Bundeswehr: "unglaublich flexibel und mit hoher Motivation und Professionalität" (Minister Guttenberg, CSU) / "Sie wollen die Bundeswehr als globales Expeditionskorps effektivieren und optimieren" (Schäfer, Die Linke)
Im Rahmen der Haushaltsdebatte diskutierte der Bundestag über die Verteidigungsausgaben und die Bundeswehrreform - Alle Reden dazu im Wortlaut
Im Rahmen der Haushaltsdebatte warb Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg am 15. September 2010 im Bundestag um Unterstützung für die anstehende Reform der Bundeswehr. Ihm widersprachen die Redner/innen der Opposition, wobei allerdings nur der Abgeordnete der LINKEN, Paul Schäfer, grundsätzlich wurde.
Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte im vollen Wortlaut nach dem Stenografischen Bericht des Bundestags.
Es kamen - in dieser Reihenfolge - folgende Redner/innen zu Wort:
Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht
58. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. September 2010
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(...) Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung, Einzelplan 14.
Als erstem Redner erteile ich das Wort Herrn Bundesminister
Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr
steht vor einer der größten gestalterischen Herausforderungen
seit ihrer Gründung im Jahr 1955. Wir stehen
vor einer Reform, über die in einigen Teilen auch
noch politisch zu entscheiden sein wird, und mit der wir
uns in diesem Jahr auch bei den Haushaltsberatungen sicher
noch entsprechend befassen werden. Ich darf an
dieser Stelle sagen, dass es sich um eine Reform handeln
wird, die logisch auf mutigen Vorarbeiten und auf mutigen
Schritten meiner Vorgänger aufbaut. Ich umfasse hierbei sowohl meinen Amtsvorgänger Franz Josef Jung als auch die Kollegen Struck, Scharping und Rühe.
(Zuruf des Abgeordneten Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich möchte hierfür danken, weil große und mutige
Schritte gegangen wurden. Wir bedürfen jetzt allerdings
noch einmal eines entsprechend mutigen Schrittes. Dank
auch an meine Amtsvorgänger für das, was geleistet
wurde.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Diese Herausforderungen und diese Reform haben
– und das ist entscheidend – zunächst einmal eine
sicherheitspolitische Analyse zur Grundlage. Es ist
eine Analyse darüber, wie sich die sicherheitspolitischen
Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft darstellen
werden. Aufbauend auf diese Analyse gibt es
letztlich auch ein formuliertes Aufgabenspektrum. All
das hat in den letzten Wochen der Generalinspekteur der
Bundeswehr zu Papier gebracht, und ich glaube, er hat
eine sehr breite, eine sehr tiefgehende und eine letztlich
sehr plausible Analyse vorgelegt, die die Grundlage für
die kommenden Schritte darstellen und bieten soll. Herr
Generalinspekteur, Sie sind heute hier. Ihnen, Ihrer
Mannschaft und jenen, die mitgewirkt haben, sage ich
auch von meiner Seite aus Danke für diese intensiven
und guten Arbeiten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Neben dieser Analyse, neben dem Aufgabenspektrum,
das daraus erwächst, gab es in diesem Jahr eine
von mir angewiesene Defizitanalyse, die deutlich gemacht
hat, wo wir mit Blick auf unsere Strukturen noch
Nachbesserungs- und Verbesserungsbedarf haben. All
das bildet die Grundlage dessen, weshalb Entscheidungsbedarf
gegeben ist. Ich habe schon oft betont, dass
wir dringenden Entscheidungsbedarf haben. Ich würde
mich freuen, wenn wir diese nächsten Schritte auch in
einem parteiübergreifenden und gemeinsamen Vorgehen
gestalten könnten, weil ich den Eindruck habe, dass wir
– bis auf die eine oder andere Ausnahme – mit unseren
Grundüberlegungen nicht so weit auseinanderliegen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ha, ha!)
– Herr Gehrcke, Ihre Position ist klar. Sie bilden die
Ausnahme, die ich jetzt betonen durfte.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Danke!)
Ich glaube aber, dass wir bei vielen Punkten sehr nahe
beieinanderliegen und eine gute Basis dafür haben, zu
einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Dieser Punkt
wäre in meinen Augen sehr erfreulich. Das wäre die
Grundlage dafür, dass nicht nur unserer Truppe mit
Blick auf ihre künftigen Einsätze, sondern auch unseren
zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ebenso
wie die Soldaten in den letzten Jahren unglaublich flexibel
und mit hoher Motivation und Professionalität auf
Strukturdefizite reagieren mussten, eine Perspektive gegeben
wird, die von einer breiten Mehrheit des Bundestages
getragen wird. Das sollten wir alle anstreben, weil
die Truppe, der ich für das, was in den letzten Jahren geleistet
wurde, danken will, diesen Rückhalt verdient hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich begrüße einige Soldatinnen und Soldaten, die heute
auf der Tribüne sind und mit großer Spannung und Interesse
dieser Debatte folgen.
