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Das libysche Öl und die NATO

Humanität als Vorwand – Krieg als Mittel

Von Lühr Henken *


Abkürzungen:
  • dw-world Deutsche Welle
  • FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
  • ftd Financial Times Deutschland
  • NZZ Neue Zürcher Zeitung


Seit Donnertag (31.3.) führt die NATO Krieg in Libyen. Sie hat ihn von einer „Koalition der Willigen“ übernommen, die, angeführt von Frankreich, Großbritannien und den USA, am 19.3. den Angriff mit über 100 Tomahawk-Marschflugkörpern, Kampfflugzeugen und B2-Tarnkappenbombern begannen. Sie beruft sich dabei auf die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom 17. März.

Diese Resolution wurde vom Libanon als Vertreterin der Arabischen Liga eingebracht und mit 10 Ja-Stimmen und 5 Enthaltungen angenommen. Sie beinhaltet im Wesentlichen Folgendes: Sie „verlangt eine sofortige Waffenruhe, und ein vollständiges Ende der Gewalt und aller Angriffe und Missbrauchshandlungen gegen Zivilpersonen“; in Punkt 4 ermächtigt sie „die Mitgliedsstaaten, […] die einzelstaatlich oder über regionale Organisationen [..] tätig werden, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen , […] um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete in Libyen, einschließlich Bengasis, zu schützen, unter Ausschluss ausländischer Besatzungstruppen jeder Art in irgendeinem Teil libyschen Hoheitsgebiets.“ Und 6. „beschließt“ sie, „ein Verbot aller Flüge im Luftraum Libyens zu verhängen, um zum Schutz der Zivilpersonen beizutragen.“ Darüber hinaus wird das bestehende Waffenembargo bekräftigt, Reiseverbote gegen die libysche Führung werden erlassen sowie die Vermögenswerte von libyschen Banken im Ausland und der großen Nationalen Ölgesellschaft NOC werden eingefroren.

Also erlaubt diese Resolution den ausländischen Mächten „zum Schutz der Zivilpersonen“ militärisch eigentlich alles unterhalb einer Besatzung des Landes und die direkte Tötung Gaddafis. Das Gaddafi-Regime wird ökonomisch isoliert.

Was war der UN-Resolution voraus gegangen?

Nach der Verhaftung eines Rechtsanwalts von Hinterbliebenen eines unaufgeklärten Gefangenenmassakers von 1996, bei dem damals etwa 1.200 Gefängnisinsassen erschossen worden waren, in Benghasi am 15.2., kam es anlässlich eines „Tages des Zorns“ am 17.2. in mehreren Städten Ost-Libyens zu Demonstrationen. Gewaltsames Durchgreifen libyscher Sicherheitskräfte führte zum Tod von 14 Demonstranten. Während der Beisetzung in al-Beidha, feuerten Söldner „mit scharfer Munition direkt in die Menge“ (NZZ 19.2.11). Die Proteste in mehreren Städten des Ostens schwollen an. Auch in Benghasi wurde auf einen Trauermarsch am 18.2. geschossen. Human Rights Watch sprach von 24 Toten. In mehreren Städten erhoben sich Tausende von Menschen. Regimegegner hätten am 18.2. „in Al Baida die Kontrolle übernommen“, (FAZ 19.2.11) berichtet die FAZ und: „Der Osten des Landes wurde vom Regime in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt. Städte wie Al Baida und Bengasi sind Hochburgen der Islamisten.“ Am 21.2. schreibt die FAZ: „Augenzeugen berichteten, dass bei einem Trauermarsch in der Stadt Benghasi mit Maschinengewehren auf Regierungsgegner geschossen worden sei. Nach Berichten der Opposition wurden innerhalb von zwei Tagen mindestens 200 Personen getötet, doch der Protest breite sich aus. Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch teilte in London mit, ihr seien mindestens 173 Todesfälle bekannt.“ (FAZ 21.2.11). Am selben Tag notiert die NZZ: „Es gibt auch Berichte, wonach zumindest in al-Beidha Einwohner den gewaltlosen Widerstand aufgegeben haben und dem Wüten der Schergen Ghadhafis bewaffnet gegenübertreten.“ (NZZ 21.2.11) Tags darauf, am 22.2., berichtet die NZZ: „Die bruchstückhaften Informationen deuten in Benghasi und al-Baidha am Montag einen Umsturz an, wobei breitere Teile der Bevölkerung zu den Aufständischen halten und die Strassen dominieren, während die Sicherheitskräfte in ihren Kasernen verschanzt sind. Seifulislam (Sohn Gaddafis, L.H.) hat eingeräumt, dass dort Panzerfahrzeuge in den Händen der Bevölkerung sind [...]. Dabei sind zweifellos auch islamistische Afghanistan-Veteranen am Werk, welche endlich eine Gelegenheit für ihr Kriegshandwerk auf dem eigenen Boden erspähen.“ (NZZ 22.2.11) Aus demselben Artikel möchte ich die Einschätzung des sehr erfahrenen Nahost-Korrespondenten der NZZ, Victor Kocher, wiedergeben. Kocher schreibt: „Hier zeichnet sich das historische Selbstbewusstsein der Cyrenaika wieder ab, jenes Ostteils des Landes, der ursprünglich das wahre Macht- und Wirtschaftszentrum darstellte. Von dort stammte der Nationalheld und Unabhängigkeitskämpfer Omar al-Mukhtar, der im Kampf gegen die italienischen Kolonisten gefallen ist. Und dort sind die Wurzeln der Senussi-Dynastie, aus welcher der letzte König Idriss stammte, den Ghadhafi 1969 stürzte. In den Augen der Libyer aus der Cyrenaika ist das Ghadhafi-Regime eine illegitime und zur effizienten Regierung unfähige Konstruktion aus verspäteten Versatzstücken des Nasserismus.“ Ergänzend füge ich hier an: Gaddafi hatte nach dem Sturz des Königs, der seit 1951 herrschte, 1970 die britischen und US-amerikanischen Militärstützpunkte räumen lassen. „Ausländisches Kapital im Finanz-, Handels- und Dienstleistungssektor sowie in der Landwirtschaft wurde verstaatlicht, ab 1971 der Erdölsektor teilnationalisiert“ und die Macht der ausländischen Erdölgesellschaften im Laufe der 70er Jahre in zähen Verhandlungen systematisch zurückgedrängt. „Vor 1969 waren 42 ausländische Erdölgesellschaften in Libyen tätig. Allein 22 US-amerikanische Gesellschaften vereinigten 87,5 % der gesamten libyschen Erdölförderung. [...] Seit 1973 müssen sämtliche in Libyen tätigen Erdölkonzerne dem Staat eine mindestens 51%ige Beteiligung einräumen.“ (Länder der Erde; Köln 1981, 720 Seiten, S. 383) Ende der 70er Jahre bereits kontrollierte die Nationale Erdölgesellschaft NOC etwa zwei Drittel der Erdölproduktion. Ich komme nachher noch einmal auf das Erdöl zurück.

