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"Das Ziel der Neuausrichtung ist eine einsatzbereite und leistungsfähige Bundeswehr" (de Maizère) / Es geht um den "Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee" (Schäfer, Die Linke)

Der Bundestag diskutierte über die "Neuausrichtung der Bundeswehr". Die Reden im Wortlaut


Am Donnerstag, den 16. Mai 2013, fand im Bundestag eine Debatte über die "Neuausrichtung" der Bundeswehr statt. Anlass dafür war einmal die Vorlage des BERICHTS ZUM STAND DER Neuausrichtung der Bundeswehr, den die Bundesregierung am 8. Mai veröffentlichte, zum anderen die Antwort der Bundesregierung [externer Link] auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion über die Reform der Bundeswehr. Zum Dritten legte die Fraktion Die Linke einen Entschließungsantrag vor, der erwartungsgemäß von allen anderen Fraktionen des Hauses abgelehnt wurde.
Von verschiedenen Rednern wurde auch die Pleite mit der Beschaffung der Drohne vom Typ Euro Hawk angesprochen.
Im Folgenden dokumentieren wir die ins Grundsätzliche Gehende Debatte über die Zukunft der Bundeswehr nach dem Plenarprotokoll des Bundestags.
Die Debatte wurde eröffnet mit einer regierungserklärung durch Verteidigungsminister de Maizière. Die Rednerinnen und Redner sprachen in dieser Reihenfolge:


Protokoll der Bundestagsdebatte vom 16. Mai 2013

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Verteidigung
Neuausrichtung der Bundeswehr – Stand und Perspektiven
b) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bundeswehr – Einsatzarmee im Wandel
– Drucksachen 17/9620, 17/13254 –

Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Also ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestagspräsident hat eben darauf hingewiesen: Am 4. Mai dieses Jahres ist ein deutscher Soldat in Afghanistan gefallen. Die Trauerfeier für ihn war am Montag. Frau Kollegin Kastner und ich waren dort. Die Beisetzung hat gestern stattgefunden. Wir trauern um diesen Kameraden, sind in Gedanken mit den Angehörigen, mit denen der General-inspekteur und ich auch sprechen konnten.

Der Tod unseres Soldaten wie der aller Gefallenen ist uns Auftrag und Verpflichtung für unsere Arbeit in -Afghanistan, in allen Einsätzen und auch in Deutschland, auch im Grundbetrieb und auch in der Neuausrichtung. Diese Neuausrichtung der Bundeswehr ist eines der grundlegenden und großen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode. Sie ist ein tiefgreifender Umbruch in der Geschichte der Bundeswehr. Die Neuausrichtung ist für die Bundeswehr keine weitere Etappe in einer Reihe von Reformen. Sie ist nicht die soundsovielte Reform. Sie ist mehr als die Aussetzung der Wehrpflicht und mehr als Standortschließungen.

Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr setzen wir einen verteidigungspolitischen Schlussstrich unter den Kalten Krieg und auch seine Nachwehen. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist die grundlegende Antwort auf die veränderte sicherheitspolitische Lage, und sie ist die grundlegende Vorbereitung auf absehbare, ja auf unabsehbare zukünftige Aufgaben. Das hat viel zu tun mit Organisationen und Verfahren, mit dem Aufbau und dem Umbau und dem Abbau von Behörden, mit Standortschließungen und Umgruppierungen von Einheiten. Ich komme darauf noch zu sprechen.

Aber neben diesen wahrlich nicht zu unterschätzenden Strukturveränderungen ist die Neuausrichtung der Bundeswehr auch ein geistiger Prozess, der das Selbstverständnis der Bundeswehr berührt. Die geistige Dimension der Neuausrichtung schafft zugleich die Grundlage für eine neue Organisationskultur. Die Übernahme von Verantwortung vor Ort soll Freude machen. Wir wollen dem Prinzip des Führens mit Auftrag wieder mehr Geltung verschaffen. Eine Fehlerkultur auf allen Ebenen wollen wir ermöglichen, damit wir aus Fehlern lernen. Wir wollen, dass die Bundeswehr den Soldatinnen und Soldaten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Heimat bietet und Kameradschaft lebt. Wir wollen, dass sie Respekt, Achtung und Wertschätzung unserer Gesellschaft erfahren; denn unsere Soldaten und Mitarbeiter dienen wie keine andere Berufsgruppe unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Karin Evers-Meyer [SPD])

Ausgangspunkt und Ziel der Neuausrichtung ist der Auftrag der Bundeswehr. Bis 1990 bestand die sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands vor allem darin, unser Land und Mitteleuropa durch Abschreckung zu verteidigen, ohne die Anwendung von militärischer Gewalt, nur durch die Balance von Sicherheit und Entspannung.

Das haben wir Schulter an Schulter mit unseren NATO-Alliierten gemacht. Oft haben wir dabei auf die starken Schultern der anderen verwiesen. Heute tragen wir als vereintes, starkes und souveränes Land im Herzen Europas Mitverantwortung für Stabilität und Sicherheit in der Welt. Wir gehören heute selbst zu den starken Schultern. Wir werden gefragt. Unser Einfluss ist erwünscht und anerkannt. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr – mit historischem Bewusstsein und politischem Augenmaß. Wir sollten uns nicht überschätzen, aber auch nicht unterschätzen.

Die Neuausrichtung der Bundeswehr schafft die Voraussetzung dafür, dass wir unsere internationale Verantwortung sicherheitspolitisch und auch militärisch erfüllen können. Sie ist ein deutliches Signal an unsere Verbündeten und Partner. Dort wird dies erkannt und anerkannt. Deutschland ist auch und gerade wegen seiner Einsätze und auch und gerade wegen der Art und Weise seines Vorgehens bei Einsätzen ein angesehenes Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Unsere Bundeswehr ist nicht das einzige, aber sie ist ein zentrales Instrument deutscher Sicherheitspolitik. Voraussetzung dafür aber sind die passenden Mittel, die richtigen Instrumente, gut ausgebildete Menschen und eine nachhaltige Finanzierung.

Die Bundeswehr war nicht umfassend auf die sicherheitspolitischen Voraussetzungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet. Das – ich füge es hinzu – ist für die Vergangenheit auch nicht kritikwürdig. Wir hatten mit den Veränderungen durch und seit 1990 wahrlich genug zu tun. Für die Zukunft wäre der Status quo aber nicht ausreichend.

Das Ziel der Neuausrichtung ist deshalb eine einsatzbereite und leistungsfähige Bundeswehr, die der Politik ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Handlungsoptionen bietet, eine Bundeswehr, die sich durch effektive Strukturen und effektive Prozesse auszeichnet, eine Bundeswehr, die nachhaltig finanziert und gut ausgerüstet ist, über eine ausgewogene Personalstruktur verfügt und als Freiwilligenarmee fest in unserer Gesellschaft verankert ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere Bundeswehr ist ein hochkomplexes Gebilde. Sie scheint äußerlich vergleichbar mit einem global agierenden Konzern – mit bisher rund 300 000 Mitarbeitern an rund 400 Standorten im In- und Ausland, mit Kampftruppe, einem Luftfahrtunternehmen, einer Reederei, einem Krankenhausverbund, einem Logistikunternehmen, einer entsprechenden Verwaltung; die Liste ließe sich lange fortsetzen. Ein solch komplexes Gebilde bei laufendem Betrieb grundlegend zu verändern, ist überall schwierig. Nur: Die Bundeswehr ist kein global agierender Konzern. Wir sind die Bundeswehr mit einem hoheitlichen Auftrag. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Von niemandem sonst verlangen wir Tapferkeit, von niemandem sonst erwarten wir, sich bewusst in Gefahr zu begeben, von niemandem sonst verlangen wir, notfalls im Gefecht zu bestehen, und von niemandem sonst verlangen wir einen solch treuen Dienst.

Es geht bei der Neuausrichtung um eine Reform aus einem Guss, die keine Ecke der Bundeswehr, keinen in der Bundeswehr und auch keinen im Verteidigungsministerium ausspart. Ich weiß, dass das kritisiert wird. Das sei zu viel auf einmal, das sei zu schnell, sagen einige. Es ist aber notwendig, dass wir alles gleichzeitig und gemeinsam auf den Prüfstand stellen und anpacken, weil die Dinge nämlich ineinandergreifen.

Unsere Entscheidungen sind 2011 und 2012 gefallen. Nun setzen wir sie systematisch nacheinander um. Im Ministerium haben wir angefangen, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Knapp 5 000 der 6 400 Organisa-tionselemente der Bundeswehr werden umstrukturiert und sind direkt betroffen; die restlichen mindestens indirekt. Der Zeitplan für die Umsetzung ist ehrgeizig, aber realistisch. Bis Ende dieses Jahres sind über die Hälfte der neuen Organisationselemente arbeitsfähig. Die neue Führungsorganisation wird bis Ende 2014 vollständig eingenommen sein. Die Verbände und Dienststellen werden bis Ende 2016 umstrukturiert sein. Spätestens 2017 wollen wir fertig sein.

Wo stehen wir nun, und was ist noch zu tun? Ich möchte mich heute auf drei Punkte konzentrieren.

Erstens. Die geplanten Fähigkeiten der Bundeswehr sind sicherheitspolitisch begründet. Was heißt das? Die Bundeswehr wird im multinationalen Verbund eingesetzt. Das erfordert bündnisfähige Strukturen. „Bündnisfähigkeit“ bedeutet für ein Land von unserer Größe, auch als Rahmennation, ein breites Spektrum von Fähigkeiten vorzuhalten, in das sich kleinere Nationen einfügen können. Die Bundeswehr muss neben bekannten auch für neue Aufgaben vorbereitet sein, ohne sie schon genau zu kennen. Das ist so, wenn man in einer unsicheren Welt agiert. Für so viel wie nötig vorbereitet zu sein, verlangt ein breites Fähigkeitsspektrum. Wir müssen nicht alles können, aber viel.

Wir sprechen hier nicht über abstrakte Prinzipien. In den letzten sechs Monaten hat der Deutsche Bundestag drei neue Einsatzmandate beschlossen. Kleinere Kontingente der Bundeswehr wurden in die Türkei sowie in den Senegal und nach Mali entsandt – mit unterschiedlichem Auftrag. Aus diesen Erwägungen – unsere Erfahrungen mit dem Einsatz, die Rolle im Bündnis und unsere internationale Verantwortung – haben wir uns für das Prinzip „Breite vor Tiefe“ entschieden. Das macht eine enge Arbeitsteilung mit unseren Partnern in Europa und in der NATO überhaupt erst möglich.

Natürlich gibt es für Fähigkeiten kritische Untergrenzen. Das ist wahr. Wir unterschreiten sie auch nicht. Wir wollen uns sicherheitspolitische Optionen in verschiedener Weise offenhalten. Deshalb darf unser Fähigkeitsspektrum nicht so aufgestellt sein, dass wir uns militärisch nur dann beteiligen können oder quasi müssen, wenn wir eine bestimmte Fähigkeit in größerem Umfang vorhalten, die mal gerade gebraucht wird. Wir müssen in der Lage sein, auch in kleinerem Umfang Kontingente zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel: mal Flugzeuge zur Durchsetzung einer Flugverbotszone, mal Spezialkräfte, mal Ausbilder, mal Infrastruktur oder mal Sanität – jedes für sich Teil eines Pakets im Bündnis. Frankreich und Großbritannien, meine Damen und Herren, machen es im Übrigen ganz genauso.

Ein zweiter Punkt. Die geplanten Strukturen der Bundeswehr sind demografiefest. Was heißt das? Die demografischen Bedingungen sind auch für die Bundeswehr absehbar schwierig. Die Zahl der potenziellen Bewerberinnen und Bewerber eines Jahrgangs für den Dienst in der Bundeswehr haben sich seit 1990 ungefähr halbiert. Die Bundeswehr brauchte deshalb eine realistische Personalplanung. Dabei bleibt es. Notwendig war und ist ein gleichzeitiger Abbau, Umbau und Aufbau des Personalkörpers Bundeswehr. Nach derzeitigem Stand sieht es danach aus, dass wir unsere Ziele erreichen – quantitativ und qualitativ, über alle Statusgruppen hinweg. Die jungen Menschen bewerben sich bei uns. Wir können unter Bewerbern auswählen. Ich freue mich darüber.

Die Bewerberzahlen sind insgesamt gut. Es gibt allerdings Ausnahmen, zum Beispiel bei der Marine. Wir sind uns jedoch bewusst: Wir stehen mit Blick auf die Personalgewinnung vor großen Herausforderungen. Deshalb haben wir auch gerade den gesamten Organisationsbereich Personal so umgestaltet, dass er den Erfordernissen der Bundeswehr und denen des Arbeitsmarktes entspricht. Die bisher zersplitterten Zuständigkeiten für Personal werden gebündelt. Interessenten und Bewerber, aktive Mitarbeiter und Soldaten haben bei der Bundeswehr künftig einen zentralen Ansprechpartner. Dort fassen wir die Personalführung für zivile Mitarbeiter und Soldaten zusammen und führen sie als einen Personalkörper aus einer Hand. Mitarbeiter und Soldaten, militärische und zivile Organisationsbereiche: Sie alle sind eine Bundeswehr. Aus einem Nebeneinander von zivilen Mitarbeitern und Soldaten machen wir ein Miteinander. Auch das verlangt ein Umdenken.

Die Bundeswehr wird künftig im Verhältnis über weniger Berufssoldaten und mehr Zeitsoldaten verfügen, mehr als zwei Drittel. Deswegen werden wir auch keine Berufsarmee, sondern wir sind eine Freiwilligenarmee. Unser Personal verlässt die Bundeswehr höher qualifiziert, als es in sie eingetreten ist. Das unterscheidet uns von vielen anderen Streitkräften in der Welt. Wir sind deswegen mit der Wirtschaft keine Konkurrenten um junge Menschen, sondern in Wahrheit Partner. Die Wirtschaft wird wie bisher Zeitsoldaten einstellen, wenn sie die Bundeswehr verlassen. Sie tut damit etwas für unser Land und etwas Gutes für sich. Bessere Bewerber findet sie nicht.

Für junge Menschen gehört zur Attraktivität eines Arbeitgebers neben einem guten Gehalt auch ein guter Ruf. Seit Jahren gehört die Bundeswehr für Schüler zu den attraktivsten Arbeitgebern. Auch in diesem Jahr belegt sie in den Umfragen den dritten Platz. Jüngst wurde der Bundeswehr von Studenten bescheinigt, zum oberen Drittel der Toparbeitgeber zu gehören. Wir waren der Aufsteiger des Jahres.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das hat sich an der Humboldt-Uni vielleicht noch nicht herumgesprochen.

Gleichzeitig müssen wir aber besser daran arbeiten, diejenigen zu halten, die wir haben. Das hat mit guten Dienstbedingungen zu tun. Das hat viel zu tun mit der noch nicht ausreichenden Vereinbarkeit von Familie und Dienst und mit Aufstiegschancen. An all dem arbeiten wir. Hier werden wir weiter investieren. Das Reformbegleitprogramm und das Attraktivitätsprogramm sind deshalb wichtige Eckpunkte der Neuausrichtung.

