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Bundeswehr: "unglaublich flexibel und mit hoher Motivation und Professionalität" (Minister Guttenberg, CSU) / "Sie wollen die Bundeswehr als globales Expeditionskorps effektivieren und optimieren" (Schäfer, Die Linke)

Im Rahmen der Haushaltsdebatte diskutierte der Bundestag über die Verteidigungsausgaben und die Bundeswehrreform - Alle Reden dazu im Wortlaut

Im Rahmen der Haushaltsdebatte warb Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg am 15. September 2010 im Bundestag um Unterstützung für die anstehende Reform der Bundeswehr. Ihm widersprachen die Redner/innen der Opposition, wobei allerdings nur der Abgeordnete der LINKEN, Paul Schäfer, grundsätzlich wurde.
Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte im vollen Wortlaut nach dem Stenografischen Bericht des Bundestags.
Es kamen - in dieser Reihenfolge - folgende Redner/innen zu Wort:
Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht
58. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. September 2010


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

(...) Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.
Als erstem Redner erteile ich das Wort Herrn Bundesminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr steht vor einer der größten gestalterischen Herausforderungen seit ihrer Gründung im Jahr 1955. Wir stehen vor einer Reform, über die in einigen Teilen auch noch politisch zu entscheiden sein wird, und mit der wir uns in diesem Jahr auch bei den Haushaltsberatungen sicher noch entsprechend befassen werden. Ich darf an dieser Stelle sagen, dass es sich um eine Reform handeln wird, die logisch auf mutigen Vorarbeiten und auf mutigen Schritten meiner Vorgänger aufbaut. Ich umfasse hierbei sowohl meinen Amtsvorgänger Franz Josef Jung als auch die Kollegen Struck, Scharping und Rühe.

(Zuruf des Abgeordneten Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich möchte hierfür danken, weil große und mutige Schritte gegangen wurden. Wir bedürfen jetzt allerdings noch einmal eines entsprechend mutigen Schrittes. Dank auch an meine Amtsvorgänger für das, was geleistet wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese Herausforderungen und diese Reform haben – und das ist entscheidend – zunächst einmal eine sicherheitspolitische Analyse zur Grundlage. Es ist eine Analyse darüber, wie sich die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft darstellen werden. Aufbauend auf diese Analyse gibt es letztlich auch ein formuliertes Aufgabenspektrum. All das hat in den letzten Wochen der Generalinspekteur der Bundeswehr zu Papier gebracht, und ich glaube, er hat eine sehr breite, eine sehr tiefgehende und eine letztlich sehr plausible Analyse vorgelegt, die die Grundlage für die kommenden Schritte darstellen und bieten soll. Herr Generalinspekteur, Sie sind heute hier. Ihnen, Ihrer Mannschaft und jenen, die mitgewirkt haben, sage ich auch von meiner Seite aus Danke für diese intensiven und guten Arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Neben dieser Analyse, neben dem Aufgabenspektrum, das daraus erwächst, gab es in diesem Jahr eine von mir angewiesene Defizitanalyse, die deutlich gemacht hat, wo wir mit Blick auf unsere Strukturen noch Nachbesserungs- und Verbesserungsbedarf haben. All das bildet die Grundlage dessen, weshalb Entscheidungsbedarf gegeben ist. Ich habe schon oft betont, dass wir dringenden Entscheidungsbedarf haben. Ich würde mich freuen, wenn wir diese nächsten Schritte auch in einem parteiübergreifenden und gemeinsamen Vorgehen gestalten könnten, weil ich den Eindruck habe, dass wir – bis auf die eine oder andere Ausnahme – mit unseren Grundüberlegungen nicht so weit auseinanderliegen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ha, ha!)

– Herr Gehrcke, Ihre Position ist klar. Sie bilden die Ausnahme, die ich jetzt betonen durfte.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Danke!)

Ich glaube aber, dass wir bei vielen Punkten sehr nahe beieinanderliegen und eine gute Basis dafür haben, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Dieser Punkt wäre in meinen Augen sehr erfreulich. Das wäre die Grundlage dafür, dass nicht nur unserer Truppe mit Blick auf ihre künftigen Einsätze, sondern auch unseren zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ebenso wie die Soldaten in den letzten Jahren unglaublich flexibel und mit hoher Motivation und Professionalität auf Strukturdefizite reagieren mussten, eine Perspektive gegeben wird, die von einer breiten Mehrheit des Bundestages getragen wird. Das sollten wir alle anstreben, weil die Truppe, der ich für das, was in den letzten Jahren geleistet wurde, danken will, diesen Rückhalt verdient hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich begrüße einige Soldatinnen und Soldaten, die heute auf der Tribüne sind und mit großer Spannung und Interesse dieser Debatte folgen.

Wir wollen die anstehende Neuausrichtung nutzen, um die Bundeswehr als ein leistungsfähiges Instrument unserer Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Es geht darum, Strukturen und Prozesse konsequent und umfassend auf die Erfordernisse des Einsatzes auszurichten, auf Erfordernisse des Einsatzes im Inland wie im Ausland in dem verfassungsrechtlich gegebenen Rahmen. Unser Land braucht Streitkräfte, die modern, leistungsstark und flexibel sind und das Maß an Professionalität mitbringen, das wir von ihnen erwarten, und die auf die gegenwärtigen und künftigen Situationen, die von einem hohen Maß an Unberechenbarkeit geprägt sein werden, verlässlich reagieren können. Ein Konzept für solche Streitkräfte ist vom Generalinspekteur erarbeitet worden und bietet letztlich die Grundlage für die Arbeit.

Es geht um Strukturen und um eine verbesserte Leistungsfähigkeit. Wir müssen uns verbessern. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass wir bei einer derzeitigen Stärke von 252 000 Soldatinnen und Soldaten gerade einmal 7 000 in den Einsatz schicken können. Dass wir dann schon über Kante genäht sind, steht uns im internationalen Vergleich nicht gut zu Gesicht. Es geht aber auch um die einsatzgerechte Ausrüstung und Ausstattung. Der Wehrbeauftragte weist immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, auch diesen Aspekt zu berücksichtigen. Es geht um einen beschleunigten Entscheidungsprozess, es geht aber auch um beschleunigte Beschaffungsprozesse. Das ist ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt. Da müssen wir Dinge verbessern und neben den Perspektiven für die Soldatinnen und Soldaten noch weitere Perspektiven eröffnen. Es geht auch um eine angemessene Ausgestaltung des Dienstes und nicht zuletzt um die Attraktivität des Dienstes bei der Bundeswehr.

Es ist wichtig, genau diesen Punkt zu betonen; denn wir befinden uns bereits heute im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft um die besten Köpfe. Das gilt für den zivilen wie für den militärischen Bereich. Deswegen ist dem Aspekt der Attraktivität auch so viel Raum beizumessen.

Ich freue mich über viele Hinweise, die in dieser Hinsicht gekommen sind. Viele haben dazu beigetragen, dass das auf der Agenda sehr weit oben steht. Zur Attraktivität des Dienstes gehört natürlich der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz, und dazu gehört, dass sich der Arbeitsplatz mit anderen messen kann. Darauf wollen wir viel Kraft verwenden.

Eine Grundlage für diese Neuausrichtung, die wir jetzt vornehmen wollen, ist vor dem Hintergrund, flexibler und besser zu werden, die Erkenntnis, dass eine Reduzierung des Gesamtumfangs der Bundeswehr unumgänglich ist. Diese Reduzierung findet allerdings ihre Grenzen, wenn das Aufgabenspektrum, das formuliert wurde, nicht mehr erfüllt werden kann. Das Aufgabenspektrum umfasst die Notwendigkeit, weiterhin voll bündnisfähig zu sein und weiterhin sowohl innerhalb der NATO als auch innerhalb der Europäischen Union eine führende Rolle wahrnehmen zu können. Es umfasst auch die Notwendigkeit – ganz wichtig – des Schutzes unserer Heimat dort, wo es verlangt ist, und dort, wo wir darauf zurückgreifen wollen. Es umfasst aber auch das breite Szenario dessen, was heute in Auslandseinsätzen gefordert ist und dort künftig gefordert sein kann. Es sind sehr viele sehr unterschiedliche Szenarien, die hier abgefordert werden können. Gerade auch in dieser Hinsicht müssen wir planen.

Auf der Grundlage dieses Ansatzes kamen wir zu unterschiedlichen Modellen und haben nunmehr auch aus Sicht des Ministeriums eine Empfehlung für ein Modell abgegeben, das von einer Zielgröße von mindestens 163 500 Soldatinnen und Soldaten ausgeht.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von „mindestens“ steht nichts darin!)

Dieser Ansatz bietet gerade noch ein geeignetes Fähigkeitsprofil und wird den heutigen wie den künftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen durch eine höhere Einsatzfähigkeit besser gerecht.

Das ist der absolute Mindestumfang. Er darf nicht geringer und er kann durchaus höher ausfallen, wenn ich das so sagen darf. Das wird im Einzelnen noch festzulegen sein. Das ist natürlich auch Gegenstand der parlamentarischen Beratungen und der Abstimmungen. Ich bin alles andere als undankbar für die vielen Hinweise, die ich in dieser Richtung schon bekommen habe. Es gibt viele, die sich entsprechend eingebracht haben.

Danke auch für die Begleitung in den letzten Wochen und Monaten durch die Fachpolitiker, durch die Fraktionsvorsitzenden und auch durch die Berichterstatter im Haushaltsausschuss, die mit Blick auf die künftigen Gestaltungen sicher vor keiner einfachen Aufgabe stehen.

Mit der Reduzierung, aber nicht nur deswegen, stellt sich auch die Frage nach der Wehrform. Das ist eine der Fragen, über die wir derzeit am intensivsten debattieren, wobei es eine logische Folgefrage aus den Strukturüberlegungen ist, die wir gerade angehen. Manchmal hat man das Gefühl, dass es in der Diskussion eher schon umgekehrt ist. Aber es ist so, dass die Wehrform in untrennbarem Zusammenhang mit dem Auftrag, mit dem Umfang und mit den Strukturen steht. Genau um diesen Zusammenhang geht es. Es ist bereits heute so, dass wir nach unserem politischen Konsens keine Wehrpflichtigen mehr in die Einsatzszenarien schicken, die sich heute bieten. Das ist ein Konsens, der gebildet wurde. Es lohnt sich gelegentlich ein Blick zurück. Obwohl wir in den beiden letzten Jahrzehnten die Streitkräfte – ausgehend von annähernd einmal 500 000 Soldaten – nahezu halbiert haben, ist die Anzahl der Berufs- und Zeitsoldaten nahezu gleich geblieben. Heute leisten allerdings weniger als 17 Prozent eines Jahrgangs ihren Grundwehrdienst ab. Vor zehn Jahren waren es noch 40 Prozent. In den frühen 80er-Jahren waren es fast 60 Prozent. Man vergisst gelegentlich, was das bereits für eine Entwicklung war. Die Reduzierungen erfolgten schon bisher in erster Linie durch die Verkürzung der Grundwehrdienstdauer – als Folge eines veränderten Anforderungsprofils.

Sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, ist für einen Teil dieses Hauses außerordentlich schwierig. Ich sage Ihnen, dass das auch für mich gilt. Das war für mich ein Schritt, der mir auch emotional sehr viel bedeutet hat; aber dieser Schritt basiert auf der Auseinandersetzung mit den Realitäten, denen wir heute schlicht ins Auge sehen müssen.

Eine Realität ist die Zahl jener, die wir heute noch als Wehrpflichtige, als Wehrdienende haben. Natürlich spielt auch der Umstand eine Rolle: Wenn ein junger Mann heute nicht mehr zur Bundeswehr will, dann geht er faktisch schon nicht mehr dorthin. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was bieten wir jenen, die zu uns kommen und zu uns kommen wollen und die für diesen unglaublich wichtigen Aspekt der Bindung zwischen Gesellschaft und Bundeswehr stehen? Ihnen haben wir einmal 18 Monate geboten. Mittlerweile haben wir uns auf ein Sechs-Monats-Angebot geeinigt. Aber bereits bei neun Monaten war es schwierig, neben der gesellschaftspolitischen Begründung, die mir unglaublich viel bedeutet,

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor zwei Monaten klang das noch anders!)

eine sicherheitspolitische Begründung zu geben. Die Frage ist ja: Ist für den einzelnen Wehrpflichtigen oder Wehrdienenden auch sicherheitspolitisch der Maßstab, den die Verfassung uns letztlich abverlangt, erfüllt? Diese Begründung können wir bereits heute nicht mehr in dem Maße geben.

Deswegen und auch vor dem Hintergrund dessen, dass das Regenerationsargument heute nicht mehr so trägt, wie es einmal getragen hat, ist es in unserer Verantwortung, zu sagen: Wir wollen uns nicht in eine Mängelverwaltung hineinbegeben, sondern wir sehen den Auftrag, zu gestalten – im Sinne der jungen Menschen, aber auch im Sinne der Bundeswehr. Diesen Gestaltungsauftrag sollten wir annehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das heißt aber auch, dass wir uns bei einigen wichtigen Fragen, die auch im Kontext mit der Wehrpflicht zu sehen sind, nicht einfach bequem zu Hause auf die Couch legen können. Das gilt etwa für unvorhersehbare Ereignisse wie zum Beispiel Naturkatastrophen und für alles, was mit der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Zusammenhang steht. Hier müssen wir kluge Vorschläge machen. Das wird geschehen; denn diese werden wir gemeinsam mit vielen anderen ausarbeiten.

Wir brauchen einen zeitgemäß organisierten Heimatschutz. Das bleibt ungemein wichtig. Das verlangt aber auch professionell aufgestellte Streitkräfte und mehr denn je gut ausgebildete und motivierte Reservisten. Auch darauf möchte ich hinweisen. Deswegen ist es wichtig, diese entsprechend ihrer wachsenden Verantwortung in ein neues Konzept einzubinden. Ich glaube sogar, dass das ein wesentlicher Bestandteil der Neuausrichtung sein muss. Die Größenordnung jährlich ausscheidender Zeitsoldaten und ein kluges Reservistenkonzept sichern zudem auch die hinreichende Aufwuchsfähigkeit, die wir letztlich brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – All das, verbunden mit einer gewissen Attraktivität, muss Bestandteil der Neuausrichtung sein. Zugleich muss es natürlich im realistischen Einklang mit den Erfordernissen des Haushaltes stehen. Die wichtige und entscheidende Frage für uns ist aber in jedem Fall, was uns künftig die Sicherheit unseres Landes wert ist. Es darf also nicht allein um die Frage gehen, was wir uns noch leisten können. Die sicherheitspolitische Grundlage ist das Maßgebliche. Darauf aufbauend wollen wir in die Diskussionen und Debatten dieses Herbstes gehen. Ich würde mich freuen, wenn wir parteiübergreifend zu Lösungen kommen würden.

Ich bedanke mich für die Unterstützung in den letzten Wochen. Ich glaube, wir werden im Sinne unserer Truppe und im Sinne unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein erstklassiges Ergebnis finden. Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer Arnold.

Rainer Arnold (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben am Anfang Ihrer heutigen Rede einen neuen Aspekt gebracht: Sie haben anerkannt, dass Ihre Vorgänger auch schon wichtige Reformen gemacht haben. Bisher haben Sie je nach Publikum immer eher so geredet, als ob Sie derjenige wären, der das Rad erfunden hat.

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie sind ein besonderer Kleingeist! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ist das kleinkariert!)

Ich darf Ihnen vielleicht noch sagen: Jeder Fachpolitiker wusste, dass nach Erreichen der Zielstruktur des Jahres 2010 im Jahr 2011 selbstverständlich weitere Transformationsschritte anstehen.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man in den letzten vier Jahren schon machen können!)

Es gibt aber diesbezüglich einen Unterschied zu Ihren Vorgängern, Herr Minister. Alle Ihre Vorgänger haben in der Vergangenheit vor notwendigen Reformschritten sorgfältige sicherheitspolitische Analysen durchgeführt. Sie haben daraus den Auftrag für die Bundeswehr definiert und daraus die notwendige Struktur abgeleitet. Und wenn Ihre Vorgänger eine Kommission eingesetzt haben, haben sie abgewartet, bis die Kommission ihr Ergebnis vorlegte. Das war ein ganz normaler Vorgang. Sie machen etwas anderes. Sie preschen stets vor, sorgen für neue Überschriften und dadurch für eine erhebliche Verunsicherung in der Truppe.

Im Übrigen gäbe es auch im Hinblick auf die in den nächsten Wochen zu erwartende neue NATO-Strategie Grund genug, sich ein bisschen Zeit für den Prozess zu nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe manchmal die Sorge, dass Ihnen mediale Inszenierungen das Wichtigste sind. Unser Rat lautet: Sorgfalt statt Eile.

Manchmal hat man sogar den Eindruck, dass bei Ihnen sicherheitspolitische Entscheidungen tagespolitischer Opportunität geschuldet sind. Wir wissen aber, Strukturentscheidungen bei der Bundeswehr beeinflussen die internationale Handlungsfähigkeit jeder Bundesregierung, zum Beispiel auch die der nächsten Bundesregierung, die sich in diesem Haus vielleicht schon auf eine andere Mehrheit stützen wird. Entsprechende Entscheidungen in der Sicherheitspolitik sind auch nicht ohne Weiteres korrigierbar. Deshalb müssen wir den notwendigen Diskurs führen, ohne den Grundkonsens, den wir als Sozialdemokraten immer mit der Union hatten, zu gefährden.

Ich höre Ihre Ankündigung immer wieder gerne, dass Sie diesen Konsens suchen. Ich glaube daran aber erst dann, wenn ein Format gefunden ist, in dem auch wir unsere Ideen und Anregungen über zukünftige Strukturen einbringen können und diese nicht ausschließlich medial austauschen müssen. Finden Sie das Format und Sie sind in diesem Bereich glaubwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Dies gilt in allerhöchstem Maß für die zukünftige Ausgestaltung der Wehrpflicht. Noch vor wenigen Monaten haben auch Sie, Herr Minister, die Wehrpflicht für unverzichtbar gehalten und haben sich für diese These den Applaus bei vielen Soldaten abgeholt. Dann haben Sie selbst eine Verkürzung des Grundwehrdienstes auf sechs Monate unterschrieben. Damit haben Sie die Wehrpflicht ohne eine sehr grundsätzliche und notwendige Debatte im Grunde genommen schon damals zur Abschaffung freigegeben. Denn auch die Gutwilligen, die die Wehrpflicht für richtig halten, können keine sechsmonatige Grundwehrdienstzeit unterstützen, die mehr Kosten verursacht und mehr Aufwand für die Soldaten bedeutet und doch am Ende keinen Nutzen mehr mit sich bringt.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt wollen Sie die Wehrpflicht aussetzen. Niemand von uns ist bisher auf die Idee gekommen – vielleicht mit Ausnahme der Linken –, die Verfassung diesbezüglich zu verändern. Das ist also auch keine stichhaltige Argumentation.

Was ist in den letzten Wochen passiert, dass Sie plötzlich zu einer anderen Einschätzung kommen? Herr Minister, die sicherheitspolitische Bewertung verändert sich doch nicht zwischen Frühjahr 2010 und Herbst 2011. Es gibt nur eine Veränderung, nämlich den Spardruck in den Haushaltsberatungen. Es ist ganz klar: Die Wehrpflicht in der bisherigen Form steht einer, wie auch wir meinen, möglichen und auch notwendigen Verkleinerung der Bundeswehr schlicht im Wege. Deshalb ist es auch nicht Ihr Verdienst, dass es diese Debatte gibt.

Es ist auch nicht Ihr Verdienst, dass Herr Seehofer am Ende – das kennen wir von ihm – seine Meinung geändert hat. All die Damen und Herren haben gemerkt, es ist die Macht des Faktischen, dass man bei der Wehrpflicht nicht einfach so weitermachen kann wie in der Vergangenheit. Sozialdemokraten sagen dies seit drei Jahren.

Wir haben diese Entwicklung unaufhaltsam auf uns zukommen sehen. Deshalb haben wir schon damals die Idee entwickelt, dass wir, wenn es die Wehrpflicht nicht mehr gibt, junge Menschen bei der Truppe brauchen, die freiwillig ihren Grundwehrdienst leisten. Das hat nichts mit dem alten Argument zu tun, die Bundeswehr bedürfe dieser Kontrolle.

Mich hat sehr beeindruckt, was die französische Verteidigungsministerin bei uns im Verteidigungsausschuss geantwortet hat, als wir sie gefragt haben, welche Wirkung die Abschaffung der Wehrpflicht in Frankreich gehabt hat. Sie sagte sinngemäß, dass sich seither nicht die französische Armee von der Gesellschaft entfernt hat, dass sie aber beobachtet, dass sich die Gesellschaft von der Armee entfernt.

Wir alle wissen, dass die Bundesrepublik eine andere Kultur im Umgang mit dem Militärischen hat. Das ist ein sehr wichtiges Argument. Deswegen ist die Idee der Freiwilligkeit gut. Sie nähern sich jetzt in Trippelschritten unserer Idee an. Das begrüßen wir. Aber was notwendig wäre, fehlt. Sie schaffen zwar verzagt mit dem Rechenstift 7 500 Plätze für Freiwillige und begründen dies damit, dass man soundso viele Soldaten zur Nachwuchsgewinnung braucht. Trotzdem fehlt bei Ihnen der entscheidende Schritt: Es ist nicht nur ein Projekt für die Bundeswehr mit 7 500 Freiwilligen. Hinter unserer Idee steckt ein breites gesellschaftspolitisches Konzept der Stärkung und des Attraktivermachens der Freiwilligendienste für junge Menschen, sowohl materiell als auch ideell und in der gesamten gesellschaftlichen Breite.

Hierzu gibt es viele Ideen. Unser Angebot, Herr Minister, bleibt: Wir sind bereit, uns bei diesem gesellschaftlichen Projekt, um das es im Kern geht, mit unseren Ideen auch in Zukunft einzubringen. Ich weiß auch, dass wir das eine oder andere Detail, über das wir vor drei Jahren in der Sozialdemokratie diskutiert haben, heute selbstverständlich an der einen oder anderen Stelle nachjustieren müssen.

Herr Minister, wir erwarten von Ihnen mit Blick auf die Bundeswehrstruktur – das ist der nächste Punkt –, dass Sie die Sicherheitsinteressen unseres Landes ernst nehmen und dass Sie der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag ein schlüssiges Modell präsentieren, das der Verantwortung Deutschlands und den wohlverstandenen deutschen Interessen in der Welt gerecht wird. Sie liefern fünf Modelle und sagen, vier davon seien überhaupt nicht brauchbar. Aber das fünfte Modell ist ebenfalls geschönt: Weder die Flugbereitschaft noch die Sportförderung, noch die Soldaten im Ministerium sind zunächst einmal mit einbezogen.

Sie sagen: Wir haben ein Modell, das zwar knapp und auf Kante genäht ist, das aber funktionieren wird. Ich prophezeie Ihnen heute: Wenn dieses Modell in der Detailplanung vorliegt, wird die staunende Öffentlichkeit sehr schnell feststellen, welche wichtigen Fähigkeiten bei den Streitkräften nach diesem Modell nicht mehr vorhanden sind.

Herr Minister, Sie reden gerne so über sich, als ob Sie ständig Klartext redeten. Das hier wäre eine Chance, wirklich Klartext zu reden. Gehen Sie zum Finanzminister und sagen Sie ihm, die Vorgabe, 40 000 Zeit- und Berufssoldaten und 8,3 Milliarden Euro einzusparen, ist nicht erfüllbar; denn auch das von Ihnen präferierte Modell erfüllt diese Vorgabe überhaupt nicht. Klartext heißt: nicht erfüllbar. Ich könnte als Minister mein Amt nicht verantwortungsvoll ausfüllen, wenn ich zu solch einem Modell aus fiskalischer Sicht gezwungen würde. Aber Sie machen etwas ganz anderes. Sie sagen – so wie die oberfränkische Metzgersfrau – dem Parlament: „Es darf ja vielleicht ein bisschen mehr sein“, und in Wirklichkeit verstecken Sie sich hinter dem Parlament und dem Finanzminister, anstatt Ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde es schon interessant: Sie sind der populärste Politiker in Deutschland.

(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das kann man gar nicht oft genug wiederholen!)

Natürlich würde es Spaß machen, der Frage nachzugehen, woher das kommt. Kommt es von politisch qualifiziertem Handeln, oder ist es eher der medialen Inszenierung, bei der die Truppe bei Ihnen manchmal auch Staffage und Dekoration ist, geschuldet? Ich will dieser Frage nicht nachgehen. Aber eine andere Frage möchte ich Ihnen doch stellen: Was macht ein Minister, der so populär ist, eigentlich mit seiner Popularität? Wo bringt er das Gewicht, das ihm seine Popularität verschafft, auch tatsächlich zum Nutzen der Soldaten ein?

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie sind ein Neidhammel!)

Sie sind Klassenprimus, was das Sparen angeht, beim Finanzminister. Der erste Sündenfall war W6. Der zweite Sündenfall war, dass Sie, ohne einen Piep zu sagen, der Nacht-und-Nebel-Streichaktion Ihrer Haushälter zugestimmt haben, die Ihnen 456 Millionen Euro aus dem Haushalt genommen haben mit der Folge, dass sich die Soldaten jetzt wundern, dass das Geld bei den Betriebsmitteln so knapp ist.

Sie haben den dritten Sündenfall begangen, Herr Minister, indem Sie bei Ihrer so bedeutenden Hamburger Rede gesagt haben: Der höchste Parameter für die strategische Ausrichtung der Bundeswehr ist die Schuldenbremse, und der Finanzrahmen wird den strukturellen Rahmen und den eigenen Anspruch vorgeben. Das waren Ihre Worte in Hamburg. Heute reden Sie wieder ganz anders. Ich weiß nicht, was stimmt. Aber eines weiß ich: Wer dem Finanzminister – egal was für ein Parteibuch er hat – einen solchen Ball zuspielt, der darf sich nicht wundern, dass der Finanzminister diesen Ball sehr dankbar annimmt.

(Beifall bei der SPD)

Damit mich niemand falsch versteht: Auch Sozialdemokraten wissen, dass man auch bei der Bundeswehr sparen muss, dass es dort Effizienzreserven gibt, dass es Doppelungen gibt, dass es Schwächen in der Führungsstruktur gibt. Wir sind auch bereit, darüber mit Ihnen zu reden. Wir werden aber bei den Debatten in den nächsten Wochen auf ein paar Punkte in besonderer Weise achten. Auf dem Weg zu dieser neuen Struktur werden wir darauf drängen, dass die Zusagen, die Deutschland den internationalen Organisationen gegeben hat, stringent eingehalten werden. Es reicht nicht, dass Frau Merkel und Herr Westerwelle nach New York fahren, wenn die Bundeswehr nicht mehr in der Lage ist, die Zusage, 1 000 Mann für besondere Aufgaben der Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen, einzuhalten.