Zurück zum Ablauf. Die FAZ meldet am 22.2.: „Der Sohn des Revolutionsführers bestätigte Berichte von Demonstranten, nach denen sie die Städte Benghasi und Al Baida im Osten des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hätten.“ (FAZ 22.2.11). Weitere Berichte über gewaltsames Vorgehen gegen Unbewaffnete gab es bis dato nicht. Lokale Ärzte in Bengasi gaben am 28.2. - nach dem Ende der Kämpfe - für die 700.000 Einwohner-Stadt Benghasi die Opferbilanz mit 256 Toten und rund 2.000 Verletzten an. (NZZ 1.3.11)

Am 27.2. rief die Opposition unter der Führung des ehemaligen Justizministers Dschalil eine Übergangsregierung aus. Dschalil erklärte, dass die Hauptstadt des Landes Tripolis bleibe. (NZZ 28.2.11). Das heißt, das Selbstverständnis der Aufständischen ist ein Machtanspruch auf ganz Libyen. „Ihre Parole war seit Beginn des Aufstands am 17. Februar: 'Ein Libyen ohne Gaddafi, ein einiges Libyen, ein Libyen mit der Hauptstadt Tripolis.“ (sueddeutsche.de, 28.3.11)

Die zentrale Frage, die es im Hinblick auf das Zustandekommen der UN-Resolution zu untersuchen gilt, ist die: Welche Belege gibt es für Luftangriffe auf unbewaffnete Demonstranten oder Zivilisten? Dies sind die von den Militärinterventionisten angegebenen zentralen Gründe für die Einrichtung einer Flugverbotszone und den Schutz der Zivilbevölkerung.

Dazu die FAZ: „Ob am Abend (des. 21.2., L.H.) tatsächlich Luftangriffe auf Protestzüge Dutzende weitere Todesopfer forderten, wie es im Sender Al Dschazira berichtet wurde, blieb unklar wie so vieles.“ Und an anderer Stelle: „Um zu verhindern, das das umfangreiche Waffenarsenal (einer Militäranlage in der Nähe von Tripolis, L.H.) in die Hand der Regimegegner fällt, hätten Flugzeuge damit begonnen, die Anlage zu bombardieren.“ (FAZ 22.2.11) Später gab es lediglich ganz allgemeine Meldungen, dass im Osten des Landes Luftangriffe geflogen wurden. „Dabei seien Munitionsdepots bombardiert worden.“ (FAZ 1.3.11)

Weitere Meldungen gab es nicht. Am Morgen des 23.2. wartete dessen ungeachtet der Luxemburgische Außenminister Asselborn mit der dramatischen Darstellung auf: „in Libyen ereigne sich ein 'Völkermord in höchster Potenz.'“. Was nachweislich nicht stimmte. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am selben Tag die Resolution 1979 als nicht bindende sogenannte Presseerklärung, die von Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf Veranlassung des abtrünnigen libyschen stellvertretenden UN-Botschafters entstanden war. Darin „verurteilte“ der Rat „die Anwendung von Gewalt gegen Zivilisten“ und „bedauerte den Tod von Hunderten Zivilisten.“ (FAZ 24.2.11).

Daraufhin entspann sich eine Debatte über das Für und Wider von Flugverbotszonen, die USA verlegten Kriegsschiffe vor die Küste Libyens, und bauten damit eine Drohkulisse gegen Gaddafi auf, die die Opposition in ihrem Vorhaben bestärkte. Evakuierungsmaßnahmen auch der Bundeswehr liefen an und Susan Rice, UN-Botschafterin der USA, sagte, „Gaddafi schlachte sein eigenes Volk ab. Zudem zeige die Behauptung Gaddafis gegenüber westlichen Medien, es gebe keine Gewalt in Libyen, dass der libysche Diktator 'wahnhaft' sei und die Verbindung zur Wirklichkeit verloren habe. 'Er ist nicht in der Lage, das Land zu führen', sagte Frau Rice“ am 1. März (FAZ 2.3.11). Das war die klare Ansage: Gaddafi muss weg.

Am Tag danach machte US-Kriegsminister Gates eine Aussage, die überhaupt nicht in den Rahmen einer Kriegsvorbereitung passte. Er „sagte, dass das Pentagon keine Bestätigung dafür habe, das Revolutionsführer Gaddafi seine Bevölkerung tatsächlich aus der Luft habe beschießen lassen. Er habe das bisher nur Presseberichten entnommen.“ (FAZ 3.3.11).

