Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Dämme gegen eine Kernwaffenschwemme

Nächste Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag von entscheidender Bedeutung

Von Wolfgang Kötter *

Die atomare Abrüstung ist heute (29. Jan.) auch in Berlin das Thema des Tages. Hier trifft sich die »Middle Powers Initiative«, um darüber zu beraten, wie eine erfolgreiche Vorbereitung der nächsten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag wirksam unterstützt werden kann.

Kürzlich haben auch vier ehemalige Spitzenpolitiker der Bundesrepublik zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt aufgerufen. Mit ihrem gemeinsamen Appell schließen sich der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt, der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der SPD-Sicherheitspolitiker Egon Bahr und Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher einer Reihe ähnlicher Aufrufe prominenter Persönlichkeiten aus aller Welt an. Erst zum Jahreswechsel riefen namhafte Vertreter aus Politik, Militär und Gesellschaft in Paris die länderübergreifende Kampagne »Global Zero« ins Leben. Darin setzen sie sich für eine Welt ohne Kernwaffen ein und regen den Abschluss einer Konvention zum Verbot aller Nuklearwaffen an.

Acht Länder als Bündnispartner auf staatlicher Seite

In Berlin trifft sich heute die »Middle Powers Initiative«, um darüber zu beraten, wie die Vorbereitung der nächsten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag wirksam unterstützt werden kann. Die Initiative wurde im März 1998 von einem Netzwerk internationaler Nichtregierungsorganisationen gegründet und wählte den ehemaligen Diplomaten und Senator Douglas Roche aus Kanada zu ihrem Vorsitzenden.

Sie versteht sich als weltweite Kampagne, die die führenden Politiker der Atomwaffenstaaten dazu drängen will, aus den Denkmustern des Kalten Krieges auszubrechen und den existenziellen Gefahren der atomaren Selbstvernichtung auf neue Art zu begegnen. Angestrebt werden beispielsweise ein Verzicht auf den Ersteinsatz, die Aufhebung der Alarmbereitschaft sämtlicher Nuklearstreitkräfte und Verhandlungen zur vollständigen Abschaffung der Atomwaffen.

Die Geschäftsstelle befindet sich beim Global Security Institute in New York. Aber aktiv sind die Mitstreiter in der ganzen Welt.

Sie helfen bei der Mobilisierung einflussreicher mittelgroßer Staaten, um deren politischen Willen für die Schaffung einer atomwaffenfreien Welt zu fördern. Zur Aufklärungskampagne gehören Seminare, Publikationen und Beratungen mit Regierungen, Parlamentariern wie auch Bürgerorganisationen.

Als Bündnispartner auf staatlicher Seite haben sie die aus acht Ländern bestehende »New Agenda Coalition« gewonnen. Ägypten, Brasilien, Irland, Neuseeland, Mexiko, Slowenien, Südafrika und Schweden üben in internationalen Foren einen gebündelten politischen Druck auf die Atomwaffenmächte aus, damit diese ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung endlich nachkommen. Im Artikel VI des seit 1970 geltenden Atomwaffensperrvertrages haben sich diese nämlich zu Verhandlungen über die nukleare wie auch die allgemeine und vollständige Abrüstung verpflichtet.

Ignoranz der Atommächte gefährdet Sperrvertrag

Heute, fast vier Jahrzehnte später, ist dieses Ziel jedoch weiter entfernt denn je. Schlimmer noch, der Menschheit droht eine massenhafte Verbreitung von Atomwaffen, die bereits in dieser Generation zu 20 bis 30 neuen Besitzern der verheerenden Massenvernichtungswaffe führen könnte. Darunter nicht nur Staaten, sondern möglicherweise auch Terroristen, Piraten oder Kriminelle.

