Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Das Kriegsbeil zwischen Bush und Schröder ist begraben

Nun gemeinsam in neue Kriege? Pressespiegel und ein Eigenkommentar zum Besuch des Bundeskanzlers beim US-Präsidenten

Im Folgenden dokumentieren wir eine kleine Auswahl an Pressereaktionen auf den Besuch Schröders in Washington. Weiter unten folgt noch ein Eigenkommentar.


Wolfgang Koydl (Süddeutsche Zeitung) geht der Frage nach, wie es kam, dass sich das Verhältnis zwischen den USA und Deuschland trotz weiter gültiger unterschiedlicher Einschätzung des Irakkriegs wieder so weit festigen konnte, dass der Besuch Schröders bei Präsident Bush diesmal demonstrativ freundschaftlich ausfiel. Er findet zwei Gründe: 1) Bush selbst ist im Irak in größere Schwierigkeiten geraten, als ihm angesichts der bevorstehenden Wahlen lieb sein kann. 2) Schröder habe seinerseits erkannt, dass Deutschland und Europa an der Stabilisierung der Lage im Nahen Osten interessiert sein müssen und dabei auf die USA angewiesen bleiben. Im zweiten Teil seines Leitartikels beschreibt Koydl die unterschiedliche Behandlung der (ehemaligen) Kriegsgegner Deutschland, Frankreich und Russland durch Washington:

Warum George Bush zum Bundeskanzler netter ist als zum französischen Präsidenten Von Wolfgang Koydl (...)
Zu dieser neuen Phase des Verhältnisses passt, dass Schröder bei seiner ersten Begegnung mit Bush im Weißen Haus seit mehr als zwei Jahren nicht auf dem leidigen Irak-Thema herumhackt, sondern zum einen die positiven Aspekte deutscher Zusammenarbeit in Afghanistan herausstreicht und zum anderen mit der anhaltenden Dollar-Schwäche ein zwar ebenfalls schwieriges, aber zumindest weniger emotionales Thema anspricht.
Von dem bösen Wort jedenfalls, das seinerzeit der amerikanischen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice zugesprochen wurde, scheint inzwischen nicht mehr jeder Teil gleichermaßen zu gelten. Sie hatte den Gegnern des Irak-Unternehmens damals gelobt, dass die USA Frankreich bestrafen, Deutschland ignorieren und Russland vergeben würden. Heute lässt Washington eher Moskau links liegen, derweil Berlin in Ehren in den Schoß des Freundeskreises zurückkehrt.
Und Frankreich? Bleibt Washington hier dem Gelübde der Condoleezza Rice treu? Es hat den Anschein. Zwar hatte sich in den vergangenen Monaten der Ton zwischen Paris und Washington gebessert. Aber wegen der Krise in Haiti sind die beiden schwierigen Partner erneut aneinander geraten. In den USA hat man mit ausgesprochenem Missmut registriert, dass sich ausgerechnet die alte Kolonialmacht in die Angelegenheiten der kleinen Inselrepublik eingemischt hat, die einst mit amerikanischer Hilfe als zweite Nation der westlichen Hemisphäre die Unabhängigkeit errang.
Sollte es ein Tauwetter auch im Verhältnis zu Frankreich gegeben haben, so hat sich erneut ein leichter Frosthauch darüber gelegt. Anders als Schröder wird Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac von einem Tęte-ŕ-tęte im Weißen Haus weiter fern gehalten – ganz zu schweigen von einem gemeinsamen Mittagessen. Das ist bitter. Denn in der Küche des Weißen Hauses führt ein französischer Koch das Kommando.

Süddeutsche Zeitung, 28.02.2004

***

Der Washington-Korrespondent der Frankfurter Rundschau, Dietmar Ostermann, beschreibt in einem Hintergrundbericht die Wiederannäherung zwischen Deutschland und den USA und würdigt dabei die wichtige Rolle, die der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger dabei gespielt hat. Ostermann ist überzeugt, dass die Chancen auf einbesseres deutsch-amerikanisches Verhältnis günstig sind:

(...)
Ermutigende Zeichen gibt es. Da ist etwa der neue Umgang auf der Funktionsebene der Diplomatie. Ob Haiti, Nahost, Afghanistan oder Irak - die USA kommen den Verbündeten nicht mehr mit fertigen Plänen, die nur noch abgenickt werden sollen. Mag sein, dass ihnen die Probleme über den Kopf wachsen, dass sie deshalb keine fertigen Antworten mehr haben. Doch die lange vermisste Gelegenheit für Einflussnahme, für echten Dialog ist da. Schritt für Schritt.

