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Grüne: Krieg ist Not-OP
Bundestag kommandiert deutsche Soldaten zur Intervention in Mali ab. Abgeordnete Müller schwärmt von "Europäisierung der Afrikapolitik". Linke gegen Beteiligung
Von Rüdiger Göbel *
Der Bundestag hat die deutsche Beteiligung an der Militärintervention im westafrikanischen Mali ausgeweitet. Gegen die Stimmen der Linksfraktion beschloß das Parlament am Donnerstag in Berlin die Entsendung von bis zu 330 Soldaten. 180 von ihnen sollen im Rahmen einer »EU-Trainingsmission« die malische Armee ausbilden. 150 Soldaten sollen die Franzosen logistisch unterstützen.
Dem Mandat für eine deutsche Beteiligung an der EU-geführten Militärausbildung stimmten 496 Abgeordnete zu, bei 67 Gegenstimmen und vier Enthaltungen. Für die Ausweitung der Truppentransportflüge nach Mali sowie eine künftige Luftbetankung französischer Kampfjets votierten 492 Abgeordnete bei 66 Gegenstimmen und acht Enthaltungen.
Politiker sowohl von Koalition wie der Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen verteidigten den nunmehr neunten Auslandseinsatz der Bundeswehr. Der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner behauptete, daß die Lage in Mali »auch unsere deutschen Sicherheitsinteressen nachhaltig beeinflußt«. Es bestehe weiterhin die Gefahr, daß sich in dem westafrikanischen Land »terroristische Kräfte breitmachen«. Der CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhoff äußerte, die Mali-Mission könne »die Voraussetzung dafür sein, daß ein politischer Prozeß wieder möglich ist«. Weil sich die Auslandseinsätze mittlerweile häufen, fordere er endlich auch »rasch verlegbare EU-Kampftruppen«. SPD-Außenexperte Gernot Erler verwies darauf, daß die Entsendung von UN-Resolutionen gedeckt sei und damit »auf einer einwandfreien völkerrechtlichen Grundlage« stehe. Die Lage im Rückzugsgebiet der islamistischen Kräfte im Norden Malis sei weiterhin »bedrohlich«.
Am kreativsten bei der Begründung des Kriegseinsatzes waren wieder einmal die Grünen. Deren Abgeordnete Kerstin Müller verteidigte ihn als »Notoperation, um Schlimmeres zu verhindern«. Ihre Partei sei der Meinung, daß Frankreich mit seiner Intervention »im Grundsatz richtig gehandelt« habe. Islamistische Rebellengruppen hätten im Norden des Landes bereits ein Schreckensregime errichtet und seien auf dem Vormarsch gewesen. »In Mali drohte ein Staatszerfall«, der nun abgewendet worden sei, diagnostizierte sie. Deshalb sei es auch richtig, »daß die Franzosen unsere Unterstützung haben«. Darüber hinaus sei es »in unserem außen- und sicherheitspolitischen Interesse«, die »Afrikapolitik generell zu europäisieren«.
Als einzige Fraktion stimmte Die Linke gegen die Bundeswehrentsendung. »Mali hat viele Probleme, aber keines davon ist militärisch zu lösen«, betonte deren Abgeordnete Christine Buchholz. [Siehe ihre Rede weiter unten.) Terrorismus lasse sich nicht mit einem Kriegseinsatz bekämpfen. Mit den gleichen Argumenten wie heute im Zusammenhang mit Mali sei der Afghanistan-Einsatz 2001 begründet worden. Das Ergebnis am Hindukusch: Durch die westliche Militärintervention wurde erst der Nährboden für Terrorismus geschaffen. Al-Qaida habe sich immer weiter ausgebreitet, im Irak, im Jemen, in der Sahelzone. »Krieg erzeugt Terror«, so Buchholz. Scharf wies die Linke-Politikerin den Interventionseuphemismus der Grünen zurück: »Krieg ist kein chirurgischer Eingriff.« Wenn die französische Regierung sich weigere, Angaben über die Zahl der Opfer zu machen, heiße das nicht, daß es keine Toten und Verletzten gebe, so Buchholz. Beim Militäreinsatz Frankreichs gehe es »um die Absicherung wirtschaftlicher und strategischer Interessen«.