Ein dritter Punkt: Die Neuausrichtung ist solide finanziert. Die neu ausgerichtete Bundeswehr ist nachhaltig finanzierbar. Was heißt das? Wir stellen die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung. Der aktuelle Haushalt, die Eckwerte für den Haushalt 2014 und die mittelfristige Finanzplanung schaffen eine stabile Grundlage für die nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr in ihren neuen Strukturen. Unser Haushalt bleibt im Wesentlichen gleich. Höhe und Stabilität unseres Haushalts in den nächsten Jahren halten jedem Vergleich mit unseren vergleichbaren Partnern in Europa stand, insbesondere dem Vergleich mit Großbritannien und Frankreich. Der Verteidigungshaushalt dieser Bundesregierung ist ein Bekenntnis zur Bundeswehr und zu unserer internationalen Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Neuausrichtung der Bundeswehr beendet zudem unzureichende Abläufe der Rüstungsbeschaffung und -nutzung. Das liegt auch im Interesse der Steuerzahler. Wir alle waren – übrigens nicht nur in Deutschland – mit den Beschaffungsprozessen der Bundeswehr für moderne Rüstungsgüter unzufrieden. Ein kritischer Blick richtete sich dabei oft auf die Industrie; das ist aber heute nicht mein Thema. Denn auch in der Bundeswehr gab es Schwachstellen. Die sogenannten Bedarfsträger wollten schnell das Allerbeste kaufen bzw. haben. Die sogenannten Bedarfsdecker mussten es irgendwie beschaffen. Die Haushälter sollten es irgendwie finanzieren. Die Beschaffungskosten wurden von den Nutzungskosten entkoppelt. Wünsche an ein neues Großgerät wurden auch nach der Bestellung ständig verändert. Der IT-Bedarf wurde unterschätzt. All dies wird mit der Neuausrichtung der Bundeswehr grundlegend verändert.

Das neue Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung ist aufgestellt und beginnt, mit neuen Verfahren zu arbeiten. Wir planen nur, was wir uns leisten können. Wir beschaffen nur, was wir brauchen, und nicht, was uns angeboten wird.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Drohnen zum Beispiel!)

Die Nutzungskosten werden von Beginn an in die Kostenkalkulation einbezogen. Nachträgliche Veränderungen werden erschwert. Gerade die Erfahrungen der letzten Tage zeigen, wie notwendig ein integriertes Beschaffungs- und Nutzungsverfahren ist, das von Beginn an alle denkbaren Gesichtspunkte in den Blick nimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Probleme bei neuartigen Modellen auftauchen, wie bei dem Fall, über den wir jetzt diskutieren, so wird erst daran gearbeitet, sie zu lösen. Wenn wir dann sehen, dass diese Probleme nicht adäquat behoben werden können, wenn Kosten aus dem Ruder zu laufen drohen, dann ziehen wir lieber die Reißleine – auch in Zukunft. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Das werden wir auch in diesem Fall chronologisch genau dokumentieren.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Lieber ein Ende! – Rainer Arnold [SPD]: Lieber ein Wechsel!)

Die Neuausrichtung wird umgesetzt, und zwar konsequent von oben nach unten. Mit dem Ministerium haben wir angefangen. Dazu gehört auch die Verringerung der Zahl der Mitarbeiter von 3 500 auf 2 000. Seit dem 1. April 2012 arbeiten wir mit der neuen Struktur. Ab der zweiten Jahreshälfte 2012 folgten nach und nach die Aufstellung der drei neuen Bundesoberbehörden, die Auflösung der bisherigen Strukturen und die Aufstellung der höheren militärischen Kommandobehörden. Ende 2012 wurde mit der Aufstellung der sogenannten Fähigkeitskommandos, also der Ebene unter den Inspekteuren, begonnen.

Die Neuausrichtung beginnt, im Alltag zunehmend sichtbar zu werden: die Konzentration von Aufgaben an einer Stelle, der Verzicht auf Doppelstrukturen, die Stärkung der Verantwortung unterhalb des Ministeriums, der Abbau einer ganzen Kommando- und Verwaltungsebene, die erstmalige Unterstellung der gesamten Streitkräfte unter den Generalinspekteur der Bundeswehr als wirklich obersten Soldaten der Bundeswehr und ein umfassendes Programm zur Deregulierung, um den Entscheidern die erforderliche Gestaltungsfreiheit zu geben. All diese Maßnahmen greifen.

Aber: Die Neuausrichtung verlangt den Mitarbeiterinnen und Soldaten viel ab. Der Abschied von gewohnten Rollen und Aufgaben, von eingespielten Strukturen und Abläufen, von vertrauten Orten und Netzwerken und der Personalabbau und -umbau kosten Kraft und führen zu Unsicherheiten. Wer hätte dafür kein Verständnis?

Die Sachentscheidungen in einem derartig tiefgreifenden Veränderungsprozess – mögen sie auch noch so logisch und sinnvoll sein – werden nur dann von den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgesetzt und gelebt, wenn sie ausreichend bekannt sind, verstanden und mitgetragen werden. Hier gab es Kritik, auch berechtigte Kritik. Wir haben sie aufgenommen. Enttäuschungen und Kritik begleiten jeden großen Veränderungsprozess. Die Angehörigen der Bundeswehr wissen aus eigener Anschauung am besten, warum die Neuausrichtung notwendig ist; sie sind von der Notwendigkeit der Veränderungen überzeugt und tragen sie trotz mancher einschneidender persönlicher Nachteile insgesamt mit.

(Rainer Arnold [SPD]: Aber 90 Prozent sagen, sie geben keinen Sinn!)

Das Wie der Neuausrichtung müssen wir besser vermitteln; aber wir werden trotzdem nicht jeden zufriedenstellen können. Personalabbau, Versetzungen, Abgabe von Aufgaben an andere Ressorts – da hat das „Mitnehmen“, wie es immer gefordert wird, objektive Grenzen.

Dennoch: Die Erfolge bei der Umsetzung werden Woche für Woche sichtbarer. Auf diesem Weg sollten wir weitergehen. Ich will ihn mit möglichst vielen gemeinsam gehen. Nichts, meine Damen und Herren, fürchtet die Bundeswehr mehr als eine neue Reform. Verlässlichkeit und Kontinuität bei der Neuausrichtung – das sollten wir anstreben. Das schließt Kritik an Details natürlich nicht aus. Auch wir werden im Laufe des nächsten Jahres die Neuausrichtung evaluieren und an dem einen oder anderen Punkt möglicherweise nachsteuern.

(Zuruf von der SPD: Machen wir schon!)

Ein Nachsteuern ist aber keine grundlegende Revision der Neuausrichtung. Lassen Sie mich mit der Bitte schließen, dass wir die Umsetzung der Neuausrichtung entschlossen und so gemeinsam wie nur irgend möglich fortsetzen. Das deckt sich im Übrigen auch mit der Aussage des Kanzlerkandidaten der SPD, der nach einem Besuch bei der Bundeswehr gesagt hat, die Neuausrichtung würde nur schleppend vorangetrieben. Daraus kann ich nur schließen: Sie sollte entschlossen vorangetrieben werden. Recht hat er – mal sehen, ob es die folgenden Redner auch so sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Alles, was wir tun, meine Damen und Herren, dient nicht den Interessen von Einzelnen, auch nicht innerhalb der Bundeswehr. Es dient auch nicht den Interessen von Parteien, ja, nicht einmal der Bundesregierung. Alles, was wir tun, hat den Interessen und der Sicherheit unseres Landes zu dienen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verdienen unser Vertrauen, auch bei der Neuausrichtung. Sie dienen Deutschland.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Rainer Arnold (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass heute das Thema Bundeswehrreform an ex-ponierter Stelle im Parlament behandelt wird. Schlecht, dass es dazu einer Großen Anfrage der Sozialdemokraten bedurfte; denn sonst hätte das nicht stattgefunden. Und schlecht, Herr Minister, dass Sie sich zwölf Monate Zeit gelassen haben, diese Große Anfrage überhaupt zu beantworten.

Sie wollten über den Stand der Neuausrichtung reden; so heißt es im Titel Ihres Berichtes. In Wirklichkeit sprechen Sie aber darüber, was Sie angeordnet haben, was Sie sich wünschen. Wo wir stehen und welche Probleme auf dem Tisch liegen, das blenden Sie aus. Sie nutzen nicht einmal die Gelegenheit, die aktuelle Debatte über die Euro-Hawk-Drohne hier dem ganzen Parlament zu erläutern und die veränderte Position zu begründen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Es gibt im Internet einen interessanten Bundeswehr-Blog. Ich möchte Ihnen ein paar Zitate daraus vortragen. Einer schreibt:

… ich habe selten einen so schlechten Bericht gesehen. Über die Qualität … und das Ausmaß der Realitätsbeugung bin ich regelrecht entsetzt.

Zweiter Eintrag:

… hat das der Presse-/Info-Stab selbst geschrieben oder direkt eine Werbeagentur beauftragt?

Der Nutzer „Oberleutnant“ schreibt:

Sagenhaft … Wo finde ich diese Bundeswehr, welche in diesem Bericht erwähnt wird?

Herr Minister, so schreiben die Menschen, die den Truppenalltag kennen und erleben. Es sind keine Menschen, die nach Anerkennung gieren, sondern solche, die sich Sorgen machen, ob ihr Berufsstand so attraktiv bleibt, dass auch in Zukunft die Richtigen gefunden werden; denn wenn das nicht gelingt, werden wir eine völlig veränderte Bundeswehr haben. Diese Menschen, Herr Minister, wissen, dass Ihre Neuausrichtung eine Mogelpackung ist.

Noch ein Eintrag:

Der Anlaß für die Reform war das Einsparen … nun wird es teuer bei geringer werdender …fähigkeit …

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)

Jeder Mittelständler hätte seinen Geschäftsführer mit so einem Bericht entlassen.

Dem muss man eigentlich nichts mehr hinzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Nur, Herr Minister, warum legen Sie die Messlatte bei Ihrer Reform so hoch? Die Anforderungen an diese Reform braucht man nicht zu überhöhen. Es geht nicht um eine völlige Neuerfindung der Bundeswehr. Sie behaupten: Es wird alles neu. – Herr Minister, am Ende wird bei der Bundeswehrreform gar nichts Neues herauskommen – Sie benennen auch nichts Neues –, heraus kommt von allem weniger: weniger Geld, weniger Personal und weniger Gerät.

Die Reform ist auch sicherheitspolitisch überhaupt nicht begründet, sondern nur fiskalisch. Die Welt hat sich in den letzten drei Jahren doch nicht verändert.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU])

Deswegen tragen wir so wichtige Eckpunkte wie die Aussetzung der Wehrpflicht mit; man müsste es nur besser machen. Aber eines hat sich ein Stückchen verändert: Wer glaubt, mit einem Einsatz wie in Afghanistan, mit einer Masse von Soldaten von außen kommend, Nation-Building, Staatsaufbau betreiben zu können, der irrt. Das wird sich die Staatengemeinschaft eher nicht mehr antun. Sie selbst, Herr Minister, sprachen von kleinen Einsätzen. Genau auf diese neuen Herausforderungen – mehrere kleine parallele Einsätze logistisch zu unterstützen, Sicherheitsbündnisse auszubilden, vor Ort zu qualifizieren – gibt Ihre Reform keine Antwort. Gerade für die drängendsten Zukunftsfragen haben Sie keine Lösung.

(Beifall bei der SPD)

Gewiss: Sie haben eine schwere Hypothek übernommen. Ihr Vorgänger hat Ihnen in der Tat eine Reform-ruine hinterlassen. Sie haben zu Beginn gesagt, Sie würden alles auf den Prüfstand stellen. In Wirklichkeit haben Sie aber bei der Reformvorgabe überhaupt nichts geändert. Sie haben nicht einmal – und das tut richtig weh – die Chance genutzt, aus dem freiwilligen Wehrdienst ein breites gesellschaftliches Projekt der Freiwilligendienste zu machen. Jetzt lese ich, dass die Kanzlerin in 14 Tagen einen Gipfel zum Thema Freiwilligendienste einberufen will. Das ist nun wirklich der Gipfel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Der Bundesfreiwilligendienst, das ist ein riesiger Erfolg! In welcher Welt leben Sie? – Henning Otte [CDU/CSU]: Das stimmt so doch gar nicht!)

Es kommt doch nicht darauf an, vier Monate vor den Wahlen zu sagen: Schön, dass wir mal darüber geredet haben.

Herr Minister, Sie haben nichts wirklich auf den Prüfstand gestellt. Sie haben vor allem die Beschaffung von Großgeräten nicht ordentlich geprüft und begleitet. Deshalb führen wir im Augenblick so eine schwierige Debatte über den Euro Hawk. Es ist schon richtig, dass er mit großer Mehrheit des Parlaments gewollt wurde,

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Von der SPD mitbeschlossen!)

aber im Jahr 2011 sind gravierende Probleme aufgetreten. Staatssekretär Beemelmans hat gestern erklärt, alle Projektbeteiligten hätten diese Probleme vorgetragen bekommen. Herr Staatssekretär, Herr Minister, ja sind denn das Parlament und der Haushaltsausschuss nicht projektbeteiligt? Uns hat man im Dunkeln gelassen; man hat sogar zwei Jahre lang Haushaltsbeschlüsse zu diesem Projekt fassen lassen.

Sehr interessant ist: Sie haben sogar Ihr eigenes Kabinett vor einer Woche regelrecht getäuscht. In Ihrer Kabinettsvorlage zum Stand der Neuausrichtung haben Sie so getan, als ob die Beschaffung strukturrelevanter Hauptwaffensysteme – Euro Hawk mit fünf Stück, Global Hawk mit vier Stück –

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Obergrenze!)

ohne Probleme verfolgt werde. So gehen Sie mit Ihrem eigenen Kabinett um!

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Lesen Sie die Tabelle richtig!)

Ich frage mich schon: Erhebt die Kanzlerin nicht mehr den Anspruch, dass Probleme bei der Strukturreform, die sowohl im internationalen als auch im finanziellen Maßstab gravierend sind, im Bericht zum Stand der Neuausrichtung korrekt vorgetragen werden?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Lesen Sie korrekt die Tabelle!)

Herr Minister, Sie und Ihr langjähriger Weggefährte, Staatssekretär Beemelmans, sagen fast in jeder Rede vor Soldaten, Sie seien dafür und sorgten dafür, dass bei der Bundeswehr die Verantwortung in einer Hand liegt. Nach dem finanziellen Desaster wäre jetzt eine gute Gelegenheit, diesem Anspruch gerecht zu werden. Oder soll ich Ihnen wirklich wünschen, Herr Minister, dass die Kanzlerin in den nächsten Tagen sagt, sie stehe voll und ganz hinter Ihrem Verteidigungsminister?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Tätä! Tätä! Tätä!)

Herr Minister, ich spreche das auch deshalb an, weil der Umgang mit dem Parlament in dieser Frage ein Stück weit symptomatisch dafür ist, wie Sie mit den Menschen in der Bundeswehr insgesamt umgehen, nämlich: Von oben nach unten anordnen, und alle sollen widerspruchslos folgen. Wer das nicht tut, wird von Ihnen beschimpft.

Herr Minister, Sie haben oft gesagt: Die Reform ist eine schwierige Operation; sie entspricht einer Operation am offenen Herzen. Ich finde, das ist ein schönes Bild, weil es bei einer Operation am offenen Herzen wie dieser Reform insbesondere darauf ankommt, dass die Blutzirkulation des Patienten am Laufen gehalten wird. Das tun Sie aber nicht. Sie operieren ohne Herz-Lungen-Maschine. Sie lassen die Bundeswehr gerade in diesem Übergangsprozess, der sechs bis sieben Jahre dauert, personell regelrecht ausbluten. Sie haben Ihre Reform nicht mit einem wirklichen Übergangsmanagementkonzept unterlegt. Darunter leiden die Soldaten. Das merken die Soldaten im Augenblick, da bei der Feinplanung sichtbar wird, wo die Defizite liegen. Über diese Probleme reden Sie aber in keiner Weise.