Zwischenzeitlich hatte es vielerorts Feuergefechte gegeben. Zwei Tage später am 5.3. schreibt die NZZ: „Die Kampfparteien sind schwer zu unterscheiden, weil die Rebellen erbeutetes Material aus den Zeughäusern von Polizei und Armee verwenden. Spektakulär ist das Bild von einem Bombenanschlag mit aufspritzender Stein- und Sandfontäne. Aber insgesamt gab es in den letzten Tagen nur wenige Luftangriffe, und es ist unklar, welche Ziele die Piloten trafen. Bei einem Angriff am Freitag (dem 4.3., L.H.) habe sie laut Agenturen auch ein Zeughaus der Rebellen anvisiert, aber verfehlt. Von einer systematischen Luftkampagne kann bis jetzt keine Rede sein.“ (NZZ 5.3.11)

Wie zweifelhaft die Aussagen über das angebliche Abschlachten oder das Bombardieren von Zivilisten ist, macht die Wiedergabe der Ergebnisse der Erkundungsreise eines leitenden Beamten des Auswärtigen Dienstes der EU nach Libyen deutlich, die am 9.3. in der FAZ nachzulesen waren. Er hatte die letzten verbliebenen acht Botschafter aus EU-Staaten gesprochen: „Die EU-Botschafter [...] hätten dargelegt, dass sie von Menschenrechtsverletzungen wüssten, aber nicht genau sagen könnten, wer dafür verantwortlich sei. Ob Gaddafi die Bevölkerung systematisch beschießen lasse, etwa aus der Luft, sei unklar; es könne auch nicht genau gesagt werden, wer die Aufständischen seien und ob sie als Partner für die EU in Frage kämen. Die Botschafter hätten angegeben, ihre Informationen beruhten auf Medienberichten und Aussagen von Bürgern, nötig sei eine sofortige unabhängige Untersuchung durch die Vereinten Nationen. Diese Forderung erhob auch der libysche Diplomat, der mit dem EU-Beamten redete.“ (FAZ 9.3.11) Dazu ist es nie gekommen.

Inzwischen hatte Venezuelas Präsident Chavez einen Plan vorgelegt, wonach „eine Delegation aus Lateinamerika, Europa und dem Nahen Osten versuchen (solle), eine Annäherung zwischen Gaddafi und den Aufständischen auf dem Verhandlungswege herbeizuführen.“ Gaddafi stimmte dem zu. (ftd.de 3.3.11) Die Aufständischen lehnten den Plan ab. „Die Zeit für einen Dialog sei vorüber.“ (FAZ 4.3.11), sagten sie. Niemand griff den Plan auf. Im Gegenteil: US-Präsident Obama forderte am 5.3. erstmals den Rücktritt Gaddafis. Am 9. März bekräftigten er und der britische Premier Cameron, „dass angesichts der Kämpfe in Libyen keine Option außer Acht gelassen werde, um so schnell wie möglich der Gewalt ein Ende zu bereiten und die Entmachtung Gaddafis herbeizuführen. Auch die Errichtung einer Flugverbotszone werde weiter erwogen, teilte das Weiße Haus mit. Die Ermächtigung müsse aber von den Vereinten Nationen kommen.“ (FAZ 10.3.11) Also: Klares strategisches Ziel der größten Militärmacht der Welt: „Regime Change“. Die UNO soll dafür den Weg ebnen.

Die FAZ meldete am 10. März: „Der Aufstand hat nach Schätzungen schon mehr als 1000 Todesopfer gefordert.“ Wer die Schätzungen vorgenommen hat, wurde nicht mitgeteilt. Die Zahl war offensichtlich von interessierter Seite aufgebauscht worden. Denn drei Wochen später gab das britische Außenministerium exakt dieselbe Zahl 1.000 an. (NZZ.de 1.4.11).

Nachdem „Sarkozy in einer Fernsehansprache den Sturz Gaddafis als Ziel“ (FAZ 10.3.11) nannte, erklärten die Staats- und Regierungsschefs der EU am 11.3. unisono, dass „Oberst Gaddafi die Macht unverzüglich abgeben muss.“ (FAZ 12.3.11) Sarkozy hatte sich zuvor für gezielte Luftschläge eingesetzt und erkannte die Gegenregierung an. Um eine Flugverbotszone durchzusetzen, sei „eine breite Zustimmung der arabischen Welt eine Voraussetzung“ (FAZ 10.3.11). Den Anfang machte der Golf-Kooperationsrat, ein Zusammenschluss von sechs mehr oder weniger despotischen Königreichen und Emiraten um Saudi-Arabien herum tags darauf. Die Afrikanische Union hat sich gleichentags dagegen ausgesprochen. Der herbei gewünschte Beschluss der Arabischen Liga ließ nur zwei Tage auf sich warten und wurde postwendend von den USA begrüßt.

Unterdessen waren Gaddafis Truppen weiter auf dem Vormarsch und eroberten verlorenes Terrain mit Hilfe von Artillerie und Panzern zurück. Vereinzelt kam es auch zu Bombardements. So auf „den Ölhafen von Ras Lanuf und die Stadt Al Brega“ am 10.3., wobei über die Schäden nichts weiter bekannt wurde. (FAZ 11.3.11) Am 14.3. wurden in Adschdabija Luftangriffe auf Waffenlager geflogen. (NZZ 15.3.11) „Am Dienstag (dem 15.3.) haben Kampfflugzeuge und Helikopter von Muammar al-Ghadhafi Adschdabija angegriffen, die letzte Stadt in Rebellenhand vor der Hochburg der Aufständischen Benghasi. In der strategisch wichtigen Ölstadt Brega wechselte die Kontrolle mehrfach. In den Ruinen zerstörter Gebäude lieferten sich Rebellen Rückzugsgefechte mit den nach Osten rückenden Regierungssoldaten,“ berichtet die NZZ am 16.3.. Auch in den Kampf um Misrata im Westen griffen Gaddafis Truppen mit Artillerie und Panzern ein.

