig. Vielleicht hätten wir schon früher zu einem Waffenstillstand kommen können.

Hier erwarten wir von der Bundesregierung konsequente Überzeugungsarbeit. Frau Merkel, nutzen Sie doch in diesem Zusammenhang einmal auf sinnvolle Weise Ihre viel beschworene Freundschaft mit Herrn Bush. Überzeugen Sie die USA, dass nur eine Rückkehr zum Dialog und zu Verhandlungen sowie eine Abkehr von der Ideologie des Krieges gegen den Terror zu einer dauerhaft friedlichen Entwicklung in der Region führen werden.

Zum Schluss noch ein Wort an Sie, Frau Bundeskanzlerin. Ich habe wirklich Probleme damit, dass Sie die Zustimmung Ihrer Fraktion zum Libanoneinsatz mit der Ankündigung verbunden haben, unsere Truppen aus dem Kongo abzuziehen und sich in Darfur erst gar nicht zu beteiligen.

Ich finde, das geht nicht. Das hat mit konzeptioneller und nachhaltiger Außenpolitik nichts zu tun. Im Kongo müssen wir unsere Entscheidung von der Lage vor Ort abhängig machen. In Darfur findet ein schleichender Völkermord statt. Hier geht es darum, ein zweites Ruanda zu verhindern. Das kann man nicht mit einer möglichen Beteiligung am Libanoneinsatz verknüpfen. Deshalb meine ich: Wenn wir gefragt werden, dann können wir der UNO nicht die kalte Schulter zeigen. Hier erwarten wir von Ihnen diplomatische Initiativen und eine Entscheidung, die an der Sache orientiert ist.
Vielen Dank.

Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen war im Nahen Osten noch Krieg. Jetzt ruhen die Waffen. Hunderttausenden wird es wieder möglich sein, in ihre Heimat zurückzukehren.

In der vergangenen Woche nun hat das Bundeskabinett - vorbehaltlich der Zustimmung des Deutschen Bundestages - entschieden, dass sich die Bundeswehr mit einem Marineverband an der UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen beteiligen wird. Ich habe es vor einer Woche nach dem Kabinettsbeschluss gesagt und ich wiederhole es heute hier im Deutschen Bundestag: Dieser Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten ist kein Einsatz wie jeder andere, er ist ein Einsatz von historischer Dimension. Warum ist dieses Wort nicht zu hoch gegriffen, obwohl es ja nun wahrlich nicht der erste Einsatz der Bundeswehr außerhalb Deutschlands und Europas ist? Wir alle wissen, dass sich bereits mit der Zeitenwende des Jahres 1989/1990 und mit der Wiedervereinigung Deutschlands auch Deutschlands Verantwortung in der Welt verändert hat. Das hat Konsequenzen, eben auch militärische.

Auch die Gestaltung des Mandats selbst ist nicht der Grund für die Bewertung "historisch“. Die Bundesregierung hat von Anfang an Wert auf ein ebenso wirksames wie robustes Mandat gelegt. Deutschland konnte den Vereinten Nationen zusammen mit den europäischen Partnern ein solides maritimes Kräftepaket anbieten, dessen Führung Deutschland übernehmen wird. Die Bundeswehr ist gewollt, und zwar von Israel und vom Libanon. Es gilt also neben der Wirksamkeit die Kooperation als zweiter Eckpfeiler dieses Mandates. Das war für uns die entscheidende Voraussetzung, um einem Einsatz der Bundeswehr in dieser Region zustimmen zu können, ihn überhaupt in Erwägung zu ziehen und die Dinge dann auch positiv zu bewerten. Die UNIFIL-Mission hat neben der Überwachung der Waffenruhe unter anderem die Aufgabe, die libanesische Regierung bei der Sicherung ihrer Grenzen und gegen illegale Waffenlieferungen zu unterstützen, es geht außerdem um die Ausbildung der libanesischen Armee. Das Ziel ist, dass der Libanon seine Aufgaben in Zukunft alleine durchsetzen kann.

Wir haben darüber hinaus natürlich ein umfassendes Paket von Maßnahmen zur zivilen Unterstützung des Libanon, vor allem bei der Sicherung der landseitigen Grenzen, aber auch beim Wiederaufbau, angeboten. Das Ganze ist ein in sich schlüssiges Paket.

Zu keinem Zeitpunkt ging es nur um militärische Fragen. Es ging vielmehr immer auch darum, die Bedingungen für einen neuen Anlauf des diplomatischen Friedensprozesses überhaupt zu schaffen. Die militärische Umsetzung der UN-Resolution 1701 ist zwingend notwendig. Doch ohne einen neuen politischen Friedensprozess würde sie letztlich wirkungslos bleiben. Beide Dinge hängen miteinander zusammen.

Über diesen Friedensprozess stehe ich, stehen wir mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Siniora in ganz engem Kontakt. Wir wollen einen stabilen, souveränen Libanon und wir wollen die libanesische Regierung nach Kräften unterstützen. Ich freue mich, wenn der libanesische Ministerpräsident nächste Woche Berlin besuchen wird.