(Beifall bei der SPD)

Im Gegenteil, Herr Minister, Sie sagen ganz schlicht: Der Mensch folgt den Aufgaben.

Herr Minister, Sie haben auch heute in Ihrer Rede ein Bonbon verteilt: Sie haben gesagt, wir sollten den Soldaten vertrauen. Das sollten wir in der Tat. Wir sollten mit den Soldaten respektvoll und mit ihren persönlichen Bedürfnissen und den Bedürfnissen ihrer Familien achtsam umgehen. Wenn man von oben herab sagt: „Der Soldat folgt den Aufgaben“, dann ist das entschieden zu wenig. Das spüren die Soldaten.

(Beifall bei der SPD – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Wir haben ein großes Reformbegleitgesetz gemacht!)

Wir Sozialdemokraten werden die Reform zwar nach der Wahl im September nicht völlig über den Haufen werfen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gar nichts werdet ihr tun!)

Vieles kann man auch gar nicht ändern. Manches ist ja auch vernünftig, die Organisation des Ministeriums zum Beispiel. Aber wir werden an den Stellen, an denen man nachsteuern kann, zügig nachsteuern. Wir werden nicht, wie Sie es vorhaben, bis zum Jahr 2014/15 warten,

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Die Soldaten wollen Sicherheit!)

dann evaluieren und dabei feststellen, dass man es gar nicht mehr ändern kann, weil der Prozess schon zu weit vorangeschritten ist. Wir wissen, dass man in vielen Bereichen etwas ändern kann.

Ein wichtiger Punkt ist die Einhaltung der Vorgabe – das hat auch das Parlament gewünscht –, dass Soldaten, nachdem sie 4 Monate im Einsatz waren, 20 Monate zu Hause sein können, um in ihrem sozialen Gefüge zu leben, um teilzunehmen am gesellschaftlichen Leben in ihrer Heimat. Diese Vorgabe wird bei der Hälfte der Einsatzsoldaten inzwischen nicht mehr erfüllt. Machen Sie sich darüber keine Gedanken? Reden Sie nicht darüber?

Erreichen Sie nicht die Briefe von Soldaten, in denen steht, dass sie nicht, wie vorgegeben, maximal 21 Tage auf Beihilfezahlungen zur Begleichung ihrer Arztrechnungen warten, sondern teilweise monatelang, und das vor dem Hintergrund, dass, wie Sie am Sonntag im ZDF ja noch gesagt haben, ein großer Teil der Soldaten zu wenig verdient. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass das Fehlen eines Übergangsmanagements dazu führt, dass zwei von drei Offizieren und fünf von sieben Unteroffizieren im Beförderungsstau stecken, also nicht die Aufstiegschancen bekommen, die sie eigentlich verdient hätten? Auch das hat etwas mit Respekt zu tun.

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass die Soldaten sagen, dass es keine wirkliche Personalplanung gibt, dass sie manchmal von einem Tag auf den anderen die Botschaft erhalten, wo sie jetzt hingehen sollen?

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass es nach der Abschaffung der Wehrpflicht kein vernünftiges Verhältnis zwischen externer und interner Personalgewinnung gibt?

Herr Minister, Sie sagen, dass die Reform an der einen oder anderen Stelle Geld kostet, zum Beispiel, wenn es um die Ermöglichung besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Es gibt einen einfachen Ansatz – das wäre schnell umzusetzen –: Herr Minister, Sie selbst haben dem unsäglichen Betreuungsgeld im Kabinett und hier im Bundestag zugestimmt.

(Zurufe von der FDP: Oh! – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Großer Erfolg!)

Dies führt dazu, dass entgegen der ursprünglichen Haushaltsplanung der Bundeswehretat bis zum Jahr 2017 auf 1 Milliarde Euro verzichten muss. Dieses Geld fehlt für Attraktivitätsmaßnahmen. Ich sage Ihnen, Herr Kollege, das werden wir im Herbst als Erstes ganz schnell ändern.

(Beifall bei der SPD – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Also bitte, Herr Arnold! Fällt Ihnen nichts Besseres ein?)

Herr Minister, Sie haben den Soldaten Hoffnungen gemacht und ihnen die Zusage gegeben, dass sie im Jahr 2013 wissen, was aus ihnen persönlich wird. Das ist auch eine Frage des Vertrauens, nämlich umgekehrt eine Frage des Vertrauens in die Regierung. Nehmen Sie nicht wahr, dass 70 Prozent der Soldaten bis zum heutigen Tag überhaupt noch nicht wissen, wohin sie gehen werden, was aus ihrer Familie, dem Arbeitsplatz und der Ausbildung ihrer Kinder wird? Darüber reden Sie nicht. Das führt zu Vertrauensverlusten.

Es ist einfach Fakt, dass 90 Prozent der in einer Umfrage des BundeswehrVerbandes befragten Soldaten gesagt haben, sie seien der Auffassung, diese Reform habe keine Zukunft. Angesichts dessen können Sie doch nicht einfach hier behaupten, dass die Soldaten die Reform gut finden. In welcher Welt lebt man, wenn man angesichts dieser Zahlen so etwas feststellt?

Ich habe Ihren Bericht gründlich gelesen. Am Schluss habe ich gedacht: Siehe da, jetzt kommt doch noch etwas. Ich war guten Mutes. Da steht nämlich, dass Sie eine sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben haben und einen Maßnahmenkatalog erarbeiten wollen, der auf die „Beseitigung erkannter Defizite“ abzielt. Jetzt geht es weiter: „… erkannter Defizite bei der Vermittlung der Kernbotschaften der Neuausrichtung …“ Das heißt, Sie glauben immer noch, die Soldaten kapierten nicht, um was es geht. Sie kapieren sehr wohl, um was es geht. Es geht nicht in erster Linie um Kommunikation und Vermittlung, sondern darum, dass Sie den Rat und die berufliche Expertise der Soldaten endlich aufnehmen, dass Sie zuhören und dort Änderungen vornehmen, wo sie notwendig und angesagt sind.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, halten Sie doch bitte nicht weiter starr an Ihren falschen Vorgaben fest. Manchmal stehen wir ja zu Politikern, die dicke Bretter bohren; den Eindruck, als ob Sie dies tun, erwecken Sie ja auch mit Ihrem starren Festhalten. Ich glaube aber, im Augenblick bohren Sie eher Luftlöcher – siehe Veteranendebatte, ein Projekt, das eher im Sande verlaufen wird. Nein, Herr Minister, steuern Sie jetzt um, und zerstören Sie nicht dieses für die Bundeswehr wichtige Gut, nämlich dass die großen Parteien hier im Parlament eigentlich einen Grundkonsens hinsichtlich der gemeinsamen Verantwortung für die Menschen bei den Streitkräften bewahren wollen.

Wir stehen zu diesem Grundkonsens. Er wird aber nur tragen, wenn Sie auch zuhören und an der einen oder anderen Stelle etwas ändern. Wir werden dies ab September tun, Herr Minister. Niemand muss Sorge haben, dass es eine neue Reform geben wird; vielmehr kann sich jeder darauf verlassen, dass das, was gut ist – das gibt es bei der Bundeswehr an vielen Stellen –, bewahrt wird und das, was schlecht läuft, mit Augenmaß und in für die Menschen verträglichen Schritten geändert wird.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege.

Rainer Arnold (SPD):

So werden wir das ab der Bundestagswahl angehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Elke Hoff (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist für jemanden, der nicht so tief in den Strukturen der Bundeswehr steckt, immer schwierig, ein Bild über die tatsächliche Lage zu bekommen. Wenn man das, was der Kollege Arnold gerade eben vorgetragen hat, genauer analysiert, bekommt man das Gefühl, dass es einen völlig demotivierten Apparat gibt, der überhaupt nicht mehr in der Lage ist, seinen Auftrag auszuführen, und dass es am besten wäre, all das, was auf den Weg gebracht worden ist, wieder einzustampfen.

Mein Eindruck aus acht Jahren Tätigkeit im Bereich der Verteidigung und aus vielen Truppenbesuchen sowohl im Inland als auch im Ausland ist, dass eher das Bild zutrifft, dass Herr Minister de Maizière eben in seiner Rede gezeichnet hat, nämlich dass wir Soldaten haben, die ihren Beruf lieben, dass sie es in den seltensten Fällen bereuten, diesen Beruf ergriffen zu haben, und dass sie nach wie vor davon überzeugt sind, einen richtigen Auftrag zu erfüllen. Gleichzeitig haben sie die Erwartung an uns Politikerinnen und Politiker, dass wir alles dafür tun, dass sie diesen Auftrag auch erfüllen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass diese Reform, die seit langer Zeit überfällig war und die sicherheitspolitisch dringend geboten war, zum richtigen Zeitpunkt auf den Weg gebracht worden ist. Ein Jahr! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wer kann ernsthaft erwarten, dass eine solche umfassende Reform innerhalb eines Jahres sozusagen ein Selbstläufer wird, ohne Strukturen zu erschüttern? Genau das sollte doch auch mit der Reform bezweckt werden: Strukturen, die nicht mehr funktionierten, sollen so geändert werden, dass sie in Zukunft funktionieren. Das bedeutet natürlich auch, dass sich an vielen Stellen vertraute Mechanismen ändern und auch vertraute Gesichter nicht mehr da sind. Das führt zu Widerständen, das führt zu Fragezeichen, das führt zu Problemen. Ich selbst habe dies in meiner Zeit außerhalb des Parlamentes, als ich Leitungsaufgaben in einer reformierten Behörde übernommen habe, erlebt.

Natürlich gibt es sehr viel Verunsicherung. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir in dieser Zeit Erhebliches für unsere Bundeswehr erreicht haben. Ich würde mich wirklich freuen, wenn bei aller berechtigten Kritik – nobody is perfect – an der einen oder anderen Stelle auch einmal die Verdienste dieser Reform dargelegt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich werde dies jetzt tun, damit sie deutlich werden; dies kann dann auch später im Protokoll nachgelesen werden.

Wir haben eine deutliche Verbesserung der Einsatzversorgung für unsere Soldatinnen und Soldaten erreicht. Wir haben das Reformbegleitgesetz verbessert, indem wir für den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen und eine Verdoppelung der Einmalzahlung gesorgt haben. Wir haben die Verbesserung der Behandlung unserer seelisch verwundeten Soldatinnen und Soldaten erreicht. Wir haben die Härtefall-Stiftung eingerichtet.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlament!)

Wir haben gemeinsam die Verbesserung der Betreuungskommunikation erreicht. Wir haben die Verbesserung der Ausrüstung und des Schutzes unserer Soldaten im Einsatz erreicht. Wir werden in Zukunft die Fähigkeit zur Rettung und Evakuierung deutscher Staatsbürger selbst zu 100 Prozent, in toto, haben. Wir haben mit dem Soldatengesetz eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Dienst aller Soldaten erreicht. Wir haben einen einheitlichen Gerichtsstand für Auslandseinsätze der Bundeswehr geschaffen. Wir haben die zentrale Zuständigkeit des Bundes für die Versorgung der Verwundeten, Geschädigten und Hinterbliebenen erreicht. Das ist ein wesentlicher Schritt nach vorne, um auch den schlimmen Auswirkungen von Auslandseinsätzen gerecht werden zu können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden für Verbesserungen im Hinblick auf das Altersruhegeld, die Steuerfreiheit der Reservistenbezüge und die teilweise Steuerfreiheit der Bezüge von freiwillig Wehrdienstleistenden sorgen.

Die Gehälter von Beamten, Richtern und Soldaten wurden in den letzten vier Jahren um insgesamt 8 Prozent erhöht: Gehaltssteigerung im öffentlichen Dienst plus Wiedergewährung des Weihnachtsgeldes. Der finanzielle Ausgleich für mehrgeleisteten Dienst der Soldatinnen und Soldaten wurde fast verdoppelt.

(Rainer Arnold [SPD]: Und das ist Ihr Verdienst?)

Und: Die Wahlmöglichkeit zwischen Umzugskosten und Trennungsgeld blieb erhalten.

All das sind Dinge, die, mit Verlaub, auch im Rahmen der erfolgreichen Zusammenarbeit in dieser Koalition erreicht werden konnten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Parlament? Das ist nicht fair!)

Ich möchte die letzte Minute meiner Rede, die wahrscheinlich meine letzte Rede in diesem Parlament sein wird, dazu nutzen, mich an erster Stelle aus tiefster Überzeugung und aus tiefstem Herzen bei unseren Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien für das zu bedanken, was sie für uns tun und was sie für uns erleiden müssen. Es ist für uns alle eine Verpflichtung, das nie zu vergessen.

Ich möchte mich besonders bei den Kolleginnen und Kollegen des Verteidigungsausschusses bedanken – bei allen. Es hat viel, viel Freude gemacht, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, an dieser Stelle sagen zu können – gerade auch im Hinblick auf die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne –: Trotz vieler Unterschiede in der parteipolitischen Ausrichtung war es allen Kollegen ein Herzensanliegen, für unsere Soldatinnen und Soldaten das Beste zu erreichen. Das hat mich zu einem tief überzeugten Anhänger des Prinzips der Parlamentsarmee gemacht. Ich glaube, meine Damen und Herren, trotz aller parteipolitischen Unterschiede ist das, was wir hier erreicht haben, ein Gut, das wir alle sorgfältig pflegen sollten, für das wir einstehen sollten. Wir müssen immer wieder klarmachen, dass dieses Parlament für die Sicherheitspolitik unseres Landes, aber auch für das Wohlergehen unserer Soldatinnen und Soldaten einsteht. Wir sollten allen möglichen Überlegungen, das Prinzip der Parlamentsarmee bzw. die Rechte des Parlamentes an dieser Stelle zu verwässern, auszuhöhlen oder abzuschaffen, mit allem Nachdruck gemeinsam entgegentreten. Die Soldaten brauchen uns alle!

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es war eine tolle Zeit mit Ihnen. Es war eine tolle Zeit mit den Soldaten. Ich melde mich ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Liebe Kollegin Hoff, da Sie für den nächsten Deutschen Bundestag nicht wieder kandidieren, ist dies eine gute Gelegenheit, Ihnen herzlich für die Arbeit zu danken, die Sie in diesem Parlament insbesondere, aber nicht nur in dem Aufgabenfeld, das Gegenstand dieser Debatte heute Morgen ist, geleistet haben. Ich hoffe sehr, dass Sie sich, auch wenn Sie sich aus dem Deutschen Bundestag verabschieden, nicht von der Politik abmelden, und wünsche Ihnen für die nächsten Jahre alles Gute.

(Beifall)

Paul Schäfer ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Werter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestagspräsident hat zu Beginn unserer Debatte an den deutschen Soldaten erinnert, der letzte Woche umgekommen ist. Auch wir trauern um ihn. Nach den Momenten des Innehaltens stellen sich Fragen: Warum? Wofür? Musste das sein? – Diese Fragen kann man nicht abweisen, man darf sie nicht abweisen. Sie verbinden sich für uns damit, dass wir den Einzelfall beklagen, aber zugleich alle Opfer eines Gewalteinsatzes, nicht zuletzt die zivilen Opfer des Krieges, in den Blick nehmen. Daher geht es für uns immer auch um mahnendes Erinnern, nicht um verklärendes.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute über den Stand der Bundeswehrreform. Der Verteidigungsminister sagt gerne „Neuausrichtung der Bundeswehr“. – In Wahrheit haben wir diese Ausrichtung seit 20 Jahren, und Sie wollen nun das Tüpfelchen auf dem i anbringen: Die Rede ist vom Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee.