Diese Eskalation ist bereits als ein Wettrennen um die Macht in Libyen zu interpretieren, denn seit dem 14.3. beriet der UN-Sicherheitsrat über die Errichtung einer Flugverbotszone, war aber noch zu keiner Entscheidung gekommen, insbesondere deswegen, weil die USA sich zögerlich präsentierten. Am Mittwoch, dem 16.3., kündigte das Gaddafi-Regime an, „es wolle den Aufstand binnen zwei Tagen niederschlagen.“ (FAZ 17.3.11) „Wie ein Sprecher der Aufständischen, Mustafa Gheriani, erklärte, haben Gadhafis Kampfflugzeuge am (Donnerstag-)Morgen (17.3.) den Flughafen von Bengasi sowie angrenzende Wohngebiete bombardiert. Über die Zahl der Opfer gab es bis zum Nachmittag keine gesicherten Informationen. […] An den Weltsicherheitsrat appellierte Gherani, endlich eine Flugverbotszone einzurichten sowie Panzer und Artillerie Gadhafis zu bombardieren. 'Worauf warten Sie noch – Gadhafi führt Krieg gegen sein eigenes Volk,' sagte er. Die Bewohner seien den Kriegswaffen des Diktators völlig hilflos ausgeliefert, 'es ist wie Tontaubenschießen.“ (zeit.de, 17.3.11) Ob auf dieses Schreiben hin oder unabhängig davon, das lässt sich nicht ermitteln, deutet sich am Donnerstagnachmittag (17.3.) ein Sinneswandel bei den USA an. Laut Susan Rice zögen die USA Schritte in Betracht, „die eine Flugverbotszone einschließen und vielleicht auch darüber hinaus gehen.“ (zeit.de, 17.3.11). „Gaddafi kündigte für den Abend eine Offensive seiner Regierungstruppen in Bengasi an. Diejenigen, die ihre Waffen niederlegen würden, würden verschont, sagte Gaddafi in einer vom libyschen Fernsehen übertragenen Audiobotschaft.“ (zeit.de, 17.3.11) Wahrscheinlich ist dieselbe gemeint, von der focus.de berichtet: Gaddafi sagte „am Donnerstagabend in einer telefonischen Ansprache im Staatsfernsehen: 'Die Stunde der Entscheidung ist gekommen.' Aufständischen, die ihre Waffen niederlegten, werde er eine Amnestie anbieten. Für diejenigen, die nicht kapitulierten, werde es dagegen 'keine Gnade und kein Mitleid' geben.“ (focus.de 17.3.11).

Am späten Abend kam es dann zum Beschluss über die UN-Resolution 1973, in der sich auch der Passus findet: „in Erwägung, dass die in der Libysch-Arabischen Dschamahirija stattfindenden ausgedehnten und systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen“ […] tätig werdend nach Kapitel VII der UN-Charta usw.

Der UN-Sicherheitsrat fasste also einen Beschluss, der nicht auf verifizierten Fakten beruht, sondern auf Medienmeldungen und Stellungnahmen einer Konfliktpartei. Eine Untersuchung der Vorwürfe wurde nie eingeleitet. Verhandlungsangebote wurden ausgeschlagen.

Das brachte den Hamburger Rechtsphilosophen Professor Reinhard Merkel zu einem bemerkenswerten Aufsatz im Feuilleton der FAZ. Er fragt: „Darf man zum Schutz der Zivilbevölkerung eines anderen Staates gegen diesen Staat Krieg führen? Ja, im Extremfällen darf man das – wenn sich nur so ein Völkermord oder systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhindern lassen, wie sie Artikel 7 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs beschreibt. […] Dass Gaddafi keinen Völkermord begonnen oder beabsichtigt hat, ist evident,“ schreibt Merkel und fragt weiter: „Haben Gaddafis Truppen systematisch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder doch als bevorstehend befürchten lassen? Die Antwort lautet beide Male: nein.“ Das Nein begründet er dann. Das überspringe ich hier mal. Er setzt sich dann mit folgendem Vorwurf auseinander: „'Der Diktator führt Krieg gegen sein eigenes Volk, bombardiert systematisch seine eigene Bevölkerung, massakriert die Zivilbevölkerung seines Landes' – ja, das alles in den vergangenen Tagen tausendfach wiederholt, wären Beispiele für gravierende Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber Gaddafi führt Krieg gegen bewaffnete Rebellen, die ihrerseits Krieg führen. Kämpfende Aufständische, und wären sie Stunden zuvor noch Bäcker, Schuster und Lehrer gewesen, sind keine Zivilisten. Dass Gaddafis Truppen gezielt Zivilisten töteten, ist vielfach behauptet, aber nirgends glaubhaft belegt worden. Und jeder nach außen legitimierte, also autonome Staat der Welt, darf - in bestimmten Grenzen – bewaffnete innere Aufstände zunächst einmal bekämpfen.“ (FAZ 22.3.11)

Klar ist, der Sicherheitsratsbeschluss ist illegitim, weil ihm die faktische Grundlage fehlt. Die Kriegstreiber nahmen es also nicht so genau mit der Beweislage. Offensichtlich ging es ihnen lediglich darum, diese Legitimität zu erhalten, um das Ziel, Gaddafi loszuwerden legal in Angriff nehmen zu können, ohne dass es in der Resolution erwähnt ist.

