Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Putins neue Schlagworte

Russlands Präsident für eigene "Staatlichkeit" der Ostukraine

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Nicht mehr und nicht weniger als baldige Verhandlungen über die Eigenstaatlichkeit der Südostukraine forderte Russlands Präsident Putin am Sonntag in einem TV-Interview für den Ersten Kanal.

Was steckt hinter Wladimir Putins jüngsten Äußerungen? Der Politikwissenschaftler Fjodor Lukjanow, Vorsitzender des Rates für Außen- und Sicherheitspolitik und Chefredakteur der einflussreichen außenpolitischen Zeitschrift »Russland in der globalen Politik«, sagte bei Radio Echo Moskwy, der Kremlchef wolle mit seiner Forderung nach Eigenstaatlichkeit der Ostukraine Druck auf die Führung in Kiew ausüben – und sich zugleich die Möglichkeit für politische Manöver offen lassen. Es gehe um Gespräche »über die politische Organisation der Gesellschaft und den staatlichen Status für die Südostukraine«, zitierte ITAR-TASS den Präsidenten.

Im gleichen Atemzug erinnerte Putin daran, dass er sich in der Vorwoche in Minsk mit seinem ukrainischen Amtskollegen Pjotr Poroschenko darauf verständigt habe, dass der Konflikt ausschließlich mit friedlichen Mitteln beigelegt werden muss. Kreml-Sprecher Peskow bestritt denn auch, dass Moskau eine Spaltung der Ukraine anstrebe. Die Rebellen sollten keinen eigenen Staat erhalten, allerdings müsse Kiew »die Interessen Neu-Russlands anerkennen«. Der Präsident hatte dieser Tage den Terminus erstmals für die Rebellenregionen verwendet. So wurden jene Gebiete in der Südostukraine und in Süd-Russland Ende des 18. Jahrhunderts bezeichnet, die Moskau zuvor den Osmanen abgenommen hatte. Offiziell eingegliedert in das Zarenreich wurden sie erst Jahre später. Russische Hurra-Patrioten holten den Begriff gleich zu Beginn der Kämpfe in der Ostukraine im April aus der Mottenkiste, inzwischen operieren damit auch putintreue Medien. Währenddessen haben russischen Behörden eine Gruppe von Soldatenmüttern, die Auskünfte über die vermutete Präsenz Moskauer Truppen in der Ostukraine verlangten, als »ausländische Agenten« eingestuft.

Putins jüngste Erklärung macht aus Sicht von Beobachtern deutlich, dass Moskau Hoffnungen auf eine Verfassungsreform in der Ukraine, mit der sich diese zum Bundesstaat erklärt, offenbar abgeschrieben hat. Nicht zuletzt, weil angesichts der eskalierenden Kämpfe zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen, bei denen es bereits über 2000 Tote und fast eine Million Flüchtlinge gab, der Fortbestand der Ukraine als Staat in seinen derzeitigen Grenzen immer weniger Chancen hat. Zwar erklärte auch Außenminister Sergei Lawrow, Russland sei an einem Zerfall der Ukraine nicht interessiert. Putins Auslassungen dagegen lassen vermuten, dass er ein Szenario favorisiert, das schon in Moldaus abtrünniger Slawenregion Transnistrien zum Einsatz kam. Russland unterstützt dort zwar die Separatisten, seit diese sich Anfang der 1990er Jahre für unabhängig erklärten, erkennt die Region jedoch – anders als Georgiens Abspaltungen Südossetien und Abchasien – diplomatisch nicht an. Und man gibt auch dem offiziellen Ersuchen auf Beitritt zur Russischen Föderation nach dem Beispiel der Krim nicht statt. Transnistrien hat wie die Krim keine Landverbindung zu russischem Gebiet.

Russland, so warnte der unabhängige Politikwissenschaftler Stanislaw Belkowski schon im Frühjahr, müsse einen Korridor durch die Südukraine schlagen, um beide Regionen auf Dauer halten zu können. Damit würde Kiew den Zugang zum Schwarzen wie zum Asowschen Meer verlieren; riegsschiffe der NATO könnten ukrainische Häfen dann nicht mehr anlaufen. Ziel der Großoffensive, die die Separatisten jetzt starteten – nach eigener Darstellung mit militärischer Unterstützung Moskaus – ist das strategisch wichtige Mariupol mit überwiegend russischsprachiger Bevölkerung.

