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Uranmunition – verstrahlt in alle Ewigkeit

von Karin Leukefeld *

Setzt die NATO-Kriegskoalition im Luftkrieg gegen Libyen Waffen mit abgereicherter Uranmunition (DU) ein? Mitte April erklärte die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Uranwaffen (ICBUW), es gebe „keine belastbaren Beweise dafür, dass DU in Cruise Missile“ der Marke Tomahawk vorhanden sei, die in großen Mengen in Libyen zum Einsatz kommen. Man wisse, dass eine Reihe von Kampfflugzeugen und -schiffen, die derzeit im Krieg gegen den libyschen Machthaber Muammar Gaddafi eingesetzt werden, DU-Waffen tragen könnten. Ob sie auch abgefeuert würden, sei deswegen unklar, weil London und Washington Angaben zu den eingesetzten Waffen verweigern. Mit anderen Worten, der Einsatz von DU-Waffen in Libyen ist nicht ausgeschlossen.

Dass er sogar sehr wahrscheinlich ist, zeigt die Antwort des britischen Verteidigungsministers Liam Fox auf eine entsprechende Anfrage des schottischen Abgeordneten Bill Wilson (Februar 2011). Es sei weiterhin Politik der Regierung, dass DU in Waffen eingesetzt werden könne, so Fox. DU sei „nicht verboten“, die britischen Truppen setzten DU-Munition „gemäß des internationalen humanitären Rechts“ ein. Es wäre sogar „ein Fehler“, wenn die britische Regierung ihren Soldaten diese „legitime Möglichkeit vorenthalten würde, die ihnen den best möglichen Schutz während einer bewaffneten Auseinandersetzung bietet.“

Radioaktiver Staub - eine Zeitbombe

Waffen mit abgereicherten Uran (Depleted Uranium -DU) kamen in den Kriegen in Jugoslawien (12.700 kg), Irak (1991: 290.300 kg, 2003: mindestens 140.000 kg) und Afghanistan in großen Mengen zum Einsatz. Raketen, die einen uranhaltigen Sprengkopf tragen, werden gegen Panzer oder Bunker eingesetzt. Sie entwickeln bei der Explosion einen feinen radioaktiven Staub, der sich in Luft, Boden und Wasser auflöst und eingeatmet bzw. über die Nahrungskette aufgenommen wird. Die Langzeitfolgen zeigen sich 5 bis 6 Jahre nach der Explosion: Missbildungen und schwere Schädigungen bei Neugeborenen, ein deutlicher Anstieg von Krebserkrankungen, genetische Veränderungen und Knochenerkrankungen. Wer einmal radioaktiven Staub eingeatmet hat, behält ihn in seiner Lunge. Abgereichertes Uran hat eine Halbwertzeit von 4 Milliarden Jahren. Sollten also die Regierungen der USA und Großbritanniens weiterhin keine Auskunft über die Art der Waffen geben, die in Libyen zum Einsatz kommen, werden die Folgen spätestens nach fünf Jahren zu sehen sein, sofern sie veröffentlicht werden.

Öffentliche Vertuschung und Desinteresse

Das Interesse von Politik und Medien an den Folgen von Uranmunition und Uranhaltigen Waffen ist gering. Die frühere irakische Umweltministerin hatte Untersuchungen und Kompensationen für Umwelt- und Gesundheitsschäden aufgrund von Militäraktionen und deren Hinterlassenschaften gefordert, wurde aber von der eigenen Regierung nie unterstützt. Die USA und Großbritannien weichen Fragen aus und ignorieren Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen DU-Munition und schweren Erkrankungen herstellen. Sie haben Angst, eines Tages finanziell und moralisch für die Folgen aufkommen zu müssen. Medien interessieren sich nicht für die Folgen der Kriege, über die sie zuvor berichteten. Und die Weltgesundheitsbehörde (WHO) kommt ihrer Verpflichtung zu unabhängigen Untersuchungen in Sachen DU nicht nach. Nach dem massiven Einsatz von DU-Waffen im Irakkrieg 1991 verwiesen sie auf Geldmangel. Ein Bericht, der von irakischem WHO-Personal in Bagdad Ende der 1990iger Jahre erstellt worden war, verschwand im Giftschrank. Zuvor hatten irakische Ärzte auf den dramatischen Anstieg oben genannter Krankheitsbilder bei Kindern und Erwachsenen in südirakischen Provinzen um Basra hingewiesen. Im Westen wurden die Berichte als „Propaganda des Diktators Saddam Hussein“ abgetan. Ärzte, wie der deutsche Epidemiologe Siegwart-Horst Günther wurden nicht ernst genommen. Günther wurde sogar strafrechtlich verfolgt, nachdem er Beweise aus dem Irak mit nach Deutschland gebracht hatte. Betroffene Ärzte, Eltern und Kinder wurden allein gelassen.