Westliche Geheimdienste auf Seiten der Rebellen

Denn, wie sich bald herausstellte, hatte Obama bereits - irgendwann zwischen dem 10. und dem 17. März - „eine Genehmigung zur Unterstützung der Rebellen durch den CIA unterzeichnet.“ (focus.de, 31.3.11) - Also unmittelbar vor dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats. Die New York Times berichtete, dass CIA-Spione „mögliche Ziele für Luftschläge auskundschafteten und versuchten, Kontakte zu den Aufständischen zu knüpfen.“ (welt.de, 31.3.11) Gleiches gilt für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6. Und die Briten waren möglicherweise in geheimer Mission in Libyen noch vor den USA aktiv. Focus-online meldet bereits am 19.3., dass „Sondereinheiten des britischen Militärs bereits vor Wochen nach Libyen eingesickert“ seien. Dabei soll es sich laut „Berliner Sicherheitskreise“ um „getarnte Teams des Special Air Service (SAS) und des Special Boat Service (SBS) handeln“. Sie hätten „strategische Ziele wie Militärflughäfen, Luftabwehrstellungen und Kommuniktionszentralen vermessen und für Bombenangriffe markiert.“ (focus.de, 19.3.) Wochen vorher bedeutet auch Wochen vor dem UN-Sicherheitsratsbeschluss am 17.3.. Klarer Fall: Vor dem UN-Sicherheitsratsbeschluss waren westliche Geheimdienste bereits auf Seiten der Rebellen militärisch aktiv.

Aber das ist längst nicht alles. „Möglicherweise ist der US-Geheimdienst aber noch wesentlich aktiver,“ schreibt die Frankfurter Rundschau am 31.3. „So soll der Oberbefehlshaber der Rebellenarmee, Oberst Khalifa Haftar, sehr gute Beziehungen zur CIA unterhalten. Erst vor kurzem ist er aus dem Exil zurückgekehrt. Gelebt hat er angeblich in der Nähe des CIA-Hauptquartiers in Langley. Haftar galt im Exil als Chef der Untergrundbewegung Libysche Nationale Armee (LNA), die seit den 90er Jahren Gaddafis Regime bekämpft. Diese Anti-Gaddafi-Bewegung ist der militärische Ableger der in der Nationalen Front für die Rettung Libyens organisierten Exil-Opposition.. Die LNA-Kämpfer und ihr Anführer Haftar sollen in der Vergangenheit von den USA finanziert und ausgebildet worden sein, heißt es in einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des US-Parlaments (CRS).“ Das schreibt die Frankfurter Rundschau und fügt hinzu: „Schon seit Tagen wird berichtet, dass die Rebellenführung über geheime Kanäle mit dem alliierten Kommando in Kontakt steht.“ (fr-online.de, 31.3.11)

Neoliberale führen die Rebellenregierung

Dies ist nun der Zeitpunkt, um die wichtigsten Minister der am 23. März gegründeten Übergangsregierung vorzustellen. Premierminister ist der Wirtschaftswissenschaftler Mahmud Dschibril. Über ihn weiß die FAZ zu berichten: „Nach dem Studium der Politik und Wirtschaftswissenschaften in Kairo und Pittsburgh lehrte er in den Vereinigten Staaten mehrere Jahre lang strategisches Planen und Entscheidungsfindung. [...] Im Jahr 2007 kehrte Dschibril, der als ein Neoliberaler gilt, in sein Heimatland zurück.“ Er übernahm die Leitung des Nationalen Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung. „Dessen Aufgabe war es, die Privatisierung der bisher staatlich gelenkten Wirtschaft voranzutreiben. Was Dschibril in Libyen vorfand, muss ihn jedoch sehr ernüchtert haben,“ konstatiert die FAZ. „Die Chancen, das Wirtschaftssystem erfolgreich zu reformieren, habe er bald als gering bezeichnet, heißt es. Zugleich half Dschibril auch amerikanischen und britischen Firmen, in Libyen Fuß zu fassen. Besonders die Regierung in Washington forderte er immer wieder dazu auf, sich stärker in Libyen zu engagieren, wie aus geheimen Botschaftsdepeschen hervorgeht, welche die Internetplattform Wikileaks veröffentlichte. Amerikanische Diplomaten schätzten Dschibril demnach als einen 'ernsthaften Gesprächspartner.'“ (FAZ 25.3.11). So weit die FAZ. Also ist Dschibril offenkundig ein Mann der USA.

An der Spitze des Übergangsrats bleibt Abdul Dschalil, der von 2007 an unter Gaddafi Justizminister war, und wenige Tage nach Beginn des Aufstands zur Opposition überlief. Er stellte, laut FAZ, in Aussicht, „dass Libyen, wenn es in Freiheit vereint sei, sich daran erinnern werde, wer im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 'für uns' gestimmt habe.“ (FAZ 31.3.11)

