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Unterm Rettungsschirm wird's eng

Hilfsantrag des Euro-Schwergewichts Spanien wird schon am Wochenende erwartet

Von Ralf Streck, Madrid, und Kurt Stenger *

Mit Spanien steht der nächste Kandidat für Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds und verschärfte Einsparprogramme offenbar schon in den Startlöchern.

Spanien könnte entgegen den bisherigen Beteuerungen der Regierung ganz schnell unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen. Schon am Wochenende werde der Nothilfe-Antrag gestellt, berichteten am Freitag verschiedene Nachrichtenagenturen unter Berufung auf Quellen in Brüssel, Berlin und Madrid. »Die spanische Regierung hat den Ernst der Lage erkannt«, zitierte Reuters einen EU-Vertreter. Die Ankündigung werde für Samstagnachmittag erwartet. Zuvor sollen die Finanzminister der Euro-gruppe zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet werden, auf der die Details geklärt würden, berichteten später auch Bloomberg und dpa. Angesichts einer neuerlichen Herabstufung der spanischen Bonität durch die Ratingagentur Fitch scheinen die Märkte ungeduldig zu werden und eine Entscheidung möglichst vor der Parlamentswahl in Griechenland am 17. Juni zu erwarten.

Letzte Meldung

Spaniens Banken unter dem EU-Schirm

Am Samstag hat Spanien angekündigt, Finanzhilfen aus den Euro-Rettungsfonds zu beantragen. Anders als Griechenland, Portugal und Irland, die bereits unter den Rettungsschirm geschlüpft sind, soll der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone aber kein strenger Sparkurs im Gegenzug für die Hilfen abverlangt werden. Die Auflagen dafür beziehen sich nach Angaben des spanischen Wirtschaftsministers Luis de Guindos nur auf den Bankensektor.
Dass nicht der Staat an sich, sondern nur die Banken Hilfe bräuchten, sei den Reformen seiner Regierung zu verdanken, betonte Rajoy. Ohne die Reformen der vergangenen fünf Monate hätte es einen Rettungsantrag für das gesamte Land geben müssen, sagte er.
Auf die Frage, ob er unter Druck gesetzt worden sei, Hilfen zu beantragen, sagte Rajoy: "Niemand hat Druck auf mich ausgeübt. Ich weiß nicht, ob ich das sagen sollte, aber ich war derjenige, der Druck gemacht hat, weil ich eine Kreditlinie wollte, die ein wichtiges Problem für uns hier löst."
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) würdigte in einer Erklärung "die Entschlossenheit der spanischen Regierung". Das Land "als Ganzes" sei dank eingeleiteter Reformen "auf einem guten Weg". In den ARD-"Tagesthemen" sagte Schäuble zudem, er sehe keine Notwendigkeit für weitere Rettungsaktionen in Spanien.
(AFP, 09.06.2012)



Aus Madrid kamen nur ausweichende Statements. Man wisse nichts über eine Telefonkonferenz, hieß es, wenn überhaupt ein Kommentar abgegeben wurde. Im Anschluss an die wöchentliche Kabinettssitzung erklärte die Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría: »Es sind noch keine Entscheidungen gefallen.« Auf die Nachfrage von Journalisten, ob der Nothilfeantrag am Samstag gestellt werde, antwortete sie: »Wir warten auf die Zahlen derer, die unser Bankensystem analysieren.«

