Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

EU beginnt neuen Krieg

UN-Sicherheitsrat stimmt französischem Antrag auf Vorbereitung einer Militärintervention in Mali zu. Berlin will Offiziere entsenden

Von Knut Mellenthin *

Die NATO schiebt ihre nächste Militärintervention an. Ziel ist diesmal Mali in Nordwestafrika. Die deutsche Bundesregierung steht einer Beteiligung offen gegenüber, wie Diplomaten am Donnerstag durchsickern ließen. Möglicherweise werden die Außenminister der Europäischen Union schon am heutigen Montag die Entsendung von mehreren Hundert Ausbildern und Beratern in das südlich von Algerien gelegene muslimische Land beschließen, das etwa doppelt so groß ist wie Frankreich, aber nur 15 Millionen Einwohner hat.

Die Aufgabe der EU-Mission soll darin bestehen, Malis Streitkräfte für die Rückeroberung der von Islamisten kontrollierten nördlichen Landeshälfte fit zu machen und sie dabei auch logistisch zu unterstützen. Direkt in die Kämpfe eingreifen sollen die Europäer angeblich nicht. Die Bundeswehr wird sich voraussichtlich mit einigen Dutzend Offizieren beteiligen. Offiziell sollen sie »unbewaffnet« sein. Das erspart der Regierung in Berlin nach ihrem eigenen – unter Juristen keineswegs unumstrittenen – Rechtsverständnis, den Bundestag um seine Zustimmung zu bitten.

Seit Freitag ist die geplante europäische Mission auch durch einen UN-Beschluß gedeckt. Der Sicherheitsrat verabschiedete einstimmig die von Frankreich eingebrachte Resolution 2071, die den Kampfeinsatz einer internationalen »Friedenstruppe« in Mali zwar noch nicht förmlich billigt, aber ihm praktisch doch schon den Weg öffnet. Die aus 15 Ländern bestehende westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS drängt schon seit Monaten darauf, ein zunächst 3300 Soldaten umfassendes Kontingent nach Mali zu schicken. Wie schon ihr Name, »Economic Community of West African States« sagt, wurde die Organisation 1975 eigentlich gegründet, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region zu fördern. Vor allem unter dem Einfluß ihres bei weitem stärksten Mitglieds, Nigeria, hat sich die ECOWAS mittlerweile aber zum Spezialisten für Militärinterventionen entwickelt. Die malische Regierung, die aus einer instabilen Koalition zwischen Zivilpolitikern und Militärs besteht, hatte sich einem direkten ausländischen Eingreifen monatelang widersetzt, ihm aber unter dem Druck der ECOWAS schließlich Anfang September ihre Zustimmung erteilt.

Mit der Resolution 2071 fordert der Sicherheitsrat UN-Generalsekretär Ban Ki Mun offiziell auf, innerhalb von 45 Tagen in Zusammenarbeit mit der ECOWAS und der Afrikanischen Union, dem Dachverband der Staaten des Kontinents, einen schriftlichen Plan für die Entsendung einer Interventionstruppe vorzulegen. Über diesen Bericht muß der Rat dann erneut beraten, bevor der Einsatz der Truppe beginnen kann. Es wird daher davon ausgegangen, daß das im laufenden Jahr nicht mehr geschehen wird. Gleichzeitig werden mit der Resolution alle UN-Mitgliedstaaten aufgerufen, so schnell wie möglich die malischen Streitkräfte durch Beratung, Ausbildung und die Lieferung von Ausrüstung zu befähigen, »die Staatsautorität auf dem gesamten nationalen Territorium wiederherzustellen«.

Seit dem Frühjahr wird der Norden Malis von verschiedenen fundamentalistischen Organisationen kontrolliert. Diese Entwicklung ist eine direkte Folge der Überschwemmung Nordwestafrikas mit Waffen aus libyschen Beständen infolge der dortigen NATO-Intervention im vorigen Jahr.

