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Ein Neuanfang ist nötig

Von Rainer Lang *

Ist das Schicksal von mehreren hundert Millionen Kleinbauern in Asien, Afrika und Lateinamerika eine »Lappalie«? So bezeichnete zumindest ein deutscher Beobachter den Grund für das Scheitern der Beratungen bei der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf Ende Juli über eine weitere Liberalisierung des Weltmarktes. In der Bemerkung kommt eine weitverbreitete Mentalität in Industrieländern zum Ausdruck. Es ist das mangelnde Bewusstsein für die bedrückende Lage und die oft schreiende Ungerechtigkeit in der Landwirtschaft von Entwicklungsländern.

Die Einigung scheiterte am Streit über Agrarimporte. Indien, China und zahlreiche Entwicklungsländer wollten ihre Agrarmärkte nicht weiter öffnen, um ihre Kleinbauern wenigstens in einem gewissen Maß zu schützen. Die USA lehnten jedoch jeden Kompromissvorschlag ab. Aus unserer Sicht ist es eine Ironie der Geschichte, dass die seit 2001 laufenden und als »Entwicklungsrunde« deklarierten Doha-Gespräche ausgerechnet an einem entwicklungspolitischen Thema gescheitert sind. Als evangelische Entwicklungshilfeorganisation fordern wir seit Jahren, den Welthandel so zu organisieren, dass Bauern in Ländern des Südens eine Chance zum Überleben haben.

Dafür sind Schutzmechanismen nötig, wie zum Beispiel Schutzzölle. Vor allem müssen die Subventionen heruntergefahren werden, die in den USA und in der EU in die Landwirtschaft fließen. Denn Kleinbauern in Afrika haben keine Chance, wenn zum Beispiel subventioniertes Gemüse aus der EU auf den lokalen Märkten zu einem Bruchteil des Preises einheimischer Produkte angeboten wird. Genauso ist es mit dem Import von billigen Geflügelteilen aus der EU und den USA, wodurch Kleinbauern ihre lokalen Absatzmärkte und damit ihren Lebensunterhalt verlieren.

Deshalb fordern wir als »Brot für die Welt« endlich einen Neuanfang in der internationalen Handelspolitik. Das heißt, dass die Entwicklungsländer zu Partnern der bislang in der WTO dominierenden Industriestaaten werden. Allein in Asien leben mehr als 1,5 Milliarden Kleinbauern. 800 Millionen sind Chinesen, 650 Millionen Inder. 450 Millionen von ihnen können nach Schätzungen der Weltbank nicht einmal für ihren Lebensunterhalt sorgen. Weil sie vom Wirtschaftswachstum in ihren Ländern kaum profitieren, steigt ihre Unzufriedenheit. Sie sind aber ein wichtiges Wählerpotenzial. Staaten wie Indien und China sind selbst zu wichtigen Wirtschaftsmächten geworden. Um des inneren Friedens willen können sie die Kleinbauern nicht mehr ignorieren. Das ist zumindest ein Ansatzpunkt für eine mögliches Umdenken im Welthandel.

Auf der anderen Seite sind in der EU die Zweifel am Sinn der Agrarsubventionen gewachsen, die weltweit mehr als 350 Milliarden Dollar betragen. Das ist sieben Mal mehr, als für Entwicklungshilfe ausgegeben wird. Bei der jüngsten Doha-Runde hatte man den Eindruck, dass sich die EU-Vertreter noch hinter dem Rücken der USA versteckten, dem weltweit größten Exporteur landwirtschaftlicher Produkte. Noch scheint in der EU die Zeit nicht reif zu sein, um die Frage der Subventionen mit aller Entschiedenheit anzugehen. Aber erst wenn wir zu wirklichen Zugeständnissen bereit sind, gibt es einen Weg zu mehr Gerechtigkeit im Welthandel. Verarmen die Milliarden von Kleinbauern weiter, erreichen uns die Probleme früher oder später auf andere Weise, zum Beispiel als Flüchtlingsstrom.

* Rainer Lang ist Pressesprecher der evangelischen Entwicklungshilfeorganisation "Brot für die Welt".

Aus: Neues Deutschland, 8. August 2008



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