* Aus: junge Welt, Freitag, 1. März 2013
Mandate für Bundeswehreinsatz in Mali erteilt
Die Mitteilung auf der Bundestags-Seite (www.bundestag.de)
Der Bundestag hat am 28. Februar zwei Mandate für einen Einsatz von bewaffneten Streitkräften der Bundeswehr in Mali erteilt. In namentlicher Abstimmung votierten 496 Abgeordnete auf Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses (17/12520) für den Antrag der Bundesregierung (17/12367), bis Ende Februar 2014 bis zu 180 Soldatinnen und Soldaten in das westafrikanisch Land zu schicken, um sich an der EU-geführten militärischen Ausbildungsmission EUTM Mali zu beteiligen. Die Bundeswehr übernimmt dabei die Pionierausbildung der malischen Armee. 67 Abgeordnete stimmten dagegen, vier enthielten sich. Dem zweiten Antrag der Bundesregierung (17/12368) stimmten auf Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses (17/12522) 492 Abgeordnete zu, 66 lehnten ihn ab, acht enthielten sich. Damit können bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten bis Ende Februar 2014 die Internationale Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung (AFISMA) unterstützen. Die Bundeswehr wird die bisherige Lufttransportunterstützung zur Verlegung von AFISMA-Truppenteilen nach Mali und innerhalb Malis fortsetzen und die französischen Streitkräfte mit der Betankung von Kampfflugzeugen in der Luft unterstützen. Ziel ist es, die unter der Kontrolle terroristischer Gruppen stehenden Gebiete im Norden Malis unter staatliche Kontrolle zu bringen und die Bedrohung durch terroristische Organisationen in Mali zu verringern. Bei Enthaltung der SPD und gegen das Votum von Linken und Grünen fand ein Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (17/12543) keine Mehrheit, wonach sich die Bundesregierung unter anderem gegenüber Saudi-Arabien und Katar dafür einsetzen sollte, die Unterstützung dschihadistischer Gruppen im Norden Malis zu unterlassen.
Die Debatte zur ersten Lesung fand eine Woche zuvor statt. Sie ist hier vollständig dokumentiert: Reden im Wortlaut
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um denBall von Herrn Schockenhoff aufzunehmen: Ich glaube,
wir brauchen keine Generaldebatte über die Kriegspolitik der Bundesregierung, sondern wir brauchen eine Generaldebatte darüber, wie wir die wirtschaftlichen und sozialen Probleme und die extremen Probleme, die der
Waffenhandel in dieser Welt verursacht, lösen können.
So eine Debatte würden wir
gerne führen, aber nicht eine
Debatte über die Durchsetzung der wirtschaftlichen,
strategischen und militärischen Interessen Deutschlands
mithilfe der Bundeswehr.
(Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll
[CDU/CSU]: Unverschämt!)
Die Bundesregierung will die Bundeswehr als Unterstützungstruppe in den Krieg nach Mali entsenden, zum
einen, um Soldaten in das Kriegsgebiet zu transportieren, zum anderen, um malische Soldaten für den Kampf
auszubilden. Genau genommen beteiligt sie sich schon
jetzt am Krieg in Mali; denn seit Wochen transportieren
deutsche Transall-Maschinen westafrikanische Kampftruppen nach Mali. Das hat die Linke von Anfang an kritisiert. Sie wird auch die vorliegenden Mandate heute ablehnen.
(Beifall bei der LINKEN – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Freiheit für die Taliban!)
Angeblich geht es um Terrorbekämpfung. Doch die
islamistischen Rebellen haben sich in die Berge und in
benachbarte Länder zurückgezogen. Das Problem hat
sich also nur verlagert.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich sage Ihnen: Terrorismus lässt sich nie mit Krieg bekämpfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Schauen Sie nach Afghanistan: Mit genau demselben
Argument haben Sie die Bundeswehr vor mehr als elf
Jahren an den Hindukusch geschickt. Und was ist das
Ergebnis? Sie haben den Nährboden für neuen Terrorismus geschaffen. Al-Qaida hat sich in immer neuen Ländern ausgebreitet, verbreitet nun auch Terror im Irak, im Jemen und in der Sahara. Das zeigt doch: Ihr Krieg erzeugt immer neuen Terror. Diese Logik muss ein Ende
haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Die französische Intervention wird von Ihnen als Notoperation bezeichnet. Nein, dieser Militäreinsatz ist kein
chirurgischer Eingriff, wie Sie mit dieser Wortwahl unterstellen. Das ist ein Krieg. Nur weil der französische
Kriegsminister Le Drian sich weigert, die Zahlen der Opfer des Feldzuges zu nennen, heißt das noch lange
nicht, dass es keine Opfer gibt.
Der Krieg in Mali ist auch ein Propagandakrieg. Warum erwähnt eigentlich keine der anderen Fraktionen
hier im Bundestag, dass die französische Armee die Pressefreiheit unterbindet? Offenbar will sie keine Bilder über die wahre Situation. „Reporter ohne Grenzen“ beklagten Ende Januar einen – ich zitiere – „medialen
Blackout“, der den Korrespondenten vom französischen
und malischen Militär aufgezwungen werde.