Ein weiterer Mann der USA in einer Schlüsselstellung ist der neue Wirtschafts- und Finanzminister „in den befreiten libyschen Gebieten“, wie der NZZ neu definiert. Der 61-jährige Ali Tarhuni war seit 1973 in den USA und kam erst im März zurück. Er ist Finanzfachmann und hat eine Professur an der Washington-Universität in Seattle. Er machte bei der libyschen Opposition im Exil mit. (NZZ 30.3.11) Als erstes leitete er druckfrische libysche Banknoten im Wert von über einer Milliarde Euro in den Osten um. (focus.de, 3.4.11) Diese sollten Ende Februar eigentlich aus der Druckerei in Nordengland mit einem libyschen Flugzeug nach Tripolis transportiert werden. Wegen der EU-Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime kam es nicht dazu. Tarhunis Verhandlungen waren erfolgreich. Tarhuni ist auch für Öl zuständig. „Mit der Qatar Petroleum Company hat er einen Vertrag unterzeichnet, das Rohöl des freien Libyens zu vermarkten.“ (FAZ 30.3.11). „Früher hat Libyen 1,7 Millionen Barrel Öl am Tag gefördert. Von den Ölfeldern, die unter Gaddafis Regime stehen, fördert keines mehr Öl. Demgegenüber produzieren die Ölfelder unter der Kontrolle der Rebellen 130.000 Barrel am Tag, sagt Tarhuni. Das könne rasch auf 300.000 Barrel gesteigert werden,“ schreibt die FAZ (30.3.11) Und weiter: „Innerhalb der kommenden Woche erwartet Tarhuni den ersten Export von Rohöl. Verschifft werden wird es vom Hafen Tobruk aus, dem einzigen Ölhafen Libyens, der in Betrieb ist.“ (FAZ 30.3.11) Wie erst jetzt bekannt wurde, haben die Rebellen „schon zu Beginn der Revolution“ ihre eigene Öl-Gesellschaft Agoco gegründet, die sie von der Nationalen Ölgesellschaft (NOC) abgespalten haben. „Agoco verfügt über 40 Prozent der Ölförderstätten des Landes.“ (focus.de, 2.4.11) Das Vorhaben des Ölverkaufs wird von der Londoner Libyen-Konferenz am 30. März, an der Vertreter von mehr als 40 Staaten teilnahmen, unterstützt. „Dies sei eine Möglichkeit, Libyens oppositionellen Nationalen Übergangsrat zu unterstützen, sagte US-Außenministerin Hillary Clinton. 'Sie brauchen Geld, um voranzukommen,' erklärte Clinton.“ berichtet die Financial Times Deutschland (ftd.de, 30.3.11)

Libyens Öl: unter Gaddafi weitgehend nationalisiert

Dann schauen wir doch einmal, wie es um das Öl und Gas Libyens so bestellt ist. Im Boden des Landes mit den größten nachgewiesenen Lagerstätten Afrikas wurden 44,3 Milliarden Barrel ermittelt. (BP Statistical Review of World Energy, June, 2010, 50 Seiten, S.6) Das sind 3,3 Prozent der Weltreserven. Damit liegt Libyen auf Platz 8 in der Welt. Aber das Potenzial wird als noch wesentlich höher eingeschätzt, weil längst nicht die gesamte Fläche und das Offshoregebiet exploriert sind. Bei einem gegenwärtigen Rohölpreis von 115 Dollar je Barrel errechnet sich für Libyen ein Wert für die nachgewiesenen Ölressourcen von über 5 Billionen Dollar. Die NOC belegt Platz 25 in den Top 100 der größten Ölunternehmen der Welt. Der Wert der Erdgasvorkommen wird auf 500 Mrd. Dollar geschätzt.

Libyens Boden ist etwa zu einem Drittel konzessioniert. „Größter ausländischer Akteur für die Exploration und Förderung von Erdöl und Erdgas“ ist Eni. Die italienische Firma förderte vor dem Aufstand ca. ein Viertel der gesamten Ölmenge. Andere Ölfirmen in Libyen sind Total (Frankreich), Repsol (Spanien), BP (GB), ExxonMobil (USA), Statoil (Norwegen), Royal Dutch/Shell (GB/NL), Gazprom (Russland), RWE und Wintershall/BASF (Deutschland), CNPC (VR China), Waha Oil (ein Joint Venture von NOC/Libyen mit Conoco/Phillips/Marathon/Hess/USA) und OMV (Österreich). Lizenzen „erhielten auch ein algerisches, ein brasilianisches, ein kanadisches und ein indonesisches Unternehmen.“ (NZZ 17.1.06) Die Verträge mit den Konzernen sind so abgefasst, dass diese „bis zu 80 Prozent der Produktionserlöse […] an die staatliche libysche Ölgesellschaft NOC liefern müssen. Die NOC kontrolliert die Geschäfte mit den fossilen Ressourcen des Wüstenlandes und ist an nahezu allen Fördervorhaben ausländischer Konzerne auf libyschem Boden beteiligt.“ (heute.de, 26.3.11) In der FAZ war zu lesen, dass die NOC „mehr als drei Viertel“ der landesweiten Ölförderung beisteuert. (FAZ 22.2.11)

Nach der Ankündigung des Vorsitzendes des Übergangsrats können die ausländischen Ölkonzerne auf bessere Vertragsbedingungen hoffen, sobald die Aufständischen ihre Macht über den Osten Libyens oder ganz Libyen konsolidiert haben. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Waffenlieferungen an die Rebellen

Zunächst führten die alliierten Luftangriffe bereits nach fünf Tagen zum Zusammenbruch der libyschen Luftwaffe. Neben Flugabwehrstellungen und Kommandoeinrichtungen bombardierten westliche Kampfflugzeuge auch Munitionsdepots, aber auch Panzer und Artilleriestellungen der Gaddafi-treuen Truppen in diversen Landesteilen. Insbesondere der Einsatz von speziellen US-Erdkampfflugzeugen jedoch brachte erst den Durchbruch. Die „Gunships“ AC-130 und die „Warzenschweine“ A-10 richteten bereits in den Irakkriegen, in Somalia und in Afghanistan insbesondere mit ihren Gatlingkanonen entsetzliche Schäden in der Bevölkerung an. Das tieffliegende und wendige „Warzenschwein“ ist eine Anti-Panzer-Waffe und setzt DU-Munition ein. Diese fürchterlichen Kampfmaschinen schossen am Wochenende 26./27. März den Aufständischen den Weg gen Westen frei. So konnten sie wieder die strategisch wichtige Stadt Adschdabija und den Ölhafen Brega einnehmen und wurden erst etwa 100 km vor Gaddafis Geburtsstadt Sirte gestoppt. Norman Paech urteilte: „Dieser Einsatz bewegt sich abseits des Mandats und ist deshalb völkerrechtswidrig“, weil er der Eroberung den Weg ebne. (junge welt, 30.3.11)