Ebenso stehe ich natürlich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Olmert in engstem Kontakt. Dass er sich in mehreren öffentlichen Aussagen ausdrücklich für einen Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten ausgesprochen hat, ja dass er darum gebeten hat, kann zwar nicht das allein relevante Kriterium sein. Aber ein in seiner Bedeutung nicht hoch genug zu bewertendes Zeichen des Vertrauens in Deutschland, in das Land, in dessen Namen vor 73 Jahren die Vernichtung der Juden und kurze Zeit später der Zweite Weltkrieg begannen, das ist Olmerts Bitte allemal. Ein solches Zeichen des Vertrauens sollten wir sehr ernst nehmen.

Es ist also nicht der Auslandseinsatz der Bundeswehr als solcher und auch nicht die konkrete Gestaltung des Mandates, die diesen Einsatz von allen anderen abhebt, es ist die Region, die diesen Einsatz zu einem besonderen Einsatz, einem Einsatz von historischer Dimension macht. An kaum einem anderen Ort der Welt wird die einzigartige Verantwortung Deutschlands, die einzigartige Verantwortung jeder Bundesregierung und des Deutschen Bundestages für die Lehren aus der deutschen Vergangenheit, so deutlich wie hier.

Lassen Sie es mich deshalb sehr persönlich sagen: Ich respektiere die Entscheidung derer, die, wie die meisten Kolleginnen und Kollegen der Freien Demokraten, gerade in diesem Zusammenhang dem Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der UNIFIL-Mission nicht zustimmen wollen. Ich sage aber ebenso klar, dass ich gerade wegen der von Ihnen angeführten Argumente am Ende meines Entscheidungsprozesses zu genau der gegenteiligen Antwort komme.

Ich sage ganz deutlich: Ja, wir sind nicht neutral und wir wollen auch gar nicht neutral sein. Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik seit 1949 war nie neutral.

Sie war, ist und bleibt wertegebunden. Wertegebundenheit ist das Gegenteil von Neutralität.

Deshalb engagieren wir uns seit Jahrzehnten in der Europäischen Union. Deshalb engagieren wir uns in der NATO. Deshalb wollen wir eine starke UNO. Deshalb engagieren wir uns für eine weltweite Durchsetzung des internationalen Rechts, für Frieden, für die Wahrung der Menschenwürde und für Teilhabe. Deutschland ist nicht neutral. Auch die internationale Staatengemeinschaft ist nicht neutral. Sie setzt sich für Frieden, Souveränität und Menschenwürde gerade in dieser Region des Nahen Ostens, einer Region vor den Toren Europas, ein. Dabei - das ist meine tiefe Überzeugung - muss auch Deutschland einen Teil der Verantwortung übernehmen, und zwar auch einen militärischen.

Meine Damen und Herren, ein besonderer Einsatz ist dies natürlich auch, weil sich an kaum einem anderen Ort unserer Welt die Konflikte so sehr und so dicht ballen wie in dieser Region. Die militärische Umsetzung der UN-Resolution 1701 kann bei aller Bedeutung der heutigen Abstimmung deshalb auch nur der Anfang eines langen Weges sein. Natürlich muss die Waffenruhe in einen neuen Anlauf für einen umfassenden politischen Friedensprozess übergeleitet werden. Ohne die Waffenruhe könnten wir über einen politischen Friedensprozess aber überhaupt nicht miteinander reden.

Natürlich brauchen wir wieder eine aktive Rolle des Nahost-Quartetts. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen. Ich sage das gerade auch mit Blick auf unsere Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des Jahres 2007. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Absicht der Palästinenser zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, auch wenn dieser Prozess schwierig ist.

Auch die wiederholten Signale von palästinensischer und israelischer Seite, die Friedensgespräche wieder aufzunehmen, werden von uns unterstützt. Natürlich ist es notwendig, die Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen, um sowohl das Existenzrecht Israels zu garantieren als auch den Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten eine vernünftige Zukunft zu geben, und natürlich müssen die Grenzfragen zwischen Israel, dem Libanon und Syrien geklärt werden. Genau deshalb versuchen wir auch, Syrien aus seiner internationalen Isolation herauszuholen.

Meine Damen und Herren, der Katalog der Aufgaben im Hinblick auf das Gesamtbild der Region ist beinahe erdrückend groß, aber es gibt keine vernünftige Alternative dazu, diese Aufgaben anzugehen und zu versuchen, sie zu lösen. Gerade deshalb, weil Europa hier eine zusätzliche Verantwortung übernimmt, sage ich auch ganz klar und unmissverständlich: Zu keiner Stunde darf Europa denken, es könne dies alles alleine schaffen. Bei aller gewachsenen Bedeutung Europas: Ohne die USA geht in der Region wenig bis manchmal auch gar nichts.

Im Rahmen unserer Möglichkeiten werde ich deshalb auch ganz persönlich alles daransetzen, die Vereinigten Staaten von Amerika zu ermuntern, sich wieder stärker für die Belebung dieses Friedensprozesses einzusetzen; denn jetzt ist die Stunde da: Das Fenster der Gelegenheit ist geöffnet. Die Menschen in Israel, im Libanon, in Palästina und in den angrenzenden Ländern haben einen Anspruch auf Frieden und Teilhabe. Die UNO, die EU, die USA, Russland - das Quartett -: Wir alle müssen die Gunst der Stunde nutzen.