Wir wollen die anstehende Neuausrichtung nutzen,
um die Bundeswehr als ein leistungsfähiges Instrument
unserer Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Es
geht darum, Strukturen und Prozesse konsequent und
umfassend auf die Erfordernisse des Einsatzes auszurichten,
auf Erfordernisse des Einsatzes im Inland wie
im Ausland in dem verfassungsrechtlich gegebenen Rahmen.
Unser Land braucht Streitkräfte, die modern, leistungsstark
und flexibel sind und das Maß an Professionalität
mitbringen, das wir von ihnen erwarten, und die
auf die gegenwärtigen und künftigen Situationen, die
von einem hohen Maß an Unberechenbarkeit geprägt
sein werden, verlässlich reagieren können. Ein Konzept
für solche Streitkräfte ist vom Generalinspekteur erarbeitet
worden und bietet letztlich die Grundlage für die
Arbeit.
Es geht um Strukturen und um eine verbesserte Leistungsfähigkeit.
Wir müssen uns verbessern. Ich habe
immer wieder darauf hingewiesen, dass wir bei einer
derzeitigen Stärke von 252 000 Soldatinnen und Soldaten
gerade einmal 7 000 in den Einsatz schicken können.
Dass wir dann schon über Kante genäht sind, steht uns
im internationalen Vergleich nicht gut zu Gesicht. Es
geht aber auch um die einsatzgerechte Ausrüstung und
Ausstattung. Der Wehrbeauftragte weist immer wieder
darauf hin, wie wichtig es ist, auch diesen Aspekt zu berücksichtigen.
Es geht um einen beschleunigten Entscheidungsprozess,
es geht aber auch um beschleunigte
Beschaffungsprozesse. Das ist ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt.
Da müssen wir Dinge verbessern und neben
den Perspektiven für die Soldatinnen und Soldaten noch
weitere Perspektiven eröffnen. Es geht auch um eine angemessene
Ausgestaltung des Dienstes und nicht zuletzt
um die Attraktivität des Dienstes bei der Bundeswehr.
Es ist wichtig, genau diesen Punkt zu betonen; denn
wir befinden uns bereits heute im Wettbewerb mit der
freien Wirtschaft um die besten Köpfe. Das gilt für den
zivilen wie für den militärischen Bereich. Deswegen ist
dem Aspekt der Attraktivität auch so viel Raum beizumessen.
Ich freue mich über viele Hinweise, die in dieser
Hinsicht gekommen sind. Viele haben dazu beigetragen,
dass das auf der Agenda sehr weit oben steht. Zur Attraktivität
des Dienstes gehört natürlich der Schutz unserer
Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz, und
dazu gehört, dass sich der Arbeitsplatz mit anderen messen
kann. Darauf wollen wir viel Kraft verwenden.
Eine Grundlage für diese Neuausrichtung, die wir
jetzt vornehmen wollen, ist vor dem Hintergrund, flexibler
und besser zu werden, die Erkenntnis, dass eine Reduzierung
des Gesamtumfangs der Bundeswehr unumgänglich
ist. Diese Reduzierung findet allerdings ihre Grenzen, wenn das Aufgabenspektrum, das formuliert
wurde, nicht mehr erfüllt werden kann. Das Aufgabenspektrum
umfasst die Notwendigkeit, weiterhin voll
bündnisfähig zu sein und weiterhin sowohl innerhalb der
NATO als auch innerhalb der Europäischen Union eine
führende Rolle wahrnehmen zu können. Es umfasst auch
die Notwendigkeit – ganz wichtig – des Schutzes unserer
Heimat dort, wo es verlangt ist, und dort, wo wir darauf
zurückgreifen wollen. Es umfasst aber auch das breite
Szenario dessen, was heute in Auslandseinsätzen gefordert
ist und dort künftig gefordert sein kann. Es sind sehr
viele sehr unterschiedliche Szenarien, die hier abgefordert
werden können. Gerade auch in dieser Hinsicht
müssen wir planen.
Auf der Grundlage dieses Ansatzes kamen wir zu unterschiedlichen
Modellen und haben nunmehr auch aus
Sicht des Ministeriums eine Empfehlung für ein Modell
abgegeben, das von einer Zielgröße von mindestens
163 500 Soldatinnen und Soldaten ausgeht.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Von „mindestens“ steht nichts darin!)
Dieser Ansatz bietet gerade noch ein geeignetes Fähigkeitsprofil
und wird den heutigen wie den künftigen sicherheitspolitischen
Herausforderungen durch eine höhere
Einsatzfähigkeit besser gerecht.
Das ist der absolute Mindestumfang. Er darf nicht
geringer und er kann durchaus höher ausfallen, wenn ich
das so sagen darf. Das wird im Einzelnen noch festzulegen
sein. Das ist natürlich auch Gegenstand der parlamentarischen
Beratungen und der Abstimmungen. Ich
bin alles andere als undankbar für die vielen Hinweise,
die ich in dieser Richtung schon bekommen habe. Es
gibt viele, die sich entsprechend eingebracht haben.
Danke auch für die Begleitung in den letzten Wochen
und Monaten durch die Fachpolitiker, durch die Fraktionsvorsitzenden
und auch durch die Berichterstatter im
Haushaltsausschuss, die mit Blick auf die künftigen Gestaltungen
sicher vor keiner einfachen Aufgabe stehen.
Mit der Reduzierung, aber nicht nur deswegen, stellt
sich auch die Frage nach der Wehrform. Das ist eine der
Fragen, über die wir derzeit am intensivsten debattieren,
wobei es eine logische Folgefrage aus den Strukturüberlegungen
ist, die wir gerade angehen. Manchmal hat man
das Gefühl, dass es in der Diskussion eher schon umgekehrt
ist. Aber es ist so, dass die Wehrform in untrennbarem
Zusammenhang mit dem Auftrag, mit dem Umfang
und mit den Strukturen steht. Genau um diesen Zusammenhang
geht es. Es ist bereits heute so, dass wir nach
unserem politischen Konsens keine Wehrpflichtigen
mehr in die Einsatzszenarien schicken, die sich heute
bieten. Das ist ein Konsens, der gebildet wurde.
Es lohnt sich gelegentlich ein Blick zurück. Obwohl
wir in den beiden letzten Jahrzehnten die Streitkräfte
– ausgehend von annähernd einmal 500 000 Soldaten –
nahezu halbiert haben, ist die Anzahl der Berufs- und
Zeitsoldaten nahezu gleich geblieben. Heute leisten allerdings
weniger als 17 Prozent eines Jahrgangs ihren
Grundwehrdienst ab. Vor zehn Jahren waren es noch
40 Prozent. In den frühen 80er-Jahren waren es fast
60 Prozent. Man vergisst gelegentlich, was das bereits
für eine Entwicklung war. Die Reduzierungen erfolgten
schon bisher in erster Linie durch die Verkürzung der
Grundwehrdienstdauer – als Folge eines veränderten
Anforderungsprofils.
Sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, ist für einen
Teil dieses Hauses außerordentlich schwierig. Ich
sage Ihnen, dass das auch für mich gilt. Das war für
mich ein Schritt, der mir auch emotional sehr viel bedeutet
hat; aber dieser Schritt basiert auf der Auseinandersetzung
mit den Realitäten, denen wir heute schlicht ins
Auge sehen müssen.
Eine Realität ist die Zahl jener, die wir heute noch als
Wehrpflichtige, als Wehrdienende haben. Natürlich
spielt auch der Umstand eine Rolle: Wenn ein junger
Mann heute nicht mehr zur Bundeswehr will, dann geht
er faktisch schon nicht mehr dorthin. Wir müssen uns
auch die Frage stellen: Was bieten wir jenen, die zu uns
kommen und zu uns kommen wollen und die für diesen
unglaublich wichtigen Aspekt der Bindung zwischen
Gesellschaft und Bundeswehr stehen? Ihnen haben wir
einmal 18 Monate geboten. Mittlerweile haben wir uns
auf ein Sechs-Monats-Angebot geeinigt. Aber bereits bei
neun Monaten war es schwierig, neben der gesellschaftspolitischen
Begründung, die mir unglaublich viel bedeutet,
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor zwei Monaten klang das noch anders!)
eine sicherheitspolitische Begründung zu geben. Die
Frage ist ja: Ist für den einzelnen Wehrpflichtigen oder
Wehrdienenden auch sicherheitspolitisch der Maßstab,
den die Verfassung uns letztlich abverlangt, erfüllt?
Diese Begründung können wir bereits heute nicht mehr
in dem Maße geben.
Deswegen und auch vor dem Hintergrund dessen,
dass das Regenerationsargument heute nicht mehr so
trägt, wie es einmal getragen hat, ist es in unserer Verantwortung,
zu sagen: Wir wollen uns nicht in eine Mängelverwaltung
hineinbegeben, sondern wir sehen den Auftrag,
zu gestalten – im Sinne der jungen Menschen, aber
auch im Sinne der Bundeswehr. Diesen Gestaltungsauftrag
sollten wir annehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das heißt aber auch, dass wir uns bei einigen wichtigen
Fragen, die auch im Kontext mit der Wehrpflicht zu
sehen sind, nicht einfach bequem zu Hause auf die
Couch legen können. Das gilt etwa für unvorhersehbare
Ereignisse wie zum Beispiel Naturkatastrophen und für
alles, was mit der zivil-militärischen Zusammenarbeit in
Zusammenhang steht. Hier müssen wir kluge Vorschläge
machen. Das wird geschehen; denn diese werden wir gemeinsam
mit vielen anderen ausarbeiten.
Wir brauchen einen zeitgemäß organisierten Heimatschutz.