Am Wochenende sollen Ergebnisse einer ersten Überprüfung der angeschlagenen spanischen Banken in Ma-drid vorliegen. Ein Bericht des Internationalen Währungsfonds soll laut Informationen spanischer Medien den Kapitalbedarf auf 40 bis 80 Milliarden Euro beziffern. Spanische Geldhäuser sitzen seit dem Zusammenbruch des heimischen Immobilienmarktes auf einem Berg fauler Kredite. Die Regierung griff insbesondere Sparkassen bereits mit Milliardenbeträgen unter die Arme, um deren Zusammenbruch zu verhindern. Doch die schwache Konjunktur sowie eine Kapitalflucht von Sparern ins Ausland setzen diese weiter unter Druck, so dass neue Kapitalspritzen nötig sind. Aufgrund der bereits schwierigen Haushaltslage wird dies der Staat nicht stemmen können. Bisher lehnt die Regierung in Madrid aber einen Antrag auf mit harten Auflagen verbundene Darlehen aus dem EFSF ab und will die Krise allein in den Griff bekommen. Spanien verzeichnet schon jetzt die höchste Arbeitslosigkeit in der Eurozone.

Auch in Brüssel wurden die Meldungen eines bevorstehenden Hilfegesuchs Spaniens weder dementiert noch bestätigt. »Wir haben bisher keinen Antrag aus Spanien erhalten. Wenn er kommt, dann stehen die angemessenen Instrumente bereit«, sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn mit Blick auf den temporären Euro-Rettungsfonds EFSF. Aus Brüssel war indes auch zu vernehmen, dass noch das entscheidende Signal aus Madrid fehle, damit der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, die Telefonkonferenz anberaume. Auch in Berlin und Paris wurden die Berichte weder dementiert noch bestätigt. Der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, sagte lediglich: »Die Entscheidung liegt bei der spanischen Regierung.«

Insbesondere die deutsche Regierung soll Spanien vehement dazu drängen, einen Antrag auf Rettungsgelder zu stellen. Dies wurde offiziell aber immer bestritten.

* Aus: neues deutschland, Samstag 9. Juni 2012


Spaniens Banken brauchen Geld

Kapitalbedarf beträgt mindestens eine zweistellige Milliardensumme

Von Ralf Streck, Madrid **


Schlüpft Spanien unter den Rettungsschirm? Berichtet wird, dass das Land nach der Abstufung durch die Ratingagentur Fitch noch an diesem Wochenende den Antrag stellen wird.

Die übereinstimmende Meldung verschiedener Nachrichtenagenturen, die spanische Regierung werde noch am Wochenende einen Nothilfeantrag stellen, klingt plausibel. Längst ist klar, dass Spanien weitere Milliarden benötigt, um sein Bankensystem zu stützen. Unklar ist jedoch, woher das Geld kommen soll. Selbst wenn es dem Land gelänge, die benötigte Summe am Kapitalmarkt aufzunehmen, ginge dies nur zu einem schmerzhaft hohen Preis. Bei einer Versteigerung von zehnjährigen Staatsanleihen musste das Land am Donnerstag mehr als sechs Prozent Zinsen bieten, um am Ende 2,1 Milliarden Euro zusammenzubekommen. Die Bedingungen haben sich inzwischen weiter verschlechtert, denn die Ratingagentur Fitch hat die Kreditwürdigkeit Spaniens am späten Donnerstagabend gleich um drei Stufen abgewertet.

Auch Spanien ist nun in die Nähe eines Ramschniveaus gerückt, womit sich die Kreditaufnahme erschwert und weiter verteuert. Schon das derzeitige Zinsniveau kann man sich aber nicht für einen längeren Zeitraum leisten - der jährlich fällige Schuldendienst steigt dadurch kräftig an -, weshalb der Gang unter den temporären Euro-Rettungsschirm EFSF wohl der einzig gangbare Weg ist. Wie viele Experten rechnet auch Fitch damit, dass spanische Banken bis zu 100 Milliarden Euro zur Rekapitalisierung benötigen. Dazu kommt, dass das Land in der Rezession steckt, die es nach Prognosen auch 2013 nicht verlassen wird. Das führt unter anderem dazu, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt und noch mehre Kredite ausfallen, womit der Kapitalbedarf der Banken weiter steigt.