Meine Damen und Herren, Deutschland hat nach 1945 erfahren: Nicht alleine, sondern nur in der Gemeinschaft mit anderen kann man den eigenen Interessen am besten dienen. Europa als Friedens- und Wertegemeinschaft war die bahnbrechende Idee des letzten Jahrhunderts nach unendlich viel Leid und Krieg. Der Impuls dieser Idee leitet uns auch heute bei allen außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen. Deutschlands Sicherheit hängt auch von der Sicherheit in anderen Regionen ab.

Der Nahostkonflikt spielt sich nun einmal in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas ab. Durch die Auseinandersetzungen in dieser Region gewinnt der globale islamistische Terror, der uns seit Jahren bedroht, einen Teil - nicht mehr und nicht weniger - seiner Rechtfertigung. Ein politischer Fortschritt in Nahost ist daher auch ein wichtiger Schritt, dem islamistischen Terror einen Teil seiner Grundlage zu entziehen.

Die Bundesregierung hat die Bedingungen sorgfältig analysiert und geprüft, unter denen ein deutsches Engagement sinnvoll und vertretbar ist. Das Mandat ist robust. Wirksamkeit und Kooperation sind seine Eckpfeiler. Es hilft den Menschen in der Region. Es dient deutschen Interessen. Ich bitte Sie deshalb um eine breite Zustimmung zu diesem Mandat.
Herzlichen Dank.

Dr. Guido Westerwelle (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Ihre Einschätzung - die Sie ganz am Anfang geäußert haben -, die heutige Entscheidung sei historisch, teilen wir ausdrücklich. Wir bedanken uns ebenfalls ausdrücklich für die Art und Weise, wie Sie Ihre Haltung, die nicht meine Haltung ist, hier in diesem Hause wohltuend begründet haben.

Wir entscheiden heute nicht über die UN-Resolution 1701, wir entscheiden auch nicht über einen gewünschten Waffenstillstand, sondern wir entscheiden über die deutsche Teilnahme von bewaffneten Soldaten der Bundeswehr an UNIFIL. Wir müssen also abwägen, ob die Vorteile oder die Nachteile einer deutschen bewaffneten Teilnahme überwiegen. Es ist nicht ehrenrührig, Zweifel an der Richtigkeit dieses Einsatzes zu haben.

Wir haben in unserer Fraktion die Argumente abgewogen. Wir haben es uns gewiss nicht leichter gemacht als die Fraktionen des Hohen Hauses, die diesem Einsatz heute mehrheitlich zustimmen werden. Unsere besondere deutsche Verantwortung für Israel, die sich aus dem größten Verbrechen der deutschen Geschichte ergibt, ist in diesem Hause unbestritten.

Für mich ganz persönlich ist es eine Konsequenz aus der Geschichte, dass wir gegenüber Israel nicht neutral sind. Neutralität ist mehr als Wertegebundenheit. Wir sind und dürfen nicht neutral sein und wir wollen gegenüber Israel auch nicht neutral sein. Genau diese Neutralität, eben im Konfliktfalle nicht Partei zu ergreifen, wird von deutschen Soldaten verlangt, wenn sie als Teil der Vereinten Nationen an diesem Einsatz teilnehmen.

Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff haben im August einen gemeinsamen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben, in dem sie ihre Ablehnung des Einsatzes begründen und aus dem ich hier zitieren möchte:

Für uns

- so schreiben die drei -

ist das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und seiner Sicherheit konstitutiv für die deutsche Außenpolitik. Das entspricht der historischen und moralischen Verantwortung unseres Volkes. Dieser Verantwortung entspricht es aber auch, dass wir deutsche Soldaten vor Konfliktsituationen mit israelischen Soldaten oder auch Zivilpersonen bewahren.

Mir - auch das gehört zum innerpolitischen Streit dazu - können Sie vorhalten, diese Haltung sei innenpolitisch motiviert. Mir können Sie auch vorhalten, ich säße nicht in der Regierung. Aber diesen dreien sollten Sie ihre außenpolitische Klugheit nicht absprechen.

Kann diese Konfrontation - und sei es durch ein Versehen - zwischen deutschen und israelischen Soldaten wirklich ausgeschlossen werden? Wir sollten uns nicht in Gewissheit wiegen, weil es um einen See- statt um einen Landeinsatz geht. Wenn andere Kollegen aus diesem Hohen Hause - übrigens ausdrücklich auch aus meiner Fraktion - aus der deutschen Geschichte gegenteilige Schlüsse ziehen, so respektiere ich diese Haltung. Genauso wie ich anderen honorige Motive für ihre Entscheidung zugunsten dieses Einsatzes nicht abspreche, so erwarte ich, dass honorige Motive auch denen nicht abgesprochen werden, die sich gegen diesen Einsatz wenden.

In der öffentlichen Debatte konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen, die Marine habe den Auftrag, vor der Küste des Libanon allein durch Präsenz den Waffenstillstand zu sichern. Wir alle wissen, dass das nicht stimmt, und doch ist das Wort ?Kampfeinsatz“ mittlerweile wieder gänzlich aus dem Sprachgebrauch der Bundesregierung gestrichen worden.