Das bleibt ungemein wichtig. Das verlangt aber
auch professionell aufgestellte Streitkräfte und mehr denn
je gut ausgebildete und motivierte Reservisten. Auch darauf
möchte ich hinweisen. Deswegen ist es wichtig, diese entsprechend ihrer wachsenden Verantwortung in ein
neues Konzept einzubinden. Ich glaube sogar, dass das
ein wesentlicher Bestandteil der Neuausrichtung sein
muss. Die Größenordnung jährlich ausscheidender Zeitsoldaten
und ein kluges Reservistenkonzept sichern zudem
auch die hinreichende Aufwuchsfähigkeit, die wir
letztlich brauchen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – All das, verbunden
mit einer gewissen Attraktivität, muss Bestandteil
der Neuausrichtung sein. Zugleich muss es natürlich im
realistischen Einklang mit den Erfordernissen des Haushaltes
stehen. Die wichtige und entscheidende Frage für
uns ist aber in jedem Fall, was uns künftig die Sicherheit
unseres Landes wert ist. Es darf also nicht allein um die
Frage gehen, was wir uns noch leisten können. Die sicherheitspolitische
Grundlage ist das Maßgebliche. Darauf
aufbauend wollen wir in die Diskussionen und Debatten
dieses Herbstes gehen. Ich würde mich freuen, wenn wir
parteiübergreifend zu Lösungen kommen würden.
Ich bedanke mich für die Unterstützung in den letzten
Wochen. Ich glaube, wir werden im Sinne unserer
Truppe und im Sinne unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
ein erstklassiges Ergebnis finden.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer
Arnold.
Rainer Arnold (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Sie haben am Anfang Ihrer heutigen Rede
einen neuen Aspekt gebracht: Sie haben anerkannt, dass
Ihre Vorgänger auch schon wichtige Reformen gemacht
haben. Bisher haben Sie je nach Publikum immer eher so
geredet, als ob Sie derjenige wären, der das Rad erfunden
hat.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie sind ein
besonderer Kleingeist! – Weiterer Zuruf von
der CDU/CSU: Ist das kleinkariert!)
Ich darf Ihnen vielleicht noch sagen: Jeder Fachpolitiker
wusste, dass nach Erreichen der Zielstruktur des Jahres
2010 im Jahr 2011 selbstverständlich weitere Transformationsschritte
anstehen.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man in den letzten vier Jahren schon machen können!)
Es gibt aber diesbezüglich einen Unterschied zu Ihren
Vorgängern, Herr Minister. Alle Ihre Vorgänger haben in
der Vergangenheit vor notwendigen Reformschritten sorgfältige
sicherheitspolitische Analysen durchgeführt.
Sie haben daraus den Auftrag für die Bundeswehr definiert
und daraus die notwendige Struktur abgeleitet. Und
wenn Ihre Vorgänger eine Kommission eingesetzt haben,
haben sie abgewartet, bis die Kommission ihr Ergebnis
vorlegte. Das war ein ganz normaler Vorgang. Sie machen
etwas anderes. Sie preschen stets vor, sorgen für
neue Überschriften und dadurch für eine erhebliche Verunsicherung
in der Truppe.
Im Übrigen gäbe es auch im Hinblick auf die in den
nächsten Wochen zu erwartende neue NATO-Strategie
Grund genug, sich ein bisschen Zeit für den Prozess zu
nehmen.
(Beifall bei der SPD)
Ich habe manchmal die Sorge, dass Ihnen mediale Inszenierungen
das Wichtigste sind. Unser Rat lautet: Sorgfalt
statt Eile.
Manchmal hat man sogar den Eindruck, dass bei Ihnen
sicherheitspolitische Entscheidungen tagespolitischer
Opportunität geschuldet sind. Wir wissen aber,
Strukturentscheidungen bei der Bundeswehr beeinflussen
die internationale Handlungsfähigkeit jeder Bundesregierung,
zum Beispiel auch die der nächsten Bundesregierung,
die sich in diesem Haus vielleicht schon
auf eine andere Mehrheit stützen wird. Entsprechende
Entscheidungen in der Sicherheitspolitik sind auch nicht
ohne Weiteres korrigierbar. Deshalb müssen wir den notwendigen
Diskurs führen, ohne den Grundkonsens, den
wir als Sozialdemokraten immer mit der Union hatten,
zu gefährden.
Ich höre Ihre Ankündigung immer wieder gerne, dass
Sie diesen Konsens suchen. Ich glaube daran aber erst
dann, wenn ein Format gefunden ist, in dem auch wir
unsere Ideen und Anregungen über zukünftige Strukturen
einbringen können und diese nicht ausschließlich
medial austauschen müssen. Finden Sie das Format und
Sie sind in diesem Bereich glaubwürdig.
(Beifall bei der SPD)
Dies gilt in allerhöchstem Maß für die zukünftige Ausgestaltung
der Wehrpflicht. Noch vor wenigen Monaten
haben auch Sie, Herr Minister, die Wehrpflicht für unverzichtbar
gehalten und haben sich für diese These den Applaus
bei vielen Soldaten abgeholt. Dann haben Sie selbst
eine Verkürzung des Grundwehrdienstes auf sechs Monate
unterschrieben. Damit haben Sie die Wehrpflicht
ohne eine sehr grundsätzliche und notwendige Debatte im
Grunde genommen schon damals zur Abschaffung freigegeben.
