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Einsatzbereit, jederzeit, weltweit

Erste deutsch geführte EU-Battlegroup schließt ihr letztes Training für Kampfeinsätze in Afrika oder Asien ab

BERLIN/ULM/LEIPHEIM/MESSSTETTEN/HAMMELBURG - (Eigener Bericht) - Am Freitag, den 24. November, schließt die erste deutsch geführte EU-Battlegroup ihr letztes Training für Kampfeinsätze in Afrika oder Asien ab. Die von einem in Ulm (Baden-Württemberg) angesiedelten Kommandostab geleitete 1.500 Mann starke Truppe soll ab Januar nächsten Jahres innerhalb weniger Tage für weltweite Militäroperationen mobilisiert werden können. Vorgesehen ist der Einsatz in Bürgerkriegsgebieten; trainiert wird mit scharfer Munition und unter Einbeziehung der Bundeswehreinheiten für Psychologische Kriegführung ("Truppe für Operative Information"). Soldaten dieser Truppe sind bereits in Afghanistan und im Kongo im Einsatz. Das Training mit scharfer Munition ist mittlerweile festes Element der Rekrutenausbildung. Die beteiligten Soldaten werden dabei systematisch in eine Lage versetzt, in der tödliche Schüsse auf andere Manöverteilnehmer nicht auszuschließen sind. Dies belegt ein interner Untersuchungsbericht der Bundeswehr; german-foreign-policy.com veröffentlicht Auszüge.

Ab Januar
Das Manöver "European Endeavour" ("Europäische Anstrengung"), das am morgigen Freitag zu Ende geht, soll die Einsatzbereitschaft der ersten deutsch geführten EU-Battlegroup demonstrieren. Es ist laut Aussage des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, die "Schwerpunktübung" der deutschen Streitkräfte in diesem Jahr.[1] Unter Führung von Generalmajor Rainer Fiegle trainiert die aus deutschen, niederländischen und finnischen Verbänden bestehende Kampftruppe der Europäischen Union ("EU-Battlegroup") den Einmarsch in ein bis zu 6.000 Kilometer entferntes Interventionsgebiet. Ziel des Manövers ist die Herstellung der "vollen operativen Einsatzbereitschaft" der Truppe, die "ab Januar 2007 der politischen Führung der Bundesrepublik Deutschland für einen Einsatzauftrag zur Verfügung" steht, wie die Bundeswehr mitteilt.[2]

Streitkräfteübergreifend
An der Übung, die auf dem Fliegerhorst Leipheim (Baden-Württemberg) und in der Ulmer Wilhelmsburgkaserne stattfindet, sind außer einem niederländischen Logistikbataillon und einer finnischen Sicherungskompanie in erster Linie Angehörige der deutschen Luft-, See- und Landstreitkräfte beteiligt. Sie werden ergänzt durch eine Abteilung der "Truppe für Operative Information" (OpInfoTr) aus Koblenz und Mayen (Rheinland-Pfalz), der die Propagandaarbeit gegenüber der Zivilbevölkerung im Einsatzland zufällt. OpInfoTr-Soldaten sind unter anderem in Afghanistan, in der Demokratischen Republik Kongo und in Bosnien-Herzegowina im Einsatz.[3]

Akzeptanzprüfung
Das Manöverszenario von "European Endeavour 2006" lässt die konkrete Tätigkeit der OpInfoTr-Soldaten in den Einsatzgebieten der Bundeswehr erkennen. Laut Regieanweisung sollen die Einwohner einer "von ethnischen Auseinandersetzungen krisengeschüttelten Region" durch die medial vermittelte Androhung von Gewalt (via Video, Rundfunk und Fernsehen) dazu gebracht werden, die Ziele der Besatzer zu unterstützen. Die Botschaft laute: "Wir können, wenn wir wollen", erklärt ein Offizier der OpInfoTr. Um herauszufinden, ob diese mehr oder minder unverhohlene Drohung bei der "Zielgruppe" angekommen ist, mischt sich zwecks "Akzeptanzprüfung" ein Team für "taktische psychologische Operationen" ("Tactical PsyOps Team") der OpInfoTr unter die Bevölkerung.[4]

"Irreguläre Kräfte"
Das Manöver "European Endeavour 2006" weist etliche Parallelen zu der Anfang November abgeschlossenen Kriegsübung "Schneller Adler" auf. Hierbei trainierten 2.500 Angehörige der Bundeswehr-Eliteeinheit "Division Spezielle Operationen" (DSO) die Niederschlagung von Aufstandsbewegungen ("irreguläre Kräfte") - in einem fiktiven mitteleuropäischen Staat. Die Aufgabe der Soldaten bestand darin, ein "konspirative(s) Führertreffen" und ein Ausbildungslager der Guerilla mit dem Ziel anzugreifen, die dort befindlichen Menschen entweder zu töten oder gefangen zu nehmen.[5] Zur DSO zählen die für ihre Brutalität und die Bezugnahme auf NS-Traditionen berüchtigten Fallschirmjäger der "Saarlandbrigade" [6] und das "Kommando Spezialkräfte" (KSK); ihr Motto lautet: "Einsatzbereit - jederzeit - weltweit" [7]. Soldaten der DSO sind gegenwärtig in Afghanistan und in der Demokratischen Republik Kongo im Einsatz.