Was darf die Marine und was darf sie im Einsatz nicht? Sie darf im Verdachtsfall - etwa von Waffenschmuggel - Schiffe umleiten. Aber wer entwaffnet die Hisbollah und ihre Helfer?

Wir sollen den Waffenschmuggel aufspüren, aber die Waffen nicht konfiszieren. Die Marine darf nicht beschlagnahmen, was sie finden soll. Unsere Soldaten sollen Waffennachschub für die Hisbollah unterbinden. Übergeben wir dann, wenn er dennoch geschieht, den Fall an die libanesischen Autoritäten, die dann die Hisbollah entwaffnen werden? Ich hoffe, dass so viel Gutgläubigkeit der Realität standhält.

Die Entwaffnung der Hisbollah soll ausdrücklich nicht durch die Vereinten Nationen, sondern durch die Regierung des Libanon bewerkstelligt werden. Mein Zutrauen ist nicht sehr ausgeprägt, dass eine libanesische Zentralregierung, die seit Jahren die Entwaffnung der Hisbollah leisten soll, dies aber nicht tut, jetzt diese Aufgabe bewerkstelligt.

Mein Zutrauen ist auch nicht sehr ausgeprägt, dass eine libanesische Regierung, in der Minister der Hisbollah sitzen, hinreichend entschieden die Entwaffnung ebendieser Hisbollah bewirkt. Wenn es der Libanon dann doch nicht macht und die Vereinten Nationen es nicht machen sollen, ist es dann wirklich ausgeschlossen, dass Israel es doch in die eigenen Hände nimmt? Einen solchen Bruch des Waffenstillstands müssten die Vereinten Nationen und damit auch die deutschen Soldaten unterbinden. Wenn Israel eine Option zur Befreiung seiner verschleppten Soldaten über den Seeweg durchführt, müssen wir das unterbinden? Dürfen wir das unterbinden? Wichtiger noch: Wollen wir das unterbinden?

Israel ist so groß wie Hessen. Vom Golan bis zum Mittelmeer ist es kaum weiter als von Pankow bis nach Potsdam. Als ich mit Mitte zwanzig als junger Student das allererste Mal auf den Golanhöhen stand, habe ich verstanden, wie nahe die Konfliktparteien einander gegenüberstehen. Kann man dort Zusammenstöße wirklich ausschließen?

Deutschland kann helfen und Deutschland soll helfen. Wir können beim Wiederaufbau und bei der Infrastruktur helfen. Wir können politisch helfen und wir können ehrliche Makler im Nahostkonflikt sein. Sie wissen, Herr Außenminister, dass wir Ihnen dafür auch Respekt zollen.

Es ist richtig, dass nach einigem Hin und Her die libanesische und die israelische Regierung auch um unsere Soldaten gebeten haben; ich fürchte aber, aus völlig unterschiedlichen und sich womöglich auch ausschließenden Gründen. Israel erwartet nämlich zu Recht, dass wir im Zweifel Partei sind. Der Libanon erwartet Neutralität der Vereinten Nationen und möglichst wenig Beeinträchtigung der eigenen Souveränität.

Der Bundesaußenminister hat gestern gesagt, vor zehn Jahren wäre ein bewaffneter deutscher Einsatz im Nahostkonflikt undenkbar gewesen. Ich meine, noch vor einem Jahr wäre ein solcher Einsatz undenkbar gewesen. Der Deutsche Bundestag beschließt heute mit großer Mehrheit, die Haltung zu ändern, die Staatsräson für alle Vorgängerregierungen war. Das respektieren wir als Minderheit. Aber wir erwarten den gleichen Respekt für diejenigen, die bei dem bleiben wollen, was bisher überparteilich unstrittig für Deutschland galt.

Wenn sich aber die Mehrheit heute für den Einsatz entscheidet, dann muss sie auch der Bundeswehr die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellen.

Weil sich die Mehrheit heute so entscheidet, füge ich als jemand, der heute zur Minderheit zählt, hinzu: Das ganze Parlament steht bei diesem schwierigen Einsatz hinter unseren Soldatinnen und Soldaten, ausdrücklich auch wir, die wir in der Minderheit sind.
Vielen Dank.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die gestrige und heutige Debatte richtig verfolgt hat, dann, glaube ich, kann man feststellen, dass es in diesem Hause einen Konsens gibt. Er besteht darin, dass es, wenn der Weltsicherheitsrat eine Entscheidung trifft - hier gibt es möglicherweise noch einen Unterschied zu Ihnen, die Sie in der Minderheit sind; aber alle anderen sind davon überzeugt -, unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag ist, zu prüfen, ob wir die Umsetzung der Resolution 1701, die der Weltsicherheitsrat nach reiflicher Überlegung beschlossen hat - es war ein schwieriger Kompromiss -, unterstützen sollen. Die entscheidende Frage ist, wie wir das unterstützen sollen.

