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Mahner für die Wiedergutmachung

Nach dem Tod des Herero-Führers Kuaima Riruako will seine Familie die Frage der Entschädigung durch Deutschland weiter verfolgen

Von Rolf-Henning Hintze *

Die Familie des verstorbenen Herero-Führers Kuaima Riruako will den Kampf um Wiedergutmachung fortsetzen, den der 79-Jährige seit Jahrzehnten geprägt hatte.

Im August 2004 fand am Rande des Schlachtfeldes, auf dem General v. Trotha im Auftrag Kaiser Wilhelms II. vor 100 Jahren die Herero entscheidend geschlagen hatte, eine Gedenkfeier statt. Nahe der verarmten Ortschaft Okararara, in Sichtweite zum Waterberg-Massiv, kamen in Anwesenheit hochrangiger Gäste mehrere Tausend Herero zusammen, um der Entscheidungsschlacht zu gedenken. Der wichtigste Gast dieser Gedenkfeier kam aus Deutschland: Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Eigentlicher Hausherr in Okakarara war indes Herero-Führer Kuaima Riruako. Der 1978 gewählte höchste Häuptling der Herero starb kürzlich 79-jährig in einem Windhoeker Krankenhaus. Ende des Monats soll er in Okahandja beerdigt werden, dort, wo auch Samuel Maharero begraben ist, der 1904 den Krieg gegen die deutsche Kolonialmacht begann.

Bei der Mehrheit der Herero erfreut sich Riruako großer Beliebtheit vor allem, weil er sich über Jahrzehnte mit außergewöhnlicher Hartnäckigkeit und Ausdauer dafür einsetzte, dass der deutsche Staat für den Völkermord an den Herero und Nama Wiedergutmachung leistet. Wenige Monate nach der Unabhängigkeit Namibias hatte Riruako die deutsche Öffentlichkeit erstmals mit der der Forderung nach Wiedergutmachung konfrontiert. Im Juli 1990 sagte Riruako gegenüber der »Frankfurter Rundschau« zur Begründung, »damit der Hass der Vergangenheit begraben wird und die Wunden heilen können.« Von den damals etwa 80 000 Herero überlebten nach Schätzungen über 60 000 die deutsche Vernichtungsstrategie nicht. Vom »Blutdurst« der Deutschen sprachen auch deutsche Missionare, die das miterlebten. General Lothar v. Trotha hatte, nachdem der Krieg mit der Schlacht am Waterberg bereits entschieden war, noch seinen berüchtigten Schießbefehl erlassen (»Ich lasse auch auf Frauen und Kinder schießen«).

Bei deutschen Regierungspolitikern stieß Riruako mit seiner Forderung auf taube Ohren. 1990 habe ihn, so erzählte er einmal, der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) »wie ein Wesen von einem anderen Stern« angesehen, als er ihm sein Anliegen vortrug. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) versuchte bei einem Besuch in Windhoek, den Herero-Führer in einer Saalecke abzufertigen. Und noch bei seinem letzten Besuch in Deutschland im Herbst 2012 musste Riruako Peinliches miterleben: Bei einer Zeremonie anlässlich der Rückgabe der ersten 20 namibischen Totenschädel aus der Kolonialzeit verließ die FDP-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, respektlos den Saal in der Berliner Charité, noch bevor Riruako und zwei weitere traditionelle Führer ihre Reden halten konnten.

Riruako war ein charismatischer, zugleich aber auch ein kantiger Führer. Obwohl er von der breiten Mehrheit der Herero unterstützt wurde, opponierten verschiedene Clans seit Jahren gegen ihn. Sie warfen ihm vor allem vor, dass er die Oppositionspartei »Demokratische Turnhallen-Allianz« nach vielen Jahren verließ und als Vorsitzender der Herero-Partei NUDO für die Nationalversammlung kandidierte und 2005 dort mit zwei weiteren Abgeordneten einzog.

Er erreichte, dass auf seine Initiative das Parlament 2006 einen einstimmigen Beschluss fasste, der Namibias Anspruch auf deutsche Wiedergutmachung für den Völkermord beinhaltet. Ein Beschluss, der der Bundesregierung wenig behagt, auch wenn er bisher keine greifbaren Ergebnisse brachte. Immerhin hat der beharrliche Druck Riruakos dazu beigetragen, dass die SPD 2012 als Oppositionspartei zusammen mit den Grünen einen Antrag im Bundestag einbrachte, der offiziell die Anerkennung des Völkermords in Namibia fordert. Die schwarz-gelbe Mehrheit lehnte diesen Antrag allerdings ab, ebenso ab wie einen weitergehenden der Linksfraktion, der einen grundsätzlichen Anspruch Namibias auf Wiedergutmachung beinhaltete.

Als erstes Kabinettsmitglied hatte die sozialdemokratische Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul bei ihrer Rede am Waterberg 2004 das Wort »Völkermord« in den Mund genommen. Riruako, der davon wie alle anderen Zuhörer total überrascht wurde, erwiderte, er könne nun nicht seine vorbereitete Rede halten, er werde sie jedoch aufbewahren und hervorholen, falls das nötig werden sollte. Dazu kommt er nun nicht mehr, obwohl die Rede kein wirklich neues Kapitel der deutsch-namibischen Beziehungen eröffnete. Wiedergutmachung steht weiterhin aus.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Juni 2014


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