Denn auch die Gutwilligen, die die Wehrpflicht
für richtig halten, können keine sechsmonatige Grundwehrdienstzeit
unterstützen, die mehr Kosten verursacht
und mehr Aufwand für die Soldaten bedeutet und doch
am Ende keinen Nutzen mehr mit sich bringt.
(Beifall bei der SPD)
Jetzt wollen Sie die Wehrpflicht aussetzen. Niemand
von uns ist bisher auf die Idee gekommen – vielleicht
mit Ausnahme der Linken –, die Verfassung diesbezüglich
zu verändern. Das ist also auch keine stichhaltige
Argumentation.
Was ist in den letzten Wochen passiert, dass Sie plötzlich
zu einer anderen Einschätzung kommen? Herr Minister, die sicherheitspolitische Bewertung verändert sich doch nicht zwischen Frühjahr 2010 und Herbst
2011. Es gibt nur eine Veränderung, nämlich den Spardruck
in den Haushaltsberatungen. Es ist ganz klar: Die
Wehrpflicht in der bisherigen Form steht einer, wie auch
wir meinen, möglichen und auch notwendigen Verkleinerung
der Bundeswehr schlicht im Wege. Deshalb ist
es auch nicht Ihr Verdienst, dass es diese Debatte gibt.
Es ist auch nicht Ihr Verdienst, dass Herr Seehofer am
Ende – das kennen wir von ihm – seine Meinung geändert
hat. All die Damen und Herren haben gemerkt, es ist
die Macht des Faktischen, dass man bei der Wehrpflicht
nicht einfach so weitermachen kann wie in der Vergangenheit.
Sozialdemokraten sagen dies seit drei Jahren.
Wir haben diese Entwicklung unaufhaltsam auf uns zukommen
sehen. Deshalb haben wir schon damals die
Idee entwickelt, dass wir, wenn es die Wehrpflicht nicht
mehr gibt, junge Menschen bei der Truppe brauchen, die
freiwillig ihren Grundwehrdienst leisten. Das hat nichts
mit dem alten Argument zu tun, die Bundeswehr bedürfe
dieser Kontrolle.
Mich hat sehr beeindruckt, was die französische Verteidigungsministerin
bei uns im Verteidigungsausschuss
geantwortet hat, als wir sie gefragt haben, welche Wirkung
die Abschaffung der Wehrpflicht in Frankreich gehabt
hat. Sie sagte sinngemäß, dass sich seither nicht die
französische Armee von der Gesellschaft entfernt hat,
dass sie aber beobachtet, dass sich die Gesellschaft von
der Armee entfernt.
Wir alle wissen, dass die Bundesrepublik eine andere
Kultur im Umgang mit dem Militärischen hat. Das ist
ein sehr wichtiges Argument. Deswegen ist die Idee der
Freiwilligkeit gut. Sie nähern sich jetzt in Trippelschritten
unserer Idee an. Das begrüßen wir. Aber was notwendig
wäre, fehlt. Sie schaffen zwar verzagt mit dem
Rechenstift 7 500 Plätze für Freiwillige und begründen
dies damit, dass man soundso viele Soldaten zur Nachwuchsgewinnung
braucht. Trotzdem fehlt bei Ihnen der entscheidende Schritt: Es ist nicht nur ein Projekt für die Bundeswehr mit 7 500 Freiwilligen. Hinter unserer Idee
steckt ein breites gesellschaftspolitisches Konzept der
Stärkung und des Attraktivermachens der Freiwilligendienste
für junge Menschen, sowohl materiell als auch
ideell und in der gesamten gesellschaftlichen Breite.
Hierzu gibt es viele Ideen. Unser Angebot, Herr
Minister, bleibt: Wir sind bereit, uns bei diesem gesellschaftlichen
Projekt, um das es im Kern geht, mit unseren
Ideen auch in Zukunft einzubringen. Ich weiß auch,
dass wir das eine oder andere Detail, über das wir vor
drei Jahren in der Sozialdemokratie diskutiert haben,
heute selbstverständlich an der einen oder anderen Stelle
nachjustieren müssen.
Herr Minister, wir erwarten von Ihnen mit Blick auf
die Bundeswehrstruktur – das ist der nächste Punkt –,
dass Sie die Sicherheitsinteressen unseres Landes ernst
nehmen und dass Sie der Öffentlichkeit und dem Deutschen
Bundestag ein schlüssiges Modell präsentieren,
das der Verantwortung Deutschlands und den wohlverstandenen
deutschen Interessen in der Welt gerecht wird.
Sie liefern fünf Modelle und sagen, vier davon seien
überhaupt nicht brauchbar. Aber das fünfte Modell ist
ebenfalls geschönt: Weder die Flugbereitschaft noch die
Sportförderung, noch die Soldaten im Ministerium sind
zunächst einmal mit einbezogen.
Sie sagen: Wir haben ein Modell, das zwar knapp und
auf Kante genäht ist, das aber funktionieren wird. Ich
prophezeie Ihnen heute: Wenn dieses Modell in der Detailplanung
vorliegt, wird die staunende Öffentlichkeit
sehr schnell feststellen, welche wichtigen Fähigkeiten
bei den Streitkräften nach diesem Modell nicht mehr
vorhanden sind.
