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Nicht so ein Durcheinander wie in Griechenland

Exportversicherer sind vorsichtiger, wollen Spanien-Geschäfte der deutschen Industrie aber weiterhin versichern

Von Hermannus Pfeiffer *

Es ist ein weiterer harter Schlag für Griechenland, dass europäische Kreditversicherer keine Warengeschäfte nach Hellas mehr absichern. Spanien bleibt dies vorerst erspart.

Tomaten aus Spanien wird es ebenso weiterhin in deutschen Supermärkten zu kaufen geben wie deutsche Luxuskarossen in Madrid und Sevilla. Im Gegensatz zum Fall Griechenland ziehen die drei führenden europäischen Exportversicherer trotz des Hilfsantrags der spanischen Regierung noch nicht die Notbremse – bis auf Weiteres werden sie daher auch die Im- und Exporte der deutschen Wirtschaft decken.

Industrie und Handel sichern nahezu alle Warengeschäfte über einen privaten Kreditversicherer ab, beispielsweise gegen den Zahlungsausfall des Käufers. Ohne solche Garantien würden Firmen gerade in der augenblicklichen Lage kaum noch Autos, Werkzeuge oder Chemieprodukte nach Spanien ausführen. Das Land gehört aber für die deutsche Wirtschaft zu den wichtigsten Handelspartnern: Der Export erreichte 2011 rund 35 Milliarden Euro, das deutsche Außenhandelsplus – und spiegelbildlich das spanische Defizit – betrug über 12 Milliarden. Betroffen von einem Stopp der Kreditversicherer wären gerade die Vorzeigeexportbranchen Maschinenbau und Autoindustrie.

»Spanien steht schon auf der Liste, wo wir genauer hingucken«, gibt Erich Hieronimus, Sprecher des französischen Kreditversicherers Coface, auf Anfrage zu. Doch an der Einschätzung habe sich durch das Bankenrettungspaket nichts geändert. »Wir haben keine Pläne, es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass wir Spanien komplett aus der Deckung nehmen müssten.« Die Wirtschaft auf der iberischen Halbinsel sei nicht an einem Punkt angelangt wie die in Griechenland. »Was wir machen, ist eine genaue Prüfung der konkreten Risiken der einzelnen Unternehmen, keine Pauschalabwertungen.«

Schlechter ergeht es da den Griechen. In der vergangenen Woche hatte der Rückzug von Euler Hermes für Aufregung gesorgt. »Exporte nach Griechenland sind aufgrund der jüngsten wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten deutlich risikoreicher geworden «, erklärte ein Sprecher des Kreditversicherers in Hamburg. Obwohl der Griechenland-Anteil deutlich unter ein Prozent gerutscht ist, werde man keine neuen Warenlieferungen nach Griechenland mehr decken, heißt es von der Allianz-Tochter.

Andere Warenkreditversicherer waren schon vor dem Branchenprimus in Deckung gegangen. Die Pariser Coface hatte im vergangenen Herbst damit begonnen, ihr Griechen-Geschäft herunterzufahren; inzwischen hat man die Neudeckungen ganz gestoppt. »Für griechische Unternehmen gibt es kaum noch verlässliche Kalkulationsgrundlagen«, begründet Coface-Sprecher Hieronimus das Aus. Selbst namhafte Unternehmen könnten insolvent gehen. Versicherer bräuchten aber nun mal nachvollziehbare Risikokriterien und die seien »in dem Durcheinander in Griechenland« nicht mehr greifbar. »Das ist eine völlig andere Situation als jetzt etwa in Spanien.« Auch die niederländische Atradius, Nummer drei der verschreckten Sicherheitsverkäufer, warnt vor griechischen Unternehmen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen könnten.

Für die deutsche Wirtschaft springt nun einmal mehr die Bundesregierung rettend ein. Seit 1997 waren Exporte in EU-Mitgliedstaaten allein privaten Kreditversicherern vorbehalten, da die Risiken als »marktfähig« galten. Ab sofort können deutsche Exporteure alle Griechengeschäfte mit Zahlungszielen von bis zu zwei Jahren durch eine staatliche »Hermesbürgschaft « absichern.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Juni 2012


Eine Last für alle

Ökonomin Miren Etxezarreta über Alternativen für Spanien **

Miren Etxezarreta (geb. 1936) ist emeritierte Professorin für Wirtschaft der Autonomen Universität von Barcelona und hat einen Doktor der London School of Economics. Mit der ursprünglich aus dem Baskenland stammenden Ökonomin, die dem Lenkungsausschuss der EuroMemo-Gruppe angehört, sprach für das "neue deutschland" (nd) Ralf Streck.


nd: Womit haben wir es in Spanien zu tun: mit einem Hilfskredit oder doch mit einer Rettungsaktion, die mit strengen Auflagen verbunden sein wird?

Etxezarreta: Die Regierung spricht nur über einen Kredit und die Kritiker sprechen von einer Rettung, wie das im Ausland ohnehin alle tun. Die Regierung versucht uns in einer Marketingoperation weis zu machen, dass dies keine Konsequenzen für uns haben werde.