* Aus: neues deutschland, Montag 1. September 2014


Drang nach Osten

NATO plant Errichtung von Stützpunkten gegen »Bedrohung« Rußlands **

Die NATO plant einem Zeitungsbericht zufolge fünf neue Stützpunkte in Osteu­ropa. Auf den Basen in den drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie in Polen und Rumänien sollen Logistiker, Aufklärer und Planer Manöver vorbereiten und im Ernstfall Einsätze führen, berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung unter Berufung auf einen hochrangigen NATO-Beamten. Einzelheiten würden nach dem NATO-Gipfeltreffen in Wales ausgearbeitet, das für Donnerstag und Freitag terminiert ist. Der Zeitung zufolge will die Allianz bei dem Treffen einen Plan zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft beschließen. Darin werde Rußland als »Bedrohung für die euroatlantische Sicherheit« eingestuft und der Aufbau einer Eingreiftruppe mit etwa 4000 Mann angekündigt. Diese solle innerhalb von zwei bis sieben Tagen in Krisengebiete verlegt werden können. Der scheidende NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte den Aufbau von Stützpunkten bereits vor einigen Tagen in einem Interview mit dem britischen Guardian angekündigt, Einzelheiten aber offengelassen.

Der Plan soll dem Bericht zufolge im Einklang mit Zusicherungen stehen, die die NATO Rußland vor dem Beitritt der osteuropäischen Staaten gegeben habe. Allerdings sei intern umstritten, ob dies auch erwähnt werden solle. Tatsächlich setzen einer Meldung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom Sonntag zufolge Polen, die baltischen Staaten und Kanada sogar darauf, die 1997 unterzeichnete »Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation« komplett aufzukündigen. Diese legt der NATO Beschränkungen bei der Stationierung von Truppen auf dem Gebiet des ehemaligen Ostblocks auf. Die Bundesregierung wehrt sich laut Spiegel bislang dagegen, den Kontrakt zu kündigen.

Bundesverteidigungsministerin Ur­sula­ von der Leyen lehnte unterdessen eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ab. Dies stehe jetzt nicht auf der Tagesordnung, sagte sie der Bild am Sonntag. Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk hatte am Freitag angekündigt, sein Land werde die Mitgliedschaft in der Allianz anstreben. Rasmussen hatte erklärt, er respektiere den Wunsch. Eine NATO-Mitgliedschaft gilt in absehbarer Zeit aber als unwahrscheinlich.

** Aus: junge Welt, Montag 1. September 2014


Widerstand gegen die Sanktionsschraube

Streit in der EU um Strafmaßnahmen gegen Russland

Von Olaf Standke ***


Verschärfte Sanktionen gegen Russland hat der EU-Gipfel in Brüssel zwar angedroht, aber noch nicht beschlossen.

Erschwerter Zugang zu den EU-Finanzmärkten für russische Banken mit einem staatlichen Anteil von mindestens 50 Prozent, Verbot künftiger Rüstungslieferungen, Exportverbot für bestimmte Hochtechnologiegüter an das Militär wie etwa Verschlüsselungssysteme und für Hochleistungscomputer, Ausfuhrverbote für Spezialtechnik zur Ölförderung beispielsweise in der Arktis – all diese Wirtschaftssanktionen gegen Moskau, erst am 31. Juli verhängt, galten den Hardlinern in der Europäischen Union schon seit geraumer Zeit nicht mehr als ausreichend.

Zuvor schon waren in mehreren Schritten Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen insgesamt 95 Personen in Russland erlassen worden. Zudem wurde eine schwarze Liste mit 23 Unternehmen oder Organisationen angelegt, die keine Geschäfte mehr mit der EU machen dürfen. Das sind vor allem Firmen, die vom Zugriff Moskaus auf die Krim profitierten. Nun sollte der EU-Gipfel die Daumenschrauben weiter anziehen. Die Staats- und Regierungschefs drohten mit neuen Sanktionen, werde die »Aggression der russischen Streitkräfte auf ukrainischem Boden« nicht gestoppt. Allerdings wurde die endgültige Entscheidung vertagt. Binnen einer Woche sollen die EU-Mitgliedstaaten nun über einen Vorschlag der EU-Kommission entscheiden, ob weitere Personen und Unternehmen mit Strafmaßnahmen belegt werden, wie der scheidende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy nach dem Gipfel in Brüssel erklärte.

Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte auf einen Sanktionsbeschluss schon vor dem am Donnerstag beginnenden NATO-Gipfel gedrungen; andere wie Zypern und Ungarn aber traten auf die Bremse. »Ich lehne einen solchen Sanktionskrieg ab«, betonte etwa der slowakische Ministerpräsident Robert Fico in der sonntäglichen Onlineausgabe der Zeitung »SME«. Die Sanktionen hätten bisher keine Bewegung in die Haltung Russlands gebracht, sondern das Gegenteil erreicht. Darauf wies auch der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka hin. Er wollte auf dem Sondergipfel in Brüssel keinen »Blankoscheck« für weitere Maßnahmen unterzeichnen und behalte sich das Recht vor, Teile der Sanktionsvorschläge der EU-Kommission abzulehnen, erklärte er am Sonntag dem Sender CT.

*** Aus: neues deutschland, Montag 1. September 2014


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Russland-Seite

Zur Russland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur EU-Europa-Seite

Zur EU-Europa-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur NATO-Seite

Zur NATO-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage