LINKE gedachte Kundus-Opfern – und flog raus
"Eklat" im Bundestag: Westerwelle befürchtet Beschädigung der Demokratie – Mehrheit schickt mehr Soldaten in Afghanistan-Krieg
Von René Heilig *
Der
Bundestag hat den deutschen Einsatz in Afghanistan um ein weiteres Jahr verlängert und schickt mehr Soldaten. Für den Regierungsantrag votierten 429 Abgeordnete, 111 stimmten dagegen, 46 enthielten sich.
Die Linksfraktion war weitgehend von der Debatte ausgeschlossen. Der Grund: Die meisten ihrer Mitglieder hatten Schilder mit den Namen von Opfern des am 4. September 2009 von einem deutschen Oberst befohlenen Bombenangriffs hochgehalten. Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) schloss die Abgeordneten daraufhin von der Sitzung aus. Er berief sich auf Paragraf 38 der Bundestags-Geschäftsordnung. Die besagt: Der Präsident kann »wegen gröblicher Verletzung der Ordnung« ein Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verweisen«.
»Mehrmals haben wir gefordert, dass es im Parlament eine Gedenkstunde oder ähnliches für die unschuldigen Opfer geben muss. Als eine Art Entschuldigung und als Zeichen des Mitgefühls mit den Hinterbliebenen«, betonte die 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion Dagmar Enkelmann. Doch der Bundestag sei darauf nicht eingegangen. Also habe die LINKE ihre Position nur so darstellen können.
Zuvor hatte Christine Buchholz für die Linksfraktion sehr emotional Schicksale von Hinterbliebenen des Angriffs geschildert. Fraktionskollege Wolfgang Gehrcke, der seine Rede nicht mehr halten könnte, hätte die Absicht der Fraktion so erläutert: »Die Menschen in Afghanistan müssen endlich eine Chance erhalten, ihren eigenen Weg zu gehen. Das heißt, Selbstbestimmung ist eine Voraussetzung für den Frieden. Das wollen wir unterstützen. Schluss mit dem Töten und Morden.« Selbst- statt Fremdbestimmung sei vonnöten, meint Gehrcke.
Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele äußerte deutliches Unbehagen über den Ausschluss der Kollegen. Der Bundestag treffe mit der Mandatsaufstockung eine Entscheidung »gegen die riesengroße Mehrheit der Bevölkerung«. Ströbele betonte, die Linken hätten nicht randaliert oder seien laut geworden. Ihr Ausschluss wegen der Schilder mit den Opfernamen »wäre ein völlig falsches Signal in die Welt, wie wir mit Opfern, für die wir verantwortlich sind, umgehen«. Auch Christoph Strässer (SPD) sagte, es sei ihm nahegegangen, die Namen der Opfer zu lesen. Er habe lieber mit der Linksfraktion diskutieren wollen.
Parlamentspräsident Lammert zeigte sich moderat und handelte mit den Vorständen der anderen Fraktionen aus, dass die Links-Abgeordneten an der namentlichen Abstimmung teilnehmen konnten. So wurde die Ablehnungsfront um 71 Stimmen verstärkt.
Während Redner von Union und FDP sich deutlich hinter das Bundeswehr-Mandat stellten, war die Zustimmung von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier mit allerlei Ausflüchten über einen »Perspektivwechsel« und eine Weichenstellung Richtung Abzug gespickt. Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast äußerte sich sehr kritisch zum Mandat. Nur acht Mitglieder ihrer Fraktion stimmten ihm zu.
Ansichten, die einen raschen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zum Ziel haben, nannte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in einer Pressekonferenz »naiv«. Die Aktion der Linksfraktion wertete er als »Beschädigung des Parlaments«, die man nicht hinnehmen könne, sonst könnte sie sich zur Beschädigung des gesamten demokratischen Systems ausweiten.
* Aus: Neues Deutschland, 27. Februar 2010
Stilles Gedenken stört
Von Rüdiger Göbel **
Der Bundestag hat am Freitag (26. Feb.) wie erwartet mit überwältigender Mehrheit beschlossen, noch mehr Soldaten in den Afghanistan-Krieg zu schicken. Das deutsche Kontingent wird damit um fast 20 Prozent auf 5350 Soldaten vergrößert. Kostenpunkt für die deutschen Steuerzahler in den kommenden zwölf Monaten: 1,1Milliarden Euro. Insgesamt stimmten 429 Abgeordnete für das neue Kriegsmandat, 111 votierten dagegen, 46 enthielten sich. Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP stimmten bei drei Nein-Stimmen und drei Enthaltungen fast geschlossen zu, von der SPD kamen 113 Ja- und 16 Nein-Stimmen sowie acht Enthaltungen. Mit Nein stimmte rund ein Drittel der Grünen, 35 enthielten sich, acht Grüne votierten für das Mandat. Die Linksfraktion stimmte geschlossen dagegen.
Damit wird das Truppenkontingent der Bundeswehr am Hindukusch von bislang 4500 Soldaten um insgesamt bis zu 850 Mann aufgestockt. Auch wenn die SPD dies vor der Abstimmung und während der Debatte immer wieder behauptet hatte: Ein Abzugsdatum nennt die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geführte Regierung nicht. Das neue Mandat sieht lediglich vor, ab 2011 die Bundeswehreinheiten in Afghanistan wieder zu reduzieren.
Während der
Debatte erinnerte die Linksfraktion an die Kriegstoten von Kundus. Nach der bewegenden Rede von Christine Buchholz erhoben sich die Linke-Parlamentarier von ihren Plätzen und hielten überdimensionale Todesanzeigen mit Namen und Alter der Opfer des verheerenden Luftangriffs im vergangenen Herbst hoch. Bei der Attacke am 4. September 2009 waren auf Befehl des deutschen Obersten Georg Klein bis zu 142 Afghanen »vernichtet« worden. Von den Abgeordneten der kriegsbejahenden Parteien und von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wurde das stille Gedenken als »Eklat« und »Verstoß gegen die Geschäftsordnung« gewertet. Die gesamte Linksfraktion wurde von der Sitzung ausgeschlossen– ein bislang einmaliger Vorgang in der Geschichte des Bundestages. Die Linken-Politiker räumten nach mehrmaliger Aufforderung den Plenarsaal. Die einzige Fraktion, die den Krieg ablehnt, blieb bei der weiteren Debatte außen vor. Die Parlamentarier wurden lediglich zur Abgabe ihrer Stimme wieder zugelassen.
Linksfraktionsvize Jan van Aken rechtfertigte die symbolträchtige Aktion: »Krieg ist nichts Abstraktes, sondern bedeutet tagtägliches Sterben. Hinter jedem Toten steht ein Schicksal, ein Gesicht, ein Name. Alle Abgeordneten, die heute dem Krieg zugestimmt haben, müssen wissen: Sie haben heute über Leben und Tod abgestimmt.« Die designierte Linke-Vorsitzende Gesine Lötzsch erklärte, die Fraktion habe deutlich machen wollen, daß das Afghanistan-Mandat »für uns keine Routineabstimmung« ist. Und: »Wir lehnen den Krieg in Afghanistan ab. Die Bundeswehr muß noch in diesem Jahr zurückgezogen werden.« Das Parlament müsse »für ein würdiges Gedenken an die Kriegsopfer« sorgen, forderte Lötzsch. Der Einsatz der Bundeswehr bekämpfe nicht den Terrorismus, sondern verlängert die Leiden. »Die Linke wird sich auch durch den vom Bundestagspräsidenten verfügten Sitzungsausschluß nicht in ihrer Haltung beirren lassen.«
Nicht alle in der Fraktion agierten bei der Antikriegsaktion »mit Arsch in der Hose«: Die Berliner Linke-Abgeordnete Halina Wawzyniak hatte sich nach eigenen Angaben »bewußt in die letzte Reihe gesetzt« und war bei der Totenehrung sitzengeblieben. Andere waren gleich gar nicht erschienen.
Die Agentur ddp erinnerte am Freitag daran, daß nicht alle Aktionen im Bundestag mit Ausschluß geahndet werden. So waren 2004 Orangen auf die Abgeordnetenbänke verteilt worden. Die Grünen hatten damals ihre Solidarität mit der prowestlichen Oppositionsbewegung in der Ukraine zum Ausdruck gebracht – ohne daß sie deswegen des Plenarsaales verwiesen wurden. Im Gegenteil, die Demonstration kam an: Selbst CDU-Chefin Angela Merkel hatte sich eine frische Südfrucht geschnappt.
** Aus: junge Welt, 27. Februar 2010
"Lammert hat uns einen Gefallen getan"
Mit dem Rausschmiß aus dem Plenarsaal wurde der Protest der Linkspartei erst richtig publik. Ein Gespräch mit Heike Hänsel
Von Peter Wolter ***
Heike Hänsel ist entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag
Frage: Der Bundestag erinnerte mich am Freitag an meine Schulzeit – wer den Unterricht störte oder unartig war, mußte vor die Tür. Das ist der Linksfraktion jetzt passiert, und Sie waren dabei. Wie lief das ab?
