Kosovo: Die Unabhängigkeit erpresst ihre Väter
Von Michail Logvinov, RIA Novosti *
Die "kontrollierte Unabhängigkeit" Kosovos läuft aus dem Ruder: Nach einem Sprengstoffanschlag auf die EU-Vertretung beschuldigt die Regierung in Pristina drei Deutsche des "Terrorismus"
Seit Samstag befinden sich drei ehemalige Bundeswehrsoldaten und mutmaßliche BND-Agenten, die für die Tarnfirma der deutschen Auslandssaufklärung "Logistics Coordination Assessment Services" arbeiteten, in 30-tägiger Untersuchungshaft. Die Kosovarische Staatsanwaltschaft wirft ihnen "Terrorismus" und "Verbindungen" zu einem namentlich nicht genannten Nachrichtendienst vor.
Darüber hinaus werden sie der Durchführung früherer Anschläge auf Einrichtungen der UNMIK, der OSZE und des Kosovo-Parlaments verdächtigt und sollen bereits seit eineinhalb Jahren der Beschattung unterliegen, berichten deutsche Medien.
Die undurchschaubare Attentatsaffäre droht zu einem großen diplomatischen Skandal zu werden, nachdem die Regierung in Pristina nicht zuließ, dass die drei BND-Agenten stillschweigend mit einer Maschine aus dem Land ausgeflogen werden. Laut Medienberichten ist die Staatsanwaltschaft Kosovos im Besitz einer Videoaufnahme, die die Beteiligung der BND-Agenten an den Anschlägen beweist.
Deutsche Saboteure oder Ranküne kosovarischer Politik?
Der deutsche Bundesnachrichtendienst war in der Vergangenheit in mehrere skandalöse Fälle verstrickt und leidet seit Jahren am Vertrauensverlust. Dennoch wäre es abwegig, seinen Mitarbeitern einen Anschlag auf das Gebäude der Internationalen Verwaltungsbehörde (ICO) vorzuwerfen, denn Deutschland gehört zu einem der wichtigsten Unterstützer der kosovarischen Unabhängigkeit und stellt ein Großteil der EULEX-Mitarbeiter zur Verfügung .
Der BND war zwar in den 1990er Jahren einer der Unterstützer der UCK-Armee - einer Organisation, deren Aktivitäten einen nicht zu übersehenden kriminellen Charakter hatten. Dennoch waren es die Agenten der deutschen Auslandsaufklärung, die seit Jahren vor der Einführung der EULEX-Mission mit ihren Berichten über die mafiose Infiltrierung der kosovarischen Wirtschaft und Politik für Aufsehen gesorgt haben.
Grund genug, um die "Überläufer" unter Druck zu setzen. Unglücklicherweise verfügen die ehemaligen UCK-Kämpfer über sensible Informationen, die die deutschen Nachrichtendienste erpressbar machen.
Das Kalkül der westlichen Väter der Unabhängigkeit Kosovos ging nicht auf. Es ist ihnen nicht gelungen, während der Tätigkeit der UNMIK die kosovarische Milizen zu transformieren und unter eigenen Einfluss zu bringen. Eher war das Gegenteil der Fall - die kriminellen Strukturen wurden auf Politik und Wirtschaft ausgeweitet, der Einfluss der westlichen Mächte sank und viele internationale Akteure wurden zu Opfern ihrer eigenen Verstrickung in die mafiosen Machenschaften der kosovarischen Politik.
Mit dieser Herausforderung sah sich die EULEX konfrontiert. Zu einer der Aufgaben der europäischen Polizisten und Richter wie Vertreter der Nachrichtendienste gehörte eben die Bekämpfung der ausufernden kosovarischen Kriminalität.
Politischer Hintergrund
Vor einigen Tagen demonstrierten Tausende von Menschen in Kosovo gegen die Pläne der UNO und Brüssels, nur die albanischen Gebiete im Kosovo unter die Kontrolle der EULEX zu stellen. Demnach sollen die serbische Polizei und Justiz weiterhin durch die UNMIK betreut werden - ein klares Zugeständnis Brüssels an Belgrad. Zudem sieht das Konzept der UNO und der EU die Statusneutralität der EULEX vor.
Dies sei als unmissverständliches Signal der internationalen Gemeinschaft an Pristina zu deuten. Demnach seien die EU und die UNO nicht bereit, vom Modell der kontrollierten Unabhängigkeit Kosovos abzurücken - ein herber Schlag für den "politkriminellen Multifunktionsraum".
Politkrimineller Multifunktionsraum
Die internationalen Experten sind sich darüber einig, dass im Kosovo Kriminelle regieren, die allzu ungern zulassen würden, dass sich der Status quo ändert. Die EULEX beinhaltet im Unterschied zu UNMIK konkrete Schritte zum Aufbau der funktionierenden Justizstrukturen - ein Vorhaben, das den Interessen der Mafiabosse zuwiderläuft.
Mit dem Terrorismusvorwurf gegen die deutschen BND-Agenten erreichen die kosovarischen Mafiabosse, dass die EULEX schwer kompromittiert wird. Zudem würde es nach der angeblichen Beteiligung der deutschen Auslandsaufklärung an einem Terroranschlag um einiges einfacher sein, die nachrichtendienstlichen Aktivitäten des BND im Kosovo zu beschränken sowie seine Erkenntnisse als "rachebedingt erfunden" zurückzuweisen.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.
Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 26. November 2008; http://de.rian.ru
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