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Suche nach Weg für eine EU-Mitgliedschaft

Westerwelle erwartet von Türkei Europa-Kurs

Bundesaußenminister Westerwelle hat die Kritik der CSU an seiner Linie in der Türkei-Politik als »kleinkariert« zurückgewiesen. Deutschland habe nicht nur ein politisches, sondern auch ein wirtschaftliches Interesse an Reformen in der Türkei, sagte Westerwelle am Freitag in Istanbul zum Abschluss seiner Gespräche.

Außenminister Guido Westerwelle hat sich wohlwollend über den Kurs der Türkei Richtung Europa geäußert. Es sei im Interesse Deutschlands, dass die Türkei nicht abdrifte, sondern sich reformiere und sich weiter Richtung EU orientiere, sagte Westerwelle am Freitag (8. Jan.) in Istanbul zum Abschluss seines Besuchs. Die Zusammenarbeit sei auch im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands, weil die Perspektiven Tausender deutscher Firmen davon abhingen. Viele politische Probleme im Nahen und Mittleren Osten seien zudem nur zu lösen, wenn die Türkei ihre Brückenfunktion wahrnehme.

Aufseiten der EU und der Türkei sei jedoch »noch eine Menge Arbeit zu leisten«, hatte Westerwelle zuvor in Istanbul erklärt. Im koalitionsinternen Streit um eine EU-Mitgliedschaft der Türkei setzte er sich gegen die anhaltende Kritik der CSU zur Wehr. »Das ist deutsche Innenpolitik. Das hat mit Außenpolitik nichts zu tun.«

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte dagegen erneut die Vorschläge aus der EU für eine Anbindung der Türkei ohne Vollmitgliedschaft als inakzeptabel. Sein Land werde sich nicht mit einer »halben Mitgliedschaft« zufrieden geben, sagte Erdogan in seinem Gespräch mit Westerwelle in Ankara, wie türkische Medien am Freitag meldeten.

Ungeachtet dessen erklärte die CSU, dass sie trotz Kritik der FDP auf ihrem Kurs in der Türkeipolitik beharre. CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich bekräftigte am Freitag (8. Jan.) die Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft der Türkei. »Das ist unsere Meinung, die wir haben«, sagte Friedrich zum Abschluss der Winterklausur in Wildbad Kreuth. »Wenn Herr Westerwelle eine andere hat, ist das sein Recht.« Die CSU will eine »privilegierte Partnerschaft« mit der Türkei statt einer EU-Mitgliedschaft.

Westerwelle wollte am Freitag (8. Jan.) weiter nach Saudi-Arabien fliegen. Amnesty International forderte den Außenminister auf, bei seinem Besuch in Saudi-Arabien am heutigen Samstag das Thema Menschenrechte anzusprechen. Die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Monika Lüke, warf dem Königreich am Golf in einem Gespräch mit dpa anhaltende Verstöße gegen die Grundrechte vor.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2010


Gepflegte Vorbehalte

Von Uwe Sattler **

Es ist dasselbe Spiel seit Jahren: EU-Politiker mahnen die Türkei zu mehr Reformeifer, um die Beitrittsgespräche endlich voranzubringen. Ankara kontert mit dem Vorwurf, der Westen wolle dem Land nur eine EU-Mitgliedschaft zweiter Klasse zugestehen und lege die Hürden besonders hoch. Nicht anders war es beim Besuch von Bundesaußenminister Westerwelle am Donnerstag und Freitag in der türkischen Hauptstadt.

Tatsächlich haben sich Ankara und Brüssel mit dem Stillstand arrangiert. Denn Fortschritte in den Verhandlungen würden beide Seiten in die Bredouille bringen. Ankara müsste seinen Kurs gegenüber den Kurden mehr als nur verbal ändern und Grundfreiheiten umfassend gewähren. Brüssel stünde nach der »Lissabon-Krise« offener Zwist um eine türkische EU-Mitgliedschaft ins Haus. Denn außer von Griechenland und Zypern wird diese auch von Frankreich nicht gerade gewünscht. Berlin dürfte mit der Stagnation ebenso zufrieden sein, gehen die Meinungen zu einem EU-Staat Türkei doch selbst in der Regierungskoalition auseinander.

Daher werden die Vorbehalte sorgsam gepflegt. Selbst wenn es um die Pressefreiheit in Italien nicht viel besser steht als in der Türkei, Bulgarien und Rumänien trotz grassierender Korruption in die EU aufgenommen wurden und mit Mazedonien ein Staat den offiziellen Kandidatenstatus erhielt, der illegale CIA-Aktionen in Europa unterstützte. Mit solchen Fakten möchte im Dialog Türkei-EU aber niemand hantieren.

** Aus: Neues Deutschland,9. Januar 2010 (Kommentar)


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