Wir werden einfordern, dass es nicht nur eine Debatte über die Bundeswehrstruktur und diesen vernetzten Ansatz in Sonntagsreden gibt, sondern dass wir auch einmal darüber reden, was wir eigentlich tun, nachdem wir wissen, dass internationale Krisenbewältigung nicht nur Soldaten, sondern auch viele zivile Fähigkeiten braucht. Was tut die Bundesrepublik eigentlich im Bereich der Zurverfügungstellung von Polizeifähigkeiten für internationale Krisen? All dies fehlt.

Wir werden darauf achten, dass es nicht nur eine Einsatzarmee ist, sondern dass es weiterhin glaubhafte Bausteine zur Bündnisfähigkeit gibt; denn wir haben eine europäische Vision von Streitkräften. Diese europäische Vision wird nur erreicht werden, wenn das größte und wirtschaftsstärkste Land in Europa Vertrauen bei den kleinen Partnern, vor allen Dingen in Osteuropa, findet. Nur dann, wenn die Osteuropäer wissen, die Deutschen sind bereit, mit ihrem Gewicht und ihren Möglichkeiten für die gemeinsame Sicherheit einzutreten, werden wir tatsächlich eine Chance haben, weitere Schritte hin zur Vision einer europäischen Armee zu gehen. Im Übrigen werden wir nur so die Chance erhalten, in Europa zu weiteren Abrüstungsschritten zu kommen; denn dies hat auch etwas mit Vertrauen in eigene Fähigkeiten zu tun.

Zum Ende möchte ich sagen, was bei der Bundeswehr besonders wichtig ist – eigentlich hätte ich es an den Anfang meiner Rede stellen sollen –: der Mensch. Wichtig sind nicht Technik, nicht Waffen; wichtig ist, was die Menschen leisten, ihre Motivation, ihr Verantwortungsbewusstsein, ihre Moral, ihr Verständnis vom Staatsbürger in Uniform, das Leben der Prinzipien der Inneren Führung. Dazu gehört auch: Wir werden alles verhindern, was dazu führt, dass die deutschen Soldaten strukturell bedingt länger als vier Monate in den Auslandseinsatz müssen. Dies würde sie aus ihrem sozialen Gefüge herausreißen, und zwar in einer Art und Weise, die dazu führen würde, dass wir am Ende eine andere Armee haben.

Herr Minister, Sie haben kürzlich gesagt: Schaut doch mal nach Großbritannien und Frankreich! Wir tun das seit langem. Sie haben recht: Auch diese Länder reduzieren die Streitkräfte; aber ihnen ist die Frage, wie lange Soldaten im Einsatz sind, relativ egal. Es handelt sich um Regierungsarmeen, nicht um Parlamentsarmeen; die Soldaten werden einfach weggeschickt. Da würden wir Sozialdemokraten nicht mitmachen.

Herr Minister, es bleibt wichtig – Sie selbst haben es formuliert –: Für die Soldaten ist es entscheidend, dass sie der Politik vertrauen können. Meine Sorge ist: So wie die Deutschen insgesamt das Vertrauen in die Bundesregierung verloren haben, so haben auch Sie, Herr Minister, durch das Hin und Her in den letzten Wochen und Monaten Ihren Beitrag dazu geleistet, dass das Vertrauen der Soldaten in die Politik und in die Regierung schwindet. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben von der großen Herausforderung gesprochen, vor der wir jetzt stehen. Das ist richtig. Sie haben vom Mut auch Ihrer Vorgänger gesprochen. Es gab jemanden, der besonders viel Mut hatte: Das war die Freie Demokratische Partei. Wir haben nämlich seit vielen Jahren gefordert, dass aus unserer Bundeswehr eine Freiwilligenarmee wird.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das macht es nicht besser!)

Wir haben uns das nicht leicht gemacht; wir haben sogar einen Sonderparteitag veranstaltet und unter den Mitgliedern darüber abgestimmt. Das war ein schwieriger Weg.

Herr Minister, insofern habe ich Verständnis dafür, wenn es bei Ihnen in der Fraktion, bei CDU und CSU, Stimmen gibt, die sich für die Beibehaltung der Wehrpflicht aussprechen. Man muss natürlich sagen: Wer für die Wehrpflicht ist, müsste sich für eine Wehrpflicht aussprechen, die nicht 6 oder 9 Monate dauert, sondern 18 Monate oder länger; denn dann macht sie Sinn. Das will aber keiner mehr. Respekt, dass Sie die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU überzeugt haben! Vielleicht können Sie mir bei Gelegenheit sagen, wie Sie es geschafft haben, Herrn Seehofer zu überzeugen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

Aber alle Achtung: Sie haben es geschafft! Dafür Respekt und Anerkennung!

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müsste er Herrn Rösler sagen und nicht Herrn Koppelin!)

Nun kommt der Kollege Arnold und beklagt sich. Dazu muss ich sagen: Ich hätte gerne gehört – die Öffentlichkeit wäre sehr interessiert gewesen –, wie die Alternative der Sozialdemokraten aussieht. Sie kommen dann und sagen – da wird es nebelig –: Wir Sozialdemokraten haben vor drei Jahren etwas beschlossen. Warum haben Sie es nicht früher umgesetzt?

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir uns damals auch gefragt!)

Sie haben doch regiert.

(Rainer Arnold [SPD]: Weil die CDU nicht mitgemacht hat!)

– Nein, nein. Sie waren doch vorher in einer Koalition mit den Grünen. Die Grünen waren zumindest für die Aussetzung der Wehrpflicht oder gar für ihre Abschaffung. Da haben Sie sich doch stur geweigert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun kommen Sie und werfen uns vor, es gäbe noch keine Ergebnisse von irgendeiner Kommission. Sie sitzen schon seit ein paar Jahren im Verteidigungsausschuss. Ich habe auch im Verteidigungsausschuss angefangen.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Jetzt wird einiges klar!)

Da müssten Sie eigentlich die Ergebnisse der Unabhängigen Kommission kennen, die auf Wunsch der Freien Demokraten eingesetzt wurde. Das Ergebnis war damals: Sollte jedoch die Reduzierung der Streitkräfte auf unter 370 000 erforderlich werden, stellt sich die Frage der Wehrform neu. Die Option Freiwilligenarmee sollte dann ernsthaft geprüft werden.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es denen wöchentlich vorgehalten! Die brauchen etwas länger!)

Das kannten Sie doch. Sie waren in der Regierung und hätten es machen können.

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Von 1991 bis 1998 wart ihr doch dran!)

Ich könnte weitere Zitate anbringen. Sie haben nichts getan und sich stur geweigert. Sie waren zu Reformen nicht bereit.

Ich sage das, weil etwas Ähnliches vorhin bei der Diskussion über den Bereich des Auswärtigen eine Rolle spielte. Der Kollege Kindler hat gesagt: Wir als Grüne haben uns nicht durchsetzen können.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das war auch gut so!)

Rot-Grün ist ja eine tolle Alternative, wenn sich die Grünen nicht durchsetzen können. Sie haben sich bei der Freiwilligenarmee nicht durchsetzen können; Sie haben sich auch bei anderen Punkten nicht durchsetzen können.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, weil Sie ja alles kriegen, was Sie wollen! Sie haben Ihre Steuersenkung bekommen! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

– Dazu kann ich Ihnen gerne etwas bei der Abschlussrunde am Freitag sagen.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da freue ich mich sehr drauf!)

Zu einem anderen Punkt. Wenn Sie mich schon ansprechen: Was habe ich denn von den Grünen in diesen Tagen gelesen? Die großen Beschaffungsmaßnahmen müssten auf den Prüfstand.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Das finde ich wunderbar. Wissen Sie, was wir abarbeiten? Wir arbeiten die großen Beschaffungsmaßnahmen ab, die uns Rot und Grün eingebrockt haben und die Milliarden kosten. MEADS wurde von Ihnen beschlossen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn den Eurofighter bestellt?)

– Herr Kollege Bonde, ich lege Ihnen gerne die Anträge vor: Der Deutsche Bundestag hat mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP die Bestellung von 90 Transportflugzeugen A400M beschlossen.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Regierung hat sich wieder erpressen lassen um Millionen!)

Herr Struck hat die Zahl auf 60 gesenkt. Wir mussten sogar vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, weil Sie das am Parlament vorbei machen wollten. Wir haben gegen den damaligen Verteidigungsminister obsiegt. Der Bundesrechnungshof hat damals schon gesagt: 40 reichen. – Was ist mit den anderen? Was ist mit Herkules? Das war ein Milliardengrab. Das Ergebnis war null. Wer hat das damals beschlossen? Wir haben es nicht beschlossen. Sie haben es beschlossen, Rot und Grün. Sie haben Milliarden in den Sand gesetzt, die der Bundeswehr gefehlt haben.

(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Genau!)

Kollege Arnold, Sie sprechen davon, dass wir bei den letzten Haushaltsberatungen Streichungen vorgenommen haben. Wissen Sie, wann die größte Streichorgie stattgefunden hat? Das war, als der sozialdemokratische Finanzminister entgegen dem Wahlversprechen die Mehrwertsteuer angehoben hat. Das hat die Bundeswehr 700 Millionen gekostet.

(Rainer Arnold [SPD]: Sagen Sie doch mal, ob Sie MEADS stoppen oder ob es weitergeht! Ganz konkret!)

Das war die größte Streichaktion. Ich finde, Herr Kollege Arnold, Sie haben die Chance verpasst. Es gibt nämlich bei der Bundeswehr große Probleme, die wir lösen müssen. Ich greife eines heraus: das Sanitätswesen. Das bereitet mir große Sorgen. Nachdem ich Anfragen an das Verteidigungsministerium gestellt habe, muss ich feststellen, dass uns eine Vielzahl, mehrere Hundert, Sanitätsoffiziere fehlen, die in kürzester Zeit den Dienst quittiert haben. Mitarbeiter der vier Bundeswehrkrankenhäuser haben 40 000 Überstunden angesammelt.

Ich könnte diese Liste fortsetzen. Wir müssen uns in den Haushaltsberatungen dieser Sache annehmen. Das kann so nicht mehr weitergehen. Wir sind es unseren Soldaten schuldig, dass wir uns darum kümmern.

(Abg. Johannes Kahrs [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Herr Kollege Kahrs darf das, weil er heute Geburtstag hat und ich ihm herzlich gratuliere.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kahrs, bitte sehr.

Johannes Kahrs (SPD):

Ich danke für das erteilte Wort. – Wenn das alles so tragisch ist, dann frage ich mich, warum du alleine, auch gegen die CDU/CSU, die Kürzung in Höhe von 450 Millionen Euro beim diesjährigen Etat der Bundeswehr durchgesetzt hast; denn das Geld fehlt doch jetzt.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):

Das will ich gerne beantworten. Wir haben in den Bereichen Kürzungen vorgenommen, in denen wir festgestellt haben, dass im Etat zuvor die Mittel nicht abgeflossen sind. Ich bin für Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit; das heißt, wenn das Verteidigungsministerium meint, dass die Mittel knapp sind, dann muss man mit uns darüber reden. Ich könnte viele Beispiele nennen, das erlaubt mir die Zeit aber nicht; denn die Uhr läuft.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich weiß.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):

Aber ich erkläre dir das gerne. Du bist ja Experte im Bereich des Haushalts des Verteidigungsministeriums, wie man allgemein weiß und auch in der Zeitung lesen kann.

(Heiterkeit)

Wenn die Mittel nicht abfließen und ich als Haushälter weiß, dass sie auch in diesem Jahr nicht abfließen werden, dann kann ich die Kosten reduzieren. Wir haben auch Steigerungen vorgenommen. Ich zeige es dir gern. Ich weiß, dass du auch in den letzten Haushaltsberatungen diese Frage immer gestellt hast. Sie wird dadurch aber nicht besser.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Johannes Kahrs (SPD):

Deine Antwort auch nicht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):

Es gibt einen weiteren Bereich, den uns auch Rot- Grün eingebrockt hat. Herr Arnold, dabei handelt es sich um das Gesetz, das Sie beschlossen haben, nämlich zum Liegenschaftsmanagement. Man stelle sich einmal vor – es muss umgesetzt werden, weil das Gesetz seit 2005 gültig ist –: Die BImA bekommt plötzlich die Verantwortung für sämtliche Gebäude des Verteidigungsministeriums; das sind Kasernen usw. Dort hat man gar nicht das Personal für eine solche Aufgabe. Wir müssen versuchen, das zu lösen. Es wird eine riesige Menge Geld kosten, ohne dass es Sinn macht. Auch das hat uns Rot und Grün eingebrockt. Das arbeiten wir jetzt alles ab. Wir müssen sehen, wie wir das hinbekommen. Sie können sich im Verteidigungsausschuss gerne damit beschäftigen. Es ist klar – ich wiederhole: auch wir sind dabei –: Die großen Beschaffungsmaßnahmen kommen auf den Prüfstand. MEADS muss beendet werden.

(Elke Hoff [FDP]: Jawohl!)

Große Sorgen machen uns auch andere Themen wie NH-90. Herr Minister, was Transportflugzeuge angeht: Ich mahne an, dass wir endlich ein Ergebnis vorgelegt bekommen. Es war für Mitte des Jahres angekündigt worden, es wird also langsam Zeit. Es liegt nicht an Ihnen allein. Sie haben Partner; aber ich denke, wir sollten endlich wissen, wohin die Reise gehen soll.

Zum Abschluss. Ich habe in diesen Tagen das Buch einer Soldatin gelesen, das sie über ihren Einsatz im Ausland geschrieben hat. Das hat mich sehr bewegt. Ich möchte daraus zitieren. Sie schreibt:

Viele Menschen denken nicht darüber nach, dass diese jungen Kameraden ihr Leben für die Bundesrepublik Deutschland riskieren. Die Mehrheit denkt, die Soldaten gingen für das viele Geld in den Einsatz. Den Soldaten fehlt einfach eine Lobby.

Ich sage hiermit zu – ich glaube, das für den gesamten Deutschen Bundestag tun zu können; bei den Linken weiß ich das nicht genau –: Wir werden ihre Lobbyisten sein. Wir werden uns um die Soldatinnen und Soldaten kümmern. Das muss ein Schwerpunkt unserer Politik sein. Wenn das Parlament Soldaten zum Einsatz ins Ausland schickt, dann müssen wir – schließlich ist es eine Parlamentsarmee – die Lobbyisten sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist folgerichtig, dass wir hier nicht über einzelne Etatposten im Einzelplan reden, sondern über die geplante Reform der Streitkräfte, also über die Zukunft der Bundeswehr – nicht mehr und nicht weniger.

Fragt man die Leute, so sagen 82 Prozent, bei der Rüstung könnte und sollte angesichts der Haushaltsschwierigkeiten gespart werden. Eine seit langem stabile Mehrheit von deutlich über 60 Prozent erklärt, dass die Bundeswehr schnellstens aus Afghanistan abgezogen werden müsste. Ja, so klug sind die Leute.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es auch interessant, dass die neueste Shell- Jugendstudie herausgefunden hat, dass die Mehrheit der Jugendlichen, die befragt worden sind – das ist ein großer Unterschied zu früher –, gegen die Auslandseinsätze ist. Auch hier hat sich etwas verändert.

(Elke Hoff [FDP]: Wir reden über den Haushalt, nicht über Mandatsverlängerungen!)

Dass die Mehrheit der Bevölkerung bei den Rüstungsausgaben kürzen will, zeigt, dass sich diese Mehrheit nicht mehr einer akuten Gefahr ausgesetzt sieht. Anders kann man das nicht erklären. Das deckt sich auch mit Ihrer sicherheitspolitischen Aussage: Deutschland ist auf absehbare Zeit nicht militärisch bedroht. Unter dieser Voraussetzung sagt die überwältigende Mehrheit, dass wir uns einen Wehretat von mehr als 34 Milliarden Euro nach NATO-Kriterien nicht länger leisten können und wir das Geld an anderer Stelle dringender benötigen. Auch das sagen die Leute deutlich. Für mehr Kita-Plätze, für eine vernünftige soziale Grundsicherung und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs soll das Geld ausgegeben werden, sagt die Mehrheit der Bevölkerung, und das ist vernünftig.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mehrheit für den Abzug aus Afghanistan ist damit zu erklären, dass die Leute sehen, dass dort etwas grundsätzlich schiefgelaufen ist. Sie wollen nicht, dass wir und nicht zuletzt unsere Soldatinnen und Soldaten immer tiefer in den Morast eines Krieges gezogen werden, der nicht zu gewinnen ist.

Ich finde, beides sind vernünftige Positionen. Das ist eine Messlatte für die Bundeswehrplanung, für die Reform der Streitkräfte. Rüsten Sie kräftig ab, oder tun Sie es nicht? Beenden Sie diese militärischen Abenteuer oder nicht? Das sind die Grundfragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns geht es in dieser Debatte tatsächlich darum: Soll nur das Bestehende effektiviert und optimiert werden, oder soll eine neue Grundrichtung eingeschlagen werden? Die Linke will, dass es eine andere Sicherheitspolitik gibt, die darauf setzt, dass wir uns an keinen Kriegen in der Welt beteiligen, dass wir uns NATO-Militärinterventionen verweigern, dass wir Ernst machen mit Konzepten ziviler Krisenvorbeugung und wir durch Abrüstung viel Geld für zivile Krisenvorbeugung und -bewältigung umschichten können.

Wir sind der Meinung, dass die drängenden sicherheitspolitischen Fragen, mit denen wir zu tun haben, ob es sich um die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Hilfe für sogenannte auseinanderfallende Staaten oder um die postfossile Energieversorgung oder den Terrorismus handelt, mit zivilen, friedlichen Mitteln bearbeitet werden müssen. Das leiten wir daraus ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wir sagen: Deutschland soll eine bestimmte Rolle spielen. Bei Abrüstung, gerechter Entwicklungszusammenarbeit, Energiewende, mehr humanitärer Hilfe, die jetzt zum Beispiel in Pakistan dringend notwendig ist, oder rechtsstaatlicher Kooperation kann sich Deutschland hervortun, aber nicht mit Spezialkräften, Einsatzbataillonen und Kampfhubschraubern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist unsere Grundposition.

Sie sagen wiederholt selbst: Eigentlich ist die dringende Aufgabe der Zukunft die Prävention, die Vorbeugung, also die Gewaltvermeidung. – Nur tun Sie das Gegenteil. Sie stellen sich mit Ihrer Bundeswehrreform auf das Gegenteil ein. Sie wollen die Bundeswehr als globales Expeditionskorps effektivieren und optimieren. Sie sagen: Es geht nicht um ein Expeditionskorps. – Im Kern geht es aber darum. Die Truppen sollen schneller an jeden beliebigen Ort verlegt werden können, dort länger durchhalten und schlagkräftiger werden, wobei ich mir jetzt die Bemerkung schenke, was „schlagkräftiger“ in diesem Zusammenhang bedeutet. Wenn dann bei diesem Umfeld noch hinzugefügt wird, man müsse das Militär künftig auch mehr für die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen einsetzen, dann wird es brandgefährlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ob Sie dann noch – wenn das Ihre Richtung ist – zum rigorosen Sparen bereit sind – ob Sie es durchsetzen können, steht auf einem anderen Blatt –, weiß ich nicht. Ich weiß: Sie wollen durch Personalabbau und die Aussetzung der Wehrpflicht in der Tat Kosten reduzieren.

Vielleicht schaffen Sie es sogar, die Gesamtsumme des Rüstungshaushaltes vorübergehend etwas zu drücken; ich komme am Schluss meiner Rede noch einmal darauf. Aber wenn Sie 10 000 statt wie bisher 7 000 Soldaten für Dauereinsätze einplanen, dann ist das mehr als eine theoretische Möglichkeit oder eine rein abstrakte Planungsvorgabe. Das kann morgen Realität werden. Wenn Sie an diesem Kurs „Interventionsarmee weltweit“ mit einem möglichst breiten Fähigkeitsspektrum und breit angelegten Einsatzoptionen festhalten, dann reden wir in naher Zukunft nicht über Abspecken oder Gesundschrumpfen, sondern leider wieder über neue Aufrüstung, neue Rüstungslasten. Dafür muss man, glaube ich, kein Prophet sein.

Leider marschiert nicht nur die Bundesregierung in die falsche Richtung, auch die vormaligen Regierungsparteien bewegen sich in diesem Mainstream, und wenn es darauf ankommt, schleichen sie lieber um den heißen Brei herum. Die Grünen haben Afghanistan fest im Blick und wollen vom Einsatz her denken. Da bleibt nicht mehr viel Kritik. Die SPD wirft der Regierung vor, diese verordne der Truppe ein Spardiktat, das in diesem Maße nicht gerechtfertigt sei. Nach dem Motto – Sie, lieber Kollege Arnold, haben es an anderer Adresse erwähnt – „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ wollen Sie beim Personalumfang und bei den Rüstungsausgaben den Minister Guttenberg noch toppen und ihn dazu bringen, wieder etwas draufzupacken. An der Musterung wollen Sie sogar festhalten. Ich sehe mich in einer verkehrten Welt. Wo aber wollen Sie eigentlich hin?

(Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie das!)

Ich finde, es wird Zeit, dass sich die Parteien, die uns den Militärinterventionismus mit dem Sündenfall Kosovo eingebrockt haben, neu besinnen und auf eine Beendigung der NATO-Militäreinsätze drängen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Linke besteht kein Zweifel: Deutschland braucht eine andere, eine friedlichere Außen- und Sicherheitspolitik. Wir schlagen dazu Folgendes vor.

Erstens. Keine deutsche Beteiligung an Auslandskriegseinsätzen. Gerade Afghanistan hat gezeigt, wie schwer oder unmöglich es ist, wenn man erst einmal in der Gewaltspirale ist, dort wieder herauszukommen. Wenn man sich auf so etwas einstellen will, heißt das: Es werden enorme Ressourcen verschlungen, für U-Boote, Fregatten oder Langstreckenflugzeuge, die wir uns sparen sollten.

Zweitens. Tiefgreifende Abrüstung ohne Sicherheitseinbußen ist möglich. Das muss jetzt energisch vorangebracht werden. Die Bundeswehrführung hat es gerade noch einmal bestätigt: Eine unmittelbare Bedrohungslage existiert nicht. Daher ist eine erhebliche Verkleinerung der Bundeswehr, ist der Verzicht auf eine Reihe von Waffensystemen ohne Sicherheitseinbußen möglich. Dadurch werden sogar Mittel frei für eine Außen- und Sicherheitspolitik mit friedlichen und zivilen Instrumenten, die eine tragfähige Entwicklung in anderen Regionen der Welt ermöglichen und damit unter dem Strich unsere Sicherheit erhöhen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die atomare Abrüstung – das sagen alle – steht mehr denn je auf der Tagesordnung. Leisten wir doch unseren Beitrag zu Global Zero, indem wir mit der Null hier in Deutschland anfangen und die nukleare Teilhabe endlich auf den Müllhaufen der Geschichte werfen! Das wäre nötig.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann kann man auch das Luftgeschwader der Bundeswehr, das diese Terrorwaffen ans Ziel bringen soll, auflösen.

Drittens. Das Grundgesetz stellt fest, dass der Bund Streitkräfte zum Zweck der Verteidigung aufstellt. Wir wollen, dass man sich auf die Landesverteidigung im Bündnis konzentriert. Wenn wir Verteidigung sagen, dann meinen wir das auch so. Deutschland benötigt demzufolge keine Führungskommandos für schnelle Eingreiftruppen, genauso wenig wie geheime KSK-Operationen im Ausland. Meine Meinung zumindest ist, dass Multinationalität der Streitkräfte gut ist, aber nicht, wenn diese Einheiten für Interventionen in anderen Staaten konzipiert sind. NATO-Response-Force und EU-Battle- Groups können unseres Erachtens aufgelöst werden. Wir sollten uns nicht länger daran beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Aufhebung der Wehrpflicht. Das erklärt sich von selbst. Die Zahlen, die der Herr Minister so beeindruckend vorgetragen hat, sind hier schon dutzendmal erwähnt worden. Es ist darauf gedrängt worden, endlich mit diesem Anachronismus Schluss zu machen. Aber Sie hatten sich hier verhakt. Dieser Zwangsdienst muss ein Ende haben, und zwar nicht irgendwann, sondern sofort.

(Beifall bei der LINKEN)

Fünftens. Wir möchten alles, nur keine reine Berufsarmee, sondern eine Bundeswehr, die im Kern eine Freiwilligenarmee ist. Die Soldaten auf Zeit, die dann in das bürgerlich-zivile Leben übergehen und schon in ihrer Militärdienstzeit darauf vorbereitet werden, sollten das Rückgrat der Truppe bilden.

Ansonsten ist alles, was Zivilität in den Streitkräften bewahrt und weiterentwickelt, zu verteidigen und auszubauen. Das beginnt bei der zivilen Wehrverwaltung, reicht über zivile Anteile bei der Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten und endet bei der Revitalisierung des Prinzips des Staatsbürgers in Uniform.

Sechstens. Wir wollen einen sozial verträglichen Umbau und Konversionsprogramme, mit denen dieser Umbau organisiert wird; denn diese Umstellung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das wissen wir auch. Personalkürzungen, Standortschließungen und die Beendigung von Rüstungsprogrammen müssen gut vorbereitet werden. Deshalb brauchen wir jetzt Überlegungen für Konversionsprogramme.

Meine Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir eine Schlussbemerkung. Ihre Absichten, bei den großen und überdimensionierten Beschaffungsprogrammen jetzt auf die Bremse zu treten, Herr Minister, sind wenig glaubhaft. Es erscheint mir sehr kühn, dass ausgerechnet Sie, genauer gesagt: dass ausgerechnet die Hauptlobbyparteien, die derzeit die Regierung bilden, jetzt die Rüstungswirtschaft in die Schranken weisen. Das ist in meinen Augen Fantasy pur. Ich traue Ihnen einiges, ja sogar vieles zu, lieber Herr zu Guttenberg, aber das traue ich Ihnen nicht zu.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie über Priorisierung reden, sollten wir festhalten, dass allein für drei Waffensysteme – A400M, Puma und Eurofighter – in den nächsten vier Jahren mehr als 8 Milliarden Euro verplant sind. Daher kann es nach unserer Auffassung nicht darum gehen, Vorhaben zu strecken, zu modifizieren oder zu schieben. Vielmehr brauchen wir bei diesen Großprojekten einen hundertprozentigen Ausgabenstopp. Die Zeit der Alimentierung der deutschen Rüstungsindustrie muss endlich vorbei sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Alexander Bonde.

Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vergangenen Auseinandersetzungen über den Bundeswehretat haben wir noch gut in Erinnerung. Sie fanden zu Beginn dieses Jahres statt. Schon damals habe ich darauf hingewiesen, dass es eine Verschwendung ist, knappe Ressourcen fortdauernd in sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründende Strukturen zu stecken. Außerdem haben wir Grüne darauf hingewiesen, dass der Erhalt des Grundwehrdienstes zu einem erheblichen finanziellen Mehrbedarf führt, der nicht mit einem sicherheitspolitischen Mehrwert verbunden ist.

Das Neue an dieser Debatte ist, dass diese zwei Sätze nicht mehr von mir stammen, sondern vom Generalinspekteur, und keine wütenden Proteste der Union und der FDP mehr hervorrufen, sondern Teil dessen sind, was Sie uns heute als neue Erkenntnisse vorgestellt haben. Die spannende Frage ist, woraus diese Wende resultiert.

Das werden wir heute nicht erörtern. Wir können Ihnen aber sagen: Wir sind froh, dass Sie sich endlich aus der Verweigerungshaltung herausbegeben und erkannt haben, dass sich auch die Bundeswehr der Frage eines effizienten Mitteleinsatzes stellt und stellen muss. Wir sind dabei an einem spannenden Punkt, weil Sie über die Ankündigung bisher noch nicht hinaus sind. Sie haben heute ein Modell vorgestellt – mit 163 500 Soldaten – und sind gleich wieder zurückgerudert mit der Ansage: Es dürfen auch gerne noch mehr werden. – Im Verteidigungsausschuss haben wir einen Wettbewerb von CDU und SPD erlebt hinsichtlich der Frage, wie viel mehr es noch werden dürfen. Ich bin gespannt, ob Sie in diesem Wettbewerb der Volksparteien zum Schluss wirklich noch etwas reduzieren, wenn es Ihnen darum zu gehen scheint: Wer bietet eigentlich mehr Soldatinnen und Soldaten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen auch, dass Sie bei der Effizienz noch nicht da angekommen sind, wo Sie anzukommen versprochen haben. Sie haben den Verteidigungsetat jetzt der Sparfrage unterworfen. Sie haben angekündigt – das bringt der Finanzplan zum Ausdruck, den wir heute mit beraten –, dass Sie bis 2014 in der Lage sein werden, dem Finanzminister 4,7 Milliarden Euro an Einsparungen im Jahr zu liefern.

Ihr Sparbeitrag für dieses Jahr ist, dass Sie laut Haushalt 1 Milliarde Euro mehr brauchen. Selbst Ihr optimistischstes Modell lässt im Jahr 2014 eine Lücke von 2,7 Milliarden Euro. Das lässt einen aufhorchen, wenn gleichzeitig ein Überbietungswettbewerb stattfindet. Insofern ist die Nagelprobe für den Heeresreformer zu Guttenberg nicht das Ankündigen, sondern das Umsetzen. Wenn es in die richtige Richtung läuft, haben Sie uns kritisch an Ihrer Seite. Wir passen aber auf, weil die Reform bisher ein Papiertiger ist, dessen Sprungweite noch zu definieren ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen wissen, wie weit Sie gehen. Es gibt in dieser Debatte ja bizarre Situationen. Sie haben endlich eingesehen: Bei der Wehrpflicht muss etwas passieren.

Nach langem Festhalten am Musterungsprozess haben Sie jetzt sogar verstanden, dass auch die Musterung fallen muss, weil es keinen Sinn macht, 5 000 Leute in Kreiswehrersatzämtern vorzuhalten, die keine Funktion mehr haben.

In dieser Frage ist übrigens die Haltung der SPD interessant. Ich habe heute Morgen gelesen, dass der Kollege Bartels gesagt hat, auch bei Aussetzung der Wehrpflicht brauche man die Musterung, um Kontakt zu potenziell Freiwilligen zu haben.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Arnold [SPD]: Lesen Sie den nächsten Satz auch!)

Ich weiß nicht, welchen Kontakt Sie bei der Musterung hatten. Ich kann nur sagen: Das Kommando „Hinter die Wand und jetzt bitte husten!“ hat die Bundeswehr für mich nicht attraktiver gemacht, Kollege Bartels.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Aber geschenkt.

Die entscheidende Frage ist: Kommt die Reform jetzt tatsächlich auf den Weg? Sie haben sicherheitspolitisch einen weiten Weg zurückgelegt, den Sie strukturell noch nicht unterfüttert haben. Eine Nagelprobe wird sein, wie Sie mit den Rüstungsbeschaffungen umgehen, die schon heute nicht mehr in die Finanzlinie zu bekommen sind.

Vor der großen Kehrtwende – bevor Sie die Blockadehaltung Ihres Vorgängers beendet haben, der in Sachen Wehrreform überhaupt nichts zustande gebracht hat bzw. zustande bringen wollte – haben Sie Ihre Unterschrift noch unter richtig große Kostenblöcke gesetzt: dritte Tranche Eurofighter und A400M. Massive Kostensteigerungen haben Sie einfach in Kauf genommen, auf die Strafzahlungen der Industrie verzichtet und die Chance nicht genutzt, in Neuverhandlungen zumindest eine massive Reduzierung, wenn nicht die Einstellung dieses Projekts, von dem keiner weiß, ob es jemals funktioniert, zu erreichen. Die Strategie „Erst bei den Kosten auf das Gaspedal treten, um hinterher die Bremse anzukündigen“ ruft schon die eine oder andere Frage nach Ihrem sicherheitspolitischen Führerschein hervor, Herr Minister.

Sie haben jetzt Zeit, diese Fragen zu beantworten. Wir verstehen, dass Ihr Konzept einige Parteitage durchlaufen muss. Wir verstehen nicht, dass Sie uns heute nicht sagen, wo Sie die globale Minderausgabe in Höhe von 800 Millionen Euro in Ihrem Haushalt aufbringen wollen. Aber das werden Sie uns bestimmt noch verraten. Ab sofort gilt: Gemessen werden Sie nicht an einem „Top Gun“-Bild auf Seite eins der Bild-Zeitung, sondern daran, welche konkrete sicherheitspolitische Veränderung Sie am Ende liefern.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Ernst-Reinhard Beck für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Arnold hat etwas sehr Richtiges und Wichtiges gesagt. Er hat gesagt: Im Mittelpunkt steht bei all unseren Überlegungen der Mensch. – Insofern gilt mein erster Dank denen, die in der Bundeswehr treu ihren Dienst leisten, den Soldaten in den Einsatzgebieten und zu Hause und auch den zivilen Beschäftigten. Herr Kollege Arnold, wenn dies Ihr Maßstab ist, kann ich nicht verstehen – das hat mir weniger gefallen, als ich es in den Zeitungen gelesen habe –, dass Sie mit Blick auf Oberst Klein und nach all dem, was geschehen ist, noch nachtreten und ihn in einer Art und Weise behandeln, die er nicht verdient hat. Das muss ich Ihnen an dieser Stelle sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsberatung zeigt, dass wir eine wichtige Weichenstellung vornehmen. Dem großen Umformungs- und Strukturveränderungsprozess unserer Streitkräfte müssen wir den notwendigen finanziellen Rückhalt geben.

Herr Kollege Arnold, Sie haben gesagt, dass jetzt verschiedene Modelle vorgestellt werden, und dem Minister vorgeworfen, es ginge ständig hin und her. Das ist nicht ganz schlüssig. Denn der Minister hat im Grunde eine sehr stringente sicherheitspolitische Analyse vorgenommen und sich daraufhin gefragt – das ist die entscheidende Frage –: Was ist im Hinblick auf die Abwehr von Gefahr für unser Land notwendig, und welches sind die Fähigkeiten, die unsere Streitkräfte vorhalten müssen? Damit ist die Reihenfolge klar: Es geht um den Schutz des eigenen Landes, Deutschlands und seiner Bürger, die Bündnisverteidigung und die internationalen Verpflichtungen, die wir in NATO, EU und UN übernommen haben.

Damit haben wir ein breites Spektrum an Fähigkeiten vorzuhalten. Deshalb ist es völlig legitim und auch notwendig, einmal nachzufragen: Können wir mit der vorhandenen Struktur all diese Aufgaben so erfüllen, wie es notwendig ist?

Ich fand das Vorgehen richtig, eine Defizitanalyse durchzuführen und zu sagen, wo bestimmte Veränderungen notwendig sind. Es ist doch jedem einsichtig, dass bei 250 000 Soldaten Truppenstärke eine Zahl von 7 500 oder vielleicht auch 9 000 Soldaten – so viele hatten wir ja schon einmal im Einsatz –, wenn man die Einsatzorientierung sicherstellen will

(Rainer Arnold [SPD]: 11 000 hatten wir schon!)

– 11 000 auch, Herr Kollege Arnold –, im Hinblick auf die Effizienz zu gering ist. Ich glaube, darüber besteht Einigkeit in diesem Haus.

Wenn man dann in einem weiteren Schritt fragt, welche Strukturen notwendig sind und was man dafür braucht, um die Sicherheit auch auf mittlere und längere Sicht zu garantieren, dann kommt die Sprache auf die Wehrform. Ich sage ganz ehrlich, dass ich hier mit einer gewissen Wehmut stehe. Durch die Wehrpflicht wurde die Sicherheit unseres Landes über viele Jahrzehnte hinweg, in der gesamten Zeit des Kalten Krieges, garantiert.

Im Grunde wurden durch sie auch Leistungen erbracht, die für die Integration der Streitkräfte in demokratische Strukturen unschätzbar sind. In der heutigen Zeit hört man manchmal, vor allem vonseiten der Linken, die Wehrpflicht sei im Grunde ein Instrument der Militarisierung. Nein, die Wehrpflicht war in der Geschichte der Bundesrepublik ein wichtiges Instrument zur Einbettung des Militärs in demokratische Strukturen, und dafür sollten wir dankbar sein. Dank verdienen auch all die, die der Wehrpflicht nachgekommen sind und als Reservisten über die ganze Zeit ihren Dienst geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Dann dürft ihr sie jetzt aber nicht abschaffen!)

– Lieber Kollege Kahrs, das enthebt uns ja nicht der Überprüfung, ob die Wehrpflicht angesichts der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen noch die richtige Wehrform ist.

Ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass man bestimmte Elemente übernimmt. Wenn man die sicherheitspolitische Analyse, die die Bundesregierung durchführt, aber ernst nimmt, dann sieht man, dass die sicherheitspolitische Begründung dafür nicht mehr gegeben ist. Die Panzerarmeen des Warschauer Paktes haben sich Gott sei Dank aufgelöst. Wir brauchen keine entsprechende Anzahl Soldaten mehr, um die Wehrgerechtigkeit annähernd zu erreichen. Das ist aber auch das Problem, das es zu lösen gilt. Wenn die sicherheitspolitische Begründung nicht mehr vorhanden ist, dann stellt sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit – Stichwort: Wehrgerechtigkeit. Dass diese Situation nicht neu ist, ist jedem hier klar. Im Grunde hätte bereits der Schritt von 375 000 auf 250 000 Soldaten, der eine drastische Reduzierung der Anzahl der eingezogenen Wehrpflichtigen bedeutet hat, zu solchen Überlegungen führen müssen; aber ich glaube, der Blick sollte nach vorne gerichtet sein.

Der Blick ist richtig nach vorne gerichtet, wenn ich sage: Die staatspolitische Begründung der Wehrpflicht kann natürlich auch über die „Pflicht“ hinaus Wirkung entfalten. In dem Augenblick, in dem gesagt wird: „Tu etwas für die Gemeinschaft, leiste etwas für dein Land“ und man diesen Impetus durch die Neugestaltung der Freiwilligendienste erreicht – Herr Kollege Arnold, Sie haben ja zu Recht ausgeführt, dass wir nicht nur für den Wehrdienst, sondern auch für die anderen Dienste in dieser Gesellschaft zu einer Freiwilligkeit finden müssen –, sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage ganz eindeutig: Der Staatsbürger in Uniform war sicher ein wichtiges und notwendiges Element. Ein Stück weit nehmen wir davon Abschied; der Staatsbürger als Soldat ist mit diesem Einschnitt im Grunde Vergangenheit. Das heißt aber nicht, dass die Soldaten nicht weiter Staatsbürger sind und ihre staatsbürgerlichen Rechte nicht in Anspruch nehmen. Was wir alle gemeinsam verfolgen sollten, ist, dass das Prinzip der Inneren Führung, das unsere Armee im Vergleich zu vielen anderen Armeen dieser Welt auszeichnet, innerhalb der neuen Struktur neu definiert wird. Es kann uns nicht gleichgültig sein, wer den Nachwuchs stellt und welcher Geist in dieser neuen Bundeswehr herrscht. Ich habe überhaupt keine Bedenken, dass dies ein guter Geist sein wird, getragen von der Inneren Führung und vom Leitbild des Staatsbürgers in Uniform.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kahrs?

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):

Aber gerne.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kahrs, bitte.

