Jagd auf Piraten?
Grünes Licht für dubiosen EU-Kriegsmarineeinsatz im Golf von Aden. Dahinter verbergen sich vielfältige Interessen
Von Anton Holberg *
Am Montag hat die EU erstmalig grünes Licht für eine Operation der Kriegsmarine ihrer Mitgliedsstaaten gegen Piraterie gegeben. Die genaue Zusammensetzung der für diesen Kampf vor der Küste Somalias und im Golf von Aden vorgesehenen Flotte ist noch nicht bekannt. Die »EUNavFor« soll aus mindestens sieben Kriegsschiffen und aus Marineflugzeugen bestehen. Die BRD, Frankreich, Großbritannien und Spanien haben bereits ihre Beteiligung zugesagt. Die Operation soll unter dem Namen »EUNavFor Atalanta« Anfang Dezember beginnen.
Die Entscheidung vom Montag kommt nicht überraschend. Schon Mitte September hatte die EU die Weichen dafür gestellt. Am 6. Oktober hat überdies der UN-Sicherheitsrat alle dazu militärisch befähigten Staaten aufgefordert, alles Nötige gegen die Piraterie in der Region zu tun. Die Küste Somalias bis hinunter nach Tansania ist der am stärksten von Piraten heimgesuchte Teil der Weltmeere. Schon heute ist die Jahresbilanz mit mindestens 81 ausländischen Schiffen, die dort von Piraten angegriffen wurden, doppelt so hoch wie 2007. Das am Nordende zwischen dem Jemen und Djibouti gelegene »Tor der Tränen« (Bab el-Mandeb) ist die wichtigste Seehandelsstraße zwischen Asien und Europa.
Der Kampf gegen die Piraterie dort ist aber nicht nur eine Sache der Europäer, die vor allem in Djibouti bereits militärisch im Rahmen des sogenannten »Antiterrorkrieges« präsent sind. Admiral Philip Green, Kommandant der »US Task Force in the Horn of Africa«, hat bereits über eine militärische Koordination mit dem Jemen gesprochen, »um die Piraterie zu bekämpfen und die Sicherheit des internationen Seeverkehrs im Roten Meer zu gewährleisten«. Auch Rußland hat Ende September kundgetan, daß es ein Kriegsschiff vor die somalische Küste schicke. Dieses werde allerdings unabhängig von den zuvor genannten Staaten operieren. Kleinere Staaten wie Malaysia wollen sich am Kampf gegen die Piraterie ebenfalls beteiligen.
Während niemand die Umtriebe der Piraten verteidigt, sind die erwähnten Initiativen jedoch alles andere als unumstritten. Die erste Reaktion kam interessanterweise von der jemenitischen Regierung, die der US-Admiral zur Kooperation aufgefordert hatte. Außenminister Abu Bakr Korbi zeigte sich besorgt darüber, daß die Bekämpfung der Piraterie nicht in den Händen der Anliegerstaaten liegen solle.
Zu den Hintergründen der Präsenz von Kriegsschiffen verschiedener Länder in den Küstengewässern des Horns von Afrika gibt es aufschlußreiche Thesen. Bereits im Frühjahr hatte Said Ahmed O’Nur, Minister für Fischerei und Häfen der autonomen Region Puntland an der Grenze zwischen Somalia und Somaliland, die Frage aufgeworfen, was denn die US-Kriegsschiffe vor der Küste Somalias wollten. Statt die Piraterie zu bekämpfen, fische die Besatzung ohne Genehmigung in somalischen Gewässern. Der Minister wies auch auf »die vielen Gerüchte« hin, denen zufolge die US-Navy vor Somalias Küste atomare Abfälle entsorge. Das offiziöse eritreische Internetportal »shabait.com« griff Mitte Oktober gerade dieses Thema wieder auf und vertrat die Auffassung, daß die propagandistische Konzentration auf das Problem der Piraterie die Tatsache in den Hintergrund rücke, daß Somalias Gewässer seit 17 Jahren, d.h. seit dem Zusammenbruch der Staatlichkeit des Landes, von ausländischen Firmen mit stillschweigender Zustimmung ihrer jeweiligen Staaten ausgeplündert würden. Vor allem aber würden in ihnen Giftmüll, darunter auch atomarer, entsorgt. Das UN-Umweltprogramm (UNEP) habe kürzlich in einem Bericht darauf hingewiesen, daß das seit den frühen 90er Jahren geschehe, und der UN-Gesandte in Somalia, Ahmedou Ould-Abdallah, habe gesagt, daß die UN verläßliche Informationen darüber besitze, daß europäische und asiatische Firmen vor Somalias Küste Giftmüll, einschließlich atomaren Mülls, entsorgten. Für »Shabait.com« ist das Anlaß zu der Frage, ob der Kampf gegen die Piraterie dort nicht dazu diene, die somalischen Gewässer auch für die erwähnten illegalen Aktivitäten europäischer und asiatischen Firmen zu sichern.
* Aus: junge Welt, 13. November 2008>
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