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Obama wirft Nebelkerzen

USA-Präsident mit vagen Andeutungen zur Reform zum USA-Geheimdienst NSA

Von Max Böhnel, New York *

In seiner NSA-Rede kurz vor seinem fünfjährigen Jubiläum an diesem Montag blieb sich USA-Präsident Obama treu: Mehr als kosmetische Reformen sind von ihm nicht zu erwarten.

Die Welt schaute – mal wieder - gebannt auf Barack Obama. Schließlich äußerte sich der USA-Präsident vergangenen Freitag zur rund um den Globus kritisierten Arbeit der US-Geheimdienste. In den 45 Minuten dauernden Ausführungen im Washingtoner Justizministerium kündigte er an, die Spähangriffe der National Security Agency NSA einzuschränken. »In seiner derzeitigen Form« werde »das Programm« beendet, sagte Obama nebulös, ohne in Details zu gehen. Neben einer Geheimdienstreform innerhalb der USA versprach er das Ende der Überwachung »der Kommunikation von Staats- und Regierungschefs unserer engen Verbündeten und Freunde«. Auch künftig würden die USA »Informationen über die Absichten fremder Regierungen sammeln«. Darüberhinaus werde sich Washington für die Überwachung »nicht entschuldigen, nur weil unsere Dienste effektiver sein mögen«, sagte Obama.

Er wies seinen Justizminister Eric Holder an, den bisher nur für US-Amerikaner geltenden Rechtsschutz der Privatsphäre auch für Nicht-US-Amerikaner auszuloten. Außerdem soll seiner Direktive zufolge die NSA-Datenbank nur auf konkrete richterliche Beschlüsse hin abgefragt werden – außer »in einem echten Notfall«. Das USA-Außenministerium soll, um vertrauensbildende Maßnahmen mit »ausländischen Partnern« herzustellen, demnächst einen entsprechenden Koordinatorenposten schaffen. Von einem bindenden Abkommen mit Verbündeten über die Grenzen wechselseitiger Spionage, ein sogenanntes No-Spy-Abkommen, wie von Berlin verlangt, ließ Obama nichts verlauten. Letztendlich überlässt er, da seine Direktive weit gefasst ist, die Ausarbeitung der »Reform« seinen Mitarbeitern und dem Kongress – den Politikern im Repräsentantenhaus und im Senat.

Die deutsche Forderung nach einem No-Spy-Abkommen ließ Barack Obama auch tags darauf bei einem kurzfristig zugesagten Exklusivinterview im ZDF unerwähnt. Der USA-Präsident sicherte lediglich zu, dass das Handy der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht von den Geheimdiensten seines Landes abgehört wird. »Solange ich Präsident der USA bin, wird die deutsche Kanzlerin sich keine Sorgen machen müssen«, sagte Obama gegenüber ZDF-Moderator Claus Kleber.

Die Überwachungsmöglichkeiten der US-Geheimdienste gingen »über die Fähigkeiten vieler anderer Staaten hinaus«, sagte Obama, der bisher nur selten deutschen Medien Interviews gegeben hat. Daraus erwachse »eine besondere Verantwortung der USA«. Er wolle erreichen, dass Terrorzellen wie jene in Hamburg, die die Anschläge vom 11. September 2001 verübte, künftig rechtzeitig erkannt würden.

Unterdessen fiel das Pressecho auf seine Rede gemischt aus. Das »Wall Street Journal« reagierte als eines der wenigen Massenmedien mit Lob. Es handele sich um eine »scharfe Beschneidung« und die »bedeutendste Reform der USA-Spionage seit einem Jahrzehnt«, hieß es in der konservativen Tageszeitung. Kritischer gab sich die »Washington Post«. Die Umsetzung von Reformen sei fraglich, hieß es dort, weil Obama die Details anderen überlasse. Die Erfindung von Schlupflöchern und Auswegen, um die altgewohnte Masche weiter durchzuführen, sei deshalb kaum auszuschließen. Die »New York Times« sprach lediglich von »vorsichtigen Korrekturen«, die Obama andeute.

Wichtiger als die Rede Obamas, der nur noch zwei Jahre Amtszeit vor sich hat, und die veröffentlichte Meinung ist jedoch die Öffentlichkeit der Wähler und der anstehende Wahlkampf. In Umfragen betrachten fast zwei Drittel der US-Amerikaner seit mehreren Wochen Edward Snowden als »Whistleblower« (einen, der aus dem Inneren der Macht auf Missstände hinweist), während ihn ein Drittel als »Verräter« ansieht. Dies ist ein beachtliches Abweichen von der herrschenden Meinung in Medien und Regierung zugunsten von Snowden.

