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Russland hilft der NATO aus der Bredouille

Mazedonisches Parlament beugt sich dem Druck - die NATO kann bleiben

Während am 6. September in Skopje das Parlament über den verfassungsrechtlichen Teil der Umsetzung des Friedensabkommens vom 13. August beriet, trafen am selben Tag Vertreter Russlands, der USA, der Europäischen Union und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zusammen, um ebenfalls über das weitere Schicksal Mazedoniens zu beraten. Mit dem Ergebnis beider Beratungen konnte zunächst nur die NATO zufrieden sein: Sie darf ihren Ernteeinsatz fortsetzen.

Seit ein paar Tagen war dies nämlich nicht mehr so sicher gewesen, nachdem das mazedonische Parlament nicht bereit war, die im Abkommen vom 13. August ausgehandelten Schritte zu einer Verfassungsänderung zu gehen, solange die UCK mazedonischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat verwehrte. In der hiesigen Presse las sich das schon wie die Aufkündigung des Abkommens durch "radikale mazedonische Nationalisten" und "Hardliner". Während die UCK-Terroristen über Nacht von bad guys zu good guys mutierten, weil sie so brav die erste Rate an Waffen abgegeben hatten, wurde ein diplomatisches und mediales Sperrfeuer auf das Parlament in Skopje eröffnet. Westliche Politiker gaben sich die Klinke in die Hand und bedrängten den mazedonischen Präsidenten und die Fraktionsführer der Regierungsparteien, nun endlich ihren eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen.

Medienschwenk

Die mediale Zurichtung des Konflikts gab schon einen leichten Vorgeschmack auf das, was noch kommen mag, wenn die Mission der NATO nicht nach den Wünschen ihrer Protagonisten verlaufen sollte. Rechtzeitig war auch die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zur Stelle. Am 5. September präsentierte sie in einer Pressekonferenz eine Anklage gegen den mazedonischen Innenminister Ljube Boskovski. Er trage die Verantwortung für eine Razzia Anfang August in einem Dorf nördlich von Skopje, bei der albanische Zivilisten "willkürlich misshandelt" und getötet worden seien. Der Innenminister sei zeitweise persönlich dabei gewesen. Die Regierung in Skopje hatte die Vorfälle vom 10. bis 12. August als Aktion gegen einen Unterschlupf der albanischen UCK-Kämpfer dargestellt und die Opfer allesamt als Terroristen bezeichnet. Human Rights Watch behauptet nun, dass es für die Aktion keinerlei militärische Rechtfertigung gegeben habe. Vielmehr habe es sich um eine Racheaktion gehandelt. Wenige Tage zuvor waren acht mazedonische Soldaten getötet worden, als in der Nähe des Dorfes ein Militärkonvoi auf eine Mine gefahren war. Die Frankfurter Rundschau präsentierte die Geschichte in ihrer Ausgabe vom 6. September mit dem Hinweis darauf, dass Boskovski "als Hardliner im mazedonischen Lager und Gegner des Friedensabkommens" gelte. Carla Del Ponte vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, dem die Klage von Human Rights Watch zur Prüfung zugeleitet wurde, kann für alle Fälle schon einmal eine Akte anlegen.

Nun soll gar nicht bestritten werden, dass massive Menschenrechtsverletzungen auch von den mazedonischen Sicherheitskräften bei ihrem Vorgehen gegen die UCK begangen wurden. Interessant ist nur der Zeitpunkt, zu dem diese immerhin einen Monat zurück liegende Geschichte der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Die Gegner des Friedensabkommens, die Gegner des NATO-Einsatzes geraten ins Visier westlicher Medien. Längst wird der künftige böse Bube auf dem südlichen Balkan vorsorglich schon als "slawo-mazedonische" Bevölkerung identifiziert, ein Begriff, der natürlich Assoziationen an das schröckliche "Slawentum" wecken soll. ("Slawo-mazedonisch" ist in Bezug auf Mazedonien ungefähr so blödsinnig bzw. diskriminierend wie "germanisch-deutsch" in Bezug auf Deutschland!) Politik und Medien bauen einem Scheitern der NATO-Mission vor, indem sie den Schwarzen Peter der mazedonischen Regierung ("Hardlinern") zuspielen und gleichzeitig Überlegungen anstellen, wie sie ihren Einsatz verlängern und mit "robusten" Elementen anreichern können. In Berlin werden laut Agenturmeldungen vom 5. und 6. September Konzepte sondiert, die auf eine bis zu einem Jahr dauerende "Begleitoperation für die zivile Normalisierung" hinauslaufen würden. Als Speerspitze solcher Gedankenspiele betätigt sich die immer noch verhinderte Staatssekretärin und ehemalige "Pazifistin" und derzeitige verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen, Angelika Beer. Dazu wünscht sich Berlin nichts sehnlicher als ein UN-Mandat, weil sich das einfach besser vrekaufen lässt, aber wie wir nun schon zum zweiten Mal (das erste Mal war der NATO-Krieg gegen Jugoslawien) gesehen haben, geht es notfalls auch ohne.

