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Angriff auf Souveränität

Aufnahme der Hisbollah in EU-Terrorliste stößt im Libanon auf scharfe Kritik. Kommunisten sprechen von Aggression

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Die Entscheidung der europäischen Außenminister, einen »militärischen Arm« der Hisbollah auf die EU-Terrorliste zu setzen, trifft im Libanon auf Unverständnis und breite Ablehnung. Nach einem Gespräch mit der EU-Botschafterin Angelina Eichhorst am vergangenen Freitag sagte Hisbollah-Vertreter Ammar Mussawi, die »Entscheidung werde mit Sicherheit Folgen haben«. Es sei unmöglich, die Organisation einerseits zu verurteilen und ihr gleichzeitig die Hand reichen zu wollen, so der für internationale Beziehungen zuständige Politiker. Es gebe keinen politischen und keinen militärischen Arm der Hisbollah, fügte er hinzu. »Hisbollah ist eine Organisation mit einer Führung. Militärisches Personal ist politisch und die Politiker sind militärisches Personal«. Er habe Eichhorst mitgeteilt, daß man die Entscheidung der Union als »Beleidigung der Hisbollah« einstufe. Die EU habe sich dem Willen von Israel und den USA gebeugt.

Anschlag in Bulgarien

Die EU-Botschafterin sagte nach dem Gespräch mit Mussawi, sie habe deutlich gemacht, daß die EU »Angriffe auf europäischem Boden« nicht dulden könne. Eichhorst bezog sich damit auf den tödlichen Anschlag auf einen Bus mit israelischen Touristen im Sommer 2012 in Bulgarien, der als offizielle Begründung für die »Terror«-Listung herhalten mußte. Hisbollah hat die Verantwortung für die Tat zurückgewiesen. Mussawi erklärte, der Leiter des bulgarischen Geheimdienstes habe noch zwei Wochen vor der EU-Entscheidung erklärt, Hisbollah sei nicht für den Anschlag verantwortlich. Wenige Tage vor dem Treffen der EU-Außenminister habe dann der bulgarische Innenminister »neue wichtige Hinweise« gegen die Hisbollah vorgelegt.

Die Beauftragte für Internationale Beziehungen der Libanesischen Kommunistischen Partei, Marie Debs, bezeichnete gegenüber junge Welt die EU-Entscheidung als »Angriff auf die nationale Souveränität« des Landes. Europa habe sich dem Willen des US-Imperialismus und Israels untergeordnet und »ignoriert alle Regeln für die Beziehungen zwischen unabhängigen und souveränen Staaten«. Die Entscheidung der EU diene weder den Interessen der europäischen Bevölkerung noch den »Zielen der arabischen Völker nach Befreiung, Unabhängigkeit und demokratischen Veränderungen«. Statt dessen werde »der zionistische Staat Israel unterstützt«. Kein Wort verliere die EU über die täglichen Aggressionen Israels gegen libanesischen Luftraum und Hoheitsgewässer, so Debs. Israelische Drohnen überfliegen den Südlibanon täglich. Israelische Kampfjets verletzten mehrfach libanesisches Territorium, um in Sy­rien militärische Ziele anzugreifen. Die EU erwähne auch mit keinem Wort die anhaltende »Besatzung Israels der Scheeba-Farmen und der Hügel von Kfarshouba«, sagte Debs weiter. Der libanesische Präsident Michel Sleiman und die Regierung seien von der KP aufgefordert worden, »angemessene Schritte gegen die Staaten vorzunehmen, die der Aggression« gegen den souveränen Libanon zugestimmt hätten.

Kommentatoren in Libanon sind mehrheitlich der Ansicht, die EU-Entscheidung habe mit dem Engagement der Hisbollah in Syrien zu tun, nicht mit einer angeblichen Rolle bei dem Anschlag in Bulgarien. Die Hisbollah solle geschwächt werden. Das korrespondiere mit der westlichen Unterstützung der Aufständischen in Syrien, die den Verbündeten Irans, Syrien, schwächen solle. Ein namentlich nicht genannter arabischer Diplomat in Beirut sagte gegenüber der libanesischen Tageszeitung Daily Star, möglich sei auch eine Art »Ausgleich« gegenüber Israel dafür, daß die EU die Einfuhr von Produkten aus Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten auf den Index gesetzt habe.

Reaktion im Grenzgebiet

»Die Hisbollah hat schon geantwortet«, sagt der Tabakpflanzer Sami Hanna aus Debel auf die junge Welt-Frage, was er von der EU-Entscheidung halte. »Sie haben unser Land befreit«, so Hanna, der 1946 unter der französischen Besatzung in Debel geboren worden war. Die Hisbollah, das seien »gute Leute«, er habe es selbst erlebt. Bei Kämpfen sei einmal ein Soldat der (von Israel aufgestellten) Südlibanesischen Armee (SLA) verletzt worden, erinnert er sich. »Er war gelähmt, doch sie haben ihm nichts getan. Sie haben ihm geholfen, wie man einem gelähmten Menschen eben hilft.«