Herr Kollege Westerwelle, wer will, dass das internationale Recht, das Völkerrecht - ich dachte bislang, dass auch die Liberalen das im Grunde wollen - durchgesetzt wird - wenn es sein muss, mit höchst begrenzten militärischen Instrumenten und Mitteln -, der muss die Kraft aufbringen, das politisch durchzusetzen und mitzuhelfen, dass die schwache Hoffnung gestärkt wird, die darin besteht, dass die Resolution 1701 zu einem Erfolg führt, in einen neuen Friedensprozess in dieser Region mündet und einen Weg eröffnet, auf dem der Nahe Osten, diese schwierige, geschundene Region, eine Chance hat, inneren Frieden zu finden. Darum geht es. Wir sind der Auffassung, dass die höchst begrenzten militärischen Instrumente dazu dienen, Frieden herzustellen.

Lieber Kollege Westerwelle, ich bitte Sie herzlich darum, noch einmal genau darüber nachzudenken, ob für Sie, der Sie argumentieren, es gehe darum, Vertrauenskapital nicht zu verspielen, das Wort Vertrauen nicht ein Ersatzwort ist, mit dem Sie rechtfertigen, dass Sie sich der Verantwortung an einem Punkt entziehen, an dem es notwendig ist, Verantwortung zu übernehmen. Das ist meine Sorge. Ich hoffe sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag die historische Verantwortung, von der Sie gesprochen haben, ernst nehmen und mithelfen, dass diese Region in einen Prozess geführt wird, in dessen weiteren Verlauf drei Ziele verfolgt und, wenn es geht, auch erreicht werden.

Erstens. Die Anerkennung des Existenzrechts des jüdischen Staats Israel war die Grundkonstante der Kanzler Adenauer, Kiesinger, Brandt und Schröder. Das gilt auch für Frau Merkel. Diese Grundkonstante bleibt bestehen. Sie darf nie und in keiner Weise beschädigt werden. Das bedeutet, dass wir dann, wenn Israel dies wünscht, die Resolution 1701 durch das begrenzte militärische Instrument, das wir einsetzen, mit unterstützen.

Zweitens müssen wir den Libanon stärken. Kollege Westerwelle, Sie haben darauf hingewiesen, wie fragil dieser Staat ist, diese Konstruktion, dieses Konglomerat, von Gruppen, von Clans, die untereinander zerstritten sind. Aber wenn der Libanon den Einsatz von UNIFIL zur Stärkung der eigenen Souveränität wünscht, können wir uns dem dann wirklich entziehen und dabei - ich sage es noch einmal - das Wort Vertrauenskapital vorschieben? Erwecken wir damit nicht den Eindruck, wir wollten uns genau wegen dieses Wortes an der Verantwortung vorbeischlängeln, wenn es darum geht, die Souveränität Libanons zu stärken?

Drittens. Morgen trifft sich das Quartett am Rande der Generalversammlung der UN. Was hat das Quartett auf der Agenda? Auf der Agenda steht das Gespräch, das gestern zwischen Präsident Abbas und der Außenministerin Livni stattgefunden hat. Worüber haben diese beiden gesprochen? Sie haben genau darüber gesprochen, worum es jetzt geht, nämlich darüber, dem Prozess der Verständigung zwischen Palästina und Israel eine neue Qualität zu geben. Ist es denn nicht schon ein Erfolg, dass es eine Waffenruhe gibt? Ist es denn nicht schon ein Erfolg, dass sich die Kontrahenten darum bemühen, einen neuen Verständigungsprozess in die Wege zu leiten? Schon allein das ist ein Erfolg dessen, was die Bundesregierung gemacht hat.

Auch deswegen glaube ich, dass der Begriff des Vertrauenskapitals oder der Neutralität in dem Sinne gemeint ist, wie es die Frau Bundeskanzlerin hier ganz richtig interpretiert hat. Vertrauen und Neutralität bedeuten in diesem Zusammenhang ganz klar und eindeutig: Das Mandat muss gestärkt werden und die Bundeswehr ist dazu da, das Vertrauen, das die Konfliktparteien in uns setzen, eingebettet in einen politischen Prozess mit einem begrenzten Mandat zu beantworten.

Lieber Kollege Westerwelle, manchmal muss etwas, was in der Vergangenheit richtig war, in der Gegenwart überprüft werden. Willy Brandt hat das sehr klar in seinem letzten Brief gesagt, den er übrigens für das Treffen der Sozialistischen Internationale in diesem Reichstag an die Delegierten gesandt hat.

Für ihn war das immer klar. Er sagt in seinen Erinnerungen: Zivilcourage hat nur dann einen Zweck und einen Sinn, wenn sie dazu führt, dass Freiheit durchgesetzt und gesichert wird. Das ist die Aufgabe, die wir haben: den Menschen in dieser geschundenen Region eine Chance zu geben, ihr eigenes Leben selbst zu gestalten, Freiheitswege zu öffnen, in der Region die Chance zu eröffnen, dass die Konfliktparteien aufeinander zugehen und daran wieder anknüpfen, was 1991 mit der Madrider Konferenz auf dem Weg hin zum Osloprozess begonnen hatte. Das wird schwierig. Lieber Kollege Botschafter Israels, das wird ein ganz schwieriger und steiniger Weg.