Verschiedene Konzepte

Vorsorge für die Zeit nach den ominösen 30 Tagen wollen auch Frankreich und Deutschland treffen. Am 5. September sagte Bundeskanzler Schröder in Berlin nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und Ministerpräsident Lionel Jospin, beide Länder hätten miteinander abgesprochen, "dass wir auch das, was folgen wird und folgen muss, in sehr enger Abstimmung vereinbaren werden". (Spiegel-Online, 06.09.2001) Etwas anders klangen die Nachrichten von einem Treffen, das überraschend am 6. September in Moskau stattfand. Gemeinsam mit dem Mazedonien-Beauftragten Francois Léotard (EU), dem US-Sonderbeauftragten James Pardew und dem OSZE-Vertreter Max van der Stoel hatte der russische Außenminister Iwanow die Krise in Mazedonien erörtert. Ziel der Unterredung war, Russland in das weitere Vorgehen der internationalen Gemeinschaft am Balkan stärker einzubeziehen. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass bei diesem Trefen kein Vertreter der NATO dabei war.

Die Gesprächspartner einigte sich darauf, dass nach Ende der "Wesentlichen Ernte" die internationale Gemeinschaft in Mazedonien mit zivilen Beobachtern weiterhin präsent sein wird. Auch Russland werde sich daran beteiligen, erklärte James Pardew. "Moskau ist mit einer internationalen Präsenz in Mazedonien nach Ablauf des NATO-Mandats Ende September einverstanden", sagte Pardew. "Es werden aber keine militärischen, sondern zivile Beobachter sein." Die "konkreten Strukturen" der internationalen Präsenz in Mazedonien seien jedoch noch nicht abgesprochen worden. Das russische Außenministerium legte Wert auf die Feststellung, dass bei den Bemühungen um eine Beilegung der Krise in Mazedonien der politische Weg "absolute Priorität" haben müsse. Außenminister Igor Iwanow forderte "energische gemeinsame Schritte", um jede Änderung der Grenzen auf dem Balkan zu verhindern. "Vor allem aber muss der Zerfall Mazedoniens verhindert werden." (Süddeutsche Zeitung-online, 06.09.2001)

Inwieweit diese Interpretation der Ergebnisse der Moskauer Gespräche deckungsgleich mit den Interpretationen der anderen Teilnehmer ist, wird sich noch zeigen müssen. Die Einbindung Russlands in den mazedonischen Friedensprozess hätte es aber auch leichter geben können: Wenn die NATO nicht auf ein eigenes Mandat erpicht gewesen wäre, sondern rechtzeitig auf die Vereinten Nationen und ihren Sicherheitsrat gesetzt hätte. Der Verdacht, hier habe die NATO mit Bedacht die VN aus dem Spiel gelassen, um sich selbst als allein handlungsfähig auch in ureigenen VN-Angelegenheiten darzustellen, liegt auf der Hand. Weiter gehende geostrategische oder ökonomische Absichten, wie sie etwa Michel Chossudovsky insbesondere den USA unterstellt (vgl. "Die USA auf Kriegspfad in Mazedonien" ), wollen wir hier gar nicht erwähnen.

Russland im Boot - Folgt der NATO die OSZE?

Auf jeden Fall haben die Moskauer Gespräche auch das Parlament in Skopje stark beeinflusst. Am Nachmittag des 6. September stimmten überraschend 91 der insgesamt 116 Abgeordneten für die Verfassungsreformen und damit für eine Fortsetzung der NATO-Mission "Wesentliche Ernte". Lediglich 19 Abgeordnete stimmten in der ersten Runde gegen eine Erweiterung der Verfassung. Zwei Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Damit halfen Moskau und das Parlament in Skopje der NATO aus der Bredouille. Hätte die NATO doch bei einem Scheitern des Plans unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. So aber kann sie bis Ende September in Mazedonien bleiben und der staunenden Weltöffentlichkeit zeigen, wie sich die größte Militärmaschine der Welt beim Waffeneinsammeln anstellt. Sollte danach tatsächlich die OSZE mit einem zivilen Mandat auf den Plan treten, wird die NATO dies als ihren Erfolg hinzustellen wissen. Geht der Plan aber schief - was eher wahrscheinlich ist, weil die UCK weiter hochgerüstet bleibt und ihre territorialen Ansprüche nicht aufgibt - so kann die NATO jederzeit mit einem robusteren (Selbst-)Mandat wieder die mazedonische Bühne betreten. Dann wäre abermals der Beweis erbracht, dass die OSZE, eine regionale Organisation der Vereinten Nationen, zur Konfliktprävention eben nicht tauge!

Also: Keine Entwarnung! Weder für die Friedensbewegung noch für die Bundestagsabgeordneten, deren gute Gründe gegen den NATO- und Bundeswehreinsatz gültig bleiben.

Pst

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