Hänsel: Wir wollten bei der Debatte, in der es um Afghanistan ging, klar machen: Wer der Truppenaufstockung zustimmt, entscheidet auch über Leben und Tod. Die Kollegin Christine Buchholz hatte das in ihrer Plenarrede zuvor sehr gut zum Ausdruck gebracht. Wir haben das dann optisch dadurch untermauert, daß wir Plakate mit den Namen von Opfern des Kundus-Massakers hochgehalten haben. Immerhin fordern wir seit Wochen, daß dieser Opfer gedacht wird, daß die für dieses Gemetzel verantwortlichen Parteien sowie die Bundesregierung sich dafür zumindest entschuldigen.
Wer hatte die Idee zu der Aktion gegen diesen Kollateralschaden der deutschen Afghanistan-Politik?
Daran waren viele beteiligt – wir hatten im Arbeitskreis Internationales schon länger darüber diskutiert, daß man den Opfern ein Gesicht geben müsse, daß wir eine Gedenkveranstaltung brauchen.
Waren alle Fraktionsmitglieder eingeweiht?
Eigentlich schon, vielleicht war der eine oder andere krank oder aus anderen Gründen abwesend. Allerdings wurde nur intern über diese Aktion gesprochen, wir haben das nicht über E-Mails kommuniziert.
Es wurde also geheimgehalten?
Geheimhaltung nicht direkt, aber wir wollten nicht, daß das nach außen dringt. Wir haben diese Aktion in der Fraktionssitzung auch nur kurz erwähnt, die konkreten Absprachen liefen mehr am Rande der offiziellen Strukturen.
Spektakuläre Aktionen der Linksfraktion im Bundestag haben Tradition. Sind die als Gegengewicht zur Medienberichterstattung gedacht? Als Guerilla-PR?
Natürlich wollten wir Aufmerksamkeit erregen – sonst hätten wir das ja auch nicht gemacht. Ziel war, wie gesagt, die Aufmerksamkeit auf die Opfer zu lenken. Und da hat uns Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) einen Gefallen getan, indem er uns von der Sitzung ausschloß – unsere Aktion wurde damit erst richtig bekannt, alle Medien sind sofort darauf eingestiegen. Danke für den Rausschmiß!
Den ersten großen Skandal hatten schon vor einigen Jahren die PDS-Abgeordneten Winfried Wolf, Ulla Jelpke und Heidi Lippert ausgelöst, als sie mit einem Plakat gegen US-Präsident Georg Bush demonstrierten. In der vergangenen Legislaturperiode gab es u.a. eine Solidaritätsdemo mit ver.di. Bei den NATO-Jubiläumsfeiern haben wir die Pace-Fahne hochgehalten.
Nicht alle aus Ihrer Fraktion können sich offenbar mit solchen Aktivitäten anfreunden. Eine eher dem rechten Parteiflügel nahestehende Abgeordnete blieb laut TV-Übertragung mit gelangweiltem Blick demonstrativ sitzen. Andere, die ebenfalls dieser Richtung zugerechnet werden, sind gar nicht erst zur Sitzung erschienen …
Es gab in der Tat ein, zwei Sitzenbleiber. Aber immerhin haben die sich mit unserem Protest solidarisch verhalten und gemeinsam mit der Fraktion den Saal verlassen.
Als die Fraktion weg war, tauchte im Plenarsaal plötzlich ihr rechtspolitischer Sprecher, Wolfgang Neskovic auf. Hatte der nicht geschnallt, was ablief?
Ich weiß nicht genau, warum er das gemacht hat. Er hat wohl auf seinem Recht bestanden, weiter an der Plenarsitzung teilzunehmen, weil er bei der Plakataktion nicht dabei war.
Union, SPD und FDP fanden den Rausschmiß der Linken gut, es gab aber auch verhaltenen Protest ...
Hans-Christian Ströbele von den Grünen hat interveniert. Es gab auch den einen oder anderen ermunternden Zuruf aus seiner Fraktion, auch bei der SPD werden wohl nicht alle mit unserem Rausschmiß einverstanden sein.
Wollen Sie denn jetzt wieder artig sein, nachdem Lammert onkelhaft mit dem Finger gedroht hat?
Bei den Fragen Krieg oder Frieden, Leben oder Tod darf es nicht um formale Regelverstöße gehen. Die finden nämlich ganz woanders statt – nämlich in Afghanistan, wo die BRD völkerrechtswidrig Krieg führt.
*** Aus: junge Welt, 27. Februar 2010
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