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Mit schweren Gefechten zur Waffenruhe

Lawrow nennt Streben Kiews in die NATO Sabotage / Ex-Geheimdienstler warnen vor US-Falschinformationen

Von Klaus Joachim Herrmann *

Von Friedensplan und Waffenruhe waren die Gegner im Ukraine-Konflikt am Donnerstag noch weit entfernt.

Die »Vernichtung« von mehr als 100 Gegnern meldete am Donnerstagmorgen das ukrainische Militär aus dem ukrainischen Krisengebiet der »Anti-Terror-Operation«. Gegen Personal und Technik würden Schläge geführt, der Flughafen von Lugansk solle zurückerobert werden. Am Abend hieß es jedoch sogar bei der regierungsfreundlichen Agentur UNIAN, die Stadt befinde sich völlig unter Kontrolle der Aufständischen.

Heftige Explosionen wurden aus der ukrainischen Hafenstadt Mariupol berichtet. Ukrainische Soldaten sagten Journalisten, sie würden versuchen, einen Angriff gepanzerter Fahrzeuge der prorussischen Rebellen abzuwehren. Aus einem weiteren halben Dutzend Ortschaften wurden Kampfhandlungen berichtet.

Gerätselt wurde angesichts der jüngsten Rückschläge der ukrainischen Armee über das Schicksal des Verteidigungsminister Waleri Geletej. Die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, tagte in Kiew hinter verschlossenen Türen. Es solle auch um die Entlassung Geletejs gehen, sickerte über soziale Netzwerke. Zu militärischen Fragen wurde Vize-Minister Iwan Rusnak als »amtierender Verteidigungsminister« als Quelle genannt.

Die militärische Spitze war wiederholt für schwere Mängel bei der Führung der »Anti-Terror-Operation« im Donbass, Verluste und Niederlagen verantwortlich gemacht worden. Nur der Minister selbst war am 1. September mit einer stolzen Siegesmeldung und der verblüffenden Mitteilung aufgefallen, die Russen würden den Einsatz taktischer Atomwaffen planen.

Mehrfach wurde Russland beschuldigt, von seinem Territorium oder mit eigenen Militärs vor Ort in die Kämpfe einzugreifen. Gewissermaßen im Gegenzug beschuldigte Russlands Außenminister Sergej Lawrow die USA, aktiv die »Kriegspartei« in Kiew zu unterstützen. Washington würde nicht die Bemühungen um eine politische Konfliktlösung in der Region fördern, sondern sich an der »zunehmenden anti-russischen Rhetorik« beteiligen.

Am Vormittag hatte Lawrow die Bemühungen der Ukraine um eine NATO-Mitgliedschaft als Gefahr für einen möglichen Waffenstillstand und Friedensschluss in der Ostukraine bezeichnet. Kiews Ankündigung, den blockfreien Status der Ukraine zu beenden und nach einem gescheiterten Versuch im Jahr 2008 abermals den NATO-Beitritt anzustreben, komme angesichts der laufenden Vermittlungsbemühungen zur Unzeit: »Das ist ein offensichtlicher Versuch, die Bemühungen zum Beginn eines Dialogs über die Garantie der nationalen Sicherheit zu sabotieren«, wurde Lawrow von russischen Nachrichtenagenturen zitiert.

Beim NATO-Gipfel im walisischen Newport zeichnete denn auch der scheidende NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen eine weltpolitische Lage mit klaren Feindbildern. In einem Atemzug verwies er darauf, dass im Osten Russland die Ukraine angreife und im Südosten die Terrororganisation Islamischer Staat aufsteige. Als Reaktion auf den Ukraine-Konflikt mit Russland will die NATO einen Aktionsplan beschließen, der nicht nur eine deutlich stärkere Präsenz in ihren osteuropäischen Mitgliedstaaten vorsieht, sondern auch den Aufbau einer als »Speerspitze« bezeichneten Eingreiftruppe, die innerhalb von zwei bis drei Tagen kampfbereit sein soll.

Der 7-Punkte-Friedensplan von Präsident Putin war Rasmussen nur einen Konter im Stile eine Ultimatums wert. Russland müsse seine Truppen von der Grenze zur Ukraine abziehen, das Einsickern von Waffen und Kämpfern in das Land stoppen, die Unterstützung von bewaffneten Separatisten einstellen und konstruktive politische Bemühungen für eine Lösung beginnen. Der ukrainische Staatschef traf sich vor dem Gipfel in der von einem Golfplatz umgebenen Hotelanlage »Celtic Manor Resort« mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama, dem britischen Premier David Cameron sowie Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi.