In den ersten 10 Tagen flogen die Westalliierten 735 Angriffe. Die USA sind dabei „mit Abstand für die meisten Angriffe verantwortlich“ (FAZ 30.3.11) Objektiv wurden somit die westlichen Kampfflugzeuge zur Luftwaffe der Aufständischen, obwohl sie eine Absprache in Abrede stellten.

Als die Luftunterstützung wegen schlechten Wetters ausblieb, eroberten Gaddafis Truppen das zuvor verlorene Terrain inklusive den bedeutenden Ölhafen Brega zurück. Die Rebellen versuchen eine Verteidigungslinie in Adschdabija zu errichten. (FAZ 1.4.11) Die Situation wird als Patt charakterisiert. Die USA haben angekündigt, ihre Erdkampfflugzeuge vorerst nicht mehr einzusetzen, selbst dann nicht, wenn sich die Wetterverhältnisse bessern sollten. (FAZ 2.4.11) Generalstabschef Mullen und Kriegsminister Gates sagten: „Künftig sollten die Koalitionspartner die Hauptlast der Militäroperationen in Libyen tragen.“ (FAZ 2.4.11) „Die USA wollten sich danach auf eine rein unterstützende Rolle beschränken und nur auf besondere Bitten der NATO-Führung wieder Angriffe auf Einheiten von Machthaber Gaddafi fliegen.“ (dw-world.de, 1.4.11) Diese Entscheidung soll seit gestern (2.4.) in Kraft sein. Inwiefern das Taktik ist, wird sich zeigen.

Aller Welt wurde überdeutlich, dass die Aufständischen der Gaddafi-Truppe allein nicht gewachsen sind und ihr Ziel, die Eroberung Tripolis, aus eigener Kraft nicht erreichen können. Mullen schätzt ein: „Die Truppen und Milizen Gaddafis seien den Rebellen hinsichtlich Mannschaftsstärke und Bewaffnung zehnfach überlegen.“ (FAZ 2.4.11). Forderungen der Rebellen und von US-Außenministerin Clinton nach Waffenhilfe wurden von NATO-Generalsekretär Rasmussen mit dem Hinweis auf das umfassende Waffenembargo der UN-Resolution zurückgewiesen. Das heißt nicht, dass es nicht bereits zum Unterlaufen des Waffenembargos gekommen ist.

Gestern wurde bekannt, dass der französische Auslandsgeheimdienst DGSE „die Aufständischen in Bengasi erstmals bereits vor mehr als drei Wochen diskret beliefert hat: mit Panzerabwehr-Munition und Kanonen.“ (focus.de, 2.4.11) Vor mehr als drei Wochen, bedeutet: vor dem 12. März - also noch vor dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats. Doch mit der Ausrüstung sei es nicht getan gewesen, sagte ein französischer Diplomat zu FOCUS online, die Franzosen schickten mindestens ein Dutzend Ausbilder.

Die FAZ berichtete am 1.4., dass die Autorisierung der CIA durch US-Präsident Obama „auch die Lieferung von Waffen an die libyschen Rebellen“ umfasse (FAZ 1.4.11). Das konservative Wall Street Journal berichtete am 17. März (dem Tag der UN-Resolution): „Laut offiziellen Vertretern der USA und der libyschen Rebellen hat das ägyptische Militär damit begonnen, mit Wissen Washingtons Waffen für die Rebellen über die Grenze nach Libyen zu senden. Die Lieferung umfasst meist Kleinfeuerwaffen wie Sturmgewehre und Munition.“ (hintergrund.de, Libysche Notizen von Peter Dale Scott, 31.3.11) Da die NATO die Kontrolle des Waffenembargos nur auf See durchführt, bleibt der Landweg über Ägypten sperrangelweit offen. Da die Übergangregierung der Rebellen über Geld verfügt, und Obama den Bodentruppeneinsatz der USA (noch) sehr deutlich ausgeschlossen hat, ist davon auszugehen, das die Aufrüstung der Rebellen nunmehr massiv beschleunigt wird.

Dazu müssten westliche weitere Instrukteure und Ausbilder ins Land kommen, die sowohl in die Handhabung der Waffen einweisen als auch die Rekrutenausbildung systematisch übernehmen würden. Letzteres wäre sogar durch die weitgefasste UN-Resolution gedeckt. Denn sie schließt alle Kampfhandlungen unterhalb von Besatzungstruppen ein. Temporäre Bodentruppen wären somit erlaubt.

Die Folge wäre ein lang anhaltender Krieg. Es sei denn, der Aderlass der Gaddafi-Getreuen führt zu einer frühzeitigen Implosion des Regimes oder ein Attentatsversuch auf Gaddafi gelingt.