Deutschland fühlt sich auf diesem Weg den Partnern verpflichtet, die bereit sind, konstruktiv aufeinander zuzugehen und auf Gewalt zu verzichten. Das heißt, dass Hamas gegenüber Abbas deutlich machen muss, dass sie Israel nicht nur anerkennen will, sondern auch - ich hoffe, dass das in diesem Prozess möglich ist - auf den Einsatz von Gewalt verzichten will, damit der jüdische Staat Israel ein Ausgangspunkt für eine Region des Friedens und der Sicherheit wird, in der alle, die in dieser Region leben, eine Chance haben, Freiheit für sich selbst zu erobern und dafür zu arbeiten, dass Frieden in dieser Region eine Chance hat.

Oskar Lafontaine (DIE LINKE)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal die Gründe vortragen, warum meine Fraktion den Antrag der Bundesregierung ablehnt. Ich beginne mit einem Satz der Bundeskanzlerin, der im Grunde genommen schon deutlich macht, warum wir diesen Antrag ablehnen müssen. Die Bundeskanzlerin sagte nämlich - dieser Satz war typisch -: "Im Nahen Osten ruhen die Waffen.“

Wie kann man sagen, im Nahen Osten ruhen die Waffen? Dies zeigt, dass die Herangehensweise an die Frage, die wir heute zu stellen haben, dadurch gekennzeichnet ist, dass man relevante Daten ausblendet, nicht zur Kenntnis nehmen will und daher schlicht und einfach zu völlig falschen Ergebnissen kommt.

Ich sage, meine Damen und Herren: Im Nahen Osten ruhen die Waffen nicht.

Der Redner der SPD setzte sich mit dem Argument auseinander, ob das militärische Engagement im Nahen Osten die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöhe. Er warf mir vor, ich hätte dies hier behauptet. Auch dies ist kennzeichnend für Ihre Vorgehensweise. Ich sagte in meinem Beitrag in der Haushaltsdebatte:

Wenn der Innenminister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solch gravierenden Vorwurf einfach übergehen...

Ich sagte weiterhin:

Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wieder angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engagement am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignet ist, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu mindern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch dieses militärische Engagement die Gefahr, dass terroristische Anschläge auch hier in Deutschland unternommen werden, immer weiter steigt.

Es ist kennzeichnend für Ihre Debatte, dass Sie nicht in der Lage sind, sich mit Argumenten aus den eigenen Reihen auseinander zu setzen, und dass Sie meinen, Sie könnten ohne weiteres die Argumente der dafür zuständigen Dienste der Bundesrepublik Deutschland übergehen. Man kann zu dem Ergebnis kommen, dass man, obwohl eine solche Analyse richtig ist, militärisch so entscheiden muss. Es ist aber gegenüber unserer Bevölkerung unredlich, dieses gravierende Argument einfach zu übergehen.

Deshalb wiederhole ich, dass ich mich hier nicht nur auf Herrn Beckstein oder auf die Sicherheitsdienste in Deutschland stützen möchte, sondern dass es auch meine Auffassung ist - dies sage ich jetzt in dieser Debatte -, dass dieses Engagement die Anschlagsgefahr in Deutschland erhöht.

Die Bundeskanzlerin und andere haben darauf hingewiesen, dass wir in dieser Frage nicht neutral seien. Es hörte sich so an, als sei dies gerade eine Begründung für unsere Entscheidung. Ich habe mit dieser Aussage erhebliche Probleme; denn sie ist dazu geeignet, dass wir falsche Entscheidungen treffen. Ich bin vielmehr der Auffassung, dass wir neutral sein müssen, und zwar wenn es um die Wertegebundenheit geht, die Sie hier angesprochen haben. Um die Tragweite dessen deutlich zu machen, will ich hier den Führer der christlichen Opposition im Libanon, General Aoun, zitieren - ich zitiere nicht wörtlich; das war in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nachzulesen -, der sagte: Wir verstehen nicht, dass die Vereinten Nationen die Entführung von zwei israelischen Soldaten als terroristischen Akt verurteilen, während sie das Bombardieren unseres ganzen Landes, wobei über 1 000 Zivilisten umgekommen sind, nicht als terroristischen Akt verurteilen.

Die Kritik des Führers der christlichen Opposition an der Entscheidung der Vereinten Nationen ist für jeden, der in der Wertegebundenheit zum Beispiel zu dem Ergebnis kommt, dass jedes menschliche Leben einen Wert an sich darstellt und dass man die Kampfhandlungen der einen Seite nicht mit den Kampfhandlungen der anderen Seite rechtfertigen kann, völlig gerechtfertigt. Ich bin der Meinung, dass dieser Hinweis des Führers der christlichen Opposition aufgegriffen werden muss.

Ich möchte das noch deutlicher machen, indem ich Alfred Grosser, einen französisch-deutschen Intellektuellen, zitiere, der kürzlich sagte: Wir werden auf die Art und Weise, wie wir bisher Politik betreiben, im Nahen Osten nicht weiterkommen, weil diese Politik zu einer Demütigung der arabischen Welt führt.

Das ist nach wie vor der Fall. Sie sind stolz darauf, dass Sie nicht neutral sind. Sie wollen dazu beitragen, dass keine Waffen an die Hisbollah geliefert werden, während Sie gleichzeitig Waffen an Israel liefern. Das mag aus Ihrer Sicht begründet sein, aber Sie müssen nach dem klassischen Grundsatz "Audiatur semper et altera pars“ - man bedenke auch immer die Argumentation der anderen Seite - verfahren. Dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass aus Sicht der arabischen Welt eine solche Vorgehensweise nicht akzeptabel ist und als Demütigung empfunden wird.

