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Mandelas Traum und die Wirklichkeit

Südafrika 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid – eine Konferenz in Berlin zieht Bilanz

Von Arndt Hopfmann *

In Südafrika sind am 7. Mai Wahlen. Der seit 2009 regierende Präsident Jacob Zuma und sein ANC sind hohe Favoriten, auch wenn viele Hoffnungen nach dem Ende der Apartheid unerfüllt blieben.

Im Jahr 2014 wird das moderne Südafrika 20 Jahre alt und steht vor den fünften demokratischen Wahlen. Die Hoffnungen vieler auf eine schnelle Verbesserung der Lebensbedingungen wurden enttäuscht, politische Versprechen wie die Landreform sind nicht eingelöst. Aber es wurden durchaus bemerkenswerte soziale Fortschritte erreicht.

Eine beachtliche Zahl vor allem junger Südafrikanerinnen und Südafrikaner hat offensichtlich auch materiell von der politischen Wende profitiert. Doch sind mit dem Massaker von Marikana im August 2012, als 34 Bergleute kaltblütig und vorsätzlich erschossen wurden, auch die langen Schatten von Polizeiwillkür und Gewaltexzessen unversehens in die Gegenwart zurückgekehrt. Mehr als genug Ansätze für eine rege Debatte an diesem Montag in Berlin.

Als vor drei Monaten Nelson Mandela im Alter von 95 Jahren und als international verehrter Mensch verstarb, bestand weithin größte Übereinstimmung, dass er Unermessliches für sein Land, Afrika und die Welt geleistet habe. Mandela ist ein wahrer Held, einer, der hohe moralische Werte, Standhaftigkeit und Leidenschaft verkörperte, mitten in einer Welt, in der all diese Qualitäten nur noch selten anzutreffen sind.

Neben den vielfältigen Ehrungen und Anerkennungen dürfte für Mandela selbst wichtig gewesen sein, es selbst noch erlebt zu haben, wie das Ziel seines lebenslangen Kampfes Wirklichkeit wurde – ein modernes, nicht rassistisches Südafrika, in dem alle unabhängig von ihrer Hautfarbe gleichberechtigt leben können.

Die Forderung der Freiheitscharta des Volkskongresses in Südafrika 1955 – »Das Volk soll regieren« – wurde nur im Ansatz umgesetzt. Zwar gelang es dem ANC in den Verhandlungen zum Übergang vom Apartheidregime zu einem »neuen« Südafrika, demokratische Rechte für alle zu sichern; die wirtschaftlichen Verhältnisse, die bekanntlich vor allem auch Eigentumsverhältnisse sind, blieben jedoch weitgehend unangetastet. Und nach den ersten demokratischen Wahlen am 27. April 1994 regierte nicht das Volk, sondern der ANC in einer Allianz mit dem Gewerkschaftsverband COSATU und der Kommunistischen Partei. An der Spitze des Staates stand nun jener Mann, der Jahrzehnte im Gefängnis saß und dessen Lebenswerk sich mit dem weitgehend friedlichen Übergang von der Apartheid zur Mehrparteiendemokratie faktisch vollendete – Nelson Mandela.

Aber so wichtig und hochverdient dieser Sieg auch war, er barg in sich bereits den Keim seiner Erosion.

Das Volk erwartete mehr als eine »formale« demokratische Transformation. Denn das Wahlrecht allein bietet noch keine Garantie, dass alle Mitglieder der neuen Gesellschaft auch in gleichem Maße die Früchte der demokratischen Wende ernten. Mit einer alle Sphären des politischen Lebens dominierenden Partei wie dem ANC gibt es kaum wirkliche Alternativen, durch die insbesondere die große Schar der Armen ihrem Verlangen nach durchgreifenden Veränderungen bei Reichtums- und Chancenverteilung Nachdruck verleihen könnte. Spätestens mit dem berühmt berüchtigten Bekenntnis, »Ich hab mich nicht dem Freiheitskampf angeschlossen, um arm zu bleiben!«, das Smuts Ngonyama (seinerzeit Regierungssprecher unter Thabo Mbeki) zugeschrieben wird, wurde in aller Öffentlichkeit klar, dass auch die ANC-Elite nicht gegen die Verlockungen der Macht gefeit ist.

Die tiefe soziale und ökonomische Spaltung wird Südafrika offensichtlich noch lange begleiten. Wenn die Regierenden nicht größere Anstrengungen unternehmen, die Tendenz zur weiteren Öffnung dieses Spaltes zu brechen und diese Prozesse umzukehren, dann könnte es sein, dass eines Wahltages der ANC und die von ihm geführte Regierung selbst ihr Opfer werden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 24. März 2014


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