Johannes Kahrs (SPD):

Herr Kollege Beck, ich habe in den letzten Jahren gemeinsam mit Ihnen für die Wehrpflicht gestritten. Das haben wir gut hinbekommen, egal ob Rot-Grün oder die Große Koalition in diesem Land regiert hat. Wie man das, was Sie machen, bewertet – geschenkt. Die Probleme, die Sie deswegen in Ihrer Partei und mit Ihren Wählern haben, müssen Sie selber aushalten. Aber wenn Sie sagen, dass der Staatsbürger in Uniform mit der Abschaffung der Wehrpflicht nicht mehr Realität sei, dann frage ich mich allen Ernstes, wo die Union gelandet ist. Staatsbürger in Uniform sind auch der Zeitsoldat und der Berufssoldat. Deswegen können Sie sich doch nicht hier hinstellen und sagen – bei aller Freundschaft und aller Sympathie –, wenn die Wehrpflicht weg sei, seien die Zeit- und Berufssoldaten nicht mehr Staatsbürger in Uniform. Dann weiß ich überhaupt nicht mehr, wohin die Union will.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):

Lieber Kollege Kahrs, ich habe nicht behauptet und werde nicht sagen, dass wir uns vom Bild des Staatsbürgers in Uniform verabschiedet haben. Natürlich sind unsere Zeit- und Berufssoldaten – und sie waren es immer – Staatsbürger in Uniform und Teil unserer Parlamentsarmee. Aber Sie müssen mir doch zugestehen, dass ich sage, dass wir, wenn man von der Pflicht zur Freiwilligkeit übergeht, von dem Leitbild, dass jeder Bürger dieses Landes ein geborener Verteidiger desselben ist – das ist ein Zitat von Scharnhorst –, ein Stück weit Abschied nehmen. Deshalb habe ich betont: Umso wichtiger ist es, dass wir das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform und die Innere Führung in den Streitkräften mit der entsprechenden Orientierung auf Auslandseinsätze weiterhin stark betonen. Nichts anderes wollte ich damit gesagt haben. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eine Frage, die für mich beinahe noch entscheidender und wichtiger ist als die Frage der Wehrform, ist die Frage des Umfangs und der Fähigkeiten der Streitkräfte, die wir jetzt neu definieren. Ich sage ganz offen: 163 500 Zeit- und Berufssoldaten, von denen der Minister spricht, plus 7 500 Freiwillige sind für mich persönlich die Untergrenze dessen, was ich für vertretbar halte.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist zu wenig!)

Deutschland ist eine Landmacht in der Mitte Europas. Wir haben entsprechende Verpflichtungen gegenüber den Bündnispartnern, vor allem im Osten, wo noch bestimmte Ängste vorhanden sind und wo man schon von der schieren Zahl her bestimmte militärische Optionen und Fähigkeiten verkörpert, auch gegenüber der NATO. Ich meine, das müsste noch einmal überprüft werden, auch in finanzieller Hinsicht. Man sollte, Herr Kollege Bonde, nicht in einen Wettbewerb von Zahlen verfallen, sondern in einen Wettbewerb um Fähigkeiten eintreten und – möglicherweise in Absprache mit den europäischen Bündnispartnern – schauen, was angesichts einer Sicherheitsvorsorge notwendig ist.

Ich persönlich wünsche mir ein funktionsfähiges, führungsfähiges Landheer. Wir sind eine Landmacht, die Landstreitkräfte braucht. Im ozeanischen Zeitalter brauchen wir eine Marine, die unsere Interessen entsprechend vertreten kann. Herr Kollege Koppelin, Sie haben auf die Sanität hingewiesen, etwa ein Attraktivitätsprogramm für den medizinischen Bereich. Auch das scheint mir unbedingt notwendig zu sein. Es wird Sie nicht wundern, dass ich sage: Wir brauchen auch bei Freiwilligenstreitkräften eine gut strukturierte, engagierte und qualifizierte Reserve. Hierfür brauchen wir eine neue Reservistenkonzeption, die Nachhaltigkeit und Aufwuchsfähigkeit garantiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die „größte gestalterische Herausforderung“ hat der Minister diesen Prozess genannt. Es geht nicht nur um Umfang und Struktur, sondern auch um den entsprechenden Aufbau des Ministeriums. Es geht um eine Neuformulierung von Ablauforganisationen, von Materialbeschaffung und Materialerhaltung. Dies ist ein wichtiges, ein großes und ein mutiges Projekt. Ich meine, dass der Minister dafür die Unterstützung des Hauses verdient. Die Unterstützung meiner Fraktion hat er auf jeden Fall.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Koppelin, nicht nur, weil Sie gestern einen besonders schönen Geburtstag gefeiert haben, sondern weil es auch völlig richtig ist, was Sie zu den Problemen bei der Sanität gesagt haben, will ich zu Beginn meiner Ausführungen deutlich darauf hinweisen, dass dies auch die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion finden wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Allerdings ist das Problem nicht erst seit gestern bekannt, sondern schon etwas länger. Hier besteht dringender Handlungsbedarf wie in vielen anderen Bereichen auch, auf die ich im Laufe meiner Ausführungen noch zurückkommen werde.

Wer ernsthaft behauptet, mit der Globalen Minderausgabe und den Kürzungen, die Sie, die CDU/CSU und die FDP, zu verantworten haben, könnte die Truppe gut leben, der redet zu einem Prozentsatz jenseits der 90 Prozent an den Realitäten vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen. Der Minister hat eine Sommerreise gemacht. Viele Kolleginnen und Kollegen waren ebenfalls in der Sommerpause unterwegs. Ich habe mir das auch in dieser Zeit zu eigen gemacht und mich vor Ort informiert. Herr Minister zu Guttenberg, wenn wir Attraktivitätssteigerung gemeinsam wollen, ist es nach meiner festen Überzeugung unerträglich, dass Soldatinnen und Soldaten, die nach Berlin reisen, um sich weiterzubilden und an Plenardebatten teilzunehmen, ihre Fahrtkosten selber zu zahlen haben, weil dafür kein Geld mehr zur Verfügung steht. Das ist ein Skandal. Dies müsste relativ schnell in Ihrem Haus, Herr Minister zu Guttenberg, im Interesse und zugunsten der Soldatinnen und Soldaten pragmatisch gelöst werden.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der sich wie ein roter Faden durch die Haushaltsberatungen ziehen wird. Die Größenordnung des Einsparvolumens ist mehr als nebulös. Zunächst wurde eine Summe von 8,3 Milliarden Euro angekündigt. Dann ist aufgrund der absehbaren Faktoren berechnet worden, wo man denn landen könnte. Es gibt Berechnungen des Finanzministeriums und des Bundeskanzleramtes, die auf 1,5 Milliarden Euro kommen. Das ist von 8,3 Milliarden Euro weit entfernt. Kurz vor der Sommerpause hat die Bundeskanzlerin dazu in der Financial Times Deutschland zum Ausdruck gebracht, dass darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen worden sei; wegen 2 Milliarden Euro würde sie die deutsche Sicherheit niemals infrage stellen, geschweige denn gefährden. Was gilt denn nun? 8,3 Milliarden minus 2 Milliarden sind 6,3 Milliarden. Sind es 5 Milliarden oder 1,5 Milliarden Euro? Das ist das Ergebnis einer Struktur, aus der nicht erkennbar ist, wohin die Reise gehen soll. Ein Blick in die Finanzplanung zeigt, dass Sie auch im Hinblick auf die beiden letzten Jahre einen hohen Milliardenbetrag in die nächste Legislaturperiode verschieben. Das hat mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Was die Ausgabenblöcke im Verteidigungshaushalt angeht, wird deutlich, dass ein hoher Prozentsatz, nämlich ungefähr 53 Prozent, für Personalkosten und Pensionslasten vorgesehen ist. Auch wenn man die Bundeswehr verkleinert – um welche Größenordnung auch immer; darüber kann man sich austauschen oder auch darum ringen; ich will auch ausdrücklich aufgreifen, was Sie gesagt haben, Herr Minister, nämlich dass es dazu einen breitestmöglichen Konsens geben sollte – und die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten um eine Größenordnung X reduziert, werden diese Ausgaben nicht in voller Höhe eingespart; denn wer nicht mehr dient, hat Anspruch auf Pension. Insofern fordere ich Sie auf bzw. bitte ich Sie herzlich: Legen Sie im Laufe der Haushaltsberatungen die Berechnungen vor, welche Einsparung unter dem Strich netto erzielt wird, damit wir Haushälter genau wissen, worauf wir uns in diesem Bereich einzurichten haben.

Ich bin dem Kollegen Beck dankbar, dass er sich bei den Soldatinnen und Soldaten bedankt hat, die hier im Land und darüber hinaus in Auslandseinsätzen – das gilt auch für die zivilen Beschäftigten und viele andere – ihren Dienst leisten. Er ist nicht einfach und teilweise auch gefährlich. Ich zolle ausdrücklich allen Soldatinnen und Soldaten sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr höchste Anerkennung und spreche ihnen großen Dank aus. Ich gehe davon aus, dass das – ausschließlich der linken Seite dieses Hauses – einen gemeinsamen Beifall finden kann.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man die Diskussion über das Thema Wehrpflicht verfolgt, dann stellt man beeindruckt fest, wie sich innerhalb weniger Monate festgefügte Meinungen verändern. Ich war 1970 bei der Bundeswehr, und zwar – damals war dort eine stationiert – bei einer Panzergrenadierbrigade in Hildesheim. Schon damals haben wir über dieses Thema diskutiert. Natürlich ging es um ganz andere Prozentsätze bei der Einberufungsquote. Aber eines steht fest: Nachdem Sie den Grundwehrdienst auf sechs Monate reduziert hatten, war der nächste Schritt nicht mehr zu verhindern. Wir werden im Laufe der nächsten Zeit erleben – wenn es nach der FDP geht, wird es etwas schneller gehen –, dass wir uns Schritt für Schritt auf eine Berufsarmee zubewegen. Wenn das denn gewollt ist

(Elke Hoff [FDP]: Das ist vollkommener Quatsch!)

– Frau Hoff, ich mache ja einen Vorbehalt –, sollten wir bereit sein, sehr offen darüber zu diskutieren, wie viel eine Berufsarmee letztendlich kostet und welche Belastungen sie für künftige Bundeshaushalte bringt.

Die Sicherheit Deutschlands und die Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen für unsere Streitkräfte müssen auch künftig durch die erforderlichen Finanzmittel gewährleistet sein. Daher muss die Bundesregierung schnell und klar eine Antwort auf die Frage finden, welche Bundeswehr wir uns künftig noch leisten wollen. Einige Zeit ist darüber gesprochen worden, welche wir uns noch leisten können. Das war aber eine falsche Vorgehensweise.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Ausschussberatungen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)



Elke Hoff (FDP):

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein etwas störender Aspekt in dieser Debatte ist die Begriffsverwirrung. Deswegen nehme ich Ihre Äußerungen zum Anlass, lieber Herr Kollege Brinkmann, um die Position meiner Fraktion noch einmal klarzumachen. Wir sind für eine Freiwilligenarmee. Wir sind für die Aussetzung der Wehrpflicht. Wir sind für einen vernünftigen Anteil an Kurzzeitdienenden. Hier haben wir eine etwas andere Auffassung als der Minister; darüber werden wir diskutieren müssen. Wir sind in keinem Fall für eine Berufsarmee. Wir sind weiterhin glühende Anhänger einer Parlamentsarmee.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU])

Ich muss an dieser Stelle auf Paul Schäfer eingehen. Der Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass ein globales Expeditionskorps oder eine Interventionsarmee durch den geplanten vernünftigen Umbau der Bundeswehr aufgebaut werden soll, läuft schon alleine deswegen völlig fehl, weil dieses Haus an dieser Stelle über jeden Einsatz der Bundeswehr entscheiden wird und nicht die Bundesregierung oder der Bundesminister der Verteidigung. Das ist für uns alle ein hohes Gut.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eben wurde kritisiert, der Minister habe mehrere Modelle vorgelegt und habe sich nicht klar und deutlich für eines ausgesprochen. Art. 87 a des Grundgesetzes sagt eindeutig, dass sich Umfang und Struktur der Streitkräfte aus dem Haushaltsplan ergeben. Ergo entscheidet das Parlament darüber. Herr Minister, ich begrüße, dass Sie Respekt vor dem Hause gezeigt und die Szenarien und ihre Konsequenzen aufgezeigt haben, wenn wir uns so oder so entscheiden, und zwar auch vor dem Hintergrund der finanziellen Situation. Ich bin sehr froh, dass zum ersten Mal ein Minister gesagt hat: Es gibt – auch im Haus selbst – keine Denkverbote. Sie haben damit einen Prozess im Haus in Gang gesetzt, der schon lange überfällig war. Wir haben in den vergangenen Jahren auch in diesem Haus immer wieder beklagt, dass die Bundeswehr unter verkrusteten Strukturen und unter Zwängen leidet, die nicht nur den Einsatz, sondern auch die Motivation der Soldatinnen und Soldaten nachhaltig beeinträchtigen. Es ist Ihnen und unserer Koalition zu verdanken, dass wir diese mutigen Schritte nach vorn machen. An dieser Stelle möchte ich meinen persönlichen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU zum Ausdruck bringen. Ich weiß, dass das für Sie schwer war. Sie haben aber bewiesen, dass Sie aufgrund der Faktenlage in der Lage sind, anhand von Sachargumenten Ihre Positionen zu überdenken. Hier hat auch der Generalinspekteur eine hervorragende Rolle gespielt. Das möchte ich an dieser Stelle ganz klar zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr General Wieker, Sie haben uns Parlamentariern durch Ihre nüchterne, sachbezogene und sehr klare Vorlage von Informationen die Möglichkeit eröffnet, diese schwierigen Schritte zu vollziehen. Ich bin überhaupt nicht bange, dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft befinden. Es ist übrigens ein Nebenaspekt, den man nicht hoch genug einschätzen kann und den ich sehr begrüße, dass über eine Reform des Wehrdienstes junge Frauen endlich die Möglichkeit haben, von Anfang an gleichwertig mit ihren männlichen Kollegen Zugang zu den Streitkräften zu finden, und zwar auch im Sinne eines freiwilligen Engagements für unsere Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden die qualifizierten jungen Frauen in Zukunft mehr denn je brauchen, nicht nur, weil sie in vielen Bereichen qualifizierter sind, sondern auch, weil uns die demografische Entwicklung dazu bringen und auch zwingen wird, die Bundeswehr für alle gesellschaftlichen Gruppen zu öffnen. Insofern ist es wichtig, dass wir eine vernünftige Nachwuchsgewinnungsstruktur auf den Weg bringen, die flächendeckend ist, und dass die Bundeswehr attraktiver wird.