Sie schreiben, Herr Minister, die Neuausrichtung der Bundeswehr orientiere sich streng an den sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen. Nun ja, zunächst, was die Wirtschaft anbetrifft: Vor drei Jahren hieß es angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise noch, dass auch die Streitkräfte ihren Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte leisten müssten. Heute haben wir immer noch Finanzkrise; aber jetzt heißt es wieder: Sicherheit hat ihren Preis. – Der Verteidigungshaushalt soll im nächsten Jahr statt wie eigentlich geplant 27,6 Milliarden Euro jetzt doch wieder 32 Milliarden Euro umfassen. Sie mögen sich das als Erfolg ans Revers heften, Herr Minister; aber das geht alles zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Deshalb bleiben wir bei dem Schluss: Die Bundeswehr ist und bleibt auch nach ihrem Umbau überdimensioniert und entschieden zu teuer.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Merkwürdige ist: Gleichzeitig werden die Mittel für einen sozialverträglichen Umbau – also einen Umbau im Interesse der Soldatinnen und Soldaten – nicht ausreichen. Warum? Weil das Geld an der falschen Stelle ausgegeben wird. Das jüngste Beispiel dafür ist der Fall Euro Hawk: Über 600 Millionen Euro müssen als verbrannt gelten, weil man jetzt beschließen musste, das Projekt dieser Riesenaufklärungsdrohne zu beenden. Reichlich spät ist man auf die Idee gekommen, dass auch und gerade Drohnen eine Zulassung für den zivilen Luftraum brauchen. Das hätte man früher wissen müssen. Man hätte früher handeln müssen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])

Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Politik zulasten der Steuerzahler und zugunsten der Rüstungswirtschaft gemacht wird.

Man verspricht jetzt – wir haben es gestern im Ausschuss erlebt –, der Rüstungslobby künftig weniger gutgläubig gegenübertreten zu wollen. Dieses Mantra kennen wir zur Genüge. Passieren tut nichts, wird nichts. Man muss eben den ehrlichen Willen haben, den Einfluss dieser starken Lobbygruppe nachhaltig zu beschneiden,

(Beifall bei der LINKEN)

und es wird allerhöchste Zeit, dass das geschieht.

Was die sicherheitspolitische Einordnung betrifft, so schreiben Sie, Herr Minister de Maizière – ich darf das einmal zitieren –:

Da Bedrohungen für die Freiheit und Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Verbündeten heute nicht mehr vorrangig geographisch oder militärisch definiert sind, müssen Streitkräfte im 21. Jahrhundert ein hohes Maß an Einsatzbefähigung in einem breiten Spektrum gewährleisten …

Na, das müssen Sie uns und dem Wahlvolk näher erläutern. Also, weil die globalen Risiken nicht primär militärischer Natur sind, reagieren Sie darauf mit qualitativer, breit angelegter Aufrüstung? Diese Logik ist doch absurd, und sie ist gefährlich obendrein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein zweites Beispiel:

Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört es – so ist es in Ihrem Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, den wir jetzt diskutieren, zu lesen –,

… die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen zu reduzieren …

Richtig, genau das ist eine der wichtigsten Ursachen für die konfliktträchtigen und gewaltförmigen Entwicklungen, die es in der Welt gibt. Aber die Mittel, die notwendig sind, um diese Kluft zu schließen, müssen doch irgendwo herkommen. Dafür braucht es nicht zuletzt Abrüstung. Die Ausgaben der Welt für das Militär summieren sich auf mehr als 1 Billion Euro; das ist viel zu viel.

(Beifall bei der LINKEN) Im Klartext: Wir müssen aus der Rüstungsspirale raus. Sie aber wollen – siehe Kampfdrohnen – in die nächste Runde einsteigen. Wir wollen das nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, Sie leiten die Reform der Bundeswehr wieder einmal aus Ihrer Einschätzung der globalen Risiken und Bedrohungen ab. Sie stellen Behauptungen auf. Warum man auf diese neuen Risiken militärisch reagieren müsse, das wird nicht plausibel begründet, und das kann man auch nicht. Ich nenne Beispiele:

Kritische Infrastrukturen und Informationsnetzwerke seien gefährdet, sagen Sie in Ihrem Bericht. Was, bitte, wollen Sie gegen Trojaner im Netz mit militärischen Mitteln ausrichten? Oder will man vielleicht selber Schadware platzieren?

Nächstes Beispiel: Transnationale organisierte Kriminalität breite sich aus. Um dieser zu begegnen, braucht man aber doch keine Panzer – das ist Sache der Polizei.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen drohe. Und Sie wollen der Verbreitung dieser Waffen jetzt begegnen, indem Sie selber an der nuklearen Abschreckung festhalten? Das Gegenteil ist doch richtig. Wir müssen diese Schreckensvorstellung beenden und endlich aus der nuklearen Teilhabe der NATO heraus. Das ist doch die Aufgabe, die sich stellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der internationale Terrorismus bedrohe uns nach wie vor, wird dort gesagt. Wollen Sie wirklich behaupten, die militärische Seite der Terrorbekämpfung hätte den gewünschten Erfolg gebracht? Wenn wir jüngst wieder Soldaten entsandt haben, weil ein Terrorstaat in Afrika drohte – ja, die Rede ist von Mali –, dann zeigt das doch, dass wohl eher einiges schiefgelaufen ist.

Die Lehre heißt aus meiner Sicht vielmehr: Den militanten Dschihadismus bekämpft man vor allem, indem man Entwicklungs- und Demokratisierungsprozesse nicht zuletzt in der arabischen Welt fördert. Panzerlieferungen an Saudi-Arabien gehören ganz gewiss nicht dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Last, not least: der Dauerbrenner der gescheiterten Staaten, in denen wir – sprich: die NATO oder die EU – den Staat wieder aufbauen müssten. Die Realität zeigt doch, dass das, was wir nach westlichen Maßstäben gerne als „Failed“ oder „Failing States“ bezeichnen, eher der Normal- als der Ausnahmefall in der Welt ist. Ihre Schlussfolgerung kann doch nicht ernsthaft lauten, überall militärisch intervenieren zu wollen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines Forschungsprojekts an der FU Berlin, die sich intensiv mit Afghanistan beschäftigt haben, sind zu dem Schluss gekommen, externe militärische Interventionen seien in der Regel nicht effektiv, weil ihnen meist auch in den Augen der betroffenen Bevölkerung die Legitimität fehle, und oft trügen sie, weil sie lokale Widerstände hervorriefen, zu mehr Unsicherheit und sogar zu mehr Gewalt bei. Das ist ein Punkt, über den man nachdenken muss.

Ich setze noch eins drauf – ich weiß, der nächste Satz ist sehr plakativ; ich könnte das am Beispiel der pleitegegangenen Kabul Bank aber durchaus aufzeigen –: Der aggressive, auf Militär gestützte Export des neoliberalen Wirtschaftsmodells hat schon genug Schaden in den Ländern des globalen Südens angerichtet. So kann es nicht weitergehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nachhaltige Fortschritte – auch das ist eine Konsequenz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – sind nur zu erreichen, wenn sich Akteure vor Ort finden, die sich für die Emanzipation und die demokratische Entwicklung ihres Landes einsetzen. Das ist der Schlüssel, den man in der Hand haben muss.

Spätestens angesichts der gescheiterten Intervention in Afghanistan müssen Sie doch zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt sein. In Afghanistan geht es jetzt um eine Verhandlungslösung, um den NATO-Truppenabzug und um den zivilen wirtschaftlichen Aufbau. Dafür sind wir hier vor Jahren angegriffen und als naiv verspottet worden. Manchmal wäre es nicht schlecht, auf die Linke zu hören.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Interventionismus ist gescheitert, aber Sie bauen die Instrumentarien für eine solche Interventionsarmee aus. 10 000 Kampftruppen will man für künftige Einsätze bereithalten, das Heer soll über mehr Kampfverbände verfügen, und die Division Schnelle Kräfte wird zu einem Schlüsselelement ausgebaut. Eine solche Interventionstruppe brauchen wir nicht, und wir wollen sie auch nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig: Wir müssen über die deutsche Sicherheitspolitik reden und darüber, welche Rolle die Bundesrepublik künftig international spielen will. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat einen breiten Dialog dazu eröffnet. Das ist zu begrüßen. Dazu gehört für mich auch der kritisch-konstruktive Dialog mit den Soldatinnen und Soldaten. Sie haben diesen Respekt verdient.

In diesem Kontext kommen jetzt immer auch Stimmen hoch – gestützt auf die neue deutsche Dominanz in der EU –, dass wir, Deutschland, jetzt endlich als europäische Führungsmacht auftreten müssen – auch militärisch. Die Bundesregierung hat hier bislang eine eindeutige Positionierung vermieden. Sie reden wenig darüber, aber durch den Aufbau dieser militärischen Fähigkeiten schaffen Sie Fakten. Ich finde, darüber muss klar gesprochen werden.

Selbst das, was ich als Schlingerkurs bezeichne – einerseits ein bisschen zurückhalten, andererseits mitmachen, was man dann bündnispolitisch verbrämt –, ist schon alles andere als harmlos und kann in einer gefährlichen Eskalationsspirale münden, wie wir am Beispiel der Patriot-Stationierung in der Türkei sehen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, hier so schnell wie möglich ein deutliches Zeichen zu setzen, dass man weder an vorderster Front noch im Hinterland für eine Intervention zur Verfügung steht und im Gegenteil alles unternehmen wird, um eine Deeskalation zu erreichen. Das fordern wir – also auch den Abzug der Patriots aus der Türkei.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe es erwähnt: Es gibt eine beunruhigende Debatte darüber, dass – leider hat auch der Minister einen entsprechenden Tonfall in seine Rede hineingebracht – sich Deutschland künftig als Führungsmacht präsentieren sollte, an die sich dann die kleineren europäischen Länder anlehnen könnten, dass es also sozusagen als Big Brother, als großer Bruder, auftreten soll, auf den man sich auch aufgrund seiner militärischen Fähigkeiten stützen kann.

Es ist altes Denken, dass sich Macht und Machtentfaltung in letzter Konsequenz in militärischer Potenz ausdrücken. Unser Gegenentwurf heißt: Deutschland als zivile Gestaltungsmacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Deutschland kann sich künftig als globaler Partner für Konfliktprävention und Wiederaufbau positionieren. Durch Abrüstung würden Mittel frei, die dafür gebraucht werden. Die Vereinten Nationen sind in ihren Bemühungen um Krisennachsorge, um Peacebuilding chronisch unterausgestattet. Sie können in der vorbeugenden Friedensarbeit jegliche Unterstützung gebrauchen. Das ist eine Aufgabe, die sich stellt. Hier könnte sich die Bundesrepublik Deutschland engagieren. Das ist unser Modell.

Ich höre schon wieder den Einwurf: deutsche Drückebergerei! George W. Bush hat im Zuge des Irakkrieges geurteilt, die Deutschen seien nun einmal Pazifisten. Angesichts des Desasters und der Verwüstung durch diesen Angriffskrieg frage ich: War es nicht richtig, damals Pazifist zu sein?

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Die Linke ist für Deutschland als Zivilmacht – nicht nur, weil das eine Konsequenz aus der deutschen Gewaltgeschichte ist, sondern weil das grundvernünftig ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es sehr, dass der Verteidigungsminister heute eine inhaltlich breit angelegte sicherheitspolitische Debatte zur Neuausrichtung der Bundeswehr angestoßen hat. Dabei hat er auch zum Thema Rüstung, insbesondere zum Zusammenhang zwischen Beschaffung und Nutzung auch von Großgeräten, das Notwendige gesagt, und er hat in dieser Woche auch zum Thema Euro Hawk eine folgerichtige Entscheidung getroffen.

Herr Arnold, was Sie zu diesem Thema gesagt haben, war nichts als der billige Versuch, von der eigenen Mitwirkung der SPD-Fraktion an diesem Projekt abzulenken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainer Arnold [SPD]: Sie haben im Jahr 2011 regiert!)

Lieber Herr Kollege Arnold, Sie haben das schlüssige Gesamtkonzept zur Ausrichtung der Bundeswehr völlig konfus kritisiert. Sie haben es tatsächlich geschafft, hier zwölf Minuten lang zu reden, ohne auch nur einen einzigen eigenen Vorschlag der SPD zur Neuausrichtung der Bundeswehr zu unterbreiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)

Damit haben Sie eine Gelegenheit versäumt. Es hätte uns interessiert, wie die Sozialdemokraten die künftige Rolle der Bundeswehr in einer weiterentwickelten Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und in der NATO sehen, Herr Arnold. Es hätte uns interessiert, wie sich die SPD die Reaktion auf die neuen Herausforderungen für die Sicherheit Europas, vor allem im Hinblick auf unsere südliche Nachbarschaft, vorstellt.

Allein diese Fragen – das zeigt die heutige Debatte – erfordern eine breite und aus unserer Sicht auch regelmäßige sicherheitspolitische Debatte hier im Bundestag. Wir haben keinen Mangel an Debatten über die verschiedenen Auslandseinsätze, auch nicht über Teilaspekte der Umgestaltung der Bundeswehr, zumal wir heute Nachmittag zum Thema Atalanta bereits die nächste Mandatsdebatte führen werden. Um es mit konkreten Zahlen deutlich zu machen: Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1994 zur Parlamentsbeteiligung beschließt der Deutsche Bundestag heute exakt das 120. Mandat. Wir haben also in knapp 20 Jahren rund 240 Mandatsdebatten geführt.

Doch die sicherheitspolitischen Herausforderungen und Fragen unserer Zeit, wie sie der Minister heute dargestellt hat, gehen weit über die konkreten Aspekte der jeweiligen Mandate hinaus, zumal die sicherheitspolitische Lage Europas – auch das wurde in der Regierungserklärung deutlich – erheblichen Veränderungen unterliegt. Es geht zum Beispiel darum, welche Auswirkungen der Wandel in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten für unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit auch ganz praktisch für die Aufgaben der Bundeswehr hat – und dies in einer Zeit, in der Europa, auch das wurde gesagt, mit der Bewältigung der Schuldenkrise zu kämpfen hat.

Es ist notwendig, unsere übergreifenden Sicherheitsinteressen der deutschen Öffentlichkeit und unseren Partnern in der NATO und in der EU umfassend zu vermitteln. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Werte, die Ziele und die Instrumente unserer Sicherheitspolitik.

Für alle diese Fragen brauchen wir eine regelmäßige Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands.

(Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Ein guter Vorschlag! – Rainer Arnold [SPD]: In der Großen Koalition haben Sie persönlich das verhindert!)

– Guter Vorschlag! – Um auch hier die Zahlen zu nennen: In den knapp 20 Jahren, in denen wir rund 240 mandatsspezifische Debatten geführt haben, haben wir nicht einmal zehn übergreifende Debatten zur sicherheitspolitischen Lage geführt. Anlass dafür waren die Neuausrichtung der Bundeswehr, die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011, das neue Strategische Konzept der NATO 2010, die beiden Weißbücher von 2006 und 1994, die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 sowie die von meiner Fraktion erarbeitete Sicherheitsstrategie von 2008.

Angesichts der Bedeutung und des Gewichts unseres Landes in EU und NATO und mit Blick auf die vielfältigen sicherheitspolitischen Herausforderungen halten wir es für erforderlich, zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands regelmäßig eine Debatte auf der Grundlage einer Regierungserklärung, möglichst in einem jährlichen Rhythmus, zu führen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rainer Arnold [SPD]: Warum tut es Ihre Kanzlerin dann nicht?)