Dass der spanische Hilfsantrag am Wochenende gestellt wird, dafür spricht auch die bisherige Praxis: Stets wird versucht, in derart dramatischen Situationen die Finanzmärkte vor vollendete Tatsachen zu stellen, bevor die Börsen öffnen. Panische Reaktionen sollen damit vermieden werden. Des Weiteren wird die konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy schon am Wochenende die Summe kennen, welche die spanischen Banken aufbringen sollen, um sich gegen bereits faule und potenziell noch faul werdende Kredite finanziell zu wappnen. Das Ergebnis der Untersuchung des Kapitalbedarfs wird offiziell am Montag veröffentlicht; begleitet wird dies durch eine Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF).

In einigen Fällen ist der Kapitalbedarf schon bekannt. Die verstaatlichte Sparkassengruppe Bankia und ihre Muttergesellschaft BFA benötigen allein 23,5 Milliarden Euro. CatalunyaCaixa und Novagalicia benötigen nach Angaben der spanischen Notenbank weitere neun Milliarden. In diese schon zuvor verstaatlichten Kreditinstitute sind bereits knapp 4,5 Milliarden geflossen. Doch das sind nicht die einzigen Sorgenkinder. Die Summe von 40 Milliarden Euro, die verschiedene Medien unter Bezug auf den IWF-Bericht nannten, dürfte daher zu niedrig sein. Eine externe Studie von Wirtschaftsprüfern über den Kapitalbedarf der Banken wird erst in gut zwei Wochen erwartet.

Spanien hofft indes weiter auf einen Sonderweg. Die Regierung will durchsetzen, dass anders als in Griechenland, Irland und Portugal nicht der Staat, sondern nur das Bankensystem Geld aus dem Rettungsfonds erhält. Aber laut den Verträgen zu den beiden Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM ist nur vorgesehen, dass Staaten unter den Rettungsschirm schlüpfen. Das möchte die spanische Regierung aber vermeiden - die Kontrolleure der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und IWF würden bei einem Gang des Staates unter den Rettungsschirm einen massiven Einfluss auf die Entscheidungen im Land erhalten.

** Aus: neues deutschland, Samstag 9. Juni 2012


Spanische Grippe

Von Kurt Stenger ***

Unter dem Euro-Rettungsschirm wird es eng, bevor dieser komplett aufgespannt ist. Wenn Spanien, worauf Vieles hindeutet, bald eine mindestens zweistellige Milliardensumme beantragen wird, ist der permanente Nothilfefonds ESM noch gar nicht gestartet. Mit Spanien würde erstmals ein wirtschaftliches Schwergewicht der Eurozone Geld benötigen - die Krise bekäme eine ganz neue Dimension. Und sollte sich Italien die spanische Grippe holen, wäre der Schirm endgültig zu klein.

Eigentlich müsste die politische Klasse Europas nun endlich einsehen, dass ihr Krisenmanagement einfach nicht funktioniert. Wie denn auch? Die Geldpolitik der EZB setzt auf leicht inflationäre, wachstumsankurbelnde Maßnahmen, die nationale Finanzpolitik steuert mit brutalen Kürzungen die Krisenländer in die Rezession und Deflation. In Spanien hat sich ein Teufelskreis aufgebaut: Die Sparmaßnahmen zur Finanzierung strauchelnder Sparkassen belasten die Konjunktur; Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten nehmen zu; die Geldinstitute verzeichnen noch mehr Kreditausfälle. Schon jetzt ist offiziell fast jeder Vierte arbeitslos und unter jungen Leuten sogar mehr als jeder Zweite. Mit einem Nothilfeantrag würde die eiserne Hand der Troika den Sparkurs noch verschärfen.

Auch wenn Spanien selbst für die geplatzte Immobilienblase verantwortlich ist - die bisherige Ausgestaltung der EU-Währungsunion ließ dem Land kaum einen anderen Weg. Auch die echte Spanische Grippe 1918/1919 nahm nicht in Spanien ihren Anfang.

*** Aus: neues deutschland, Samstag 9. Juni 2012 (Kommentar)


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