Aus: Frankfurter Rundschau, 28.02.2004

***

Olivia Schoeller hebt in ihrem Kommentar in der Berliner Zeitung auf die gemeinsame deutsch-amerikanische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg als einer Erfahrung von "Kampfgefährten" ab. Das Nein Berlins zum Irakkrieg spiele heute keine große Rolle mehr, zumal Deutschland in Afghanistan und anderswo große Aufgaben im Interesse der USA übernommen hat.

(...) Der Krieg ist geführt, Saddam Hussein gefangen und das Projekt Irak darf nicht scheitern. Amerikas Lieblingsdeutschland ist die Führungsmacht in Afghanistan, denn das neue Projekt ist der Kampf gegen den Terrorismus und die Modernisierung der arabischen Welt. Dafür wollen die Amerikaner einen Partner.
Die Bundesregierung hat viel getan, um sich dafür zu empfehlen. Der Afghanistan-Einsatz wurde ausgeweitet, Deutschland verspricht Schuldenstundung und -erlass für Irak und es trainiert Polizisten. Dass die deutsche Regierung die Zukunftswünsche der US-Regierung für die Region teilt, hat Außenminister Joschka Fischer klar gemacht. In den USA wurde das als Antwort auf Bushs Vision demokratischer islamischer Staaten verstanden. Das hat gefallen.
Doch um als Partner ernst genommen zu werden, muss die Bundesregierung sich mehr engagieren. Washington erwartet, dass Deutschland sich nicht nur als ein Vermittler sieht, der seine Kontakte zur arabischen Welt nutzt, um die Regierungen zu Reformen zu überreden. Berlin soll wieder eine Brücke zwischen Paris und Washington sein. Und irgendwann einmal werden die Amerikaner auch erwarten, dass die Deutschen militärisch im Irak dabei sind. (...)

Aus: Berliner Zeitung, 28.02.2004

***

Auch Thomas Frankenfeld im Hamburger Abendblatt meint, der "politische Pulverdampf des Irak-Krieges" hätte sich "längst zu lichten begonnen".

(...) Die Reise des deutschen Kanzlers zum amerikanischen Präsidenten ist Signal dafür, dass beide Seiten das sie verbindende Fundament nun wieder klar erkennen können. In einer von Terror und Intoleranz bedrohten Welt sind gemeinsame Grundwerte wie Demokratie oder Meinungsfreiheit wichtiger denn je. Beiderseits des Atlantiks nimmt man nun die Chance wahr, diese unabdingbare Partnerschaft auf eine neue Grundlage zu stellen - unpathetischer vielleicht, dafür aber pragmatischer.

Aus: Abendblatt, 28.02.2004

***

Die Los Angeles Times betonte in ihrem Bericht von Maura Reynolds, dass die beiden Regierungschefs alte Differenzen beseitigt hätten. Der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger wird als Kronzeuge dafür zitiert, dass Bush und Schröder "die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen wollen". Positiv hervorgehoben wird außerdem das Zitat von US-Präsident Bush, wonach es selbstverständlich sei, dass es unter Freunden auch einmal Differenzen gäbe. "Und wir beide sind übereingekommen", fährt Bush wörtlich fort, "die Differenzen hinter uns zu lassen und nach vorne zu schauen."

"We have now been able to take up the relationship from where we were before the Iraq crisis erupted almost two years ago," said Wolfgang Ischinger, the German ambassador to the United States. "Today's meeting really demonstrated that both sides want bygones to be bygones." (...)
"We have differences — in the past," Bush said as he sat beside Schroeder in front of the Oval Office fireplace. "But there's nothing wrong with friends having differences. And we have both committed to put the differences behind us and move forward." (...)

Aus: Los Angeles Times, 28.02.2004

***

Das Kriegsbeil begraben - Neue Kriege gemeinsam?

