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In die Pleite

Europäische Union kopiert in Portugal ihren Katastrophenkurs für Griechenland. Der Widerstand wächst

Von Ana Kühn Paz *

In Portugal nimmt der Widerstand gegen das Diktat der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Euro­päischer Zentralbank (EZB) zu. Nachdem am vergangenen Wochenende bereits 300000 Menschen dem Aufruf des größten Gewerkschaftsverbandes CGTP-Intersindical zum Protest gegen »Sparmaßnahmen, Ausbeutung und Armut« folgten, soll es am 29. Februar in Lissabon und allen Provinzhauptstädten weitere Großdemonstrationen geben. International ruft der Europäische Gewerkschaftsbund für dieses Datum zu einem dezentralen Protesttag gegen den Sparkurs der EU auf. Am 31. März soll dann eine große Jugenddemonstration in Lissabon folgen. Bereits im vergangenen Oktober hatten rund 200000 Menschen in der Hauptstadt und in Porto gegen die Kürzungen demonstriert, die die Regierung und die EU den Beschäftigten aufbürden wollen. Es folgte ein Generalstreik im November, an dem sich mehr als drei Millionen Arbeiter beteiligten.

Die wirtschaftliche Lage Portugals ist nach wie vor besorgniserregend. Innerhalb von zwei Jahren stieg die Arbeitslosenquote von unter elf auf 13,6 Prozent im Dezember 2011. Damit herrscht in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Staat die vierthöchste Erwerbslosigkeit aller Euro-Länder, gleich hinter Spanien, Griechenland und Irland. Bei einem von der Regierung eingefrorenen Mindestlohn von derzeit 485 Euro lebt mehr als ein Fünftel der Portugiesen unterhalb der Armutsgrenze. Die dortige Zentralbank prognostiziert für 2012 eine stärkere Rezession als bislang von der Troika erwartet. Das Bruttoinlandsprodukt soll demnach um 3,1 Prozent zurückgehen.

Am Beispiel der Fischindustrie läßt sich verdeutlichen, wie Portugals Wirtschaft zerstört wurde. 1985, ein Jahr vor dem Eintritt des Landes in die damalige Europäische Gemeinschaft, deckte die einheimische Fischproduktion 70 Prozent des inländischen Konsums, 2006 waren es nur noch 23 Prozent. Der Import stieg dagegen von 30 Millionen auf 808 Millionen Tonnen. Im gleichen Zeitraum wurde die gesamte Fischfangflotte von 18000 auf 8754 Schiffe verkleinert. Rund 115000 Arbeitsplätze wurden in der Fang- und Verarbeitungsindustrie vernichtet.

Ähnliche Folgen hatte der Anschluß Portugals an die EG und später die EU in der Metallindustrie und in der Landwirtschaft. Die kleine Republik verlor seither nicht nur schrittweise ihre Ernährungsautonomie, durch die Deindustrialisierung wurden gleichzeitig auch die Exportmöglichkeiten beschränkt. Und die Rezepte der EU-Inspektoren für Portugal sind heute die gleichen, die seit zwei Jahren Griechenland in den Ruin treiben. Neben drastischen Kürzungen im öffentlichen Dienst, im Gesundheitswesen und Bildungsbereich sowie bei den Renten wird auch das Privatisierungsprogramm weiter forciert. Die Staatsanteile an rentablen Unternehmen wie dem Stromkonzern EDP, der Telekommunikationsfirma TP und dem Ölkonzern GALP sollen an ausländisches Kapital veräußert werden. Von dem dafür versprochenen Kredit von 78 Milliarden Euro profitieren nur die Banken, denen allein 35 Milliarden an Zinszahlungen zufließen. Sogar die Troika selbst läßt sich ihre Bemühungen, das Land in die Pleite zu führen, von Lissabon mit 655000 Euro bezahlen.

Der Protest in Portugal richtet sich auch gegen die maßgeblich von der deutschen Bundesregierung etwa beim EU-Gipfeltreffen am 31. Januar betriebene weitere Verschärfung des Kürzungskurses. Die portugiesische KP kommentiert dies: »Der von der deutschen Regierung erzwungene Fiskalpakt ist eine Kriegserklärung an das Recht der Völker auf soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Die dort vorgesehen Maßnahmen und Regeln – wie die irrationalen und unerreichbaren vorgeschriebenen Defizit- und Schuldengrenzen, die automatischen Sanktionen sowie die Korrekturen und Kontrollmechanismen – sind inakzeptabel und würden Länder wie Portugal in echte Protektorate verwandeln.«

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2012


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