Herr Minister, Sie reden gerne so über sich, als ob Sie
ständig Klartext redeten. Das hier wäre eine Chance,
wirklich Klartext zu reden. Gehen Sie zum Finanzminister
und sagen Sie ihm, die Vorgabe, 40 000 Zeit- und Berufssoldaten
und 8,3 Milliarden Euro einzusparen, ist
nicht erfüllbar; denn auch das von Ihnen präferierte Modell
erfüllt diese Vorgabe überhaupt nicht. Klartext heißt:
nicht erfüllbar. Ich könnte als Minister mein Amt nicht
verantwortungsvoll ausfüllen, wenn ich zu solch einem
Modell aus fiskalischer Sicht gezwungen würde.
Aber Sie machen etwas ganz anderes. Sie sagen – so
wie die oberfränkische Metzgersfrau – dem Parlament:
„Es darf ja vielleicht ein bisschen mehr sein“, und in
Wirklichkeit verstecken Sie sich hinter dem Parlament
und dem Finanzminister, anstatt Ihrer Verantwortung gerecht
zu werden.
(Beifall bei der SPD)
Ich finde es schon interessant: Sie sind der populärste
Politiker in Deutschland.
(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das kann
man gar nicht oft genug wiederholen!)
Natürlich würde es Spaß machen, der Frage nachzugehen,
woher das kommt. Kommt es von politisch qualifiziertem
Handeln, oder ist es eher der medialen Inszenierung, bei
der die Truppe bei Ihnen manchmal auch Staffage und Dekoration
ist, geschuldet? Ich will dieser Frage nicht nachgehen.
Aber eine andere Frage möchte ich Ihnen doch
stellen: Was macht ein Minister, der so populär ist, eigentlich
mit seiner Popularität? Wo bringt er das Gewicht,
das ihm seine Popularität verschafft, auch tatsächlich zum
Nutzen der Soldaten ein?
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie sind ein
Neidhammel!)
Sie sind Klassenprimus, was das Sparen angeht, beim
Finanzminister. Der erste Sündenfall war W6. Der zweite
Sündenfall war, dass Sie, ohne einen Piep zu sagen, der
Nacht-und-Nebel-Streichaktion Ihrer Haushälter zugestimmt
haben, die Ihnen 456 Millionen Euro aus dem
Haushalt genommen haben mit der Folge, dass sich die
Soldaten jetzt wundern, dass das Geld bei den Betriebsmitteln
so knapp ist.
Sie haben den dritten Sündenfall begangen, Herr
Minister, indem Sie bei Ihrer so bedeutenden Hamburger
Rede gesagt haben: Der höchste Parameter für die strategische
Ausrichtung der Bundeswehr ist die Schuldenbremse, und der Finanzrahmen wird den strukturellen Rahmen und den eigenen Anspruch vorgeben. Das waren
Ihre Worte in Hamburg. Heute reden Sie wieder ganz
anders. Ich weiß nicht, was stimmt. Aber eines weiß ich:
Wer dem Finanzminister – egal was für ein Parteibuch er
hat – einen solchen Ball zuspielt, der darf sich nicht
wundern, dass der Finanzminister diesen Ball sehr dankbar
annimmt.
(Beifall bei der SPD)
Damit mich niemand falsch versteht: Auch Sozialdemokraten
wissen, dass man auch bei der Bundeswehr
sparen muss, dass es dort Effizienzreserven gibt, dass es
Doppelungen gibt, dass es Schwächen in der Führungsstruktur
gibt. Wir sind auch bereit, darüber mit Ihnen zu
reden. Wir werden aber bei den Debatten in den nächsten
Wochen auf ein paar Punkte in besonderer Weise achten.
Auf dem Weg zu dieser neuen Struktur werden wir
darauf drängen, dass die Zusagen, die Deutschland den
internationalen Organisationen gegeben hat, stringent
eingehalten werden. Es reicht nicht, dass Frau Merkel
und Herr Westerwelle nach New York fahren, wenn die
Bundeswehr nicht mehr in der Lage ist, die Zusage,
1 000 Mann für besondere Aufgaben der Vereinten Nationen
zur Verfügung zu stellen, einzuhalten.
Wir werden einfordern, dass es nicht nur eine Debatte
über die Bundeswehrstruktur und diesen vernetzten Ansatz
in Sonntagsreden gibt, sondern dass wir auch einmal
darüber reden, was wir eigentlich tun, nachdem wir wissen,
dass internationale Krisenbewältigung nicht nur Soldaten,
sondern auch viele zivile Fähigkeiten braucht. Was
tut die Bundesrepublik eigentlich im Bereich der Zurverfügungstellung
von Polizeifähigkeiten für internationale
Krisen? All dies fehlt.
Wir werden darauf achten, dass es nicht nur eine Einsatzarmee
ist, sondern dass es weiterhin glaubhafte Bausteine
zur Bündnisfähigkeit gibt; denn wir haben eine
europäische Vision von Streitkräften. Diese europäische
Vision wird nur erreicht werden, wenn das größte und
wirtschaftsstärkste Land in Europa Vertrauen bei den
kleinen Partnern, vor allen Dingen in Osteuropa, findet.