Eine solche Debatte soll und kann kein Ersatz für die Mandatsdebatten sein. Aber sie soll für die einzelnen Einsätze auch den größeren sicherheitspolitischen und strategischen Gesamtzusammenhang sichtbar werden lassen und damit auch das Verständnis und die Akzeptanz für die Einsätze verbessern. Deshalb danken wir dem Verteidigungsminister, dass er mit der heutigen Debatte den Anfang einer regelmäßigen Generaldebatte -gemacht hat. Eine solche Generaldebatte ist heute -beispielweise auch mit Blick auf die erforderliche Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik notwendig, über die der Verteidigungsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember zu beraten hat.

Worum geht es? Die vergangenen Monate haben deutlich gemacht, dass wir Europäer nicht mehr in ähnlichem Umfang wie bisher auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten bauen können, wenn es um die Wahrung und Durchsetzung europäischer Sicherheitsinteressen geht. Das bedeutet: Wir brauchen nicht nur mehr Handlungsbereitschaft bei der Sicherung und Gestaltung unseres strategischen Umfeldes, sondern wir brauchen dafür auch die notwendige Handlungsfähigkeit.

Der Trend geht jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Schon heute müssen wir nicht zuletzt auch als Folge der Schuldenkrise durch unabgestimmte Kürzungsmaßnahmen zunehmend nationale Fähigkeitsverluste feststellen. Diese werden zu empfindlichen europäischen Fähigkeitsverlusten führen, wenn diese Prozesse weiterhin unkontrolliert ablaufen.

(Rainer Arnold [SPD]: Deutschland geht voran!)

Dem entgegenzusteuern, wird eine der wichtigsten Aufgaben des EU-Verteidigungsgipfels im Dezember mit dem Ziel sein müssen, eine weitaus engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit sowie aktive, mutige Schritte in Richtung einer Vertiefung der militärischen Integration zu erreichen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was heißt das?)

– Dazu komme ich jetzt gerade. – Das alles hat natürlich auch Konsequenzen für die künftige Rolle der Bundeswehr. Im SPD-Wahlprogramm, weil Sie gerade danach fragen, heißt es, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr zu einer Europäisierung der Streitkräfte führen soll. Ja, es ist sogar von dem langfristigen Ziel die Rede, die Bundeswehr solle in einer europäischen Armee aufgehen. – In diesen grundsätzlichen Zielen sehe ich durchaus eine Übereinstimmung. Ich finde es aller Mühe wert, uns hier in diesem Hause darüber zu unterhalten, welche Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel erforderlich sind.

(Rainer Arnold [SPD]: Sieht das der Verteidigungsminister auch so?)

Was heißt das konkret? Nur ein Beispiel: Seit Jahren sind in der Europäischen Sicherheitsstrategie und im Strategischen Konzept der NATO die Aufgaben der Streitkräfte definiert. Aber hinsichtlich der Frage der geografischen Räume, in denen Europa künftig prioritär handlungsfähig sein soll, gibt es keine Übereinstimmung. Solange es diese nicht gibt, wird es auch keine echte Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben.

Das aktuelle Krisen- und Konfliktpotenzial im nördlichen Afrika und im Nahen und Mittleren Osten legt es nahe, dieses als die geografisch nächstliegende Herausforderung für die europäische Sicherheit zu betrachten. Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft sollten von regionalen Partnern oder von Regionalorganisationen, wie beispielsweise der ECOWAS, durchgeführt werden, die dazu noch mehr ertüchtigt werden müssen. Allein das Beispiel Mali zeigt jedoch, wie weit der Weg noch ist, obwohl für eine solche Ertüchtigung in den letzten Jahren viel getan wurde und auch jetzt viel getan wird.

Aber sind wir uns denn hier im Hause oder in der EU über eine solche geografische Prioritätensetzung einig? Das sehe ich noch nicht. Deshalb brauchen wir hier im Bundestag eine strategische Diskussion, was die EU mit ihren zivilen und militärischen Missionen erreichen will und erreichen kann. Eine solche Debatte ist auch deshalb notwendig, weil eine derartige geografische Prioritätensetzung Folgewirkungen für die erforderlichen Fähigkeiten, die Ausrüstung und Ausbildung europäischer Streitkräfte und damit auch für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hätte.

Europäisierung der Streitkräfte heißt natürlich auch mehr Pooling und Sharing, also die Vertiefung der militärischen Integration deutlich über das hinaus, was wir derzeit haben. Das bedeutet, sich noch mehr in gegenseitige Abhängigkeit zu begeben, so wie wir es bei den AWACS-Flugzeugen oder bei den Battle Groups tun.

Wer sich durch Pooling und Sharing in eine Abhängigkeit von seinen Bündnispartnern begibt, will auch wissen, ob diese im entscheidenden Moment ihren militärischen Beitrag zu leisten bereit sind. Es ist die Frage, ob wir das in der Breite oder in der Tiefe tun. Der Verteidigungsminister hat zu Recht auch diese Debatte heute angestoßen.

Wir wissen, dass viele unserer Bündnispartner eine stärkere militärische Integration mit Deutschland mit Skepsis sehen, weil sie mit Blick auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz fragen, wie zuverlässig und berechenbar unser Land ist. Um es gleich zu sagen: Ich halte diese Vorbehalte nicht für gerechtfertigt, aber sie sind nun einmal da und behindern bisher die notwendige Vertiefung der militärischen Integration.

(Rainer Arnold [SPD]: Aber Libyen hat nichts mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz zu tun!)

Deshalb müssen wir prüfen, wie weit mit Blick auf integrierte Streitkräfte eine behutsame Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes hilfreich sein kann und wie weit eine jährliche Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands vertrauensbildend bei den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland und vor allem bei unseren Partnern in der EU wirken kann.

Mit Blick auf den EU-Verteidigungsgipfel im Dezember können wir am Ende dieser Wahlperiode nur einige konkrete Ziele formulieren. Aber die Ergebnisse des Gipfels werden dem nächsten Bundestag Anlass bieten, die heutige sicherheitspolitische Generaldebatte fortzusetzen und zu einer ständigen Einrichtung zu machen. Dies jedenfalls ist die feste Absicht meiner Fraktion, weil wir eine solche Debatte für unverzichtbar halten und weil der Bundesverteidigungsminister dazu heute einen guten und konstruktiven Anfang gemacht hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, dass die Bundeswehr vor immensen Herausforderungen steht: die gesellschaftliche Veränderung, der Wandel in der Welt, der finanzielle Druck, die EU-Integration, die immense Anpassungen mit sich bringen wird, und natürlich die Tatsache, dass vor zehn Jahren niemand von uns im Traum oder auch im Albtraum daran gedacht hätte, dass die Bundeswehr heute in Mali oder im Libanon unterwegs sein kann.

Genauso wenig wissen wir, was in zehn Jahren für die Bundeswehr von Belang sein wird. Deshalb ist die zentrale Aufgabe einer Veränderung der Bundeswehr, dass sie flexibel wird und flexibel auf die nächsten Herausforderungen eingehen kann. Das geht über das Zusammenhalten von Geld, und das geht über bessere Strukturen.

Meine Damen und Herren, es gibt ein Märchen, das häufig zu hören ist. Viele Leute denken: Die Konservativen haben es nicht so mit sozialer Gerechtigkeit; ökologisch blind sind sie auch ein bisschen, und moderne Gesellschaft können sie auch nicht.

(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das ist wirklich ein Märchen!)

Aber sie können wenigstens Sicherheit, und sie können auch mit Geld umgehen.

(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das stimmt so! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wer sagt das?)

Die Bundeswehrreform, die sogenannte Neuausrichtung, begann mit dem Spardruck. Es gab Sparbeschlüsse dieser Bundesregierung. Es war nicht der wildgewordene Guttenberg, sondern es waren die Bundeskanzlerin, der ehemalige Gesundheitsminister, der Außenminister und der ehemalige Innenminister und heutige Verteidigungsminister: Sie haben alle die Hand dafür gehoben, dass die Bundeswehr bis Ende 2014 8,3 Milliarden Euro spart.

Sie haben sie nicht nur nicht gespart, sondern Sie haben jährlich noch mindestens 1 Milliarde Euro zusätzlich im Einzelplan 60 versteckt. Sie wissen ganz genau, dass diese Blase irgendwann platzen wird und dass eine Gesamtstärke von 185 000 Mann, die Sie vorgegeben haben, Herr Minister, auf Dauer überhaupt nicht finanzierbar ist. Vom Märchen der tüchtigen Konservativen ist nichts mehr übrig geblieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit bin ich beim Euro Hawk. Das kann man nicht in drei Sätzen abhandeln, wie das heute getan wurde. Sie sprechen vom Ende des Schreckens, Herr Minister. Gestern trat Ihr Rüstungsstaatssekretär vor die Presse. Erste Frage: Wie viel kostet das jetzt eigentlich zusätzlich? Wie viel Geld ist verschwendet worden? – Antwort: Wir wissen es noch nicht; wir können es noch nicht absehen. – Das Ende des Schreckens ist überhaupt noch nicht absehbar. Wir wissen nicht, was alles noch kommen wird. Sie haben ein Millionenloch gegraben, von dem Sie selbst nicht mehr wissen, wie tief es eigentlich ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Rüstungsstaatssekretär hat gesagt, Ende 2011 habe er erste Zweifel gehabt, dann habe man noch einmal diskutiert, und jetzt habe man endlich die Reißleine gezogen. Am 10. Juni 2011 schreibt die Website Flightglobal.com, eine bekannte Fachzeitschrift für Rüstung, dass es einen Bericht des Pentagon gibt, der bereits deutlich mache, dass es an der Version des Global Hawk, die die Bundeswehr bestellt hat, immense Zweifel gibt und dass das Pentagon zu dem Schluss kommt, dass hier die Effizienz nicht gegeben ist. Ich frage mich: Wofür gibt es eigentlich einen Rüstungsstaatssekretär? Lesen Sie das eigentlich nicht? Wie kann es sein, dass Sie zwei Jahre brauchen, bis Sie die Reißleine ziehen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Noch dramatischer wird es, wenn man hört, dass der Rechnungshof den Vertrag nicht einsehen darf. Die Begründung lautet: Es steht im Vertrag, dass der Rechnungshof das nicht darf. – Das ist eine massive Missachtung der demokratischen Gremien in diesem Land. Ich frage mich, ob es legal ist, in einem solchen Vertrag festzulegen, dass der Rechnungshof ihn nicht sehen darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Jahrzehntelang hieß die Rüstungsphilosophie: Wir machen Industriepolitik; es geht nicht um Bedarf. – Das ist ein Problem. Nun sieht man an den Verhandlungen, die Sie über die Hubschrauber geführt haben: Am Ende gibt es keine relevanten Einsparungen, wohl aber weniger Maschinen. Und so geht es weiter. Die Lehre, die Sie ziehen, hat Ihr Sprecher gestern verkündet: Wir sollten nicht mehr im Ausland kaufen. – Das heißt, Sie setzen jetzt deutlich mehr auf EADS und andere Firmen, die in vielen anderen Bereichen – Sie kennen die Beispiele – genauso gehandelt haben. Ich glaube, dass das Problem hier überhaupt nicht erkannt worden ist. Meine Damen und Herren, diese Konservativen können keine Sicherheit, und sie können erst recht nicht mit Geld umgehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Henning Otte [CDU/CSU]: Ach, Herr Nouripour!)

Weder ist die Neuausrichtung neu – denn in der Vergangenheit gab es schon sehr viele Reformansätze, auf die aufgebaut wurde –, noch hat sie wirklich eine Ausrichtung. Es gab am Anfang keine Ausgabenkritik, sondern Sparbeschlüsse. Dann haben Sie die Verteidigungspolitischen Richtlinien nachgelegt und gesagt, das sei eine nachgereichte Begründung, warum wir das alles eigentlich machen sollten. Dass es sich um Verteidigungspolitische Richtlinien und nicht um einen Kabinettsbeschluss handelt, ist an sich ein Beleg dafür, dass es keine ressortübergreifende Zusammenarbeit gibt. In Ihrem aktuell vorliegenden Bericht habe ich den Menschenrechtsbegriff ein einziges Mal gefunden. Was ich nicht gefunden habe, ist die zivile Krisenprävention. Eine solche Prävention ist nur möglich, wenn es eine ressortübergreifende Zusammenarbeit gibt. Aber eine solche Zusammenarbeit gibt es bei Ihnen nicht. Das führt am Ende nicht nur zu weniger Frieden, sondern auch zu deutlich mehr Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten. Das ist das Problem. Sie werden die Bundeswehr nicht dahin führen, dass sie fit für die Zukunft und VN-fähig ist, sondern Sie werden weiterhin alle verunsichern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die entscheidende Frage lautet: Wollen Sie das denn?

Ich sehe ihn gerade nicht, aber Volker Kauder hat vor ein paar Monaten ein Interview gegeben, in dem er gesagt hat: Natürlich haben wir Werte, auch in der Außenpolitik. Aber wir haben auch Interessen, und diese sind nun einmal nicht immer deckungsgleich. Manchmal ist es so: Ja, die Saudis sind Antisemiten. Aber man muss denen eben Panzer liefern, weil sie andere für uns bekämpfen müssen. – Es gab schon einmal zwei große Kriege, die der Westen geführt hat und die das Ergebnis von Ausbalancierungsfantasien waren, nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Das haben wir in Afghanistan und auch im Irak gesehen. Sie haben daraus schlicht und ergreifend nichts gelernt.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wer hat denn Afghanistan beschlossen?)

Die entscheidende Frage lautet, ob nicht eine Kernaufgabe des Rechtsstaats darin besteht, alles daranzusetzen, dass Werte und Interessen nicht auseinandergehen. Der Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass Interessen werteungebunden, einfach frei florieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie Rüstungsgüter nach Katar und Saudi-Arabien verkaufen, kann ich nur darauf hinweisen – das haben wir bereits häufig getan, und das kann man nicht oft genug wiederholen –, wie moralisch verwerflich das ist und was das für die Menschenrechtssituation vor Ort und für die Abrüstungsbilanz der Bundesrepublik bedeutet.

Aber man muss Sie auch darauf hinweisen, dass Sie Waffen an Länder liefern, die wiederum Gruppen mit Waffen beliefern, die in einzelnen Einsätzen auf die Bundeswehr schießen. Das heißt, Sie liefern indirekt Waffen, die am Ende gegen die Bundeswehr, die wir entsenden, eingesetzt werden. Ich glaube, das ist nicht nur moralisch verwerflich, das ist nicht nur verheerend für die Abrüstungsbilanz, sondern diese Regierung ist auch ein Risiko für die nationale Sicherheit Deutschlands.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Oh! – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Jetzt lehnen Sie sich aber ganz weit aus dem Fenster!)

Herr Minister, Sie sagen so häufig, Sie hätten gerne eine breite Debatte. Kommen Sie doch her! Ich schenke Ihnen Redezeit, sagen Sie doch einmal drei Sätze dazu. Sagen Sie etwas dazu, was es eigentlich bedeutet, wenn Katar Waffen bekommt und gleichzeitig die Dschihadisten, die gegen die Bundeswehr kämpfen, beliefert und finanziert. Sie wollen die Debatte und führen eine Evaluation der Bundeswehrreform 2014 durch. Das ist nach dem Wahlkampf. Dafür kann es sachliche Gründe geben.