Zumal EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia deutlich gemacht hat, dass die Geldgeber stets wissen wollen, was mit ihrem Geld geschieht. Die Regierung hat keinerlei Glaubwürdigkeit mehr. Noch vor zwei Tagen erklärte sie mit Nachdruck, es werde keine Rettungsaktion geben, von der alle wussten, dass sie kommen wird. Man muss auch bedenken, dass es bereits harte Einschnitte ins Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem gegeben hat sowie die Steuern erhöht wurden, angeblich um eine Rettungsaktion zu verhindern. Deren Auflagen werden also schon umgesetzt.

In welcher Situation befindet sich das spanische Bankensystem?

Ein wichtiger Teil der spanischen Banken ist technisch pleite. Das ist offensichtlich, wenn sie derartige Summen zur Rekapitalisierung benötigen. Dies dürfte vor allem mit der unheilvollen Politik während des Immobilienbooms zu tun haben und mit der fehlenden Fähigkeit, sie nach dem Platzen der Blase wieder auszugleichen.

Wurde die Situation durch die Maßnahmen erst der sozialistischen und jetzt der konservativen Regierung nicht noch verschlimmert?

Natürlich. Die Sparpolitik, die von der EU diktiert und hier von den Regierungen enthusiastisch aufgenommen wurden, ist dafür verantwortlich. Wenn die Arbeitslosigkeit extrem steigt, fallen immer stärker Hypotheken- und Konsumkredite aus, weil sie die Leute nicht mehr bedienen können. Man muss auch die Privatisierung der Sparkassen beachten, die mit der Krise durchgezogen wurde. Wenn man sieben arme Sparkassen zur Bankia-Bank fusioniert, dann wird daraus noch kein Reicher. So entstand der jetzige Finanzbedarf von 23,5 Milliarden Euro. Und es geht nicht nur um Bankia.

Wurden aus kleineren Sparkassen große Banken geschaffen, um die Rettung jetzt als alternativlos darzustellen?

Ein großer Teil des heutigen Problems resultiert aus Entscheidungen, die in den letzten Jahren getroffen wurden.

Gibt es Alternativen dazu, nun mit bis zu 100 Milliarden Euro Banken zu stützen?

In der Ökonomie gibt es immer Alternativen. Die Frage ist nur, wem sie nützen und wen sie benachteiligen. Jetzt werden die Schulden von Banken mit einem Federstrich zu Staatsschulden gemacht, also der Allgemeinheit aufgelastet. Gerettet werden Banken, nicht nur spanische, sondern auch deutsche, französische, britische und US-Banken. Mit dieser Operation wird klar, dass wir es mit einem Problem des privaten Finanzsystems zu tun haben. Wir als Bürger sollen die Verrücktheiten des Privatkapitals bezahlen, weil es pleite ist. Die logische Konsequenz wäre, die Banken abstürzen zu lassen. Sogar die OECD sagt, man sollte nur die Banken retten, die eine Überlebenschance haben, und die abwickeln, die sehr schlecht dastehen. Das ist eine Alternative, aber weil sie den Banken und ihren Anlegern nicht nützt, wird sie nicht einmal in Erwägung gezogen.

Wäre es nicht besser, das Geld in die Realwirtschaft zu investieren, zum Beispiel in erneuerbare Energien, um die Importabhängigkeit zu verringern - mit neuen Arbeitsplätzen können die Menschen auch ihre Kredite bezahlen?

Das wäre eine Alternative, die statt dem Finanzkapital der Allgemeinheit nützen würde. Es ist eine Frage des politischen Willens. Dabei sollten wir aber nie vergessen, dass die politische Macht im Dienst der ökonomischen Macht steht.

Könnte über den Umweg der Bankensanierung nicht auch die Wirtschaft gestärkt werden?

Spanische Banken haben sich schon enorme Summen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) geliehen, doch die Kredite in die Wirtschaft fließen nicht. Wir sollten auch nicht die Nachfrage vergessen. Wegen der Sparpläne wird nichts verkauft, weshalb viele Firmen gar keine Kredite benötigen. Wir brauchen höhere Löhne und mehr Jobs, um die Wirtschaft auf die Beine zu bringen. Spanien ist in der Rezession und die Auflagen würgen die Realwirtschaft immer weiter ab, während die Banken mit Geld förmlich bombardiert werden. Das geht nun schon seit drei Jahren so.

Welche Politik müsste gemacht werden, um den Bürgern nicht die Luft abzudrehen?

Obwohl es im Kapitalismus keine definitive Lösung für die Probleme geben kann, könnten einige Schritte getan werden. Warum erhöht die EZB die Liquidität nicht? Warum werden keine Eurobonds ausgegeben, um die Zinslast von Staaten wie Spanien zu verringern?

Gibt es eine Strategie, die hinter dem Vorgehen steht?

Man sollte nicht glauben, dass die Verantwortlichen dumm oder naiv sind. Klar ist, dass die sozialen, ökonomischen und sogar politischen Errungenschaften in der EU und besonders in der Eurozone zerstört werden sollen, die sich breite Bevölkerungsschichten erkämpft haben.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Juni 2012


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