Eskalationsstufen
Auch im Rahmen des Übungsszenarios von "Schneller Adler" kam zunächst die OpInfoTr zum Einsatz. Sowohl das "Führertreffen" als auch das Ausbildungslager wurden mit Lautsprecheraufrufen beschallt. Mittels Todesdrohungen ("Ihr seid eingeschlossen. Denkt an Eure Familien. Jeder Wiederstand ist zwecklos. Geht mit erhobenen Händen in Richtung Süden. Dort werden wir Euch erwarten. Nur so könnt ihr überleben.") sollten die "irregulären Kräfte" zum Aufgeben veranlasst werden. Nachdem dies nicht zum Erfolg geführt hatte, folgte die "nächste Eskalationsstufe": der Beschuss mit Granatwerfern.[8]

Ganz normal
Wie die Teilnehmer des Manövers "European Endeavour 2006" trainieren auch die Angehörigen der DSO mit scharfer Munition. Dabei kam am 15. November ein Mitglied der Eliteeinheit KSK ums Leben; der 36-jährige Hauptfeldwebel wurde von einem Kameraden auf dem Truppenübungsplatz Heuberg bei Meßstetten (Baden-Württemberg) erschossen. Wie ein Sprecher der Bundeswehr gegenüber der deutschen Presse betonte, habe es sich um ein "ganz normales Nachtschießen im Rahmen der üblichen Ausbildung" gehandelt.[9] Üblich ist das Training mit scharfer Munition allerdings nicht nur für Soldaten des KSK, sondern auch für diejenigen, die ihren Wehrdienst mit der Option freiwillig verlängern, sich an Auslandsoperationen zu beteiligen. Wie der Fall des Rekruten Sven M. zeigt, der im Rahmen einer Gefechtssimulation auf dem bayrischen Truppenübungsplatz Hammelburg erschossen wurde, werden die Soldaten dabei systematisch in eine Lage versetzt, in der Schüsse auf andere Manöverteilnehmer nicht auszuschließen sind.[10] In einem internen Untersuchungsbericht der Bundeswehr über dieses "besondere Vorkommnis" am 19. Oktober 2005 heißt es:

Besonderes Vorkommnis
"Nach eigener Aussage hat der Schütze den an der vor ihm gelegenen Buschgruppe abgeknieten Sicherer [gemeint ist der getötete Sven M. - Anm. d. Red.] mit einer Zielscheibe verwechselt und erst nach der Schussabgabe realisiert, dass er auf einen seiner Kameraden geschossen hatte. Dieser Irrtum ist auf Grund der (...) herrschenden Sichtverhältnisse nachvollziehbar. (...) Durch das unmittelbar vor dem BV [besonderen Vorkommnis - Anm. d. Red.] erfolgte Funkgespräch (...) war der Schütze von dem Geschehen an der Buschgruppe (...) abgelenkt. Das [zuvor erfolgte - Anm. d. Red.] Wiederholen des Feuerkampfes im Wald, an dem der Schütze beteiligt war, unter dem Gesichtspunkt der schnellen Feuereröffnung, hat wahrscheinlich zu der nahezu instinktiven Feuereröffnung beigetragen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Schütze anscheinend ein motivierter und leistungsbereiter Soldat ist, da ansonsten seine Bewerbung zur Feldwebelausbildung nicht befürwortend weitergereicht worden wäre. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass er auch in dieser Situation eine gute Leistung zeigen wollte. Seine weitere persönliche Disposition wie Nervosität und ggf. beginnende Müdigkeit durch den ab 01:00 Uhr geleisteten UvD-Dienst [Unteroffizier vom Dienst - Anm. d. Red.] können zu einer Fehleinschätzung der Lage beigetragen haben."[11]

Opfer
Die Transformation der Bundeswehr zur "Armee im Einsatz" bringt nicht nur Opfer im Interventionsgebiet mit sich. Die militärische Führung besteht offenkundig auf Trainingsmaßnahmen, die regelmäßig zu Todesfällen führen.

Fußnoten
  1. Pressemitteilung des Bundesverteidigungsministeriums vom 15.11.2006
  2. European Endeavour 2006 - Übungszweck; www.streitkraeftebasis.de
  3. s. dazu "Positive Stimmung" und "Rechtzeitig ordnen"
  4. Die Straße zur Stabilität; www.streitkraeftebasis.de
  5. Das Führertreffen der Irregulären Kräfte; www.deutschesheer.de
  6. s. dazu "Rot scheint die Sonne im Kongo"
  7. Das Ausbildungslager der Irregulären Kräfte; www.deutschesheer.de
  8. Das Ausbildungslager der Irregulären Kräfte; www.deutschesheer.de
  9. Tod auf dem Schießplatz; Südkurier 17.11.2006
  10. s. dazu "Radikalisierung" und "Three Block War"
  11. Abschlussbericht der Untersuchungskommission Waffen und Munition im Streitkräfteunterstützungskommando über das Besondere Vorkommnis am 19.10.2005 auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg vom 23.01.2006
Aus: Informationen zur Deutschen Außenpolitik, 23.11.2006;
www.german-foreign-policy.com



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