* Aus: junge Welt, Montag, 15. Oktober 2012

Die jüngsten Mali-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats:

"... fordert die EU auf, den Sicherheitskräften Malis koordinierte Hilfe bereitzustellen ..."
Resolution 2071 des UN-Sicherheitsrats vom 12. Oktober 2012
"... in tiefer Besorgnis über die erhöhte terroristische Bedrohung im Norden Malis und in der Region ..."
Resolution 2056 des UN-Sicherheitsrats vom 5. Juli 2012



EU plant Militäreinsatz in Mali

Außenminister verschärfen Sanktionen gegen Iran und Syrien

Von Olaf Standke **


Die 27 EU-Außenminister haben am Montag in Luxemburg eine Militärmission der Europäischen Union für das westafrikanische Mali beschlossen.

Erstmals steht der Kommission der Afrikanischen Union (AU) eine Frau vor. Bei ihrer Amtseinführung am Montag nannte die Südafrikanerin Nkosazana Dlamini-Zuma den Konflikt in Mali eine potenzielle Bedrohung für die ganze Region. Seit einem Putsch im März kontrollieren schwer bewaffneten islamistischen Gruppen den Norden des Vielvölkerstaats - was nicht zuletzt eine Folge des von der NATO initiierten Libyen-Kriegs ist, der zur Destabilisierung der gesamten Sahel-Zone geführt hat, in der die EU seit Sommer dieses Jahres in fast jedem Land präsent ist. Über 450 000 Malier sollen inzwischen auf der Flucht sein, 275 000 von ihnen in den Nachbarstaaten. Deshalb werde die AU keine Anstrengungen scheuen, um den Konflikt zu lösen, betonte Dlamini-Zuma.

In Brüssel setzt man dabei ganz auf die militärische Karte. Die EU-Außenminister beschlossen gestern einen »Hilfseinsatz« in Mali, um Soldaten der dortigen Armee im Kampf gegen die Extremisten auszubilden. Dauer und Umfang der Mission stehen allerdings noch nicht fest; in der EU-Zentrale ist von mindestens 150 Ausbildern und Beratern die Rede. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte bereits Anfang des Monats die »nicht militärische Unterstützung« Deutschlands für Mali in Aussicht gestellt. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton soll nun bis Mitte November ein Konzept vorlegen. Vorbild könnte die Mission EUTM sein. In ihrem Rahmen bildet EU-Militär in Uganda somalische Soldaten für den Bürgerkrieg in ihrer Heimat aus. Nur dass sich viele von ihnen anschließend gegen jene Regierung wenden, die sie doch stabilisieren sollen.

Am Freitag hatte schon der UN-Sicherheitsrat in New York auf Bitte der Regierung in Bamako eine von Frankreich ausgearbeitete Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta gebilligt, die auch einer Intervention ausländischer Kampftruppen in Mali den Weg ebnen könnte. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) drängt seit geraumer Zeit auf einen Einmarsch. Die EU wird von der UNO um Unterstützung der malischen Streitkräfte gebeten, was auch die Lieferung von Ausrüstung und logistische Hilfe einschließt.

Die EU-Außenminister beschlossen gestern zudem eine Verschärfung der Sanktionen gegen Iran und Syrien. Die neuen Strafmaßnahmen gegen Teheran zielen vor allem auf die Finanzbranche sowie den Energie- und Handelssektor des Landes. So sind Finanztransaktionen zwischen iranischen Banken und Banken in der Union im Prinzip ebenso verboten wie der Einkauf von iranischem Gas. Außerdem verfügten die EU-Minister Einreiseverbote für 28 Führungspersonen des Assad-Regimes. Weitere syrische Unternehmen wurde auf die schwarze Liste gesetzt.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Oktober 2012


Der nächste Krieg

Sicherheitsrat beschließt Einsatz in Mali

Von Simon Loidl ***


Europas Eliten befinden sich im Freudentaumel über die Verleihung des Friedensnobelpreises. Daß die Union sechs Jahrzehnte lang für Frieden gesorgt habe, hält schon einem kurzen Blick in die Geschichtsbücher nicht stand. Jugoslawien, Afghanistan, EU-Außengrenzen, Côte d’Ivoire oder Libyen sind nur einige der Einsatzgebiete der europäischen Militärmaschinerie während der vergangenen Jahre. Diese Einsätze brachten vor allem Tod und Zerstörung und niemals Frieden oder die Lösung von Konflikten.