Ich bitte Sie, über den Rat von Alfred Grosser nachzudenken.

Wir lehnen diesen Einsatz auch deshalb ab, weil Sie sich nach wie vor konstant weigern, zu sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Der Kollege Struck - ich sehe ihn im Moment nicht - erregte sich in der Haushaltsdebatte darüber, dass ich ihn aufgefordert habe - übrigens auch die Kanzlerin -, endlich zu sagen, was man unter Terrorismus verstehe. Er verwandte in diesem Zusammenhang das Wort ?beschämend“; der Außenminister sprach von "unerträglich“. Ich will jetzt nicht sagen, ob es in meinen Augen beschämend oder unerträglich ist, dass die Regierung und die Mehrheit des Parlaments nicht in der Lage sind, zu sagen, was sie unter Terrorismus verstehen. Nur so viel: Solange man das nicht kann, ist man nicht in der Lage, irgendwie rational gegen den Terrorismus auf dieser Welt vorzugehen. Das ist völlig ausgeschlossen.

Der Kollege Weisskirchen hat an das Völkerrecht erinnert. Natürlich müssen wir das Völkerrecht beachten. Dafür hatte ich plädiert. Das Völkerrecht kann man auf der Welt aber nur durchsetzen, wenn man es selbst beachtet. Deshalb möchte ich hier den Satz "Im Nahen Osten ruhen die Waffen“ aufgreifen und daran erinnern, dass wir nach wie vor am Irakkrieg beteiligt sind, der nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts völkerrechtswidrig ist.

Es hat keinen Sinn, das - wie andere Feststellungen auch - einfach auszuklammern und zu übergehen, weil es einem nicht passt. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig und wir sind an ihm durch die Gewährung der Nutzung von Flugplätzen sowie die Gewährung von Überflugrechten und sonstigen Hilfen an eine der Krieg führenden Parteien beteiligt. Das Bundesverwaltungsgericht hat Recht. Die Mehrheit dieses Hauses ist völlig im Unrecht, wenn sie ein solches gravierendes Argument übergeht. (

Letzter Punkt zu dem Satz, im Nahen Osten schweigen die Waffen.

Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen den Auseinandersetzungen im Libanon und den Bedrohungen, denen der Iran sich durch die ständige Diskussion in den Vereinigten Staaten ausgesetzt sieht.

- Sie nehmen das wohl gar nicht mehr wahr. - Der Iran sieht sich einer Bedrohung ausgesetzt, weil im Pentagon Pläne gehandelt werden - sie werden in Amerika veröffentlicht -, den Iran mit Nuklearwaffen anzugreifen. Dazu haben mehr als 100 Physiker, darunter fünf Nobelpreisträger, in einem offenen Brief Stellung genommen. Sie haben geschrieben, das sei äußerst unverantwortlich. Sie warnen vor den verhängnisvollen Konsequenzen für die Sicherheit der Vereinigten Staaten und der gesamten Welt, wenn solche Pläne erörtert werden.

Man kann doch das alles nicht einfach übergehen. Deshalb sagte ich eben, Frau Bundeskanzlerin: Ihr Satz "Im Nahen Osten ruhen die Waffen“ ist typisch für die Art und Weise, in der diese Entscheidung vorbereitet worden ist. Die Tatsache, dass Sie sich weigern, die Begriffe zu klären, wird eines Tages dazu führen, dass wir solche Entscheidungen bereuen.

In einer der ersten Führungsvorschriften des damals noch jungen Heeres Bundeswehr stand als Geleit zum Kapitel "Führung“ das Dichterwort: "Nur wer klare Begriffe hat, kann befehlen.“ Über dieses Wort sollten Sie einmal nachdenken.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich es verdeutlichen: Wir reden hier nicht über eine Teilnahme am Irakkrieg. Wir reden darüber, ob sich Deutschland an einem kriegsbeendenden UN-Einsatz beteiligt, über nichts anderes.

Lieber Kollege Bisky - ich gehe bewusst auf Sie ein -, wir sind in einem Punkt einer Meinung. Deshalb brauchen wir nicht zur Rabulistik zu greifen und darüber zu streiten, ob der Libanon Teil des Nahen Ostens ist oder nicht. Wir sind uns einig, dass dieser Krieg zwischen Israel und Libanon zu lange gedauert hat. Ich habe oft die Frage gestellt: Was wäre eigentlich passiert, wenn man sich schon am 16. Juli beim Gipfel der G 8 den Vorschlag eines sofortigen Waffenstillstandes von Kofi Annan zu Eigen gemacht hätte? Es würden mehr Menschen leben.

Wenn man es für richtig hält, dies an dieser Stelle zu erwähnen, dann müsste man, um der Wahrheit Genüge zu tun, auch erwähnen, warum dieser Krieg in einen Waffenstillstand überführt werden konnte. Nämlich deshalb, weil 18 Nationen gesagt haben: Wir sind bereit, diesen fragilen Waffenstillstand mit eigenen Soldaten abzusichern. Das war der Grund, weswegen es jetzt einen Waffenstillstand im Libanon und im Konflikt zwischen Libanon und Israel gibt.