Die entscheidenden Momente sind nicht, wenn wir im Parlament entscheiden. Die Arbeit fängt danach an. Es muss uns gelingen, die Lebenswirklichkeit junger Männer und Frauen auch in den Streitkräften abzubilden. Die Vereinbarkeit von Dienst und Familie wird ein ganz wesentliches Moment für die Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr sein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinzu kommt: Wenn wir so viel Wert darauf legen, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft ist, dann müssen wir – stärker, als wir es in der Vergangenheit bewirkt haben – endlich zu Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz kommen, die an Seele und Körper verwundet aus dem Einsatz zurückkommen. Es ist heute mit Recht sehr häufig den Soldatinnen und Soldaten und den zivilen Mitarbeitern gedankt worden. Ich finde, wir müssen an dieser Stelle auch den Familienangehörigen, den Freunden und den Bekannten von den Soldatinnen und Soldaten danken, die damit leben müssen, dass das Leben ihrer Partner, wenn sie aus einem Einsatz zurückkommen, in den wir sie geschickt haben, aus den Fugen geraten ist und nichts mehr so ist, wie es vor dem Einsatz war. Hier fängt unsere Verantwortung an. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle – wenn wir uns um genau diese Soldatinnen und Soldaten mehr als bisher kümmern – wirklich beweisen können, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft ist. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir das gemeinsam schaffen würden.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Es wurde eben auch über das Thema Einsparungen geredet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wenn wir alle der Meinung sind, dass Sicherheitspolitik nicht nach Kassenlage erfolgen soll, dann werden wir einen attraktiven Arbeitgeber Bundeswehr finden und uns durchaus mit dem Gedanken anfreunden, dass wir Einsparziele erreichen wollen – wenn auch vielleicht nicht so schnell wie geplant – und dass das eine gemeinsame Anstrengung ist. Ich glaube, dass wir als Parlamentarier von unserem Recht Gebrauch machen, über Struktur und Umfang der Streitkräfte so zu entscheiden, wie es die Sicherheitsbedürfnisse und die Sicherheitslage unseres Landes und unsere Bündnisverpflichtungen erfordern.

Ganz kurz an dieser Stelle, bevor ich fertig bin: Kollege Schäfer, gerade der Balkan, gerade der Kosovo, hat deutlich gemacht, dass eine militärische Intervention in politischen Situationen dazu führen kann, dass Menschen und Nationen am Ende der Reise in Frieden und Freiheit leben können. Das Kind hier mit dem Bade auszuschütten und zu sagen: „Wir brauchen die Streitkräfte für solche Dinge nicht“, halte ich an dieser Stelle für politisch verfehlt.

(Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Bartels [SPD])

Ich darf mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit bedanken und wünsche dem Minister und uns allen viel Erfolg bei der Umsetzung dieser sehr ehrgeizigen Reform. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Der Kollege Omid Nouripour ist nun der nächste Redner aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Karl- Theodor zu Guttenberg vor sechs Monaten – Zitat –: Die verkürzte Wehrpflicht W 6, das sind sechs bestens genutzte Monate für junge Menschen. – Derselbe vor zwei Monaten: Es wäre fatal, die Wehrpflicht abzuschaffen. – Derselbe Minister vor zwei Tagen, überraschenderweise in einer Talkshow und nicht im Parlament – ich zitiere –:

(Dr. h. c. Susanne Kastner [SPD]: Das ist doch so üblich!)

Die Musterung ist ebenso schwer zu rechtfertigen wie die Wehrpflicht als solche. – In einem anderen Zusammenhang hat er erklärt, W 6 sei ein entbehrlicher Schnupperkurs. Herr Minister, ich weiß nicht, welches Getränk der Erleuchtung Sie in den letzten zwei Monaten getrunken haben. Es wäre schön, dieses in den eigenen Reihen weiterzureichen. Ich kann nur sagen: Die Hoffnung, zu verstehen, was Sie eigentlich wollen, habe ich längst aufgegeben. Mein Eindruck ist: Sie wissen selber nicht, was Sie wollen, und Sie wollen es auch nicht wissen. Wenn das anders wäre, hätten Sie wenigstens den Übergangsmurks – wir haben derzeit eine Wehrpflicht von sechs Monaten –, den Sie wider besseres Wissen vor wenigen Wochen verabschiedet haben, in den Haushalt geschrieben. Nicht einmal das steht im Haushalt. Das heißt, wir beraten heute über einen Einzelplan, der Makulatur ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es gibt aber noch mehr Probleme. Sie haben es geschafft, in den letzten Monaten zu jeder erdenklichen Frage jede erdenkliche Position einzunehmen,

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer war immer dagegen!)

was dazu führt, dass Sie, völlig gleichgültig, was herauskommt, sagen können: Das habe ich doch gesagt. – Das ist beliebig. Beeindruckend dabei ist, dass Sie es schaffen, diese Beliebigkeit in Zahlen zu gießen. Das nennt sich dann Wehretat 2011. Wer so beliebig ist, muss sich natürlich Sorgen machen, ob das Auditorium tatsächlich wach ist. Das ist eine berechtigte Frage. Da diese Angelegenheit aber sehr ernst ist, kann ich Ihnen versprechen, dass wir sehr wachsam sind und zuschauen, was Sie eigentlich treiben.

Ich komme zu den fünf Modellen. Sie scheinen in Ihrem Haus eine unglaubliche Überkapazität zu haben. Im Übrigen: Herr Generalinspekteur, vielen Dank für Ihre seriöse und detaillierte Arbeit. Herr Minister, Sie lassen in Ihrem Haus fünf Modelle erarbeiten und sagen von vornherein, vier von diesen seien überhaupt nicht machbar.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)

Frau Kollegin Hoff, diese fünf Modelle sind keine echten Modelle, wenn der Minister so nebenbei sagt, das eine sei nicht finanzierbar und mit dem anderen sei die Bündnisfähigkeit nicht gewährleistet. Das ist nicht ernst gemeint.

(Elke Hoff [FDP]: Das ist seine Einschätzung!)

Er scheint es nur mit einem einzigen Modell ernst zu meinen. Herr Kollege Arnold hat gesagt, was daran unredlich ist. Es fehlen dort einige Elemente. Ich weiß nicht, ob ich ihn ernst nehmen soll, wenn der Minister sagt, das einzige Modell, das einen Sinn ergebe, sei das Modell mit 163 500 Soldaten, aber die Zahl sei gar nicht so wichtig und könne nach oben korrigiert werden, das sei relativ egal. Das zeugt nach meiner Ansicht von Beliebigkeit.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist eine falsche Interpretation!)

Dabei braucht die Bundeswehr jetzt Führung, Überblick und Voraussicht. Das alles ist nicht sichtbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Problem habe ich: Ich muss Sie jetzt eigentlich loben – das ist nicht mein Job als Oppositionspolitiker –, weil Sie Realitätssinn gezeigt haben, indem Sie sich endlich an die Wehrpflicht herangewagt haben. Das hat keine große Tradition in Ihren Reihen. In diesem Zusammenhang muss ich ein Wort zur Sozialdemokratie loswerden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben sieben Jahre lang gemeinsam regiert. Hätten Sie damals die Blockade, die ich bis heute nicht verstehe, aufgegeben und gemeinsam mit uns die Wehrpflicht abgeschafft, was wir damals gefordert haben – das war damals genauso sinnvoll wie heute –, dann könnte der Minister heute nicht den harten Macher spielen und die Bundeswehr hätte sich in den zehn Jahren strukturell weiterentwickelt. Es ist sehr bedauerlich, dass dies damals nicht gelungen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bundeswehr braucht Führung, weil die beabsichtigten Einschnitte immens sind. Zur Führung gehört aber auch, dass man die Ziele benennt und sagt, was man eigentlich vorhat. Sie wollen Strukturen schaffen, alles auf den Kopf stellen und verändern und am Ende ein neues Weißbuch herausgeben. Das ist komplett falsch. Sie müssen erst die Aufgabenkritik machen und formulieren, was die Bundeswehr können muss. Sie müssen zuerst beschreiben, welche Fähigkeiten wir brauchen, und dann können Sie die Strukturen verändern. Sie dürfen aber nicht Fakten schaffen und die Debatte komplett auf den Kopf stellen. So ergibt das überhaupt keinen Sinn. Ich nenne als Beispiel die vernetzte Sicherheit. Alle wissen – das ist Konsens in diesem Hohen Hause –, dass die komplexe Sicherheitsrealität des 21. Jahrhunderts nur ein Instrument kennt, mit dem man arbeiten kann, und das ist die vernetzte Sicherheit. Ich finde das bei Ihnen bisher nicht. Ich weiß nicht, wo das vorkommen soll, wo sich das in den Strukturen findet. Im Übrigen fehlt auch ein Bekenntnis zum Primat des Zivilen. Das werden wir möglicherweise in zwei Jahren in einem Weißbuch lesen, wenn die Debatte um die Reform der Bundeswehr vorbei ist.

Der Kahn „Bundeswehr“ ist in schwierigen Gewässern; das wissen wir alle. Auch den Reformbedarf kennen wir alle. Es wäre jetzt Ihre Aufgabe als Verteidigungsminister, die Bundeswehr vor parteipolitischen Spielchen zu schützen; stattdessen tragen Sie das Chaos in den eigenen Reihen, allen voran in der CSU, in die Bundeswehr hinein. Sie machen nicht Sicherheitspolitik nach Kassenlage, Sie machen Sicherheitspolitik nach Parteitagsterminen, und das ist nicht das, was die Soldatinnen und Soldaten, die einen knochenharten Job machen, verdienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Niemand weiß, wohin die Reise geht. Die Generalität weiß es nicht. Die einzelnen Soldatinnen und Soldaten wissen es nicht und ihre Familien auch nicht. Sie müssten jetzt Kapitän sein. Stattdessen sind Sie ein Verkäufer von Last-Minute-Reisen. Sie sagen uns: Da, wohin wir gehen, wird es ganz schön, aber was genau das Ziel ist, erkläre ich euch dann, wenn wir angekommen sind. – Das ist nicht das, was die Bundeswehr braucht. Das ist nicht verlässlich. So führt man diese Armee nicht in einen sicheren Hafen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Elke Hoff [FDP]: Das war eine schlechte Rede!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollegin Karin Strenz für die CDU/ CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Karin Strenz (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Pflicht zum Sparen ist klar: Wir kürzen nicht auf Kosten der Sicherheit unserer Soldaten. Wer Soldaten in den Einsatz schickt, muss nicht nur für die bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung sorgen, sondern auch für die bestmögliche Betreuung. Das gilt für die Zeit im Einsatz genauso wie danach. Ich bin der Kollegin Elke Hoff für ihre Einlassungen zu seelischen Verwundungen sehr dankbar; darauf möchte ich mich konzentrieren.

Mehr als 460 Kameraden ließen sich im vergangenen Jahr wegen Posttraumatischer Belastungsstörungen behandeln – doppelt so viele wie im Jahr 2008. In diesem Jahr werden es wahrscheinlich 600 traumatisierte Frauen und Männer sein. In Wahrheit aber sind es sehr viel mehr; denn die Dunkelziffer ist sehr hoch. Es ist unsere Pflicht, die seelischen Wunden genauso ernst zu nehmen wie die körperlichen. Soldaten erleben im Einsatz Grausamkeiten, die sie manchmal nicht ohne professionelle Hilfe verarbeiten können. Oft dauert es viereinhalb Jahre – viereinhalb Jahre! –, bis ein Soldat eine einsatzbedingte Traumatisierung überhaupt erkennt und zugibt. Deshalb reicht es nicht, nur die Vorgesetzten zu sensibilisieren. Wir alle müssen diese besondere Krankheit aus dem Schatten holen.

Da die seelisch Verwundeten doch im Dienst für unseren Frieden und für unsere Sicherheit ihr Leben riskiert haben, ist es selbstverständlich unsere Pflicht, ihnen zu helfen, gesund ins Leben zurückzufinden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eine seelische Wunde darf kein Stigma sein. Wer sich zu seiner Schwäche bekennt, ist kein Schwächling. Gerade vorgestern saß in meinem Büro ein Soldat aus meiner Heimat; nachgewiesen PTBS. Auf dem Tisch zwischen ihm und mir: ein Aktenberg. Er musste einen langen Weg durch viele Instanzen gehen, um sich in einem Wirrwarr von Zuständigkeiten und Gesetzen zurechtzufinden. Er hat nicht die optimale Für- und Nachsorge erfahren. Auch das ist noch Realität, aber das wird sich ändern. Nicht nur dieser Mann braucht Hilfe, nicht nur er wird die Bilder aus dem Einsatz nicht los, liegt nachts wach, schreckt auf, wenn draußen eine Autotür zuknallt, und war fast dabei, sich aus dem Leben zu verabschieden.