Die Visite des deutschen Bundeskanzlers beim mächtigsten Mann der Welt dauerte gerade einmal 35 Minuten - einschließlich eines sechsminütigen Auftritts vor einer Schar ausgewählter Korrespondenten. In normalen Zeiten wäre so etwas nicht ungewöhnlich gewesen. Diesmal aber hatte der Besuch - der erste seit zwei Jahren - eine besondere Bedeutung. Ging es doch um nichts anderes als um die endgültige Wiederannäherung der beiden Regierungen, die sich - wie es in den Medien immer so schön hieß - wegen des Irakkriegs "auseinandergelebt" hätten.

Dabei hatte sich die Bundesregierung - zweifellos der schwächere Teil der Beziehung - in den vergangenen Monaten redlich bemüht, ihre taktisch begründete Gegnerschaft zum Irakkrieg durch handfeste kriegsunterstützende Maßnahmen (Überflugsrechte, Bewachung von US-Einrichtungen, Verstärkung der deutschen Truppenkontingente in Bosnien und Afghanistan) vergessen zu machen. Der US-Regierung reichte das aber nicht. Zwar war zum militärischen Sieg im Krieg gegen den geschwächten Irak kein weiterer Bündnispartner vonnöten gewesen, doch der Krieg wurde auch an der ideologischen Front geführt. Und hier war das amerikanische Imperium weltweit derart in die Defensive geraten, dass man sich zumindest der Unterstützung durch die engsten Verbündeten vergewissert hätte. Da diese Unterstützung in der gewünschten eindeutigen Form ausblieb, verstärkte sich in den USA der Eindruck, die Regierung in Berlin stünde an der Spitze der Antikriegsbewegung - ließ doch das manichäische Weltbild des Präsidenten, wonach jemand, der nicht für mich ist, gegen mich sei, eine andere Interpretation nicht zu.

Obwohl sich die Bundesregierung einer Zustimmung zum Irakkrieg auf der verbalen Ebene stets versagte, durfte Washington mit Berlin nicht unzufrieden sein. Als der Krieg begann, wünschte Schröder dem Aggressor einen möglichst raschen militärischen Erfolg und nach der offiziellen Phase des Krieges beeilten sich die Neinsager im Sicherheitsrat, der Kriegskoalition einen Persilschein erster Güte auszuhändigen: Die Resolution 1483 vom 25. Mai 2003 fand kein einziges kritisches Wort zum völkerrechtswidrigen Krieg, sondern bestätigte die Besatzungsmacht als für den Irak zuständige "Behörde" ("authority"). Alles Bitten und Betteln des Sicherheitsrats, den Vereinten Nationen ein gewichtigeres Wort bei der Gestaltung der Nachkriegszeit einzuräumen, blieb seither ungehört.

Dennoch hat sich etwas geändert. Der anhaltende Widerstand im Irak gegen die Besatzungsmächte, gleichviel aus welchen unterschiedlichen Quellen er sich speist und welche legitimen und illegitimen Formen er angenommen hat, hat den USA die Grenzen ihrer scheinbar so grenzenlosen Macht aufgezeigt. Die einzige Weltmacht mag einen konventionellen Krieg - zumal gegen einen nicht existenten Gegner - gewinnen, sie kann aber keine stabile Nachkriegsordnung, geschweige denn Frieden herstellen. Da der Krieg auch an der "Heimatfront" nicht unumstritten war (in Großbritannien hatte sogar eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Krieg opponiert), verlieren die Kriegsbefürworter umso mehr Anhänger, je instabiler die Lage wird und je mehr Tote und Verletzte der "Nachkrieg" fordert.

In Europa hat sich die Antikriegshaltung bis zum heutigen Tag nicht grundlegend geändert. Der Irakkrieg wird von der Mehrheit der Bevölkerung in allen EU-Staaten (Ausnahme: Dänemark) auch Monate nach seinem offiziellen Ende für illegitim gehalten und den USA wird hinsichtlich der Gestaltung der Nachkriegsordnung keine positive Funktion zugetraut (vgl. "Mehrheiten gegen die ‚neuen Kriege'" und "Europa, der Irakkrieg und der Antisemitismus"). Eher noch verstärkt hat sich auch die Feindseligkeit gegenüber den USA im arabischen Raum inklusive Irak. Man darf nicht vergessen, dass sich ein Jahr nach dem Krieg weder die Versorgungslage noch die Sicherheit im Irak verbessert hat. Und auch im israelisch-palästinensischen Konflikt zeichnet sich - entgegen den Versprechungen der Kriegsallianz - keinerlei Beruhigung ab.

