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Boykott aus Liebe

Südafrika: ANC-Veteran Ronnie Kasrils führt Kampagne gegen Regierungspartei

Von Christian Selz, Johannesburg *

Auf Wahlplakaten und T-Shirts fordert die Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) derzeit: »Tu es für Chris Hani, wähle ANC.« Die Partei bildet zusammen mit dem Gewerkschaftsbund ­COSATU und dem African National Congress (ANC) die Regierungsallianz. Doch das Erbe des populären, 1993 von einem weißen Rassisten ermordeten SACP-Generalsekretärs wird nicht nur unter Wahlkämpfern hochgehalten. »Chris Hani würde im heutigen Südafrika auf keinen Fall still bleiben«, vermutete in der vergangenen Woche Ronnie Kasrils. Der ehemalige Minister für Staatssicherheit war zu Apartheidzeiten Geheimdienstchef des bewaffneten Arms des ANC, Umkhonto we Sizwe (MK). Hani war Stabschef. Nun hat Kasrils eine Initiative mit dem Namen »Sidikiwe! Vukani! Vote No!« ins Leben gerufen: »Wir haben genug! Wacht auf! Stimmt mit Nein!« bedeutet das. Damit soll dem ANC bei den Parlamentswahlen am kommenden Mittwoch ein Denkzettel verpaßt werden.

»Wir glauben, daß der ANC einen Schock braucht«, erklärte Kasrils am vergangenen Mittwoch in Johannesburg. Gegen die Partei zu opponieren, sei »ein Akt der Liebe«. Die Südafrikaner ruft er deshalb dazu auf, »kleinere Parteien« zu wählen oder notfalls »Nein« auf den Wahlschein zu schreiben. Davon, für Südafrikas stärkste Oppositionspartei – die von Weißen dominierte, neoliberale Democratic Alliance (DA) – zu stimmen, riet Kasrils ausdrücklich ab. Seine Kampagne soll nicht der reaktionären Wirtschaftspartei in die Hände spielen, sondern als moralischer Weckruf für die Regierungspartei dienen. Eine Reaktion gegen Korruption, den verschwenderischen Lebensstil der Regierungselite und die Bedrohung der konstitutionellen Demokratie sei sie, so Kasrils.

»Vetternwirtschaft und die Kontrolle der öffentlichen Debatte« hätten sich »wie Krebs im ANC und somit auch in der Regierung und den staatlichen Institutionen ausgebreitet«, heißt es im Gründungspapier der Initiative. Die vernichtende Kritik der Gruppe, der auch die ehemalige stellvertretende Gesundheitsministerin Nozizwe Madlala-Routledge (ebenfalls ANC) angehört, nimmt zudem explizit Bezug auf die »Verschandlungen des nationalen Gewissens wie Nkandla, die Tötung von Andries Tatane und das Marikana-Massaker«. Im Nkandla-Distrikt liegt der Privatwohnsitz von Staats- und Parteichef Jacob Zuma, dessen vorgeblicher Sicherheitsausbau umgerechnet knapp 20 Millionen Euro verschlungen hat. Tatane war ein unbewaffneter Demonstrant, der im April 2011 bei einem Sozialprotest von der Polizei erschossen wurde. In Marikana feuerte eine Spezialeinheit im August 2012 auf streikende Bergarbeiter und tötete 34 von ihnen.

Insbesondere die brutalen Szenen von Marikana, wo Polizeikräfte nach dem ersten Kugelhagel noch nachsetzten und etliche der Opfer aus nächster Nähe förmlich hinrichteten, bedeuteten eine Zäsur für Südafrika. Doch dazu schweigt der ANC im Wahlkampf und stellt einzig seine unbestrittenen Leistungen insbesondere bei der Grundversorgung mit Wasser, Elektrizität, aber auch beim Zugang zum Gesundheits- und Schulsystem für die zu Apartheidzeiten unterdrückte schwarze Bevölkerungsmehrheit in den Vordergrund. »Südafrika ist heute ein besserer Ort zum Leben«, sagte Zuma auf der Feier zum 20. Jahrestag der ersten freien Wahlen 1994 am Sonntag vor einer Woche in Pretoria. Die Botschaft ist klar, die Erinnerung an das brutale Rassistenregime und die seitdem errungenen Verbesserungen soll den Wahlsieg bringen.

Wichtiger als der ANC seien »die Ideale der Partei«, sagt dagegen Kasrils. Er sei nicht verbittert, weil er 2007 im Zuge der Abwahl von Expräsident Thabo Mbeki keinen Sitz im Führungsgremium der Partei mehr bekommen habe, fügt der einstige Geheimdienstchef vorsichtshalber hinzu. »Ich bin 76, ich brauche kein politisches Zuhause.« Doch der moralische Zerfall, den er in der einstigen Befreiungsbewegung ausmacht, für die er drei Jahrzehnte unter Einsatz seines Lebens gekämpft hat, macht ihm zu schaffen. »Ich liebe den ANC und unsere Kommunistische Partei«, bekräftigt Kasrils, erklärt aber auch: »Wenn wir diese Verbrechen von Mord und Korruption sehen, können wir nicht einfach nur zusehen.«

* Aus: junge Welt, Montag, 5. Mai, 2014


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