Während im Kongress bei den Mainstream-Republikanern und Mainstream-Demokraten ein Konsens der »nationalen Sicherheit« herrscht, formiert sich an beiden Rändern Opposition gegen die Aufweichung der bürgerlichen Freiheitsrechte. Bei den Republikanern ist dies die libertäre Rechte, für die Markt und Privatsphäre als schützenswerte Güter vor dem Staat gelten. Bei den Demokraten sind es einige Linksliberale und Linke, die die bürgerlichen Rechte hochhalten und mutig gegen die Parteiführung vor dem totalitären Überwachungsstaat warnen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 20. Januar 2014

Link zur Originalrede

Hier geht es zur Rede von Präsident Obama: Remarks by the President on Review of Signals Intelligence [externer Link]

Obamas Rede in Deutsch

Und hier geht es zur Direktive des Präsidenten PRESIDENTIAL POLICY DIRECTIVE/PPD-28 vom 17. Januar 2014 zum selben Thema: ppd-28 [pdf-Datei, englisch]




Abhören as usual

Nur Merkels Handy künftig verschont. Sonst wenig Neues vom US-Präsidenten

Von Knut Mellenthin **


Barack Obama läßt das Handy der deutschen Kanzlerin künftig nicht mehr abhören. Das hat der Präsident der USA am Freitag in einer rund 45 Minuten langen Rede mit Ehrenwort versichert. Auch die »Staats- und Regierungschefs« einiger anderer Länder, die von den USA als »unsere engen Freunde und Verbündeten« betrachtet werden, sollen in den Genuß des diskreten Respekts vor ihrer Privatsphäre kommen. Allerdings nur, wie Obama ausdrücklich einschränkte, wenn es keine »zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit« für Überwachungsmaßnahmen gegen diese Personen gibt. An was für hochgefährliche Vorgänge unter »engen Freunden« Obama dabei gedacht haben mag, blieb vorerst sein Geheimnis.

Für Politiker, die zwar auch »enge Freunde« der USA sind, aber keine Staats- und Regierungschefs, sondern vielleicht nur Vizekanzler oder Außenminister, gilt der Abhörverzicht offenbar nicht. Sie müssen damit rechnen, daß sie die volle Härte der Drohung Obamas trifft: »Unsere Nachrichtendienste werden auch weiterhin Informationen über die Absichten von Regierungen rund um die Welt sammeln.« Von irgendwelchen Einschränkungen, die dabei gemacht werden könnten, sprach der Präsident der USA nicht. Das heißt: Was technisch und politisch möglich und nicht allzu auffällig ist, wird auch weiterhin praktiziert.

Von einem Staat, der so mit den Politikern seiner »engen Freunde« umspringt, sollten sich die »normalen Bürger« der Welt keine Schonung erwarten, wenn es um großflächige Überwachungsmaßnahmen geht. Am Donnerstag, einen Tag vor Obamas Rede, hatte die britische Tageszeitung Guardian berichtet, daß der für diese Aktivitäten zuständige US-Nachrichtendienst NSA pro Tag Daten von rund 200 Millionen Kommunikationsvorgängen rund um den Globus abschöpft und speichert. Gesammelt wird alles, was dabei ins Netz geht: Angaben über beteiligte Personen, ihre »Kontakt-Netzwerke«, Reisen, sogar »Kreditkarten-Details« und »finanzielle Transaktionen«.

Solche Zahlen und Fakten waren in Obamas Rede nicht zu finden. Auf konkrete Tatsachen läßt »der mächtigste Mann der Welt« sich generell nur äußerst ungern ein – »aus Sicherheitsgründen«, versteht sich. Er ließ jedoch keinen Zweifel, daß die NSA auch künftig riesige Datenmengen von Menschen aus aller Welt, gegen die keinerlei Verdachtsgründe vorliegen, sammeln soll. Als Begründung griff Obama in seiner Ansprache immer wieder zur Terrorismuskeule. Ein 11. September dürfe sich schließlich nicht wiederholen.

Der Präsident hat für die Fortsetzung der weltweiten Überwachungsmaßnahmen die maßgeblichen Leute im Kongreß hinter sich. Die Demokratin Dianne Feinstein und der Republikaner Mike Rogers, die führenden Vertreter ihrer Parteien im Geheimdienstausschuß des Senats, betonten in einer gemeinsamen Stellungnahme die Notwendigkeit, die NSA-Aktivitäten im vollen Umfang fortzusetzen, »um mögliche terroristische Verschwörungen schnell erkennen zu können«. Sie hätten die Maßnahmen überprüft und befunden, »daß alles legal und wirkungsvoll« gewesen sei. Hoffnungen auf den Kongreß als Kontrollinstanz braucht man sich also nicht zu machen.