Wir haben die Soldaten in den Einsatz geschickt. Wir müssen ihnen auch die Rückkehr garantieren. Damit meine ich: teilnehmen am Leben, die Kinder zur Schule bringen, dem Partner zur Seite stehen können und den Alltag meistern. Das gilt auch für ihre Familien; denn in gewisser Weise ziehen sie selbst mit in den Einsatz. Auch sie müssen mit ihren Sorgen kämpfen.

Was sie allerdings sehr beruhigt – das als ein Beispiel –, ist das Krankenhaus in Masar-i-Scharif – ich war dort –, welches mit modernster Technik und großem Know-how ausgestattet ist und um das uns andere Nationen beneiden. Es gibt Sicherheit, ein Höchstmaß an Qualität und schnellstmögliche Hilfe.

Das Berliner Psychotrauma-Zentrum im Bundeswehrkrankenhaus stellt sich den enormen Herausforderungen, etwa bei der lückenlosen Erfassung und Behandlung von PTBS-Patienten, aber auch bei der Vernetzung von nationalem und internationalem Fachwissen. Dort, wo wir Expertise haben, muss man das Rad nicht neu erfinden. Es hilft bei der Schulung des Personals von Familienbetreuungszentren zur Betreuung der Patienten oder Soldaten und deren ebenfalls belasteten Familien. Es steht für stärkere Vernetzung regionaler Betreuungseinrichtungen und Selbsthilfegruppen. Es geht auch um die Organisation einer professionellen Begleitung bei Versorgungsansprüchen.

Das ist ein Fortschritt, aber auch eine große und schnell zu leistende Aufgabe. In diesem Fall heißt es nämlich nicht „Zeit ist Geld“, sondern „Zeit ist Leben“.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf aber nicht nur für die aktiven Soldaten gelten, sondern auch für die betroffenen Militärpfarrer und die Reservisten. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und des politischen Anstands. Es ist kein Geheimnis, dass wir im Sanitätsdienst einen akuten Personalmangel haben. Es fehlen Pfleger und Ärzte. So hat die Bundeswehr beispielsweise nur 23 Psychiater bei doppelt so vielen Planstellen.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Es ist nicht leicht, Fachleute zu finden. Sie sind Mangelware. Vorerst können nur Psychologen diese Lücke schließen, und eine Dauerlösung ist das nicht. Es fehlen auch Ärzte, die bereit sind, in den Auslandseinsatz zu gehen. Es stellt sich die Frage: Wie kann man das lösen?

Erstens vielleicht mit Planungssicherheit. Auch ein Bundeswehrarzt will wissen, wo er die nächsten fünf Jahre arbeiten und mit seiner Familie leben wird. Das kostet nichts.

Zweitens vielleicht mit Bemühen um Konkurrenzfähigkeit und Bürokratieabbau. Die Bundeswehr steht im Kampf um Bewerber zivilen Kliniken gegenüber. Hier spielt Geld sicher eine Rolle, aber nicht nur. An der angemessenen Vergütung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften arbeitet der Minister bereits. Aber unklare Kompetenzen sind für Bewerber ein Ärgernis. Es dauert oft drei bis vier Monate, mitunter sogar ein halbes Jahr, bis ein Arzt eingestellt wird. Ich frage Sie: Wer hat so viel Geduld? Dies zu ändern, kostet nichts.

Drittens vielleicht durch höhere Anerkennung des Berufsbildes. Wir müssen den Ärzten die Angst vor dem Einsatz nehmen. Schon in der Ausbildung muss eine Einsatzrealität präsent sein. Dieser Job ist eben anders als der der Kollegen im Kreiskrankenhaus nebenan. Sie werden vielleicht selbst in Gefahr sein, sie werden Leben retten müssen, im Gefecht.

Es wäre, meine Damen und Herren, sehr viel einfacher, wenn manch einer hier in sich kehren würde und Soldaten, ob Feldjägern oder Medizinern, den gleichen Respekt entgegenbringen würde wie dem Feuerwehrmann, dem Polizisten und den Einsatzkräften des THW in der Heimat; denn sie alle riskieren ihr Leben für uns.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der Attraktivitätsagenda 2011 des Bundeswehr- Verbandes gibt es einige Vorschläge, die wir umsetzen könnten und auch sollten, zum Beispiel bei Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bei der Regelung der Einsatzdauer und beim Laufbahnrecht. Ich denke, Herr Minister, Sie selbst werden einige weitere Vorschläge berücksichtigen wollen.

Dass es eine attraktivere Bundeswehr nicht zum Nulltarif geben kann, ist klar. Aber manches kostet eben den Mut, den Fehler im System, von dem so viele reden, nicht nur erkennen zu wollen, sondern ihn einfach abzustellen. Erst dann werden wir behaupten können, alles für das körperliche und auch für das seelische Wohl unserer Soldaten und ihrer Familien getan zu haben. Das ist unsere moralische Pflicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin Strenz, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für die weitere Zusammenarbeit!

(Beifall)

Das Wort hat nun Klaus-Peter Willsch für die CDU/ CSU-Fraktion.

Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Kollegin Strenz dankbar für den Beitrag, den sie geleistet hat, weil sie eine sehr menschliche Seite der Bundeswehr aufgezeigt hat. Diese Seite machen wir uns nicht immer bewusst, wenn wir über Einsätze reden, die Soldaten in Einsätze fern der Heimat schicken, in diese ständige Bedrohung mit Gefahr für Leib und Leben. Auch die Tatsache, dass, wenn der Einsatz vorbei ist, nicht alles andere auch vorbei ist, sondern manche Erlebnisse in den Menschen weiterarbeiten, müssen wir uns immer vor Augen halten, wenn wir hier über die Bundeswehr reden.

Der Verteidigungsminister hat gesagt: Strukturen und Prozesse sollen konsequent an den Erfordernissen des Einsatzes ausgerichtet werden. Ich glaube schon, Kollege Nouripour, dass diese Abfolge – Sie haben sie angesprochen; das ist das Henne-Ei-Problem – das richtige Herangehen ist. Während meiner Zeit bei der Bundeswehr in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre

(Markus Grübel [CDU/CSU]: So jung ist der!)

war die Lage natürlich völlig anders: Die Landesverteidigung stand im Vordergrund. Warschauer Pakt und NATO standen sich waffenstarrend in der Mitte unseres Vaterlandes gegenüber. Wir mussten stark genug und so disloziert sein, dass der Gegner, bei dem eine aggressive Ideologie vorherrschte, abgeschreckt wurde, sich nicht traute, Einschüchterungsversuche zu unternehmen oder uns gar militärisch anzugreifen.

Vor 20 Jahren ist im Zuge der deutschen Einheit die Integration der unbelasteten Teile der Nationalen Volksarmee hervorragend gelungen. Seitdem ist Schritt für Schritt der Übergang zu einer Armee im Einsatz erfolgt. Es ist sicherlich richtig, dass wir uns, ausgehend von der Frage, was die Bundeswehr leisten soll, zunächst mit dem Umfang der Streitkräfte beschäftigen. Genau das hat der Verteidigungsminister mit seinen Überlegungen, die auf den Arbeiten des Generalinspekteurs fußen und für die ich ihm auch noch einmal ganz herzlich danken möchte, getan. In diesen Überlegungen ist die Aussetzung der Wehrpflicht enthalten.

Ich finde es ein bisschen unfair, Herr Kollege Nouripour, dass Sie uns dafür loben, dass wir uns diesem Thema nähern,

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist immer unfair, Sie zu loben! – Lachen bei der CDU/CSU)

und dass Sie zugleich unterstellen, hier würde Verteidigungspolitik nach Parteitagsterminen gemacht. Natürlich gibt es hier demokratische Entscheidungserfordernisse, die Sie als ausgewiesene Basisdemokraten ohne Mühe nachvollziehen können müssten. Das behindert in diesem Jahr unsere Haushaltsberatungen ein wenig, da wir letzte Gewissheit erst nach Beschlüssen von demokratisch legitimierten Delegiertenversammlungen wie Parteitagen bekommen. Aber dieses Vorgehen in eine solche Kiste zu packen, wie Sie es getan haben, finde ich ein bisschen unfair.

Herr Arnold, Sie beklagen, dass es Auswahlmöglichkeiten gibt. Ich finde es intellektuell redlich, dass man nicht davon spricht, es gebe keine Alternativen, sondern dass man verschiedene Möglichkeiten präsentiert, wie man vorgehen kann. Der Minister bleibt nichts schuldig, wenn es um die Frage geht, welche Variante er für die geeignete und richtige hält.

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Es bleibt nur eine übrig! Das ist das Problem!)

Es ist gegenüber dem Parlament ein völlig fairer Ansatz, wenn man verschiedene Möglichkeiten durchrechnet und eine bestimmte Variante hervorhebt.

Es wird noch im Herbst die Beschlüsse von Parteitagen und die Ergebnisse der Weise-Kommission geben. Dann sind wir mit der Festlegung des Umfangs der Streitkräfte durch. Danach schließt sich natürlich die Frage an, wie es um die Standorte steht. Die klare Ansage ist: Nicht vor Mitte des nächsten Jahres werden wir darüber Aufschluss in Form von Vorschlägen des Ministers bekommen.

Die Festlegung von Ausrüstung und Ausstattung ist der nächste Schritt, der folgen muss. Die Frage nach dem „level of ambition“, also danach – ich will hier im Parlament deutsch reden –, was die Bundeswehr leisten soll, hat erheblichen Einfluss auf Ausrüstung, Ausbildung und Gerät. Dieser Punkt beschäftigt den Haushaltsausschuss natürlich ganz besonders.

Ich habe in diesem Jahr zur Entscheidungsvorbereitung mehrere Wehrübungen gemacht und mehrmals die Truppe besucht. Ich will ausdrücklich sagen, dass der Einsatz der Reservisten an den Heimatstandorten, von denen aus Kontingente in den Einsatz gehen, sehr wichtig ist. Permanent sind ungefähr 500 Reservisten im Auslandseinsatz. Diese Tatsache können wir nicht hoch genug würdigen. Auch in Zukunft soll ein sinnvoller Einsatz der Reservisten möglich sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Beschaffungsvorhaben haben uns in den letzten Jahren im Haushaltsausschuss schon häufig beschäftigt. Die Vorwürfe lauteten: zu teuer, zu spät und nicht alle Eigenschaften abdeckend, die gefordert sind. Solche Vorhaben werden wir uns eines nach dem anderen anschauen müssen.

Aber ich will dazu noch eines sagen: Als wir in zweiter und dritter Lesung den Haushalt 2010 behandelt haben, habe ich gesagt, dass wir den Einzelplan 14 aufgrund seiner Enge, mit der er gestrickt ist, nicht mehr dafür nutzen dürfen, um Strukturpolitik oder Sektorpolitik zu betreiben. Wir sehen, dass wir im Bereich der Rüstungsindustrie hervorragende Güter produzieren, mit denen wir technologisch an der Spitze liegen. Die Bundesregierung soll helfen – die entsprechende Aufforderung ist aus meiner Sicht richtig –, den Markt zu erweitern, um die Exportmöglichkeiten auszubauen. Die Bundesregierung kann für unsere Industrie in diesem Bereich Türen öffnen und ihr beim Exportgeschäft helfen. So können wir die Technologieführerschaft in diesen Bereichen erhalten oder vielleicht sogar noch ausbauen.

Die Probleme bei der Budgetplanung will ich ausdrücklich belegen. Ich habe schon etwas zu den Abläufen gesagt, bei denen sich natürlich Veränderungen ergeben können. Ich erlebe auch, dass aus dem parlamentarischen Raum verschiedene Zahlen genannt werden, die von dem abweichen, was der Minister als seine Empfehlung vorlegt.

Ich bin weit davon entfernt zu sagen, wir machen Sicherheitspolitik nach Kassenlage. Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass Haushalte, über die man spricht, und Zahlen, die man aufschreibt, auf irgendeiner Grundlage basieren.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haushalt ist immer nach Kassenlage!)

Jeder muss wissen, dass das, was an Zahlengerüst vorliegt, auf Zahlen vom Jahresbeginn basiert, das heißt auf 156 000 plus 7 500, also 163 500 Soldaten, und dass für Attraktivierungsprogramme, die wir uns im Einzelnen noch gar nicht ausgedacht haben, nur eine Grundausstattung vorgesehen ist. Jeder, der mehr will, also nicht Verteidigungspolitik nach Kassenlage machen will, muss bereit sein, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Allein mit der ausgebrachten globalen Minderausgabe in der Größenordnung von 838 Millionen Euro liegt noch ein sehr schwerer Weg vor uns, den wir in den Detailberatungen im Haushaltsausschuss bewältigen müssen.

Herr Präsident, ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen; daher komme ich zum Schluss. Ich bin – wie der Kollege Koppelin – der Meinung, dass wir uns das Thema BImA noch einmal ganz genau daraufhin ansehen müssen, ob das, was durch das BImA-Errichtungsgesetz auf den Weg gebracht worden ist, wirklich schon Veranschlagungsreife hat. Vielleicht kann das ein wichtiger Ansatz für die Auskleidung der globalen Minderausgabe sein.

Zum Schluss will ich der Hoffnung Ausdruck geben, dass Martin Walser recht hat. Wir sind auf einem Weg, bei dem wir noch nicht wissen, wie alles genau werden wird. Aber ich glaube, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen und dass wir damit den Erfordernissen der Truppe im Einsatz gerecht werden können. Martin Walser sagt: Den Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße. – Wir wollen hart daran arbeiten, dass das so geschieht. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.

Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 58. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. September 2010; Plenarprotokoll 17/58; S. 6104-6123
http://www.bundestag.de



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