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"Europa muß auch die Hamas anerkennen"

Irische Friedensnobelpreisträgerin wurde Opfer von Polizeigewalt in Palästina. EU-Embargo-Politik verfehlt. Ein Gespräch mit Mairead Maguire *


Während eines friedlichen internationalen Protestmarsches gegen die Mauer in Bilin, Palästina, feuerte die israelische Armee plötzlich Tränengas und gummiummantelte Stahlgeschosse in die Menge der Demonstranten. Können Sie schildern, was geschehen ist?

Am vergangenen Wochenende, zum Abschluß einer zweitägigen Konferenz in Bilin, auf der ich einen Vortrag über Gewaltlosigkeit gehalten hatte, gab es eine friedliche Demonstration gegen die Apartheidsmauer. Daran nahmen Dorfbewohner, der palästinensische Parlamentarier Dr. Barghouti und viele hundert Friedensaktivisten aus mehr als 20 Ländern teil. Als wir uns auf die Mauer zubewegten, wurden wir plötzlich vom israelischen Militär scharf angegriffen. Die Soldaten warfen Gaspatronen in die Menge und zielten mit Gummigeschossen auf uns.
Als ich versuchte, einer Friedensaktivistin aus Frankreich zu helfen, wurde ich selbst am Bein getroffen. Ein israelischer Soldat hatte mit einem gummiummantelten Stahlgeschoß aus nur zwanzig Metern Entfernung auf mich gezielt. Ich war benommen und völlig fassungslos. Kurz darauf attackierte uns die israelische Armee erneut mit Tränengas. Am Ende wurde ich mit heftigem Nasenbluten auf einer Trage weggebracht und mußte von Sanitätern medizinisch behandelt werden. Mehr als 25 Teilnehmer des absolut friedlichen Marsches hatten Verletzungen. In all den Jahren meiner Friedensarbeit habe ich noch nie eine so aggressive Mentalität erlebt, wie die der israelischen Militärs.

Hat es vor dem Angriff Provokationen von Demonstranten gegeben?

Nein, absolut nicht. Alle Teilnehmer sind bekannt für ihre klare Bekundung zur Gewaltlosigkeit. Solche friedlichen Mahnwachen halten die Dorfbewohner von Bilin allwöchentlich ab, wobei sie unter anderem den Abriß der Mauer und das Ende der Besatzung palästinensischen Landes fordern. Die Apartheidsmauer ist laut dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag vom 9. Juli 2004 illegal. In diesem Gutachten, das die Übertretungen und Verstöße der israelischen Regierung auflistet, wird Israel dazu verpflichtet, die Mauer abzureißen und die Palästinenser für die zahllosen Beeinträchtigungen, unter denen sie aufgrund des Mauerbaus gelitten haben, zu entschädigen.

1976 wurden Sie mit dem Friedensnobelpreis für Ihre friedensstiftenden Bemühungen im Nordirlandkonflikt ausgezeichnet. Womit beschäftigen Sie sich heute?

Ich engagiere mich auf vielen Gebieten, angefangen von der gewaltlosen Friedenserziehung, über Jugendarbeit, bis hin zu Kampagnen für die Freilassung des israelischen Nukleartechnikers Mordechai Vanunu, der Mitte der 1980er Jahre Israels geheimes Atomwaffenprogramm aufgedeckt hat. Darüber hinaus arbeite ich mit anderen Nobelpreisträgern an einer Charta für eine Welt ohne Gewalt.
Viele Male schon habe ich Israel/Palästina besucht, um mich mit den Friedensaktivisten dort auszutauschen. Ich bin davon überzeugt, daß es auch für diese Nahostregion eine friedliche Lösung gibt und daß unsere Erfahrungen in Nordirland wichtige und konkrete Anhaltspunkte für den Friedensprozeß liefern können. Ich unterstütze die Forderung des palästinensischen Volkes zur Beendigung der Besatzung und zum Abriß der Apartheidsmauer, und stimme für sofortige und vorbehaltlose Friedensgespräche zwischen der israelischen und der palästinensischen Regierung.

Welche Aufgabe hätte der Westen beziehungsweise hätten die europäischen Länder, damit es zu einer friedlichen Lösung im Israel-Palästina-Konflikt kommen kann?

Die wirtschaftlichen Sanktionen, die die EU derzeit als Maßnahme verfolgt, bestrafen ein Volk, das seit vielen Jahren unter Fremdbesatzung leidet. Insbesondere die deutsche Regierung kann und sollte meiner Meinung nach die Friedensbemühungen unterstützen, indem sie beispielsweise die israelische Regierung auffordert, die gegenwärtige Politik der Apartheid und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu beenden. Die europäischen Staaten müssen Hamas und die demokratisch gewählte palästinensische Regierung anerkennen und dem palästinensischen Volk wieder seine wirtschaftlichen und politischen Rechte garantieren.

* Mairead Maguire ist irische Friedensnobelpreisträgerin, peacepeople.com

Aus: junge Welt, 28. April 2007



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