Aber es geht nicht, dass Sie sagen, Sie wollten Sicherheitspolitik an sich aus dem Wahlkampf heraushalten. Das habe ich am 8. Mai 2013 in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gefunden. Das mutet nach einem Minister an, der zwar immer eine Debatte fordert, aber der einfach nicht bereit ist, vor Wählerinnen und Wählern Rechenschaft abzulegen. Wenn man sich die Bilanz anschaut, dann weiß man auch, warum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das machen wir doch heute! Deshalb haben wir eine Regierungserklärung zur Neuausrichtung der Bundeswehr!)

Die Soldaten bekommen das natürlich alles mit. Die Stimmung in der Truppe ist dementsprechend. Ihre Antwort darauf ist: Nicht jammern, nicht gieren nach Anerkennung. – Das, was Sie heute „geistige Dimension“ genannt haben, besteht bei Ihnen in dem Motto „Indianer kennen keine Schmerzen“. Das ist aber ein massiv überholtes Bild vom Soldatenberuf. Es geht hier im 21. Jahrhundert um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Rechten, denen man mit ein bisschen mehr Respekt, gerade bei dem harten Job, den sie haben, begegnen sollte. Sie aber vergrößern immer nur die Verunsicherung.

Die Neuausrichtung ist nicht neu, sie hat keine Richtung. Das Ziel hätte sein müssen, dass die Bundeswehr effizienter wird. Das Ziel hätte sein müssen, dass sie billiger wird. Das, was Sie vorlegen, ist teurer, vergrößert die Effizienzlücken und führt am Ende dazu, dass der Beschaffungswahnsinn weitergeht, dass die Millionenlöcher, die Sie weiterhin graben, immer größer werden. Das muss ein Ende haben. Aber es dauert nur noch vier Monate, und dann gibt es ein Ende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Christoph Schnurr für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Christoph Schnurr (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der vorangegangenen Debatte bleibt nur noch zu sagen: Die Bundeswehrreform ist ein echter Erfolg. Obwohl die Opposition hier in der ersten Runde nicht über die Aspekte der Bundeswehrreform diskutiert und debattiert, sondern die Problematik Euro Hawk – die Thematisierung ist berechtigt – und die Frage von Rüstungs-exporten anspricht, so wird aus der Debatte doch deutlich, dass diese Regierungskoalition viel für die Bundeswehr erreicht hat, auch mit der Bundeswehrstrukturreform.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, zur Euro-Hawk-Thematik: Ja, hier sind nicht nur Missstände aufgedeckt worden, sondern das gesamte Verfahren ist äußerst ärgerlich. Da sind wir, glaube ich, einer Meinung. Der Minister hat aus guten Gründen gleich zu Beginn seiner Rede gesagt, dass er auf diese Thematik heute an dieser Stelle nicht eingehen möchte, sondern dass wir darüber zu einem anderen Zeitpunkt debattieren werden. Wir werden dies nicht nur im Haushaltsausschuss, sondern auch im Verteidigungsausschuss noch einmal thematisieren; aber heute geht es um die Neuausrichtung.

Wenn wir uns die Thematik anschauen, dürfen wir uns nicht nur darauf konzentrieren, warum es in der letzten Woche zu der Entscheidung gekommen ist, die sogenannte Reißleine zu ziehen, sondern wir müssen uns auch ganz genau anschauen, wann die ersten Vorüberlegungen angestellt wurden und die Entscheidung, dieses System zu kaufen, getroffen wurde. Letztendlich geht es auch darum, welche Fehler von 2004 bis 2013 gemacht wurden.

Die Euro-Hawk-Problematik zeigt auch auf, dass wir ein Problem im Bereich der Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr haben. Deswegen ist es gut, dass im Rahmen der Bundeswehrstrukturreform in Zukunft klare Zuständigkeiten, klare Kompetenzen und eine klare Verantwortung bei Beschaffungsvorhaben vorliegen sollen.

(Rainer Arnold [SPD]: Wo ist jetzt die Verantwortung?)

Ich hätte, ehrlich gesagt, auch erwartet, dass die Opposition am heutigen Tag einmal erklärt, dass sie die Entscheidung, eine Reform durchzuführen, grundsätzlich befürwortet,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

auch wenn sie natürlich einzelne Kritikpunkte hat. Das ist ausgeblieben. Von den Grünen hätte ich erwartet, dass sie positiv erwähnen, dass diese Regierungskoalition das umgesetzt hat, was sie seit Jahren und Jahrzehnten gefordert haben – genauso wie die FDP –, nämlich die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie ist eine Erfolgsgeschichte für die Bundeswehr. Das belegen die aktuellen Bewerberaufkommen. Die Bundeswehr hat momentan kein Nachwuchsproblem, wenngleich die Nachwuchsgewinnung eine große Herausforderung bleibt; der Minister hat es zu Recht angesprochen. Insofern ist es unser aller Aufgabe, die Bundeswehr weiterhin attraktiv zu gestalten.

Ja, dem Reformprozess sind eine breite Diskussion und eine breite Beteiligung im Parlament und auch in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Zunächst wurde die Weise-Kommission eingesetzt. Dazu fanden Meinungsbildungen in den Fraktionen, beim BundeswehrVerband und auch beim Reservistenverband statt. Der General-inspekteur hat die verschiedenen Modelle im Verteidigungsausschuss vorgestellt, und anschließend gab es eine Festlegung der Regierungskoalition über die Eckpunkte der Neuausrichtung und daraufhin die Entscheidung des Bundesministers. Diese Reform steht in der Tat auf einem soliden Fundament, so wie man es sich wünschen kann.

Meine Redezeit geht zu Ende. Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, und zwar auf die Frage der Finanzierbarkeit. Herr Arnold beispielsweise hat nämlich gesagt, es fehle an jeder Ecke Geld, unter anderem für Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war diese Bundesregierung bzw. diese Koalition, die es geschafft haben, die Bundeswehr auf eine solide Finanzierungsgrundlage zu stellen, auch durch ganz bestimmte Maßnahmen, etwa dadurch, dass wir das Sparziel gestreckt haben; das ist richtig. Aber heute ist der Finanzierungsrahmen besser als vor vier Jahren. Mit Blick auf das Wahlprogramm der Grünen möchte ich einen Satz zitieren – Herr Präsident, dann komme ich zum Ende –:

Wir wollen über 10 % des derzeitigen Wehretats einsparen.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Beschlusslage des Kabinetts!)

Daran sieht man in der Tat: Die einen wollen bei der Bundeswehr sparen; die anderen wollen die Bundeswehr zukunftsfit gestalten.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein Wort zur Euro-Hawk-Debatte: Es ist schon bemerkenswert, dass am Mittwoch vergangener Woche im Kabinett ein Bericht zu den 30 Hauptwaffensystemen der Bundeswehr vorgelegt wurde –

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Mit den Obergrenzen für die Waffen! Mit den gebilligten Obergrenzen! Nicht das, was bestellt wird!)

– ja, ja –, die strukturrelevant sind. Dieser Bericht enthält Obergrenzen hinsichtlich der Anzahl der Panzer und der geschützten Fahrzeuge; vorgesehen waren auch fünf Euro Hawk und vier Global Hawk. Zwei Tage später, am Freitag, entscheidet ein Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, dass die beiden Hauptwaffensysteme Euro Hawk und Global Hawk aus diesem Bericht herausgestrichen werden. Es ist schon bemerkenswert, wer das entscheidet.

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Sie werden nicht herausgestrichen! Es sind die Obergrenzen! Sie haben den Text nicht gelesen!)

– Herr Präsident, Herr Brandl ruft dazwischen. Geben Sie ihm Redezeit?

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Da Sie dem Haus nicht erst seit gestern angehören, sollten Sie mit Zwischenrufen als gelegentlichen parlamentarischen Übungen hinreichend vertraut sein.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):

Wenn Herr Brandl eine Zwischenfrage stellt, habe ich mehr Redezeit. Das wäre besser.

(Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Jetzt will er eine Zwischenfrage stellen. Da eine Zwischenfrage meine Redezeit verlängert, bin ich einverstanden.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Wenn ich dem zustimme, was ich ausnahmsweise tue. Bitte schön.

(Heiterkeit)

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Herr Kollege Bartels, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Tabelle, die Sie zitiert haben, die Überschrift trägt: „gebilligte Obergrenzen“? Es geht um Obergrenzen, die vom Minister gebilligt worden sind. Es geht also nicht um etwas, was endgültig beschafft wird.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):

Die Überschrift dieser Tabelle lautet: „Strukturrelevante Hauptwaffensysteme der Streitkräfte“. Sie befindet sich auf Seite 24 des vom Kabinett gebilligten Berichts über die Neuorganisation der Bundeswehr.

Ich bemerke, dass zwei Tage später ein Staatssekretär zwei dieser Hauptwaffensysteme aus der Tabelle herausstreicht. Es ist wohl mit einer gewissen Absicht geschehen, dass es der Staatssekretär und nicht der Minister war, der dies getan hat. Der Minister hat das Wort „Euro Hawk“ auch heute nicht in den Mund genommen. Das Problem, das Ihr Haus hat, ist, dass Sie seit zwei Jahren wissen, dass es gravierende Probleme bei diesen Hauptwaffensystemen der Bundeswehr gibt, und dass Sie den Bundestag nicht darüber unterrichtet haben und sich zweimal über den Haushalt weiteres Geld dafür haben beschließen lassen. Wir als Bundestagsabgeordnete wissen darüber nichts. Wir bekommen es erst auf Nachfrage mit, und dann sagen Sie: Jetzt ziehen wir die Reißleine. – So geht es nicht! Das Verhältnis von Parlament und Ministerium muss anders gestaltet werden. Das ist kein vertrauensvolles Miteinanderumgehen. Sie haben die Verantwortung dafür, dass das Parlament über zwei Jahre getäuscht worden ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Bundeswehrreform, Herr Minister, steht unter keinem guten Stern. Sie haben noch einmal eine rein nationale Reform versucht. Das ist altes Denken. Wir Europäer stehen in den gleichen Auslandseinsätzen – auf dem Balkan, in Afghanistan, in Afrika und auf hoher See. Wir vertreten die gleichen Werte. Wir haben in Europa manche alten Strukturen. Wir alle beschließen Sparhaushalte, auch für das nationale Militär. Deshalb wäre es besser gewesen, vorher mit den Briten, den Franzosen, den Italienern, den Spaniern, den Polen darüber zu reden: Wer will wo Schwerpunkte setzen, und was kann man gemeinsam organisieren?

Stattdessen hat der Verteidigungsminister erst im -April in einem Interview mit dem britischen Guardian beteuert, er wolle ausdrücklich keine europäische Armee. Das scheint er für eine Art sozialdemokratisches Hirngespinst zu halten. Aber wie, um Gottes willen, ist dann diese gefährliche SPD-Politik in Ihren schwarz-gelben Koalitionsvertrag geraten?

(Heiterkeit bei der SPD)

Dort steht nämlich das Ziel einer europäischen Armee. Oktober 2009! Da steht ausdrücklich: „Langfristiges Ziel bleibt für uns der Aufbau einer europäischen Armee“, übrigens „unter voller parlamentarischer Kontrolle“; das steht da auch. Recht haben Sie, vollkommen recht! Das ist ganz und gar die Meinung der deutschen Sozialdemokratie. Das darf man aber nicht nur aufschreiben; das muss man auch machen. Man muss Schritte auf dieses langfristige Ziel zu machen, wenn man es denn ernst meint. Aber Ihnen ist es nicht wirklich ernst damit, Herr Minister; siehe Guardian-Interview.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wieso machen Sie ein Geschäft mit der bayerischen Hubschrauberindustrie, nach dem die Ihnen nun 25 Prozent weniger Hubschrauber liefert, der Bund bei der Beschaffung aber nur 2 Prozent vom Vertragsvolumen spart? Das klingt wie ein ganz besonders schlechtes Geschäft. Warum lassen Sie die überzähligen Tiger und NH90 nicht bauen und verkaufen sie zum Freundschaftspreis weiter an EU-Partner, die ihre Streitkräfte auch gerade modernisieren? Das wäre gut für die Partner, gut für die Standardisierung in Europa, gut für die Ausbildung und Instandhaltung, die man in Europa gemeinsam machen könnte, gut also auch für Europa, und ein bisschen Geld hätte es auch gebracht, jedenfalls mehr als 2 Prozent Ersparnis, für die Sie persönlich so kraftvoll mit Herrn Enders von EADS verhandelt haben. Wenn es Ihr mitgebrachter Staatssekretär gewesen sein sollte, der Sie da so schlecht beraten hat, dann wechseln Sie ihn aus! Er ist zu teuer für Sie und zu teuer für unsere Bundeswehr. Es ist der gleiche, der das Drohnendesaster zu verantworten hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Ihr langfristiges Reformziel eine europäische Armee ist, dann hat dieses Ziel bei dieser Reform erkennbar keine Rolle gespielt. Wenn das Ziel gewesen sein sollte, Geld zu sparen – das war der Ausgangspunkt bei Minister zu Guttenberg; wir erinnern uns: die Schuldenbremse als höchster strategischer Parameter der Bundeswehrreform –, wenn es also ums Sparen gegangen sein sollte, dann ist es damit auch wieder nichts. Fehlanzeige! Wir schauen auf die Haushaltszahlen: Sie steigen. Wohlgemerkt: Wir kritisieren nicht die steigenden Zahlen – das hatten wir Ihnen vorhergesagt –; wir kritisieren die Politik der dröhnenden Ankündigungen – 8,3 Milliarden Euro sollten eingespart werden –, die man hinterher stillschweigend wieder einkassiert. Das ist es, was die Öffentlichkeit als schlechtes Reformmanagement wahrnimmt.

(Beifall bei der SPD)

Hören Sie auf mit den Tricks, die es so aussehen lassen sollen, als würde doch kräftig gespart! In Wirklichkeit werden nur Kostenblöcke verschoben. Das passt nicht zu Ihrem seriösen Image, Herr Minister. Wenn 2 500 Zivilbeschäftigte aus dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministers in die nachgeordneten Bereiche des Innenministers und des Finanzministers outgesourct werden mit der gleichen Aufgabe, nämlich für die gleiche Bundeswehr Bezüge und Beihilfen zu berechnen und Dienstreisen abzurechnen, nur hinter einem anderen Türschild, dann ist das nahe an haushaltspolitischer Täuschung. Es spart nicht. Im Gegenteil: Ihre eigenen Fachleute geben zu, dass sogar noch Zusatzkosten für neue IT anfallen. Wir lehnen diese Verstöße gegen den Grundsatz von Haushaltswahrheit und -klarheit ab.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich gesagt, nicht verstanden, warum diese fünfte Bundeswehrreform innerhalb von 20 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges noch einmal mit diesem großen Pathos des ganz Neuen, endlich einmal vernünftig Durchdachten, objektiv Richtigen angepriesen wurde. Eine Nummer kleiner hätte es vielleicht auch getan.

Es war bisher nicht alles Murks, und es wird in Zukunft nicht alles Gold. Man muss nicht an jedem Schräubchen drehen, nur weil man es kann. Dass so viele Soldatinnen und Soldaten, so viele Zivilbeschäftigte heute immer noch nicht wissen, wie es mit ihrer beruflichen Zukunft weitergeht, das ist kein Zufall, das ist kein Versehen; das ist strukturell so gewollt.