Nur dann, wenn die Osteuropäer wissen, die Deutschen
sind bereit, mit ihrem Gewicht und ihren Möglichkeiten
für die gemeinsame Sicherheit einzutreten, werden wir
tatsächlich eine Chance haben, weitere Schritte hin zur
Vision einer europäischen Armee zu gehen. Im Übrigen
werden wir nur so die Chance erhalten, in Europa zu
weiteren Abrüstungsschritten zu kommen; denn dies hat
auch etwas mit Vertrauen in eigene Fähigkeiten zu tun.
Zum Ende möchte ich sagen, was bei der Bundeswehr
besonders wichtig ist – eigentlich hätte ich es an den Anfang
meiner Rede stellen sollen –: der Mensch. Wichtig
sind nicht Technik, nicht Waffen; wichtig ist, was die
Menschen leisten, ihre Motivation, ihr Verantwortungsbewusstsein,
ihre Moral, ihr Verständnis vom Staatsbürger
in Uniform, das Leben der Prinzipien der Inneren
Führung. Dazu gehört auch: Wir werden alles verhindern,
was dazu führt, dass die deutschen Soldaten strukturell
bedingt länger als vier Monate in den Auslandseinsatz
müssen. Dies würde sie aus ihrem sozialen
Gefüge herausreißen, und zwar in einer Art und Weise,
die dazu führen würde, dass wir am Ende eine andere
Armee haben.
Herr Minister, Sie haben kürzlich gesagt: Schaut doch
mal nach Großbritannien und Frankreich! Wir tun das
seit langem. Sie haben recht: Auch diese Länder reduzieren
die Streitkräfte; aber ihnen ist die Frage, wie lange
Soldaten im Einsatz sind, relativ egal. Es handelt sich
um Regierungsarmeen, nicht um Parlamentsarmeen; die
Soldaten werden einfach weggeschickt. Da würden wir
Sozialdemokraten nicht mitmachen.
Herr Minister, es bleibt wichtig – Sie selbst haben es
formuliert –: Für die Soldaten ist es entscheidend, dass
sie der Politik vertrauen können. Meine Sorge ist: So wie
die Deutschen insgesamt das Vertrauen in die Bundesregierung
verloren haben, so haben auch Sie, Herr Minister,
durch das Hin und Her in den letzten Wochen und
Monaten Ihren Beitrag dazu geleistet, dass das Vertrauen
der Soldaten in die Politik und in die Regierung schwindet.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Koppelin
für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Sie haben von der großen Herausforderung
gesprochen, vor der wir jetzt stehen. Das ist richtig.
Sie haben vom Mut auch Ihrer Vorgänger gesprochen. Es
gab jemanden, der besonders viel Mut hatte: Das war die
Freie Demokratische Partei. Wir haben nämlich seit vielen
Jahren gefordert, dass aus unserer Bundeswehr eine
Freiwilligenarmee wird.
(Johannes Kahrs [SPD]: Das macht es nicht
besser!)
Wir haben uns das nicht leicht gemacht; wir haben sogar
einen Sonderparteitag veranstaltet und unter den Mitgliedern
darüber abgestimmt. Das war ein schwieriger
Weg.
Herr Minister, insofern habe ich Verständnis dafür,
wenn es bei Ihnen in der Fraktion, bei CDU und CSU,
Stimmen gibt, die sich für die Beibehaltung der Wehrpflicht
aussprechen. Man muss natürlich sagen: Wer für
die Wehrpflicht ist, müsste sich für eine Wehrpflicht aussprechen,
die nicht 6 oder 9 Monate dauert, sondern
18 Monate oder länger; denn dann macht sie Sinn. Das
will aber keiner mehr. Respekt, dass Sie die Mitglieder
der Fraktion der CDU/CSU überzeugt haben! Vielleicht
können Sie mir bei Gelegenheit sagen, wie Sie es geschafft
haben, Herrn Seehofer zu überzeugen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)
Aber alle Achtung: Sie haben es geschafft! Dafür Respekt
und Anerkennung!
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müsste er Herrn Rösler sagen und
nicht Herrn Koppelin!)
Nun kommt der Kollege Arnold und beklagt sich.
Dazu muss ich sagen: Ich hätte gerne gehört – die Öffentlichkeit
wäre sehr interessiert gewesen –, wie die Alternative
der Sozialdemokraten aussieht. Sie kommen
dann und sagen – da wird es nebelig –: Wir Sozialdemokraten
haben vor drei Jahren etwas beschlossen. Warum
haben Sie es nicht früher umgesetzt?
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir uns damals auch gefragt!)
Sie haben doch regiert.
(Rainer Arnold [SPD]: Weil die CDU nicht
mitgemacht hat!)
– Nein, nein. Sie waren doch vorher in einer Koalition
mit den Grünen. Die Grünen waren zumindest für die
Aussetzung der Wehrpflicht oder gar für ihre Abschaffung.