Informationen aus erster Hand dürften ihren Wert haben. Vor dem Gipfel warnte eine Gruppe ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter die deutsche Bundeskanzlerin in einem offenen Brief, auf mögliche Fehlinformationen der Amerikaner über den Ukraine-Konflikt hereinzufallen. »Die Vorwürfe einer großen russischen Invasion in der Ukraine scheinen nicht von vertrauenswürdigen Geheimdienstinformationen gestützt zu werden«, schrieben sieben pensionierte Ex-Regierungs- und Militärmitarbeiter. Die Autoren vergleichen die Vorwürfe des Westens gegen Russland mit der Argumentation der USA vor dem Irak-Krieg 2003. Die von der NATO und den USA veröffentlichten Fotos russischer Truppen und Panzer in der Ukraine könnten falsch sein.

* Aus: neues deutschland, Freitag 5. September 2014


Die »Wladiwostok« darf nicht auslaufen

Frankreich stoppt nun doch die Lieferung eines Kriegsschiffes an Russland

Von Ralf Klingsieck, Paris **


Am Vorabend des NATO-Gipfels in Wales hat Frankreichs Präsident François Hollande beschlossen, das bereits fertiggestellte Kriegsschiff vom Typ Mistral nicht an Russland auszuliefern.

François Hollande ist jetzt wohl der Kritik der Verbündeten zuvorgekommen. Vor allem die USA, Großbritanniens und die baltischen Staaten hatten sich sehr negativ zu der noch Ende Juli von Paris vertretenen Haltung geäußert, den Anfang 2011 zwischen Nicolas Sarkozy und Wladimir Putin geschlossenen Vertrag über einen – bereits bezahlten – Hubschrauberträger umzusetzen. Die Lieferung eines zweiten, noch im Bau befindlichen Schiffes des gleichen Typs sollte von den Entwicklungen im Konflikt in der Ostukraine abhängen.

Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates im Elysée unter Leitung des Präsidenten wurde am Mittwochabend festgestellt, dass »die Bedingungen für die Lieferung dieses ersten Mistral-Schiffes nicht gegeben sind« und dass damit die für den 1. November geplante Abfahrt des auf den Namen »Wladiwostok« getauften Schiffes gestoppt ist.

Was mit dem zweiten, ebenfalls vertraglich vereinbarten Schiff wird, das nach dem Krim-Hafen »Sewastopol« benannt werden soll und dessen Montage auf der Werft in Saint-Nazaire bevorsteht, ist offen. Seit Monaten befinden sich bereits 400 russische Marineangehörige – die künftigen Besatzungen der beiden vor allem für Kommandoeinsätze fern der Heimathäfen geeigneten Schiffe – in Saint-Nazaire, um sich auf die Übernahme vorzubereiten. Die Formulierung des Kommuniqués des Präsidentenbüros lässt die Möglichkeit offen, dass Frankreich seine Haltung doch noch ändert, wenn der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine friedlich beigelegt wird.

Daran kann Paris auch nur gelegen sein, denn andernfalls müssten die 1,2 Milliarden Euro, die Moskau bereits für die beiden Schiffe überwiesen hat, zurückgezahlt werden. Zudem wäre mit einem Prozess vor einem internationalen Gerichtshof und mit millionenschweren Strafzahlungen zu rechnen. Eine Entscheidung dürfte im Oktober fallen.

Die Kommentare zur Entscheidung des Präsidenten sind zwiespältig. So wird begrüßt, dass Putin, der ganz offensichtlich den Ostukraine-Konflikt anheize, nicht noch durch die Lieferung modernster Kriegstechnik gestärkt wird und Boykottmaßnahmen der EU- und NATO-Staaten gegen Russland ad absurdum geführt werden. Doch überwiegen die kritischen Stimmen, die sich unzufrieden zeigen, weil sich Hollande offensichtlich dem massiven Druck aus Washington und London gebeugt habe.

Gleichzeitig geben die Kritiker zu bedenken, dass Frankreich mit diesem völkerrechtswidrigen Bruch eines bestehenden bilateralen Vertrages Zweifeln an seiner Zuverlässigkeit und Vertragstreue auch bei künftigen Abkommen mit anderen Staaten Tür und Tor öffnet. Auf dem Spiel steht beispielsweise ein Abkommen mit Indien über die Lieferung mehr als 100 Rafale-Jagdflugzeugen im Wert von 12 Milliarden Dollar, über das seit Monaten verhandelt wird.

Die Gewerkschaften wiederum sind besorgt über die Gefährdung von mehreren hundert Arbeitsplätzen auf der Werft von Saint-Nazaire. Sie fordern von der Regierung in Paris, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten nicht die unschuldigen Opfer eines internationalen Konflikts werden.

** Aus: neues deutschland, Freitag 5. September 2014


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