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Hütten und Paläste

Jahresrückblick 2014. Heute: Südafrika. Der Präsident erzählt die "gute Geschichte" seines ANC. Der traurige Teil ist die Gegenwart

Von Christian Selz *

Auf dem Rasen vor dem Präsidentenpalast in Pretoria fuhren dicke, schwarze Limousinen vor. Bodyguards mit ernstem Blick sicherten den Weg zur Bühne, auf der ein Kinderchor »Ich bin frei, und ich weiß es« trällerte. Es war ein durchchoreographierter Auftritt, den Südafrikas Staatschef Jacob Zuma am 27. April dieses Jahres ablieferte, dem »Freedom Day«, an dem Südafrika den 20. Jahrestag des Endes der Apartheid feierte. Die Zeiten, in denen ein Nelson Mandela nach seiner Entlassung aus einem klapprigen Mittelklassewagen kletterte, um den Massen zuzurufen, dass der Marsch zur Freiheit unumkehrbar sei, sind vorbei. Der enthusiastische Jubel allerdings auch. »Wir können eine gute Geschichte erzählen«, rief Zuma dem zum Großteil aus Anhängern seines African National Congress (ANC) bestehenden Publikum zu. Von Tausenden T-Shirts guckte ihn dabei sein eigenes Konterfei an. Den Satz, Kernstück seines Wahlkampfes, sagte er dreimal hintereinander, jedes Mal ein wenig eindringlicher. Der Applaus blieb trotzdem verhalten.

2014 war ein schweres Jahr für Südafrikas Regierungsallianz, der neben dem ANC die South African Communist Party (SACP) und der Gewerkschaftsbund COSATU angehören. Über fünf Monate lang streikten ab Ende Januar zunächst die Bergarbeiter im Platingürtel um Rustenburg, anschließend legten 220.000 Metallarbeiter landesweit die Arbeit nieder. Beinahe täglich kam es irgendwo zu Sozialprotesten mit den ewig gleichen Themen. Weil in den Townships vielerorts noch immer Wasser, Strom, Wohnungen, Schulen und Kliniken fehlen, brennen dort regelmäßig die Barrikaden. Die Menschen sind frustriert, sie wollen Arbeitsplätze und Perspektiven. »Ein besseres Leben für alle« hatte der ANC versprochen, als er 1994 das Apartheidregime ablöste. Viele Südafrikaner warten darauf noch immer, mit zunehmender Ungeduld. Und sie vergleichen sich mit denen, die es besser haben, dem Staatspräsidenten zum Beispiel.

Für umgerechnet 20 Millionen Euro hatte Jacob Zuma seinen ländlichen Privatwohnsitz im Dorf Nkandla ausbauen lassen, auf Staatskosten, deklariert als Sicherheitsmaßnahme. Seine Regierung entblödete sich nicht einmal, auf ihrem offiziellen Informationsportal einen Swimmingpool zum Löschwasserbassin zu machen. Ein Amphitheater wurde so zur Stützwand, und ein Kuhstall des Präsidenten sollte demnach lediglich streunende Rinder vom elektrisch gesicherten Zaun fernhalten. Es verwundert wenig, dass es der Opposition so gelang, das Thema, über das die Wochenzeitung Mail & Guardian bereits kurz nach Zumas Amtseinführung 2009 erstmals berichtet hatte, bis in den Wahlkampf 2014 zu ziehen. Das Resultat war, dass die Demonstranten in den Armensiedlungen nun »Wir wollen Häuser, kein Nkandla« auf ihre Plakate schrieben.

Trotzdem verlor Zumas ANC bei den Parlamentswahlen am 7. Mai im Vergleich zu 2009 lediglich 3,7 Prozentpunkte und regiert mit 62,2 Prozent der Stimmen weiter mit komfortabler Mehrheit. Das liegt auch an der »guten Geschichte«, die der Präsident nicht müde wurde zu erzählen. Um sie zu untermauern, ließ Zuma Zahlen sprechen: Drei Millionen Häuser hätten die ANC-Regierungen seit 1994 für Familien bauen lassen, die vorher in Wellblechhütten wohnten. Mehr als 95 Prozent der Haushalte haben demnach inzwischen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 86 Prozent sind ans Stromnetz angeschlossen – zum Ende der Apartheid lagen beide Werte bei lediglich rund 60 Prozent. Hierin – und weniger in der angeblich verblendeten Loyalität der Bevölkerung zur einstigen Befreiungsbewegung – liegt das »Geheimnis« der konstanten Wahlerfolge der Partei. Die weitgehend konzeptlose Democratic Alliance, mit 22,2 Prozent der Stimmen stärkste Kraft einer zersplitterten Opposition, kann auf nichts dergleichen verweisen. Ihre Hochglanzwahlkampagnen verfangen kaum, den meisten Südafrikanern ist sie noch immer als Partei der Weißen suspekt. Ihr neoliberales Programm, das in weiten Teilen den berüchtigten Allheilmitteln der Weltbank gleicht, tut in dem von enormer Ungleichheit zerrissenen Land ein übriges.

Doch auch die Tatsache, dass dem ANC von links kaum Gefahr droht, lässt sich mit seinen Sozialprogrammen erklären. Umgerechnet 22 Euro Kindergeld oder 94 Euro Sozialrente beseitigen keine Armut. Aber sie helfen einer alleinstehenden Mutter oder Großmutter wesentlich mehr, ihre Familie zu ernähren, als die null Rand, die das Apartheidregime bis 1994 für sie übrighatte. Nach Jahrhunderten kolonialer und rassistischer Ausbeutung und Unterdrückung zieht ein großer Teil der südafrikanischen Gesellschaft die langsamen sozialdemokratischen Reformen des ANC einem offenen Klassenkampf vor. Auch das ist eine Wahrheit, die in Südafrika in diesem Jahr offenkundig wurde.

Nichtsdestotrotz schmilzt die Wählerbasis der Regierungspartei, und auch ihre Allianz bröckelt. Bereits 2012 implodierte im Zuge der Bergarbeiterstreiks um Marikana die National Union of Mineworkers (NUM), die einst größte Einzelgewerkschaft des Landes. Weil ihre Funktionäre dem Aufstand der Arbeiter im Platingürtel die Unterstützung verweigerten, schlossen die sich in Massen der neuen, radikaleren Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU) an, die weder mit dem ANC noch mit dem COSATU verbunden ist und heute in zahlreichen Minen bereits die Mehrheit der Kumpel organisiert. Zur größten COSATU-Einzelgewerkschaft stieg in der Folge die Metallarbeitervereinigung National Union of Metalworkers of South Africa (NUMSA) auf, die durch ihr klar sozialistisches Programm allerdings mehr und mehr auf Konfrontationskurs mit dem ANC ging. Im Dezember 2013 entschied ein Sondergewerkschaftstag der NUMSA schließlich, der Regierungspartei die Unterstützung im Wahlkampf zu entziehen. Per Resolution forderten die Delegierten gar den Rücktritt von Staats- und Parteichef Zuma. Die Konsequenz folgte am 8. November dieses Jahres: Nach einer langen nächtlichen Sitzung – und entsprechender Einflussnahme der ANC-Führung – schloss das COSATU-Zentralkomitee die NUMSA aus dem Gewerkschaftsbund aus.

Die COSATU-Basis könnte die Entscheidung zwar auf einem für das kommende Jahr angekündigten Sondergewerkschaftstag noch revidieren, doch die inhaltlichen Gräben in der Allianz scheinen unüberbrückbar. Hauptkritikpunkt der von der NUMSA angeführten Gewerkschaftslinken ist das Strategiepapier »National Development Plan« (NDP), nach dessen Richtlinien der ANC Südafrika bis zum Jahr 2030 entwickeln will. Neben staatlichen Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur wird in dem Programm zur wirtschaftlichen Entwicklung hauptsächlich auf den privaten Sektor gesetzt. Eine Verstaatlichung des Bergbaus und der Banken, wie sie die NUMSA fordert, sieht der NDP nicht vor. Für die Gewerkschaftslinke ist es daher »das Programm unseres Klassenfeindes«. Da der ANC-nahe Gewerkschaftsflügel und auch die SACP für das Dokument zwar Verbesserungsbedarf anmelden, es aber grundsätzlich mittragen, ist eine radikal linke Mehrheit in der Regierungsallianz illusorisch und die weitere Spaltung kaum noch zu umgehen. Auch die Absicht der NUMSA-Führung, den gesamten Gewerkschaftsbund von ANC und SACP abzutrennen, dürfte wenig Aussicht auf Erfolg haben. Wahrscheinlicher sind Spaltungen quer durch die Einzelgewerkschaften.

»Jetzt ist die Zeit, um den Kampf an allen Fronten zu intensivieren«, hatte Nelson Mandela am 11. Februar 1990 vom prunkvollen Balkon des Kapstadter Rathauses gerufen. Viele der Menschen, die ihm damals zujubelten, glaubten, dieser Sommertag sei der erste ihrer Freiheit gewesen. Heute wissen sie in den Townships, Minen und Betrieben, dass Mandela recht hatte. Einzig die Frontlinie dieses Klassenkampfes ist heute eine andere, sie verläuft quer durch die Regierungsallianz. Der ANC ist da nur ein Spiegel der Kräfteverhältnisse in der südafrikanischen Gesellschaft.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Dezember 2014


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