Bundesregierung unterstützt den Krieg

Noch ein Wort zur Haltung der Bundesregierung zum Libyenkrieg. Zweifelsohne ist die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat und die Absage an eine aktive Kriegsteilnahme der Bundeswehr in Libyen zu begrüßen. Außenminister Westerwelle sagte am 16. März: „Wir wollen und dürfen nicht Kriegspartei in einem Bürgerkrieg in Nordafrika werden. Wir wollen nicht auf eine schiefe Bahn geraten, an deren Ende dann deutsche Soldaten Teil eines Krieges in Libyen sind.“ (FAZ 30.3.11). Damit hört es aber auch schon auf mit dem Lob. Nachdem es aus Kreisen der Bellizisten wegen der Enthaltung in New York Kritik hagelte, wandelte die Kanzlerin die Enthaltung kurzerhand in eine Zustimmung um. Sie sagte am 19. März: „Diese Resolution gilt, und deshalb wollen wir auch, dass sie erfolgreich durchgesetzt wird.“ (FAZ 30.3.11) Und dafür tut die Regierung dann alles. Sie ließ es zu, dass die Luftangriffe vom US-Kommando AFRICOM in Stuttgart-Möhringen aus geführt werden (Inklusive der Anordung der Flüge der Erdkampfflugzeuge). Sie entlastet die NATO in Afghanistan, indem sie Soldaten für bis zu vier AWACS-Maschinen abstellt, und hilft dadurch mit, das Bombardement Afghanistans zu intensivieren und auszuweiten. Der NATO-Korrespondent der FAZ schreibt aus Brüssel am 25.3.: „Verlässlichkeit suchen die Deutschen nicht nur mit der Beteiligung am AWACS-Einsatz in Afghanistan zu demonstrieren, sondern auch mit dem Hinweis, dass die Lufteinsätze der Koalition von Ramstein aus geführt werden.“ (FAZ 25.3.11) Siehe da! Bleibt noch festzuhalten, dass die Bundesregierung sämtlichen NATO-Beschlüssen zur Kriegsführung in Libyen zugestimmt hat. Sie befürwortet in Wahrheit diesen Krieg.

Ein Krieg, der durch die Intervention von außen eskaliert ist. Das vorgebliche Ziel, die Zivilbevölkerung durch Krieg schützen zu wollen, kann nicht erreicht werden. Dafür drei Beispiele. Der Vertreter des Vatikan in Tripolis berichtet von mehr als 40 zivilen Opfern durch NATO-Luftangriffe auf die Hauptstadt. (focus.de, 31.3.11) Ein Arzt aus der im Westen gelegenen Hafenstadt Mistrata sagte, dass durch Kämpfe in der vergangenen Woche „insgesamt 160 Menschen getötet worden seine, die meisten von ihnen Zivilisten.“ (tagesschau.de, 3.4.11) Und aus einem an die Öffentlichkeit gelangten Brief vom 24. März von vor allem russischen Ärzten, die in Tripolis verharren, geht hervor, dass „NATO-Flugzeuge und die USA die ganze Nacht (auf den 24. März, L.H.) über und den ganzen Morgen einen Vorort von Tripolis, Tajhura, bombardiert haben (in dem sich insbesondere Libyens Atomforschungszentrum befindet.“ […] Heute seien Kasernen der libyschen Armee das Ziel der Bombenangriffe gewesen , die sich in dicht besiedelten Wohngebieten befinden und in deren Nähe das größte Herzzentrum Libyens liegt. Und wörtlich: „Die Scheiben des Herzzentrums barsten, und auf der Wochenstation für schwangere Frauen mit Herzkrankheiten brachen eine Wand und Teile des Daches zusammen. Die Folge waren zehn Fehlgeburten, bei denen Babies starben; die Frauen befinden sich auf der Intensivstation, Ärzte kämpfen um ihr Leben.“ (http://hinter-der-fichte.blogspot.com/2011/04/augenzeugenbericht-auslibyen-nato.html) Die Ärzte fordern von Medwedjew und Putin, ihr Veto gegen den Krieg einzulegen.

Wie kann der Konflikt gelöst werden?

Eine militärische Lösung ist unter allen Umständen zu vermeiden. Die kann es nicht geben. Es kann nur eine politische Lösung geben. Dazu ist eine Waffenruhe die Voraussetzung. Um die zu erreichen, gibt es bereits über die Initiative von Chavez hinaus, Bemühungen der Afrikanischen Union. Sie hat einen Plan entwickelt. „Jean Ping, der Vorsitzende der Afrikanischen Union, hat sich am 25.3. mit einer Delegation aus Libyen getroffen. Wie er den Medien mitteilte, signalisierten diese glaubhaft die Bereitschaft, den Fahrplan der AU anzunehmen und Gespräche mit den Rebellen zu beginnen. Voraussetzung dafür sei allerdings die Beendigung der militärischen Offensive der Alliierten. Die Zusage aus Libyen, den Fahrplan der AU umsetzen zu wollen, liegt der afrikanischen Staatengemeinschaft laut Aussage des Vorsitzenden Ping bereits in schriftlicher Form vor. Verantwortliche aus der Fraktion der Gaddafi-Gegner waren der Einladung der Afrikanischen Union nicht nachgekommen.“ (afrika-travel.de, 26.3.11)

Da Rebellen und NATO ein und dieselbe Kriegspartei sind, und dabei die NATO der bedeutend stärkere Partner ist, kann doch nur die NATO unser Ansprechpartner sein. Da die Bundesregierung die NATO-Politik mit trägt, und durch ihr Veto sämtliche NATO-Handlungen blockieren könnte, fordere ich die Bundesregierung genau dazu auf. Legen Sie Ihr Veto im NATO-Rat gegen den NATO-Angriffskrieg ein! Er ist völkerrechtswidrig und verhindert Friedensgespräche.

* Lühr Henken, Berlin, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Das Manuskript basiert auf einem Vortrag, den der Autor am 3. April 2011 bei der Friedenskoordination Berlin gehalten hat.



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