Und noch während die Verleihung gefeiert wird, fällt das Startsignal für den nächsten Krieg. Mit Mali gerät nach Côte d’Ivoire und Libyen zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit ein afrikanisches Land ins Visier der von französischen Interessen vorangetriebenen Interventionslust der Europäer. Und erneut mißbrauchen die Kriegstreiber die Vereinten Nationen als Instrument für die Militarisierung eines Konfliktes, der selbst nur das Resultat vorhergehender Interventionen ist. Die jetzige Situation im Norden Malis ist ein Ergebnis des Angriffs auf Libyen. Bereits damals hatten Kenner der Region vor einer Destabilisierung der gesamten Sahel-Zone gewarnt. Was dann innerhalb nur weniger Monate passierte, überraschte selbst die Experten. Dem Aufstand der Tuareg, von denen Tausende in libyschem Militärdienst gestanden hatten, wurde durch einen Militärputsch in Mali der Weg zum Erfolg geebnet. Ironischerweise war der Staatstreich wegen des angeblich zu laschen Vorgehen des damaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré gegen die Aufständischen ausgelöst worden. Daß sich die Kräfteverhältnisse in den eroberten Gebieten rasch zugunsten islamistischer Gruppen verschieben würden, war zu befürchten gewesen, seit die ersten Berichte von der Zusammenarbeit der eher säkular ausgerichteten, aus Libyen zurückgekehrten Tuareg mit den im Norden Malis operierenden Fundamentalisten bekannt wurden.

Der Radikalisierungsprozeß einiger in der Region seit Jahrzehnten um Autonomie Kämpfenden ist nicht zuletzt das Resultat der totalen Verweigerung ihrer Forderungen. Ein Friedensnobelpreisträger, der diese Auszeichnung verdient, hätte in diesem für das gesamte nördliche und westliche Afrika so zentralen Konflikt bereits seit Jahren diplomatisch und gewaltverhindernd wirksam werden können. Gerade Frankreich, das noch immer so großen Einfluß in der Region hat und nun Gewehr bei Fuß die Intervention gefordert hat, könnte diesen Einfluß auch jetzt noch zur friedlichen Lösung der zahlreichen ethnischen und religiösen Konflikte in der Region geltend machen. Diese sind unmittelbare Resultate der auch Jahrzehnte nach der Dekolonisierung noch bestehenden Ausbeutungsverhältnisse. Die Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse entspricht wiederum europäischen Interessen und insofern ist die EU strukturell gar nicht in der Lage, zu einer Lösung der Konflikte in Mali und anderswo auf dem afrikanischen Kontinent konstruktiv beizutragen. Auch das hätte das Komitee in Oslo bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen.

*** Aus: junge Welt, Montag, 15. Oktober 2012

Presseerklärung von Sabine Lösing, MdEP

Zur Resolution 2071 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen über ein militärisches Eingreifen in Mali erklärt Sabine Lösing außen- und sicherheitspolitische Sprecherin der LINKEN im Europaparlament:

"Ein militärisches Eingreifen in Mali ist die falsche Antwort. Dadurch werden die Ursachen für den Konflikt nicht gelöst, sondern verschärft. Es droht die Verstetigung der kriegerischen Auseinandersetzung und damit der Unsicherheit für die Bevölkerung Malis und der gesamten Sahelzone.

Ursache des Konflikts sind die seit längerem bestehenden Verteilungskonflikte zwischen z. T. nomadisch lebenden Tuareg- und anderen Bevölkerungsgruppen, die durch die akute Lebensmittelknappheit und die Militärintervention in Libyen verschärft wurden.

Wirksame Konfliktbewältigung setzt an diesen Ursachen an:

Die Europäische Union sollte sich weder direkt noch indirekt an einer Militärintervention in Mali beteiligen. Die Europäische Union sollte stattdessen ihre Entwicklungszusammenarbeit und eine faire Handelspolitik auf die Bewältigung der Lebensmittelknappheit ausrichten.

Die Vereinten Nationen und die Europäische Union sollten alle Konfliktparteien dazu aufrufen an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Ein dauerhafter Frieden in der Region kann nur auf Grundlage eines gerechten Interessenausgleichs zwischen den verschiedenen Konfliktparteien und den betroffenen Bevölkerungsgruppen erreicht werden."

15.10.2012




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