Minister de Maizière hat selbst immer wieder die Metapher benutzt, er wolle die Treppe von oben kehren, also mit den Veränderungen oben anfangen. So läuft das jetzt auch ab. Das heißt für viele an der breiten Basis, in den Bataillonen und Dienststellen: Sie werden die Letzten sein, die Sicherheit über Dienstposten und die eigene Verwendung haben. Wenn dieses personalwirtschaftliche Prinzip „die Treppe von oben kehren“ ein Experiment gewesen sein sollte, dann würde ich empfehlen, es als gescheitert zu betrachten. Es hat sich nicht bewährt.

Drei Jahre nach Ausrufung der neuen Reform durch Minister zu Guttenberg herrschen immer noch Unsicherheit und Unbehagen bei den meisten Reformbetroffenen vor. Der BundeswehrVerband hat das mit seinen Umfragen eindrucksvoll bestätigt. Das Bild vom Burn-out der Bundeswehr, mit dem Oberst Kirsch die Lage gekennzeichnet hat, ist sehr treffend. Deshalb werden wir Sozialdemokraten diese Reform nicht wieder komplett umkrempeln, wenn die Regierung wechselt. Manches ist ausgezeichnet gelungen und sollte von Dauer sein: Das Heeresmodell der sechs Standardbrigaden ist gut, ebenso das Festhalten am gepanzerten Kern.

Zum Schluss noch ein Wort zur Amtsführung des Ministers, der diese Reform zu verantworten hat. Es gab viele Vorschusslorbeeren

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Zu Recht!)

und auch weithin anerkannte Verdienste aus der Zeit der vorherigen Regierung. Thomas de Maizière ist in jeder Beziehung ein anderes Kaliber als Karl-Theodor zu Guttenberg. Aber es läuft im Moment nicht so gut für den Minister.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)

Wenn ich mir das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit anschaue, stelle ich fest: Es wachsen die Irritationen und die Kritik.

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Der beliebteste Minister!)

Der Satz mit den Worten „Gier nach Anerkennung“ hat viele Soldaten vor den Kopf gestoßen. So sollten Sie als oberster Dienstherr nicht über Ihre Untergebenen reden, Herr Minister.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Debatte um den Veteranentag hatte etwas sehr Künstliches. Gut, dass Sie hier keine allzu hohen Erwartungen mehr wecken. Der seltsame Hubschrauber-EADS-Deal und das Euro-Hawk-Debakel zeugen nicht von hoher Regierungskunst. In der Kampfdrohnenfrage haben Sie sich offenbar erst von den eigenen Leuten wieder auf den Boden der Realität holen lassen. Nichts überstürzen; es gibt heute keine Fähigkeitslücke. Und dass alle Waffen ethisch neutral seien, haben Sie natürlich nicht ernst gemeint. Das können Sie nicht ernst gemeint haben, Herr Minister.

Die Bundeswehr hat heute im Einsatz und in der Reform schwierige Zeiten zu bestehen. Es ist nicht die Aussicht auf geniale neue Strukturen, die gegenwärtig sozusagen den Laden am Laufen hält, sondern es sind die Soldatinnen und Soldaten und die Zivilbeschäftigten, die nicht Dienst nach Vorschrift machen, sondern kameradschaftlich und kollegial das Chaos meistern und dem täglichen Wahnsinn trotzen, weil sie ihren Dienst und die ihnen anvertraute Aufgabe mögen. Sie tun oft sehr viel mehr als ihre Pflicht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Burkhardt Müller-Sönksen hat nun für die FDP-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Nein, es ist gar nicht wahr. Entschuldigung, ich habe den Kollegen Otte übersehen.

(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Jederzeit bereit, Herr Präsident!)

– Ja, ist gut. Wir können das aber friedlich lösen, bevor beide gleichzeitig am Pult stehen.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wäre auch mal eine Variante: im Duett!)

Bitte schön, Herr Kollege Otte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Henning Otte (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Bartels, Ihre Rede war kein wirklicher Ansatz von Kritik. Sie haben um Argumente gerungen, haben aber kein wirklich gewichtiges Argument genannt.

Ich habe mich zudem gefragt, warum Ihr Spitzenkandidat heute nicht eine Minute bei dieser Regierungserklärung anwesend war. Entweder hat er den Anspruch verloren, oder ihm ist das zentrale Thema der Neuausrichtung der Bundeswehr nicht wichtig.

(Rainer Arnold [SPD]: Der Außenminister ist gar nicht da gewesen!)

Der erfolgreiche Einsatz für Frieden auf dieser Erde und für die Sicherheit unseres Landes ist nicht selbstverständlich. Es bedarf dazu einer andauernden Anstrengung und eines konsequenten Handelns. Ich danke daher ausdrücklich zu Beginn meiner Rede unserem Verteidigungsminister Thomas de Maizière dafür, dass er die Neuausrichtung der Bundeswehr als konsequente Antwort auf die sicherheitspolitische Analyse gleichsam mit Ruhe, Stärke und Weitsicht erfolgreich vorangetrieben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Neuausrichtung stellt die wohl intensivste Anpassung der Streitkräfte in der Geschichte der Bundeswehr an die Erfordernisse der Gegenwart und der Zukunft dar. Die Aussetzung des verpflichtenden Wehrdienstes, die damit einhergehende Reduzierung des Truppenumfangs und die Schließung von Standorten sind – das ist ganz klar – eine Herausforderung für die Beteiligten.

Unter dem Strich war und ist die Neugestaltung der Bundeswehr eine zwingende Schlussfolgerung der sicherheitspolitischen Analyse. Die christlich-liberale Koalition hat sich dieser Aufgabe angenommen und den Umbau der Armee sicherheitspolitisch begründet, demografiefest ausgestaltet und finanzpolitisch abgesichert. Diese Neuausrichtung gibt der Bundeswehr bis weit in die Zukunft hinein Handlungssicherheit.

Viel mehr noch: Die Sicherheit Deutschlands – darum geht es bei der Bundeswehr in erster Linie – kann auf diese Weise gewährleistet und gestärkt werden. Es darf und wird aber keine weitere Reduzierung des Umfangs geben, schon gar nicht aus finanziellen Gründen. Dafür stehen wir von der Union auch nach der Wahl. Das unterscheidet uns von der Opposition.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Eng mit einer soliden Finanzierung hängt die Modernität der Ausrüstung zusammen. Die Bundesregierung hat mit einer soliden Planung und einer moderaten Verringerung von Stückzahlen den finanziellen Handlungsspielraum der Bundeswehr verbessert. Erstmals seit Jahrzehnten ist der Druck auf den Ausrüstungstitel gesunken und Geld für andere Dinge verfügbar gemacht worden.

(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ich denke, Sie wollten einsparen!)

Die Bundeswehr ist während unserer Regierungszeit zu einer der modernsten Armeen der Welt geworden.

Wir haben die richtigen Lehren aus den Einsätzen für die Beschaffung gezogen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vor der Neuausrichtung waren die Systeme zum Teil erheblich verzögert geliefert worden. Das hat sich mit dem neuen Beschaffungs- und Nutzungsprozess wesentlich verbessert. Wir Verteidigungspolitiker haben die langen Entwicklungs- und Lieferzeiten nicht geduldet. Das neue Beschaffungskonzept ist der richtige Schritt. Es dokumentiert den Willen der notwendigen engen Zusammenarbeit aller Beteiligten aus der Truppe und mit der Fachexpertise der Wirtschaft, mit dem Ziel, das Gerät zu beschaffen, das unsere Soldaten für den Einsatz in allen denkbaren Szenarien benötigen.

Daraus abgeleitet wurde das Prinzip „Breite vor Tiefe“. Dieses Prinzip ist richtig; denn es ermöglicht uns politische Handlungsoptionen und macht uns flexibel in der Gestaltung von Mandatsausübungen. Auf diese Weise kann Deutschland seiner sicherheitspolitischen Verantwortung in Europa und der Welt nachkommen. Die Neuausrichtung – „Breite vor Tiefe“ und Steigerung der Durchhaltefähigkeit auch durch multinationale Ergänzungen – steht für das, was wir wollen; denn sie ist Ausdruck von Souveränität, von Kooperationsfähigkeit und von Bündnistreue. Dafür steht die Union. Dafür steht auch Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich sehe auch in sicherheitspolitischer Hinsicht zum jetzigen Zeitpunkt keine Alternative zu dieser Maßgabe. Wir sind uns einig: Deutschland kann und will Konfliktvermeidung und verhütung in mandatierten Einsatzgebieten nicht alleine durchführen. Kein Land in einer eng vernetzten Welt kann das. Eine immer engere Zusammenarbeit der Nationen innerhalb von UN-Mandaten, innerhalb der NATO und der EU-Staaten durch Pooling und Sharing ist ein gangbarer, ja zukunftsfähiger Weg, und zwar auch um unterschiedliche Fähigkeiten in einem Einsatz bereitzustellen.

Es stellen sich aber zwei grundlegende Fragen: Erstens. Wie erhalte ich die einzelnen Fähigkeiten in den Bündnisstaaten? Zweitens. Wann und wie beginne ich mit der Zusammenarbeit unter den neuen Bedingungen? Visionen von einer europäischen Armee sind gut und schön. Wir sollten aber nicht euphorisch damit umgehen. Wir sollten nicht nur den großen Wurf suchen, sondern uns ganz pragmatisch um die Umsetzung kümmern. Die Europäische Union wurde schließlich auch nicht an einem Tag erschaffen, sondern Schritt für Schritt. Die Sicherheitspolitik ist für die christlich-liberale Koalition zu wichtig, um aus ihr ein Experimentierfeld zu machen. Ich warne davor, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Vielmehr müssen wir Smart Defense auch smart betreiben und Pooling und Sharing vom Kopf auf die Füße stellen.

Wenn das Motto „Train as you fight“ für die Bundeswehr richtig ist, dann bestimmt das auch die multinationale Ebene. Wir arbeiten im Einsatz sehr erfolgreich mit unseren Partnern zusammen. Meines Erachtens beginnt die Zusammenarbeit als solche aber zu spät. Wir sollten vielmehr früher ansetzen und in Form einer gemeinsamen Ausbildung beginnen, und zwar dort, wo es schon heute möglich ist. Es gibt hier gute Beispiele, etwa bei der Tiger-Ausbildung oder der gemeinsamen Nutzung des Gefechtsübungszentrums.

Wenn wir abwarten, bis im europäischen Abstimmungsprozess für jede Nation Kernfähigkeiten definiert sind, werden wir nirgends in Europa funktionierende Streitkräfte erhalten können. Es kann gelingen, mit einer gemeinsamen Ausbildung zu beginnen, ohne damit einhergehende staatsrechtliche Probleme, etwa die Parlamentsbeteiligung usw., usf., sofort regeln zu müssen. Durch die Multinationalisierung der Ausbildung und der Ausbildungseinrichtungen würde die europäische Inter-operabilität auf ein sehr hohes Niveau gehoben. Das ist aus meiner Sicht die Fortführung einer erfolgreichen Neuausrichtung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die christlich-liberale Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben bei der notwendigen Konsolidierung nicht nur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern mit der Neuausrichtung der Bundeswehr auch in der Sicherheitspolitik erledigt. Es zeigt sich, Herr Nouripour: Wir können zusätzlich Umwelt, wir können Bildung, wir können Soziales, wir können Arbeit, und deswegen werden wir am 22. September das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist eine Erfolgsgeschichte! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber deutsche Grammatik könnt ihr nicht!)

Ich komme nun zu denjenigen, die für uns bei der Neuausrichtung die wichtigsten Beteiligten sind: die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr, die die Reform bei laufendem Einsatz gestalten müssen. Für sie muss die Bundeswehr trotz aller reformbedingten Veränderungen ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. Ich bin der Überzeugung, dass wir hier eine ordentliche Bilanz vorweisen können und einen guten Job gemacht haben.

Mit der Besoldungsverbesserung und der Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes wurden Bezugserhöhungen um durchschnittlich 8,1 Prozent sichergestellt. Mit dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war das Parlament! Das waren wir alle!)

wurde die Versorgung von im dienstlichen Einsatz Geschädigten und der Hinterbliebenen wesentlich verbessert. Gerade im Bereich PTBS konnte viel gemacht werden. Ich weise auch auf die Härtefall-Stiftung für Radargeschädigte und auf das Bundeswehrreform-Begleitgesetz hin, mit dem wir gemeinsam den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen erreicht haben, aber auch auf die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die über einen sehr kompetenten Background verfügt und sich jetzt mit Vorfällen im Einsatz auseinandersetzen kann. Bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familie ist noch Luft. Hier haben wir die gemeinsame Absicht, noch vieles zu erreichen.

Aber noch nie wurden in einer Legislaturperiode so viele Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten erreicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

All das dokumentiert: Die christlich-liberale Koalition ist für die Bundeswehr und für unser Land richtig.

Meine Damen und Herren, ich habe skizziert, woher wir gekommen sind und wohin wir wollen. Ich freue mich auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit unserem Bundesverteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière. Mein Dank gilt auch unserem Koalitionspartner, der FDP, mit dem wir immer sehr gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben.

(Rainer Arnold [SPD]: Abschiedsrede!)

Ich grüße an dieser Stelle unseren verteidigungspolitischen Sprecher Ernst-Reinhard Beck, der heute nicht hier sein kann. Vor allem danke ich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern, die in der Bundeswehr ihren Dienst leisten. Ihnen gilt unsere ganze Aufmerksamkeit. Sie stehen für unsere Bundeswehr, für Frieden und Freiheit, für Verlässlichkeit und Professionalität, für die Sicherheit unseres Landes, und dafür danken wir ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nun hat der Kollege Müller-Sönksen das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Burkhardt Müller-Sönksen (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist eine Erfolgsgeschichte der koalitionsgeführten Bundesregierung; das muss angesichts der heute hier teilweise neben dem Thema des Tagesordnungspunktes geäußerten Kritik gleich am Anfang unterstrichen werden.

(Beifall bei der FDP)

Der Fokus der Neuausrichtung liegt völlig zu Recht auf der Optimierung der Einsatzfähigkeit. Die Reform ist kein Selbstzweck, sondern wird die Bundeswehr flexibler machen, damit sie ihre zukünftigen Aufgaben bestmöglich erfüllen und unseren Verbündeten weiterhin ein verlässlicher Partner sein kann.

Die grundsätzlichen strukturellen Veränderungen dieser Legislaturperiode gehen mit einem Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung unserer Soldaten und Soldatinnen einher. So hat die Aussetzung der Wehrpflicht – ein lang verfolgtes Ziel der FDP – eine breite gesellschaft-liche Debatte angestoßen. Mit dem Reformbegleitprogramm und legislativen Grundlagen wie dem novellierten Einsatzversorgungsgesetz reagieren die Koalitionsfraktionen auf diese gesellschaftlichen Veränderungen.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist von allen beschlossen worden! Wir haben den Druck auf die Koalition aufgebaut! Das waren nicht Sie als Koalition, das war das Parlament!)

Die Bundeswehr soll auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber sein, der motivierte und engagierte junge Menschen anspricht. Wenn ich die Opposition heute so höre, dann weiß ich gar nicht, ob Sie mit Ihren Reden überhaupt noch motivierte Menschen ansprechen und adressieren wollen, um sie für unsere Bundeswehr zu gewinnen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kann man bestimmt nicht mehr motivieren!)

Wenn wir gemeinsam wollen, dass die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber bleibt, müssen wir dafür sorgen, dass die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass sie sich im Worst Case auf die Unterstützung der Bundesrepublik verlassen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten sollen wissen, dass wir im Ernstfall für sie und ihre Angehörigen sorgen. Sie sollen sich nicht als Bittsteller fühlen. Anerkennung für die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten drückt sich in jeder öffentlichen Würdigung aus, auch zum Beispiel im Umgang mit den Verwaltungsbehörden.