Der Atomwaffensperrvertrag als eine zentrale völkerrechtliche Säule der Nichtverbreitung ist nicht zuletzt durch die Ignoranz der Atommächte höchst gefährdet, denn immer ungeduldiger fragen die übrigen 185 Vertragsmitglieder, warum sie weiterhin nuklearen Verzicht üben sollen, wenn die Großmächte offensichtlich nicht dazu bereit sind, ihre Atomwaffen aufzugeben.

Einen Erfolg erreichten die »New Agenda Coalition« und die sie unterstützende »Middle Powers Initiative« durch intensive Lobbyarbeit auf der Überprüfungskonferenz im Jahre 2000. In einer dramatischen Schlussdebatte einigten sich die Teilnehmer auf ein Aktionsprogramm mit 13 konkreten Maßnahmen der Atomabrüstung. Die Zusicherung der Nuklearmächte, ihre Arsenale vollständig abzurüsten, ohne dies wie bis dahin lediglich als »Fernziel« zu bezeichnen, war ein bemerkenswerter diplomatischer Sieg.

Desaster von 2005 verursachte bisher schwerste Krise

Doch die Hoffnung, dass dieses Vorhaben auch in der Praxis umgesetzt würde, erfüllte sich nicht. Mit der öffentlichen Abkehr von den 13 Schritten provozierten die Kernwaffenstaaten das Scheitern der Überprüfungskonferenz im Jahre 2005 und stürzten den Vertrag in seine bisher schwerste Krise. Wenn es nicht gelingt, die für kommendes Jahr geplante Konferenz zum Erfolg zu bringen, bedeutet das wahrscheinlich das endgültige Aus für den Atomwaffensperrvertrag und würde neuen Atomwaffenbesitzern Tür und Tor öffnen.

Um das zu verhindern und die nukleare Abrüstung endlich in Gang zu bringen, schuf die »Middle Powers Initiative« unmittelbar nach dem Desaster im Jahr 2005 das sogenannte Artikel-VI-Forum. Die Aktivisten wollen gleichgesinnte Länder zusammenbringen, um gemeinsam juristische, technische und politische Elemente für eine atomwaffenfreie Welt auszuarbeiten.

Bisher traf sich das Forum in New York, Den Haag, Ottawa, Wien und Dublin. Für das heutige Treffen in Berlin hat sich der neu gewählte Vorsitzende Henrik Salander aus Schweden viel vorgenommen.

Hintergrund

Global Zero ist nach eigener Definition ein internationales Team von Strategieexperten zur atomaren Abrüstung. Es befasst sich mit der Ausarbeitung eines Schritt-für-Schritt-Plans, der alle Maßnahmen berücksichtigt, die zum Erreichen des Ziels Zero (Null) bei Atomwaffen nötig sind. Global Zero hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine breite gesellschaftliche Unterstützung für das Anliegen zu mobilisieren. Zu den prominenten Unterzeichnern gehören die frühere norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland sowie die ehemaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso (Brasilien) und Jimmy Carter (USA).

Zur Person

Der schwedische Diplomat und Abrüstungsexperte Johan Henrik Salander, geboren am 30. September 1945, gehört zu den Initiatoren der »New Agenda Coalition«. Er vertrat sein Land bei internationalen Konferenzen und in der UNO. Von 1999 bis 2002 war Salander Schwedens Ständiger Vertreter in der Genfer Abrüstungskonferenz.

Der Schwede stand dem Vorbereitungskomitee zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Jahr 2002 vor. Anschließend arbeitete er als Generalsekretär der von seinem Landsmann Hans Blix geleiteten »Internationalen Kommission zu Massenvernichtungswaffen«. Bis zu seiner Pensionierung Ende vergangenen Jahres war er stellvertretender Generaldirektor im schwedischen Außenministerium. Seit dem 1. Januar ist er Vorsitzender der »Middle Powers Initiative«.



* Aus: Neues Deutschland, 29. Januar 2009


Zurück zur Seite "Atomwaffen"

Zur Seite "Nichtverbreitungsvertrag, Non-Proliferation Treaty"

Zurück zur Homepage