Darum geht es im Kern auch beim Mandat der Vereinten Nationen. Da mag man Fragen haben und da mag es Unzulänglichkeiten geben. Das stimmt. Jeder, der sich mit diesem Prozess beschäftigt, weiß, welche Probleme in diesem Mandat und den Einsatzregeln, die wir alle studiert haben, stecken. Es muss aber doch auch die Frage erlaubt sein: Hätte man warten sollen, bis es ein perfektes Mandat gegeben hätte? Man hätte nicht warten dürfen, weil das die Verlängerung des Krieges bedeutet hätte. Deswegen ist das Mandat richtig, das zu diesem Zeitpunkt gekommen ist.

Sie, Herr Westerwelle, haben hier gesagt, Sie wollten nicht das UN-Mandat, sondern die deutsche Beteiligung diskutieren. Die Argumente aber, die Sie gebracht haben, sowohl in Ihrer Stellungnahme nach Unterrichtung durch die Bundeskanzlerin als auch in den drei Kolumnen der ?Bild“-Zeitung, bewegten sich alle auf dieser Ebene, auf der Sie sich auch bei Ihrer Rede hier bewegten, nämlich: Was passiert, wenn die Konfliktparteien, übrigens unter Einschluss Syriens, unter Einschluss Libanons, unter Einschluss Israels, ihre Verpflichtungen, die sie mit ihrer Zustimmung zu dem UN-Mandat eingegangen sind, verletzen oder nicht einhalten? Das sind schwerwiegende Fragen, über die man diskutieren muss. Nur, meine Damen und Herren, das Argument, dass UNIFIL unter Umständen auch scheitern kann - darüber muss man sich im Klaren sein -, ist ernst zu nehmen, aber es ist kein Argument gegen eine deutsche Beteiligung.

Dieses Argument ?Was passiert, wenn die Mission scheitert?“ gilt auch für die 1 000 Chinesen, die künftig im Libanon die Spezialaufgabe wahrnehmen, Minen zu räumen und die Folgen von Streubomben zu beseitigen. Dieses Argument gilt auch für die 1 000 türkischen Soldaten, die sich an diesem Friedenseinsatz beteiligen.

Dieses Argument gilt auch - das sage ich jetzt mit Blick auf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei - für die 3 000 italienischen Soldaten, die von einer Mitte-links-Regierung mit Unterstützung durch die Rifondazione Comunista in diesen Einsatz geschickt worden sind.

Stehlen Sie sich doch nicht davon! Ich finde, die italienische Regierung muss an dieser Stelle gelobt werden. Sie verhält sich verantwortungsbewusst, sie demonstriert, was Linkssein heißt, nämlich nicht, sich auf Herrn Beckstein zu berufen, sondern sich international für den Frieden zu engagieren.

Wenn es um einen friedenserhaltenden UN-Einsatz geht, sollten wir auch vermeiden, die so genannte militärische Lösung und die politische Lösung ständig gegeneinander zu stellen. Wer sich den Konflikt im Nahen Osten anschaut, der muss doch zu dem Ergebnis kommen: Es gibt keine Friedenslösung und keine Verhandlungslösung, wenn man diesen fragilen Waffenstillstand nicht absichert. Auf der anderen Seite gilt auch: Diese UN-Mission ist keine ungefährliche Mission. Ich werde daher denjenigen, die sich heute anders entscheiden, meinen Respekt nicht verweigern.

Aber wir haben hier eine Verantwortung. UNIFIL ist ein sehr altes Mandat. In der Vergangenheit sind über 200 Blauhelmsoldaten ums Leben gekommen. Hier geht es nicht um eine schlanke Entscheidung. Niemand, egal wie er sich entscheidet, macht es sich an dieser Stelle einfach; jeder prüft intensiv sein Gewissen. Aber es ist eben auch richtig, dass der Erfolg dieser Mission davon abhängt, ob das Fenster für die Lösung dieser Krise wirklich genutzt wird. Denn es ist offenbar, dass es für den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, für den Konflikt zwischen Israel und Libanon und für den Konflikt zwischen Israel und Syrien keine militärische Lösung, sondern nur eine politische Lösung gibt.

Wir entscheiden heute über ein Mandat für ein Jahr. Wir alle wissen, dass wir vor der nächsten Sommerpause in diesem Haus darüber erneut entscheiden müssen. Ich sage auch an Ihre Adresse, Frau Bundeskanzlerin Merkel: Es wird entscheidend davon abhängen, ob Sie als Ratspräsidentin der Europäischen Union im ersten Halbjahr des nächsten Jahres nachvollziehbare Schritte hin zu einem Friedensprozess einleiten können. Wir wünschen Ihnen dazu gutes Gelingen.

Aber wir sagen auch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten, die in diesen Einsatz geschickt werden: Es wird nötig sein, die Risiken dieses Einsatzes zu minimieren, die sich beispielsweise aus einer Weigerung, die Rolle des Nahostquartetts anzuerkennen, ergeben, und zu einer politischen Lösung zu kommen. Dafür wünschen wir Ihnen eine gute Hand. Das wird auch der Maßstab sein, an dem wir künftig diesen Einsatz messen werden.
Vielen Dank.




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