Und das, obwohl schon im April 1991, also unmittelbar nach dem internationalen Waffengang zur Vertreibung irakischer Truppen aus Kuwait, die britische Atomenergiebehörde auf mögliche Probleme von radioaktivem Staub aufmerksam gemacht hatte, der sich von Kriegsschauplätzen in die Nahrungskette und ins Grundwasser ausbreiten könne. 40 Tonnen radioaktiver Schrott könne mehr als 500.000 Todesopfer fordern, so die Behörde. Nach dem Golfkrieg 1991 blieben 300 Tonnen radioaktiver Schrott zurück, mindestens 350 Ziele im Irak waren mit DU-Waffen bombardiert, also radioaktiv verseucht worden. Bis zu 7000 neue Krebserkrankungsfälle pro Jahr werden im Irak registriert. 67 Prozent derjenigen, die zum Zeitpunkt des Krieges militärisch eingesetzt waren, brachten später Kinder zur Welt, die bei der Geburt Missbildungen aufwiesen oder Krebs.

90.000 US-Soldaten mit Golfkriegssyndrom

DU-Waffen sind radioaktiv. Sie lösen schwere gesundheitliche Schäden aus und verseuchen die Natur. Dennoch weigern sich sowohl die USA, als auch Großbritannien und Deutschland einem Verbot zuzustimmen. 90.000 US-Soldaten mit Golfkriegssyndrom leiden an Krebs oder anderen Krankheiten, die Behinderungen nach sich ziehen, dennoch erklärte im März 2010 ein Pentagonsprecher gegenüber der britischen BBC, ein Zusammenhang zwischen Missbildungen oder anderen Krankheiten und US-Militäraktionen sei nicht erwiesen. Die Bundesregierung erklärte erst kürzlich in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen Bundestagsabgeordneten (Malczak, Ströbele, Beck, Bundestagsdrucksache 17/3281), der Aufruf des EU-Parlaments (2008) nach einem Moratorium dieser Waffen werde nicht unterstützt, weil gesundheitsschädliche Auswirkungen der Waffen nicht erwiesen seien.

Horrorberichte aus Falludja

Im Oktober 2009 wandten sich erneut irakische Ärzte mit Horrorberichten an die Vereinten Nationen. Dieses Mal kam der Hilferuf aus der westlich von Bagdad gelegenen Stadt Falluja, die im Jahr 2004 zwei Mal Ziel massiver Angriffe der US- und irakischen Armeen. Bei beiden Angriffen wurde auch weißer Phosphor eingesetzt. Erst vor wenigen Wochen gab die US-Regierung drängenden Fragen nach und erklärte, die von ihr eingesetzten Waffen bei der Belagerung von Falluja (Oktober/November) seien keine Uranwaffen gewesen. Über die Art der Waffen, die bei der Belagerung im April 2004 (Operation Vigilant Resolve) eingesetzt worden waren, man habe keine Unterlagen (mehr).