Es ist deshalb ein großer Erfolg, dass traumatisierte Soldatinnen und Soldaten nicht länger schlechtergestellt werden als ihre Kameraden, die sichtbare körperliche Schäden erlitten haben. Ich bin dankbar, dass wir dieses wichtige Thema gemeinsam, über alle Fraktionsgrenzen hinweg, angepackt haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben auch eine Härtefall-Stiftung ins Leben gerufen, damit niemand in Bezug auf die Absicherung durch das Raster fällt. Ich denke dabei vor allem an die Soldatinnen und Soldaten, bei denen sich die Verfahren auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung über Monate, manchmal Jahre hinziehen und die hierdurch in eine finanzielle Schieflage geraten, von dem psychologischen Druck in dieser Situation ganz zu schweigen.

Neben den konkreten Verbesserungen in der Versorgung brauchen wir vor allem einen Paradigmenwechsel, was die öffentlichen Anerkennung der Veteranen und der Gefallenen angeht. Das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften wurde einmal sehr passend als „freundliches Desinteresse“ beschrieben. Im Rahmen dieser Reform gilt es, deutlich zu machen: Die gefallenen Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen gehören in die Mitte unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen keine zur Schau gestellte Symbolpolitik – nein, weiß Gott nicht –, sondern Aufrichtigkeit im Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten, die wir aufgrund der Beschlüsse unseres Parlamentes in die Einsätze schicken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die Neuausrichtung der Bundeswehr weiter vorantreiben und die wichtige Debatte um die Verankerung der Truppe in der Gesellschaft offensiv führen. Die Bundeswehr wird gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam beschreiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich auf diese Legislaturperiode zurückblicke und nachdem ich die heute vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage gelesen habe, bin ich schon etwas stolz darauf, was der Bundeswehr unter ihren Verteidigungsministern und mit der großen Unterstützung des Parlaments in den letzten Jahren gelungen ist.

Die Bundeswehr ist 23 Jahre nach Ende des Kalten Krieges im Jetzt angekommen. Sie hat sich in den 23 Jahren Schritt für Schritt von einer Armee der Landesverteidigung zu einer modernen Einsatzarmee entwickelt. Es war ein langer Weg mit vielen schweren Schritten. Der größte und letzte Schritt war die Aussetzung der Wehrpflicht. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben uns in der Union gerade mit dem letzten Schritt, der Aussetzung der Wehrpflicht, sehr schwergetan; aber am Ende haben wir uns dafür entschieden, weil wir wussten, dass dieser Schritt notwendig ist.

Wir haben den Soldaten in den letzten vier Jahren ziemlich viel zugemutet. Einen Apparat wie die Bundeswehr bewegt man nicht so einfach. Vom Kabinetts-auftrag bis zur Verkündigung der Feinausplanung vergingen zwei Jahre Planungszeit. Das bedeutete: Zwei Jahre lang Unsicherheit für jede einzelne Organisationseinheit. Erst danach konnte der einzelne Soldat der Frage nachgehen: Was passiert mit mir? Kann ich bleiben? Wie sehen die Modalitäten aus, wenn ich ausscheide? Wo finde ich meinen Platz in der neuen Bundeswehr? Es gibt viele Soldaten, für die diese Fragen immer noch nicht endgültig geklärt sind.

Hinzu kommt, dass wir in der Übergangsphase noch die alten Strukturen haben, aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht aber plötzlich viel weniger Soldaten, die diese Strukturen ausfüllen müssen. Als Betroffener wäre ich mit dieser Situation auch unzufrieden. Ich werbe aber auch um Verständnis. Jeder Soldat und jeder Zivilbeschäftigte hat neben dem Anspruch auf Information auch einen Anspruch darauf, dass eine einmal verkündete Entscheidung gültig bleibt. Darauf muss man sich verlassen können. Wenn man diesen beiden Ansprüchen gerecht werden will, dann muss gründlich geplant werden, und alle Abhängigkeiten, die in einer Armee bestehen, müssen berücksichtigt werden. Das braucht Zeit.

Ich habe großen Respekt vor denen, die diese Neuausrichtung fachlich planen. Ich habe großen Respekt vor den Vorgesetzten, die vor der nicht immer einfachen Aufgabe stehen, ihren Soldaten erklären zu müssen, dass noch nichts sicher ist. Sie müssen ihren Soldaten die Neuausrichtung erklären und ihnen sagen, dass es noch ein bisschen dauern wird, bis endgültige Entscheidungen getroffen werden und der Nutzen sichtbar wird. Ich habe auch großen Respekt vor den Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien, die diese Phase der Unsicherheit aushalten müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie alle leisten das neben ihrem normalen Auftrag und den Einsätzen, bei denen wir nicht einfach eine Pause einlegen können. Dafür möchte ich ihnen von dieser Stelle aus meinen Dank und meine große Anerkennung aussprechen.

Die Unsicherheit, die uns in dieser Phase der Umsetzung der Neuausrichtung begleitet, wird mit jedem Tag kleiner werden. Ich bin sicher, dass eine vergleichbare Reform auf absehbare Zeit nicht notwendig sein wird. Für mich hat die Bundeswehr ihre Zielstruktur erst einmal erreicht. Ich möchte das kurz begründen: Maßgeblich für die Neustrukturierung war der Bedarf an einem möglichst breiten Fähigkeitsspektrum. Daneben waren die verfügbaren Finanzmittel und das verfügbare Nachwuchspotenzial strukturbestimmend.

Ich weiß noch sehr genau, dass wir im Bundestag und im Verteidigungsausschuss in den Jahren 2009/2010 über das Fähigkeitsspektrum gesprochen haben. Wir haben uns die Köpfe zermartert, wie mögliche Einsatzszenarien der Bundeswehr in der Zukunft aussehen könnten: Wo wollen bzw. müssen wir unsere Bundeswehr in fünf oder zehn Jahren einsetzen? Damals hat niemand von uns gedacht, weder von der Opposition noch von der Regierung, dass wir nur zwei Jahre später – 2013 – mit Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien stehen würden,

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stehen nicht an der Grenze zu Syrien!)

und keiner von uns hat damals gedacht, dass wir einen Einsatz in Mali haben könnten – Pionierausbildung – oder Einsätze im Senegal mit Lufttransport und Luftbetankung. Das war für mich prägend. Ich habe daraus die Erkenntnis gezogen, dass man das vielleicht gar nicht vorhersehen kann. Wir wissen heute nicht, welche Aufgaben wir 2015 mit der Bundeswehr zu bewältigen haben werden. Wir wissen nur, dass wir als größte Volkswirtschaft in Europa auch in Zukunft mit Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt tragen werden. Wir wissen auch, dass die Bedrohungen, insbesondere die Bedrohungen durch zerfallende, schwache Staaten, in Zukunft eher größer als kleiner werden.

Deswegen war der Ansatz „Breite vor Tiefe“ richtig; denn eine erneute Verkleinerung oder ein anderer Ansatz hätten bedeutet, dass wir auf substanzielle Fähigkeiten hätten verzichten müssen. Ich tue mich wirklich schwer, zu sagen, auf welche Fähigkeiten wir verzichten können, weil ich nicht weiß, was wir in Zukunft brauchen werden; denn es gibt nun einmal Unsicherheiten in der Welt. Ich hoffe, dass wir mit der Zeit immer mehr Fähigkeiten in der NATO und in Europa gemeinsam erlangen werden. Aber das werden kleine Schritte sein, Stück für Stück. Kollege Otte hat die Ausbildung angesprochen, die man stärker europäisieren kann. Diese kleinen Schritte werden in der nächsten Zeit nicht strukturbestimmend für die Bundeswehr sein.

Der zweite Grund, warum ich glaube, dass diese Struktur Bestand haben wird, ist die Finanzierung. Es ist gelungen, die Struktur der neuen Bundeswehr nachhaltig zu finanzieren. Sie erleben es in den Haushaltsverhandlungen. Die Armee insgesamt wird kleiner, die Anzahl der Soldaten und Zivilbeschäftigten nimmt ab, das Budget bleibt aber konstant. Was bedeutet das? Das heißt, dass wir das Geld, das wir sparen, in die Verbesserung der Attraktivität, in effektivere Strukturen und in die Verbesserung der Ausrüstung für unsere Soldatinnen und Soldaten stecken können.

Da haben wir große Fortschritte gemacht. Das erkennen wir, wenn wir daran denken, welche Diskussionen wir am Anfang dieser Legislaturperiode geführt haben, insbesondere über die Ausrüstung der Soldaten in Afghanistan. Der Wehrbeauftragte hat damals mehrmals auf Probleme hingewiesen. Wenn ich sehe, welchen hohen, guten Ausrüstungsstand wir gerade in diesem Einsatz erreicht haben, dann muss ich sagen, dass das ein riesengroßer Erfolg für die gesamte Bundeswehr ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, dann kann ich feststellen: Niemand kritisiert, dass wir zu wenig Geld für die Bundeswehr ausgeben, sondern die Kritik richtet sich darauf, dass wir zu wenig sparen. Aber damit kann ich als Verteidigungspolitiker sehr gut leben. Ich sage auch, wem wir die gute Situation zu verdanken haben. Das ist vor allem ein Verdienst unseres jetzigen Ministers Thomas de Maizière, der gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dafür gesorgt hat, dass die Bundeswehr in Zukunft nachhaltig finanziert ist. Dafür meinen herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der dritte Grund, warum ich glaube, dass diese Struktur hält, ist der starke Zulauf an Freiwilligen zur Bundeswehr trotz einer historisch guten Situation auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben so wenig Arbeitslose wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Wir hatten große Angst, dass die Bundeswehr nach dem Aussetzen der Wehrpflicht Probleme hat, genügend qualifizierten Nachwuchs für die Strukturen zu finden, und wir sie deswegen irgendwann verkleinern müssen. Aber heute zeigt sich, dass diese Angst unberechtigt war.

Dank einer aktuellen Anfrage der Linken wissen wir, dass die Bundeswehr zum Beispiel bei den Offizieren im letzten Jahr über 10 000 Bewerber bei knapp 1 800 Einstellungen hatte. In einzelnen Bereichen, zum Beispiel bei der Marine und auch bei den IT-Kräften, gibt es Probleme, Nachwuchs zu finden. Aber wenn ich die gesamte Bundeswehr betrachte, dann ist es überhaupt kein Problem, den Bedarf zu decken, und das, obwohl die neu aufgestellte Organisation zur Nachwuchsgewinnung noch gar nicht richtig angefangen hat, zu arbeiten.

Das ist ein Riesenerfolg und sagt auch etwas über den Stellenwert der Bundeswehr in der Gesellschaft aus. Jeder, der heute zur Bundeswehr geht, weiß, dass er wahrscheinlich auch in einen Einsatz gehen muss. Aber er hat das Vertrauen in die Bundeswehr und in uns Abgeordnete, dass wir über die Einsätze nicht leichtfertig entscheiden. Dieses Vertrauen haben wir uns in den vergangenen Jahren gemeinsam mit der Opposition hart erarbeitet. Wir müssen dem immer wieder neu gerecht werden.

Wir haben in dieser Legislaturperiode mit der Neuausrichtung der Bundeswehr ein großes Projekt erfolgreich aufs Gleis gesetzt. Wir sind damit aber noch nicht am Ziel. Die Umsetzung dauert noch an. Wir werden auch in den nächsten Jahren noch kräftig anschieben müssen. Wir als christlich-liberale Koalition haben die Bundeswehr erfolgreich in das Jetzt geführt. Ich wünsche mir, ich werbe dafür und ich kämpfe dafür, dass wir im September vom Wähler den Auftrag bekommen, die Bundeswehr auch erfolgreich in die Zukunft zu führen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich Kollegen Volker Kauder.

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In seinem Redebeitrag hat der Kollege Nouripour auf ein Interview von mir hingewiesen, in dem ich formuliert habe, dass es in der Politik durchaus Dilemmata geben kann. Ich habe darauf hingewiesen, dass in Saudi-Arabien keine Religionsfreiheit herrscht und dass dort Christen auch verfolgt werden.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Aber ich habe auch darauf hingewiesen, dass es in dieser Region einen Zielkonflikt zwischen der Religionsfreiheit, die wir einfordern, und den Interessen in der Außenpolitik gibt. Wer den Eindruck erweckt, dass es solche Dilemmata, solche Zielkonflikte nicht gibt, der macht den Menschen etwas vor.

Ich bekenne mich in meinen Vorträgen zum Menschenrecht auf Religionsfreiheit; ich äußere mich also zu genau diesem Dilemma und verschweige es nicht. Sich aber hier hinzustellen und zu sagen, dies sei wohl ein typisches Problem einer konservativen, schwarz-gelben oder christlich-liberalen Regierungskoalition, das ist von einer Moral getragen, lieber Herr Nouripour, die ich nicht akzeptieren kann. Ich habe in diesen Tagen ohnehin den Eindruck, dass Sie von den Grünen, was Ihre moralischen Vorgaben angeht, sich zunächst einmal an die eigene Nase fassen sollten, bevor Sie anderen Leuten ständig die Moralkeule um die Ohren hauen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt komme ich zum Thema. Ich möchte auf einen Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 18. Februar dieses Jahres und auf einen Bericht von Spiegel Online vom 12. Juni 2011 zu sprechen kommen und nur einmal die Fakten nennen, damit Sie Ihr Gewissen ein bisschen schärfen können.

(Christel Humme [SPD]: Oberlehrer!)

– Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen: Wenn man hier in diesem Haus von einem Kollegen in dieser Art und Weise moralisch angegriffen wird, wird man wohl noch das Recht haben, sich zu verteidigen, ohne von Ihnen vorgeworfen zu bekommen, ein Oberlehrer zu sein. Das ist ja unglaublich! Sie sollten sich dafür schämen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt komme ich zum Thema. Im Jahr 2004 wurden von der rot-grünen Bundesregierung Genehmigungen für Ausfuhren nach Saudi-Arabien erteilt. Dabei ging es um Teile für Patrouillenboote, Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Gewehre, Maschinenpistolen, Munition, Logistik-ausrüstung und mehr. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu:

Die Geschäfte mit den Scheichs gingen also auch damals schon ziemlich gut.

Auch Spiegel Online befasst sich damit, was Sie damals alles gemacht haben.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Kauder, Sie wollten eine Erklärung zur Aussprache abgeben

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau!)

und nicht die Aussprache verlängern.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau!)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Ja, ich wollte das nur sagen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich bitte sehr darum, die Grenzen der GO zu beachten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Jawohl. – Bei Spiegel Online ist zu lesen:

Ich kann nur sagen: Jeder blamiert sich – so gut es geht – selbst.

(Thomas Oppermann [SPD]: Sie auch gerade!)

Dann heißt es dort:

Ein bisschen gilt das in diesen Tagen aber auch für SPD und Grüne.

Das ist die Wahrheit. Geben Sie zu, dass es diesen Konflikt gibt, und tun Sie nicht so, als ob Sie sich immer astrein verhalten hätten. Sie haben nach Saudi-Arabien geliefert, obwohl Sie die Menschenrechtslage dort gekannt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch totaler Unsinn! Tun Sie doch nicht so, als ob Sie die Wahrheit gepachtet hätten, wenn es um Moral geht!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13480. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Linke stimmt dafür. Dagegen stimmen die beiden Koalitionsfraktionen, die Grünen und die SPD.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: (...)


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