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Angeblich "sensible Daten" zum Geheimnis erklärt und aus einem Bundestagsprotokoll entfernt

Kuscht das Verteidigungsministerium vorauseilend vor dem Regime in Usbekistan? - Das Protokoll ist trotzdem zugänglich

Was im April noch jeder lesen konnte und durfte, ist nun Geheimsache. Das Verteidigungsministerium und die Bundestagsbürokratie sorgten für ein Novum in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Aus einer Drucksache des Bundestags - sie enthielt die Antworten des Ministeriums auf eine Kleine Anfrage - wurden zwei Monate nach der Veröffentlichung ein paar Antworten nachträglich entfernt. Die Antworten enthielten nun plötzlich "sensible" Informationen, die der Öffentlichkeit nicht zuzumuten seien. Sie wurden vom Verteidigungsministerium als "VS - Nur für den internen Dienstgebrauch" eingestuft. Ab sofort, so hieß es im Amt, seien die Antworten "in der Geheimschutzstelle hinterlegt und können dort nach Maßgabe der Geheimschutzordnung eingesehen werden." Das dürfen dann natürlich nur Personen, die dazu berechtigt sind.

Gegenstand der Kleinen Anfrage [externer Link!] der Grünen-Abgeordneten Viola von Cramon war der Bundeswehrstützpunkt Termez in Usbekistan. Über diesen Stützpunkt wickelt die Bundeswehr einen Großteil ihres Transports für die kämpfende Truppe in Afghanistan ab. Das Regime in der zentralasiatischen Republik lässt sich diese Dienstleistung teuer bezahlen. Rund 16 Millionen EUR bezahlt Berlin an die Regierung des autoritären Präsidenten Islam Kamirow.

Auch das eigentlich kein Geheimnis. Warum solche Angaben aber unter Verschluss gehalten werden, ist nur schwer zu verstehen. Die Süddeutsche Zeitung stellt in einem Artikel ein paar Vermutungen an:
"Im Umgang mit dem Regime von Präsident Islam Karimow gilt: Zu scharfe Kritik könnte den Stützpunkt gefährden. Andererseits will die Bundesregierung den Eindruck vermeiden, sie schweige zu Menschenrechtsverletzungen aus Sorge um Termes. Als der usbekische Vize-Außenminister Wladimir Norow Ende Mai in Berlin weilte, übernahm es daher der Menschenrechtsbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Markus Löning (FDP), dem Usbeken ausführlich ins Gewissen zu reden. Aus Taschkent war später zu hören, Präsident Karimow sei mit dem Verlauf der Deutschland-Visite Norwos nicht wirklich zufrieden gewesen."
(Daniel Brössler: Plötzlich ein Geheimnis, in: SZ, 15. Juni 2011.)

Nur: Die pure Auflistung der Kosten des Stützpunkts und das Nennen der Summe der Ausgleichszahlung an die usbekische Regierung stellen doch noch längst keine Kritik an dem Regime dar. Wir halten das Verhalten des Ministeriums für kleinmütig, überängstlich und politisch skandalös. Wie groß muss die Furcht vor dem Verlust der Zuneigung des usbekischen Regimes sein, wenn man zu solchen lächerlichen Retuschen greift?! Wahrscheinlich gab es nicht einmal eine Intervention der usbekischen Botschaft.

Pst

Das Protokoll - es ist noch da!

Als wir versucht haben, die Drucksache auf der Website des Bundestags aufzurufen (16. Juni 2011) erhielten wir als Fehlermeldung: ""Aus redaktionellen Gründen steht diese Drucksache zurzeit leider nicht zur Verfügung." Das entspricht nicht ganz der Wahrheit, denn es sind ja keine "redaktionellen Gründe". Inzwischen heißt es bei der Drucksachen-Suche: "Leider konnte die gesuchte Datei (Drucksache 17/05638) nicht gefunden werden." Auch das geht haarscharf an der Wahrheit vorbei. Die Drucksache existiert und die Bundestagsverwaltung weiß auch, wo sie zu finden wäre. Sie wird aber versteckt gehalten.

Im April, als die Bundestagsdrucksache 17/05638 noch frei verfügbar war, wurde sie auf verschiedenen Websites gepostet. Dort ist sie also noch - für jeden einsehbar. Zum Beispiel hier:
Auszug aus Drucksache 17/5638 [pdf-Datei].



Späte Geheimsache

Von René Heilig **

Wer Antworten auf eine Parlamentsanfrage fälscht oder nachträglich zur Geheimsache erklärt – der wird seine Gründe haben. Doch ob das auch gute Gründe sind? Am 9. Juni schrieb das Verteidigungsministerium der Grünen-Abgeordneten Viola von Cramon, dass die ihr im April erteilten Antworten auf eine Kleine Anfrage »sensible« Daten beinhalten. Im Nachgang habe man diese zur Verschlusssache erklärt und die bereits veröffentlichte Bundestagsdrucksache zurückgezogen. Weg sind die Fakten. Für jetzt und alle Zeiten. Denn natürlich darf man mit Geheimem auch nicht einfach so auf der politischen Bühne hausieren gehen.

Es ist schon dreist, wie da ein Ministerium in die Rechte des Parlaments eingreift. Um welche sensiblen Daten ging es? Stand wenigstens die Sicherheit der Bundesrepublik auf dem Spiel?

Keinswegs. Es ging lediglich um die deutschen Zahlungen an Usbekistan für die Nutzung des Flugplatzes in Termez. Das ist der entscheidende Umschlagplatz für den Bundeswehrnachschub Richtung Afghanistan. Daran ist nichts geheim. Doch Usbekistan, das von Islam Karimow mit harter Hand geführt wird, steht wegen allerlei Menschenrechtsverletzungen am Pranger. Und so wollte man schlicht nicht dokumentiert haben, dass das demokratische Deutschland so einem Unrechtsregime Jahr um Jahr rund16 Millionen Euro in den Rachen wirft, um in Afghanistan einen ungerechten und längst verlorenen Krieg fortzusetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Juni 2011



Der oben erwähnte Artikel aus der Süddeutschen Zeitung ist auf der Website der Abgeordneten Viola von Cramon verfügbar:
http://violavoncramon.de [externer Link!].




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