Auch der Bundesregierung liegen, wie sie uns schriftlich mitgeteilt hat, keine eigenen Erkenntnisse über die
Opfer infolge der französischen Luftangriffe vor. Es
kann doch nicht angehen, dass der Bundestag nun beschließt, ohne jegliche Kenntnis über ihre Auswirkungen
genau diese Luftangriffe zu unterstützen. Das ist unverantwortlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Sprechen wir auch darüber, dass dieser Militäreinsatz
die ethnischen Spannungen in Mali massiv verschärft hat.
Fast alle Tuareg und Araber sind aus Angst vor der malischen Armee aus Timbuktu geflohen. Ihre Geschäfte
wurden geplündert, ohne dass das Militär eingriff. Stattdessen melden Menschenrechtsorganisationen ein Mas-
sengrab von Hingerichteten.
Der Krieg verhindert zivile Versöhnungsinitiativen. Ein für Januar geplanter Marsch von Bürgerrechtsorganisationen, der auf den Dialog zwischen den Ethnien abzielte, wurde von der französischen Armee verboten. Es kann nicht angehen, dass Sie die Bundeswehr zum Komplizen dieser Eskalationslogik machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, bei dem Militäreinsatz Frankreichs geht es nicht um die Beseitigung menschlichen Elends. Es geht um die Absicherung strategischer und wirtschaftlicher Interessen. Wenn Sie mir das nicht
glauben, dann lesen Sie das Unternehmerblatt Wirtschaftswoche. Ich zitiere die Ausgabe vom 14. Januar
2013:
Tief im Herzen Afrikas will Frankreichs Staatspräsident Hollande die Versorgung seines Landes mit
dem Atomkraftbrennstoff Uran sichern.
Den Krieg „mit Sicherheitsinteressen zu begründen“, sei – ich zitiere weiter – „zynisch“. Das ist die unverblümte
Sprache der Wirtschaftswoche. Dem brauche ich nichts hinzuzufügen.
(Beifall bei der LINKEN)
Klar ist: Die Bundesregierung möchte bei den Kriegen der Zukunft offenbar nicht nachstehen. Die Worte
von Herrn Stinner und Herrn Schockenhoff sind nur in diese Richtung zu verstehen. Das ist ein Grund für ihr
Engagement in Mali.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber eine
Grenze erreicht!)
Ich sage: Es kann nicht angehen, dass wir einen Krieg
unterstützen, der für die Rohstoffinteressen der europäischen Staaten und die Interessen von Bergbauunternehmen oder Atomkonzernen geführt wird. Da wird die Linke nicht mitmachen.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber nun zur malischen Armee selbst. Angeblich soll
die Mission Abhilfe schaffen und die malische Armee
ausgebildet werden. Aber seien Sie doch ehrlich: Genau
die gleichen Ausbildungsprogramme seitens der Bundeswehr und der US-Armee liefen doch vor dem Putsch
im März 2012 über Jahre – offenbar ohne Erfolg. Nun haben sich malische Truppen in Bamako auch noch gegenseitig beschossen.
Bisher haben Sie die Frage nicht beantwortet, welchen Teil der malischen Armee Sie nun eigentlich ausbilden wollen. Zur Wahrheit gehört: In dem Moment, in dem Sie sich endlich dieser Frage gestellt haben, droht
die Bundeswehr als Konfliktpartei im innermalischen
Machtkampf angesehen zu werden. Das wissen Sie ganz
genau. Auch deshalb kommen in der EU-Mission auf
200 Ausbilder auch 250 Kampfsoldaten zur Absicherung.
Mali hat viele Probleme; aber keines davon ist militärisch zu lösen. Das zeigen die aktuellsten Zahlen: Allein
die französische Militäroperation hat bisher 100 Millionen Euro verschlungen. Doch von den 285 Millionen
Euro, die für die notleidenden Menschen in Mali laut UN-Angaben benötigt werden, sind gerade einmal
13 Millionen Euro angekommen. Es zeigt sich wieder einmal: Sobald Militär im Spiel ist, wird das Zivile verdrängt. Dem werden wir uns widersetzen.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie machen Sie das?)
Herr de Maizière, Herr Westerwelle, Sie können uns nicht sagen, was für Folgen der Krieg hat, den Sie unterstützen. Sie können uns nicht sagen, welche neuen Bedrohungen entstehen und welches Risiko für die entsandten Soldaten Sie in Kauf nehmen. Sie können nicht
einmal sagen, wie lange der Einsatz wirklich dauern wird.
Wir werden nicht einem weiteren Mandat für ein militärisches Abenteuer zustimmen. Terrorismus lässt sich
nicht mit Krieg bekämpfen. Krieg ist selber Terror.
(Beifall bei der LINKEN)
* Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 225. SitzungBerlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (Plenarprotokoll 17/225)