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"Grobausplanung" für die Neuausrichtung der Bundeswehr

Scharping stellte neues Konzept vor

Wie einige Zeitungen meldeten, stellte Verteidigungsminister Scharping sein neuestes Konzept zur Reform der Bundeswehr am Mittwoch, den 11. Oktober 2000, dem Kabinett vor. In diesem Bericht, ein 40-seitiges Papier mit dem Titel "Grobausplanung", geht es nicht nur um die vorgesehene Verkleinerung der Bundeswehr, sondern auch um strukturelle Fragen sowie um Probleme der Standorte.

282.000 Soldaten

Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung, die im Besitz des ansonsten nicht veröffentlichten Papiers ist, soll mit der Verkleinerung der Truppe bereits im kommenden Jahr begonnen werden. Allerdings dürfte nach den Plänen Scharpings die Reduzierung der Personalstärke geringer ausfallen, als ursprünglich geplant. Am 14. Juni hatte die Bundesregierung einem Personalumfang von 277.000 Soldaten zugestimmt (siehe unseren Bericht über die Kabinettssitzung). Nun sollen es 282.000 Mann/Frau sein. Mit dieser Truppenstärke kommt die Bundesregierung den Forderungen der CDU/CSU und des Bundeswehrverbands noch weiter entgegen. Ganz genau wollte sich Scharping aber auch nicht festlegen: Die endgültige Zahl könne "um die 282.000 nach oben oder unten oszillieren". Der Ist-Bestand der Bundeswehr beträgt zur Zeit rund 315.000 Soldaten, der Soll-Bestand 238.000.

Was die künftige Struktur der Armee betrifft, so folgt Scharping ziemlich genau den Wünschen bzw. Empfehlungen der Inspekteure der Teilstreitkräfte. Den größten Teil der Reduzierungen wird das Heer tragen. Es soll nach dem Bericht Scharpings von derzeit (Soll) 230.000 auf 138.500 Soldaten schrumpfen. Das Heer wird künftig über fünf mechanisierte, schwere Divisionen verfügen sowie über eine Division "Luftbewegliche Operationen" und eine Division für "spezielle Operationen", worunter sich zwei Luftlandebrigaden und das berüchtigte "Kommando Spezialkräfte" befinden. Neben den Divisionen besteht als weiterer Großverband noch das Heerestruppenkommando. Insgesamt bleibt zwar die Zahl der Großverbände konstant, zum Teil werden aber schwere Divisionen durch leichtere ersetzt, sodass erhebliche Reduzierungen bei Kampfpanzern zu erwarten sind.

Die Luftwaffe wird von heute 70.000 auf 51.850 Soldaten verkleinert. Die Einsatzkräfte umfassen künftig ein Aufklärungs-, vier Jagdbomber- (bisher 5), drei Jagd- (bisher 4) und vier Flugabwehrraketengeschwader sowie vier Radarführungsverbände.

Die Marine soll von zur Zeit 26.000 auf künftig 20.650 Soldaten verringert werden.

Zeit- und Finanzplan

Mit der Reduzierung soll bald begonnen werden. Nach Scharpings Plan sollen 2001 die ersten 5.000 Stellen wegfallen. Die Reduzierung soll bis zum Jahr 2004 abgeschlossen sein. Die "richtige Mischung" aus Berufs- und Zeitsoldaten sowie aus Wehrpflichtigen soll dagegen erst bis zum Jahr 2010 erreicht werden. Bis dahin soll die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten auf 200.000 ansteigen (heute 188.000), die Zahl der Grundwehrdienstleistenden soll von 93.700 auf 53.000 Mann zurückgehen. Dagegen soll die Zahl der freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen von 24.700 auf 27.000 erhöht werden. - Auf die Gesamtzahl 282.000 Soldaten kommt man, wenn die 2.000 Wehrübungsplätze noch dazu gezählt werden.

Die geplante Verkleinerung der Truppe soll nach Auskunft des Verteidigungsministeriums zu Einsparungen führen, die im Jahr 2002 etwa 97 Mio. DM und im Jahr 2004 sogar 464 Mio. DM ausmachen sollen. Für Eichel dürfte dabei aber nichts herausspringen, da die Personaleinsparungen voll zu Gunsten der Beschaffungen von Waffen und Ausrüstungen gehen sollen.

Machtfragen: "Kleiner Generalstab"?

Scharpings "Grobausplanung" sieht außerdem vor, die Kompetenzen des Generalinspekteurs der Bundeswehr erheblich zu erweitern. Harald Kujat, von Scharping erst vor einigen Monaten auf diesen Posten gehievt, wird damit zur "Schlüsselfigur" (Süddeutsche Zeitung vom 12.10.2000) in der neuen Struktur der Bundeswehr. Er erhält den Vorsitz in einem so genannten "Einsatzrat", der den Verteidigungsminister "bei der Planungsvorbereitung und Führung von Einsätzen der Bundeswehr" unterstützt. Damit bekommt der "Einsatzrat" faktisch die Kommandogewalt bei Einsätzen, die über den normalen Dienst in Friedenszeiten hinaus gehen, d.h. auch bei Militäreinsätzenm ŕ la Kosovo. Ob das schon ein Schritt hin zur Etablierung eines kleinen "Generalstabs" ist? Der Generalinspekteur sitz auch dem - ebenfalls neu geschaffenen - "Rüstungsrat" vor. Der Rüstungsrat "steuert" die Ausrüstungsplanung und bereitet die Rüstungsentscheidungen des Ministeriums vor. Am Rüstungsrat sind alle Inspekteure der Teilstreitkräfte beteiligt sowie der Haptabteilungsleiter Rüstung des Verteidigungsministeriums, nicht aber der dafür zuständige Staatssekretär Walther Stützle. In der Süddeutschen Zeitung wird dies als Indiz dafür gewertet, dass es zu einer Machtverschiebung zu Gunsten Kujats und zu Lasten Stützles gegeben habe. Dafür spräche auch, dass die Endfassung der "Grobausplanung" am Wochenende vom 7. auf den 8. Oktober von Scharping, Kujat und dem Planungsstabschef Wolfgang Schneiderhan fertiggestellt wurde. Das Treffen der drei - Stützle wurde nicht zugezogen - fand auf der griechischen Insel Hydra statt. (Wenn das kein unheilvolles Omen ist!)

Standorte

Aus regionaler Sicht interessant sind mögliche Standortschließungen. So könnte es im Bereich der Luftwaffe das Jagdgeschwader in Wittmund sowie das Tornado-Geschwader in Memmingen treffen. Bekannt gegeben wurde aber noch nichts. Auch Scharping fürchtet sich vor den Protesten betroffener Landräte mund Kommunalpolitiker, die in Verkennung der wahren Wirkungen von Bundeswehrgarnisonen glauben, mit ihrem Militär auch Wirtschaftskraft und regionalen Wohlstand zu verlieren. Dass dem nicht so ist, zeigen indessen zahlreiche Fälle erfolgreicher "Standorte-Konversion", die infolge der Personalreduzierungen nach 1990 vorgenommen wurden.

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