Aus den Berichten der Ärzte aus Falluja (9/2009) geht hervor, dass 24 Prozent der 170 Neugeborenen die ersten 7 Tage nicht überlebten. 75 Prozent von ihnen hätten schwere Missbildungen aufgewiesen. „Junge Frauen haben Angst Kinder zu bekommen, weil Babies mit grotesken Missbildungen geboren werden, ohne Kopf, mit zwei Köpfen oder einem Auge auf der Stirn (…)“, hieß es in dem Schreiben. Der engagierte Molekularbiologe, Professor Chris Busby von der Universität Ulster (Irland), der seit Jahren zu den Folgen radioaktiver Strahlung auf Umwelt und Gesundheit arbeitet, ging den Berichten nach. Das Ergebnis ist in der Studie „Krebs, Kindersterblichkeit und Geburtenänderung im Geschlechterverhältnis“ nachzulesen, die Anfang 2010 veröffentlicht wurde. [Siehe Hinweis am Ende des Artikels.]

Busby stellte mit seinen Mitautoren Malak Hamdan und Entesar Ariabi einen Fragebogen, der an 711 Haushalte verteilt wurde. Die „alarmierenden Ergebnisse“ ließen Rückschlüsse darauf zu, dass die Bevölkerung während der Militäroffensive der US-Armee 2004 einer massiven Menge erbgutschädigender Stoffe ausgesetzt gewesen sein müsse, schlussfolgert Busby. „Wir müssen dringend herausfinden, was das war.“ Viele vermuteten Uran „doch ohne weitere Untersuchungen und eine unabhängige Analyse von Proben aus dem Gebiet können wir nicht sicher sein.“ Die hat bis heute nicht stattgefunden.

60 Prozent der Haushalte, 4843 Personen, hatten die Fragen beantwortet. Vergleichsdaten aus dem Register über Krebserkrankungen im Mittleren Osten (MECC 1999) wurden den Ergebnissen gegenübergestellt und Daten aus Jordanien aus den Jahren 1996-2001. Zusammengefasst fanden die Wissenschaftler folgendes heraus: Seit Januar 2005 vervierfachten sich die Krebserkrankungen in Falluja, die Rate ist 38 mal höher als in Ägypten, Jordanien und Kuwait. Festgestellt wurde ein erhöhtes Krebsrisiko für Leukämie (Blutkrebs) aller Altersgruppen, gefolgt von Krebs der Lymphgefäße, Brustkrebs bei Frauen, Hirntumore. Die Kindersterblichkeit im Januar und Februar 2010 wurde mit 34 Säuglingen angegeben, die nicht älter als ein Jahr wurden. Die Todesrate bei Neugeboren lag bei 80/1000. Zum Vergleich: 19,8/1000 Totgeburten in Ägypten, 17/1000 in Jordanien, 9,7/1000 in Kuwait.

Genetische Schäden wie in Hiroshima

Anormal zeigte sich das Geburtenverhältnis von Jungen und Mädchen bis zu 4 Jahren. Normalerweise ist das Verhältnis in dieser Altersgruppe 1050 Jungen zu 1000 Mädchen. In Falluja lag das Verhältnis bei 860 Jungen zu 1000 Mädchen. Als Grund nehmen die Wissenschaftler Stress durch genetische Störung an, was gestützt wird von der hohen Anzahl von Missbildungen. Männliche Embryos überleben den durch genetische Störung ausgelösten Stress weniger oft als weibliche Embryos, die mit Missbildungen reagieren. Die Veränderungen sind vergleichbar mit denen, die bei Neugeborenen in Hiroshima nach 1945 gefunden wurden. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass die Einwohner von Falluja mit einer vergleichweise höheren Rate an Krebs, Leukämie, Kindersterblichkeit und Missbildungen konfrontiert sind, als es bei den Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki in den Jahren nach dem Atombombenabwurf der Amerikaner im August 1945 dokumentiert wurde.

Die Studie (Cancer, Child Mortality and Birth Sex-Ratio in Falluja, Iraq 2005-2009) wurde in der Juliausgabe (2010) des International Journal of Environmental Research and Public Health (www.mdpi.com/journal/ijerph) veröffentlicht.

* Karin Leukefeld, Jornalistin, Bonn und Damaskus.


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 3, Mai 2011, S. 11-12.

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