Angesichts des Scheiterns der Kriegsmission auf der ganzen Linie hätte man einen selbstbewussteren deutschen Bundeskanzler in Washington erwarten können. Stattdessen diente sich Schröder als Partner an, der den Freund nicht mehr an das Vergangene erinnern möchte, sondern nur noch in die Zukunft blickt. Der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger hat es auf den Punkt gebracht: "Das heutige Treffen (zwischen Bush und Schröder, Pst) hat wirklich demonstriert, dass beide Seiten die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen wollen." Der US-Präsident bestätigte diese Sichtweise, indem er nach dem Treffen sagte: "Und wir beide sind übereingekommen, die Differenzen hinter uns zu lassen und nach vorne zu schauen." Dieses Gentleman-Agreement bedeutet aber nichts anderes als eine Unterwerfung des Kriegskritikers unter das Gesetz des Kriegers. Und Präsident Bush erwies sich schon in der Begrüßung seines deutschen Gastes als ein gewiefter Kriegsherr, der seinem Untergebenen zu erkennen gibt, wer die Richtung bestimmt. "Herzlich willkommen zurück, Herr Bundeskanzler", hieß die Begrüßungsformel, nicht einfach "Herzlich willkommen". Schröder ist "zurück" in Washington, er ist wieder da, wo er und die deutsche Außenpolitik seit Jahrzehnten waren: im Schlepptau der US-Politik!

Die "Gemeinsame Erklärung", die anlässlich der Begegnung im Oval Office des Präsidenten feierlich verkündet wurde, atmet denn auch den Geist der alten transatlantischen Bündnistreue. In Bezug auf den Irak wird einerseits zwar die "wachsende Rolle der Vereinten Nationen" anerkannt (es ist das einzige Mal, dass die Vereinten Nationen in dem Papier erwähnt werden), auf der anderen Seite wird aber auch der US-Fahrplan der Scheinübergabe der "Souveränität" an eine irakische "Regierung" bis zum 1. Juli 2004 begrüßt. Ebenso große Einigkeit besteht hinsichtlich der Afghanistanpolitik und der Behandlung des Nahostkonflikts sowie bei der Bestimmung der Jahrhundertaufgaben "Terrorbekämpfung" und "Förderung der Handelsliberalisierung". Zu letzterem hat Bundeskanzler Schröder in einer Rede in Chicago am Vortag seines Treffens mit Bush längere Ausführungen gemacht, die zu einem einzigen Plädoyer für den Neoliberalismus gerieten. "Unsere Länder", dozierte Schröder, "eint nicht zuletzt die Grundüberzeugung, dass ein freier Welthandel entscheidende Impulse für Wachstum und Beschäftigung gibt. Deswegen treten wir für eine weitere Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ein." (Siehe: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Chicago Council on Foreign Relations.)

Als Fazit des Schröder-Besuchs in Washington bleibt, dass beide Regierungen endgültig ihr "Kriegsbeil" begraben haben. Die faktische Unterwerfung unter die Führungsmacht USA lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen. Der letzte Satz der "Gemeinsamen Erklärung" lautet: "Mit einer Agenda für gemeinsames Handeln wird sich das deutsch-amerikanische Bündnis als ebenso wichtig für die Förderung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand im 21. Jahrhundert erweisen, wie es dies in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war." In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die USA die Linie vorgegeben. Dies soll so bleiben. Nachdem die US-Administration heute mehr denn je bereit ist, Außenpolitik militärisch zu buchstabieren, d.h. die unbotmäßigen Teile der Welt mit "Antiterrorkriegen", "demokratischen Interventionen" und "Präventivkriegen" zu überziehen, hängt auch die bündnistreue Bundesrepublik Deutschland mit drin. Wozu man beim Irakkrieg noch nicht bereit war (oder sich nicht getraute, weil es im September 2002 Wahlen zu gewinnen galt), muss für künftige Fällen nicht mehr gelten. Dem 21. Jahrhundert stehen neue Kriege ins Haus - unter deutscher Beteiligung und nicht nur am Hindukusch!

Peter Strutynski


Zurück zur Seite "Außenpolitik"

Zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage