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Die Kluft wird größer

Am Samstag will Südafrikas ANC den Wahlkampf eröffnen. Widerstand gegen neoliberale Politik

Von Christian Selz *

Mit der Vernehmung des Polizeioffiziers Adriaan Calitz hat am Montag im südafrikanischen Rustenburg die Untersuchungskommission zum Massaker von Marikana ihre Arbeit nach der Weihnachtspause wieder aufgenommen. Am Rande der Bergarbeitersiedlung hatten Spezialkräfte am 16. August 2012 34 streikende Kumpel erschossen und Dutzende weitere verletzt. Calitz trug dafür als Einsatzleiter Verantwortung, wollte auf Nachfrage eines Opferanwalts aber nichts von der eingesetzten scharfen Munition gewußt haben.

Die Mauertaktik von Polizei und Regierungsstellen zieht sich durch den gesamten Prozeß. Was Calitz dem Ermittlungsteam allerdings auftischte, ist beispiellos. Als er von einem Kollegen, der die Lage von einem Hubschrauber aus überblickte, per Funk über am Boden liegende »Körper« informiert wurde, sei es ihm nicht in den Sinn gekommen, daß es sich dabei um Tote handelte, gab der Beamte zu Protokoll. Er habe sie für Menschen gehalten, die sich festnehmen lassen wollten, oder für »Verletzte«. »Was haben Sie denn zu der Zeit gedacht, was die Verletzungen verursacht haben könnte«, fragte der Kommissionsvorsitzende, der pensionierte Richter Ian Farlam, daraufhin. Nach einigem Stammeln von »Auflösungsaktionen« kam Calitz schließlich auf Gummigeschosse als Ausrede, gerade so, als hätte er auch das Trommelfeuer der Gewehre nicht identifizieren können.

Die Posse dürfte so oder so ähnlich noch eine Weile weiterlaufen, mehr als Bauernopfer auf Polizeiebene erwartet in Südafrika aber kaum ein Prozeßbeobachter. Präsident Jacob Zuma, der im September 2012 einen Abschluß der Ermittlungen innerhalb von vier Monaten angekündigt hatte, setzt darauf, das Thema in den Hintergrund zu drängen. Sein regierender African National Congress (ANC) verabschiedet in dieser Woche das Wahlprogramm für den noch in der ersten Hälfte dieses Jahres anvisierten landesweiten Urnengang – und kämpft ohnehin mit neueren Skandalen. Zuma selbst steht im Mittelpunkt des meistdiskutierten: Der Ausbau seines Landsitzes hat den südafrikanischen Staat umgerechnet knapp 20 Millionen Euro gekostet, nach offizieller Lesart freilich für Sicherheitsmaßnahmen. Wie ein schlechter Witz liest es sich da, wie der ANC auf seiner Internetseite für die Wahlkampfauftaktveranstaltung am kommenden Samstag wirbt. Direkt unter die Ankündigung »Präsident Jacob Zuma spricht« wurde – in Erinnerung an den Gründungstag am 8. Januar 1912 – der Slogan »Während wir 102 Jahre selbstlosen Kampfes feiern« gesetzt.

In der Realität ist es das genaue Gegenteil, die von der neoliberalen Landespresse immer wieder genüßlich ausgeschlachtete Selbstbereicherung, die der Partei zu schaffen macht. Jüngstes Beispiel ist Thandi Modise, Ministerpräsidentin der Provinz North-West, in der auch Marikana liegt. Für 1,3 Millionen Rand (knapp 100000 Euro) ließ sie sich vor kurzem einen Dienstwagen aus der Produktion eines bayrischen Autobauers stellen. Der Preis entspricht dem, was ein zum Mindestlohn angestellter Bergarbeiter in Südafrika in 22 Jahren verdient. Die Hochrechnung mag überspitzt sein, doch sie veranschaulicht die Kluft, die zwischen der einstigen Befreiungsbewegung und ihren Wählern in der Arbeiterklasse klafft.

Die Risse werden auch politisch immer deutlicher. Die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, größte Einzelorganisation im Congress of South African Trade Unions (COSATU), der seinerseits neben der South African Communist Party (SACP) Partner des ANC in der Regierungsallianz ist, macht daraus seit Dezember vergangenen Jahres keinen Hehl mehr. Aufgrund der in ihren Augen »neoliberalen Politik« des Regierungsbündnisses will sie dem ANC im Wahlkampf ihre Unterstützung versagen. Für den 25 Februar hat die Gewerkschaft nun einen großangelegten Streik gegen die zum 1. Januar eingeführten Steuererleichterungen für Unternehmen, die jugendliche Arbeitslose einstellen, angekündigt. Die NUMSA sieht darin eine Subventionsmaßnahme, die zur Verdrängung älterer Beschäftigter führe. Die Kritik an der Maßnahme ist nicht neu, der Aufruf zum Streik gegen die lange mitgetragene Regierung allerdings bedeutet ein Novum – und für den ANC im Wahljahr eine ernstzunehmende Gefahr.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. Januar 2014


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