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"Festung Europa ist ein Skandal"

Amadou M'Bow*: Mauretanien spielt den Hilfspolizisten

* Amadou M'Bow (31) ist Aktivist der Menschenrechtsvereinigung Mauretaniens (AMDH).**



Zwecks Bekämpfung der illegalen Einwanderung arbeitet die EU mit Mauretanien zusammen. Wie sieht diese »Sicherheitspartnerschaft« aus?

Europas Ziel ist es, die Einwanderung bereits in Afrika aufzuhalten. Die afrikanischen Regierungen helfen dabei. Nach Libyen, Marokko und Algerien ist nun Mauretanien an der Reihe, den Hilfspolizisten für die EU zu spielen. Die spanische Guardia Civil unterstützt die mauretanische Küstenwache. Mit Satelliten, Radar, Helikoptern und Schnellbooten wird das Meer überwacht. Festgenommene Flüchtlinge werden abgeschoben. Im März 2006 hat die spanische Regierung mit Zustimmung Mauretaniens zwei Abschiebezentren in Nouadhibou eingerichtet. Diese Gefängnislager sind eigentlich für 400 Menschen ausgelegt, nach unseren Recherchen wurden dort aber bis zu 1200 Personen zusammengepfercht.

Gibt es weitere Berichte über Menschenrechtsverletzungen?

Man muss zwischen den Transit-Flüchtlingen und den vom UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) anerkannten Migranten unterscheiden. Letztere, etwa Bürgerkriegsflüchtlinge aus Liberia und Sierra Leone, teilweise auch Migranten aus Togo und Côte d'Ivoire, konnten sich mit ihren Familien in Mauretanien niederlassen. Sie sind vom Staat anerkannt, auch die Bevölkerung verhält sich ihnen gegenüber wohlwollend. Die UNHCR-Gelder reichen nicht zum Überleben, aber die Flüchtlinge besitzen eine Arbeitserlaubnis. Viele verdienen ihren Lebensunterhalt im informellen Sektor.

Was passiert mit den Transit-Flüchtlingen?

Die werden abgeschoben. Mit Senegal besteht ein Rücknahmeabkommen. Obwohl es dort große politische Probleme gibt, erhalten Flüchtlinge aus Senegal in Mauretanien kein Asyl. Das gleiche gilt für Flüchtlinge aus Mali. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Ein weiteres Problem ist die Polizei: Misshandlungen und Willkür sind an der Tagesordnung. Wenn Migranten aufgegriffen werden, dann werden sie von der Polizei so lange gefoltert, bis sie ihre Nationalität preisgeben. Anschließend werden sie in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt.

Die EU hat Mauretanien 2,5 Millionen Euro für die »Bekämpfung der illegalen Einwanderung« zur Verfügung gestellt. Welche Rolle spielt die mauretanische Regierung?

Wir haben zusammen mit Amnesty International und der Internationalen Menschenrechts- Vereinigung FIDH gegen die Lager protestiert. Offiziell heißt es nun, dass sie geschlossen wurden. Allerdings tut die Regierung alles, um Informationen zurückzuhalten und die Angelegenheit zu vertuschen. Die Regierung verfolgt ihre eigenen Interessen. Nach dem Militärputsch im August 2005 stellten sowohl die EU als auch die Weltbank ihre Finanzhilfen ein. Unsere Regierung ist schwach und erpressbar. Die EU nutzt dies aus, um ihre Interessen durchzusetzen.

In der EU wird darüber diskutiert, eine Kontingent-Regelung für qualifizierte Einwanderer zu schaffen. Was halten Sie davon?

Das ist pervers. Senegal hat die Rücknahme von 4400 Migranten aus Spanien akzeptiert, dafür hat Spanien im Gegenzug versprochen, 4000 Visa für qualifizierte Einwanderer zu erteilen. Eine gezielte Auswahl der Einwanderer kann nicht das Ziel sein. So werden die Probleme nicht gelöst. Die Überquerung des Atlantik in selbstgebauten Nussschalen ist selbstmörderisch. Bis zu 60 Prozent der Bootsflüchtlinge ertrinken, tagtäglich werden an den Stränden Leichen angespült. Aber diese Leute sind nicht lebensmüde, die Flucht ist ein Verzweiflungsakt. Menschen ohne Hoffnung lassen sich nicht durch Sicherheitsmaßnahmen abschrecken. Es ist ein Skandal, dass Europa im 21. Jahrhundert zur Festung wird.

Was muss sich ändern?

Wir verlangen von der EU, dass sie ihre Grenzen öffnet. Das Recht auf Bewegungsfreiheit muss als grundlegendes Menschenrecht anerkannt werden. Wichtigstes Ziel bleibt es aber, den Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat zu eröffnen. Kein Mensch verlässt freiwillig Familie, Freunde und Heimat. Eine Veränderung der Situation in Afrika müssen wir selber erkämpfen. Europa wird uns keine Demokratie schenken. Europa hat kein Interesse an Veränderungen, es unterstützt die herrschenden Regime. Immerhin gibt es in Afrika viele neue Oppositionsgruppen. Und die Zusammenarbeit unter ihnen wächst – das ist ein Hoffnungszeichen.

** Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2007


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