Sami Hanna und seine Frau Jounes leben wie ihre Vorfahren vom Tabak­anbau. Vom Haus der Hanna-Familie kann man die israelischen Wachtürme auf den südwestlichen Hügeln sehen, Debel liegt keine zehn Kilometer von der Grenze zum »besetzten Palästina« entfernt, wie man hier sagt. Sami Hanna zeigt auf einen Bilderrahmen, in dem das Schwarz-Weiß-Foto eines Soldaten und das Foto einer Frau mittleren Alters in Farbe zu sehen ist. Der Soldat sei sein Schwager, sagt er. Er wurde 1978 von den Israelis getötet, als diese den Süden bis zum Litani-Fluß besetzten. Die Frau sei seine Schwester. »Sie wurde von der Rakete einer israelischen Drohne getötet, 2006.« Sie hatte versucht, ein Auto zu erreichen, mit dem Leute den Ort verlassen wollten. In zwei Teile sei seine Schwester zerfetzt worden, vier Tage lang habe er sie nicht beerdigen können, so heftig seien die Angriffe gewesen. »Wenn Europa so gut schlafen kann, bitte sehr«, sagt Sami Hanna. »Aber ich meine, sie sollten uns Libanesen helfen, anstatt Geld und Waffen an Israel zu liefern.«

* Aus: junge Welt, Montag, 29. Juli 2013


»Die EU wird sich bei Hisbollah entschuldigen«

Der Schlüsselmacher Khodr Nasrallah kann die Europäische Union nicht verstehen

Von Karin Leukefeld, Qana **


Jetzt kann ich besser hören«, lacht Khodr Nasrallah, nachdem er sein Hörgerät ins Ohr gesteckt und eingeschaltet hat. »Der Lärm der Bomben hat mich halb taub gemacht.« Das war 2006, als der gelernte Schlüsselmacher aus Qana von vielen Familien gerufen wurde, weil sie in dem Chaos des israelischen Bombenhagels ihre Haus- oder Autoschlüssel nicht fanden oder verloren hatten. »Rund um die Uhr wurde ich gerufen, um Autos oder Häuser zu öffnen«, erinnert er sich. Einmal sei er mit einem Mann zu dessen Haus unterwegs gewesen, als drei Raketen kurz hintereinander vor ihnen einschlugen. »Ich flog vom Sitz in die Luft und schlug mit dem Kopf an die Decke«, erinnert Nasrallah sich, der weitläufig mit dem politischen und religiösen Führer der libanesischen Hisbollah verwandt ist. »Der Lärm war unglaublich, mein ganzer Kopf tat weh.«

Khodr Nasrallah ist blind. Als Kind lernte er die Braille-Schrift in einer christlichen Schule in Beirut. Später wurde er zum Schlüsselmacher ausgebildet. Mit »Freundlichkeit, Liebe, Würde und Respekt« ist auf seinem T-Shirt zu lesen, das aus der damaligen Zeit stammt. Der Schlüsselmacher ist ein überzeugter Anhänger der Hisbollah. Wenn von seinen Einnahmen am Ende des Monats etwas übrig bleibe, spende er die Hälfte an die Organisation, erzählt er. Die andere Hälfte gehe an die Stiftung von Mohammed Hussein Fadlallah, die Waisenkindern helfe. Den Einsatz der Hisbollah in Syrien findet er richtig, und wenn er kämpfen könnte, würde er mit ihnen gehen, sagt er.

Die im Nachbarland agierende Nusra-Front werde nicht nur die Christen im Libanon töten, auch die Muslime, die nicht mit ihnen einer Meinung seien. Er habe diese Sorte Leute kennengelernt, die man »Takfiri« nenne, Muslime, die andere Muslime zu Ungläubigen erklärten. »Sie akzeptieren nicht, wenn Christen zu Gott in einer Kirche beten. Und sie akzeptieren nicht, wenn Muslime im Schrein von Saida Zeynab in Syrien beten.« Es sei »besser, Hisbollah verliert eintausend Kämpfer in Syrien gegen die Nusra-Front, als daß wir hier im Libanon eine Million Menschen verlieren«. Das heiße nicht, daß Hisbollah ihre Stellungen nach Syrien verlagert habe. »Keineswegs, Hisbollah hat hier viele Kämpfer. Sie sind keine Miliz, sie sind eine Armee.« Hisbollah sei so stark, daß sie den Nahen Osten erobern könnte, ist der Schlüsselmacher überzeugt. Doch das wolle Hisbollah gar nicht. »Sie wollen nur, daß wir sicher sind und als Christen und Muslime friedlich miteinander leben.«

Khodr Nasrallah kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Israelis den Süden Libanons besetzt hatten. »1993 konnte man hier ständig Feuer und Raketen hören«, erinnert er sich. Das werde Hisbollah nie mehr zulassen. Er habe gehört, daß die Europäische ­Union die Hisbollah auf ihre Terrorliste gesetzt habe, doch das hätten sie nur getan, um den USA und Israel einen Dienst zu erweisen. »Ich bin mir sicher, Europa wird das bald leid tun, und sie werden sich bei Hisbollah entschuldigen.« Die Organisation in einen militärischen und einen politischen Arm unterteilen zu wollen, sei Unsinn, sagt er. »Hisbollah ist wie ich. Ich habe einen rechten und einen linken Arm, aber beide Arme gehören zu mir, zu Khodr.« Und so sei das auch mit der Hisbollah.

** Aus: junge Welt, Montag, 29. Juli 2013


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