Indessen verbargen selbst CDU-Politiker ihre Enttäuschung über Obamas weitgehend inhaltsleere Ansprache nicht. Er gehe nicht davon aus, daß diese Ankündigungen zur Beschwichtigung der Bürger in Deutschland beitragen würden, sagte der innenpolitische Sprecher der Union, Wolfgang Bosbach. »Es war eine Beruhigungsrede«, urteilte CDU-Europapolitiker Elmar Brok, aber »kein wesentlicher Fortschritt zu dem, was bisherige Praxis war.« Angela Merkel allerdings fürchtet nicht etwa die Spitzelmaßnahmen der NSA, sondern die »Belastungsprobe für das deutsche-amerikanische Verhältnis«, die entstehen könnte, falls Generalbundesanwalt Harald Range strafrechtliche Ermittlungen wegen des Abhörens ihres Handys aufnehmen sollte. Bisher hat dieser allerdings nur von der Möglichkeit eines »Anfangsverdachts« gesprochen.

** Aus: junge welt, Montag, 20. Januar 2014


Weiße Salbe

Obama-Rede zur NSA-Schnüffelei

Von Sevim Dagdelen ***


Nach weltweit wachsender Kritik an den NSA-Bespitzelungen startet US-Präsident Barack Obama nun eine PR-Offensive und kündigt eine Reform des US-Überwachungssystems an. Politiker der großen Koalition in Deutschland reagieren verhalten optimistisch und fordern lediglich eine rechtlich verbindliche Fixierung der Zusage Obamas, befreundete Regierungen nicht mehr ausspähen zu wollen, in Form eines No-Spy-Abkommens. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele lobt Obama sogar dafür, daß er endlich die internationale Besorgnis über die US-Spionage zur Kenntnis genommen habe. Die Botschaft aus der Bundesrepublik kann nicht anders verstanden werden als: grünes Licht für die Fortführung der Bespitzelungen für imperialistische US-Kriege.

Denn Fakt ist: Obama hat im Grunde erklärt, mit der Überwachung von Millionen Menschen einfach fortfahren zu wollen. Dieser Tatsache müßte man sich endlich auch hier stellen. Bürgerrechts- und Friedensbewegung in den USA sind in dieser Hinsicht um ein vielfaches kritischer. Allerdings weisen etwa Äußerungen zur Obama-Rede von Justizminister Heiko Maas in eine ganz andere Richtung. Die Bundesregierung will augenscheinlich keinerlei Bemühungen unternehmen, um die demokratische Souveränität der Bundesrepublik herzustellen, um Grundgesetz und Grundrechte zu verteidigen. Ankündigungen, in die USA zu reisen, mit Obama zu telefonieren oder ein No-Spy-Abkommen für Regierungsmitglieder und die deutsche Wirtschaft einzufordern, entkräften nicht den Vorwurf der Schönfärberei. Zumal allen Beteiligten bewußt ist: 99,9 Prozent der deutschen Bevölkerung können mit einem solchen Abkommen nicht geschützt werden. Deshalb ist eine gesellschaftliche Bewegung nötig, die auch die Zusammenarbeit von Bundesregierung und USA bei Bespitzelung und US-Kriegen aufs Korn nimmt.

Es geht aus meiner Sicht um fünf konkrete Maßnahmen, mit denen der Druck auf die US-Administration erhöht werden kann: Sofortige Kündigung des SWIFT- (Bankdatenweitergabe) und des PNR-Abkommens (Fluggastdatenweitergabe) sowie Beendigung der Verhandlungen über eine EU-US-Freihandelszone. Am wichtigsten aber ist, die Infrastruktur für die Spähangriffe und die geheimen US-Kriege in Deutschland zu beseitigen. Das betrifft alle US-Stützpunkte in der Bundesrepublik, insbesondere die Kommandozentralen in Stuttgart und Ramstein. Es kann nicht sein, daß auf deutschem Boden das Grundgesetz mit Füßen getreten wird. Nicht zuletzt ist die Bundesregierung gefordert, endlich für ein UN-Abkommen gegen Grundrechtsverletzungen durch Geheimdienste aktiv zu werden. Es muß die gesamte Bevölkerung schützen und UN-Asyl- und Sicherheitsgarantien für Whistleblower wie Chelsea Manning, Julian Assange und Edward Snowden enthalten.

*** Die Autorin ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linksfraktion

Aus: junge welt, Montag, 20. Januar 2014



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