Da haben Sie sich doch stur geweigert.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Nun kommen Sie und werfen uns vor, es gäbe noch
keine Ergebnisse von irgendeiner Kommission. Sie sitzen
schon seit ein paar Jahren im Verteidigungsausschuss.
Ich habe auch im Verteidigungsausschuss angefangen.
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU –
Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]:
Jetzt wird einiges klar!)
Da müssten Sie eigentlich die Ergebnisse der Unabhängigen
Kommission kennen, die auf Wunsch der Freien
Demokraten eingesetzt wurde. Das Ergebnis war damals:
Sollte jedoch die Reduzierung der Streitkräfte auf
unter 370 000 erforderlich werden, stellt sich die
Frage der Wehrform neu. Die Option Freiwilligenarmee
sollte dann ernsthaft geprüft werden.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es denen wöchentlich vorgehalten! Die brauchen etwas länger!)
Das kannten Sie doch. Sie waren in der Regierung und
hätten es machen können.
(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Von 1991 bis 1998 wart ihr doch dran!)
Ich könnte weitere Zitate anbringen. Sie haben nichts getan
und sich stur geweigert. Sie waren zu Reformen
nicht bereit.
Ich sage das, weil etwas Ähnliches vorhin bei der Diskussion
über den Bereich des Auswärtigen eine Rolle
spielte. Der Kollege Kindler hat gesagt: Wir als Grüne
haben uns nicht durchsetzen können.
(Johannes Kahrs [SPD]: Das war auch gut so!)
Rot-Grün ist ja eine tolle Alternative, wenn sich die
Grünen nicht durchsetzen können. Sie haben sich bei der
Freiwilligenarmee nicht durchsetzen können; Sie haben
sich auch bei anderen Punkten nicht durchsetzen können.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, weil Sie ja alles kriegen, was
Sie wollen! Sie haben Ihre Steuersenkung bekommen! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
– Dazu kann ich Ihnen gerne etwas bei der Abschlussrunde
am Freitag sagen.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da freue ich mich sehr drauf!)
Zu einem anderen Punkt. Wenn Sie mich schon ansprechen:
Was habe ich denn von den Grünen in diesen
Tagen gelesen? Die großen Beschaffungsmaßnahmen
müssten auf den Prüfstand.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Das finde ich wunderbar. Wissen Sie, was wir abarbeiten?
Wir arbeiten die großen Beschaffungsmaßnahmen
ab, die uns Rot und Grün eingebrockt haben und die Milliarden
kosten. MEADS wurde von Ihnen beschlossen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn den Eurofighter bestellt?)
– Herr Kollege Bonde, ich lege Ihnen gerne die Anträge
vor: Der Deutsche Bundestag hat mit den Stimmen von
SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP die Bestellung von 90 Transportflugzeugen A400M
beschlossen.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Regierung hat sich wieder erpressen lassen um Millionen!)
Herr Struck hat die Zahl auf 60 gesenkt. Wir mussten sogar
vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, weil Sie
das am Parlament vorbei machen wollten. Wir haben gegen
den damaligen Verteidigungsminister obsiegt. Der
Bundesrechnungshof hat damals schon gesagt: 40 reichen.
– Was ist mit den anderen? Was ist mit Herkules?
Das war ein Milliardengrab. Das Ergebnis war null. Wer
hat das damals beschlossen? Wir haben es nicht beschlossen.
Sie haben es beschlossen, Rot und Grün. Sie
haben Milliarden in den Sand gesetzt, die der Bundeswehr
gefehlt haben.
(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Genau!)
Kollege Arnold, Sie sprechen davon, dass wir bei den
letzten Haushaltsberatungen Streichungen vorgenommen
haben. Wissen Sie, wann die größte Streichorgie stattgefunden
hat? Das war, als der sozialdemokratische Finanzminister
entgegen dem Wahlversprechen die Mehrwertsteuer angehoben
hat. Das hat die Bundeswehr 700 Millionen
gekostet.
(Rainer Arnold [SPD]: Sagen Sie doch mal, ob
Sie MEADS stoppen oder ob es weitergeht!
Ganz konkret!)
Das war die größte Streichaktion.
Ich finde, Herr Kollege Arnold, Sie haben die Chance
verpasst. Es gibt nämlich bei der Bundeswehr große Probleme,
die wir lösen müssen. Ich greife eines heraus: das
Sanitätswesen. Das bereitet mir große Sorgen. Nachdem
ich Anfragen an das Verteidigungsministerium gestellt
habe, muss ich feststellen, dass uns eine Vielzahl, mehrere
Hundert, Sanitätsoffiziere fehlen, die in kürzester
Zeit den Dienst quittiert haben. Mitarbeiter der vier Bundeswehrkrankenhäuser
haben 40 000 Überstunden angesammelt.
Ich könnte diese Liste fortsetzen. Wir müssen
uns in den Haushaltsberatungen dieser Sache annehmen.
Das kann so nicht mehr weitergehen. Wir sind es unseren
Soldaten schuldig, dass wir uns darum kümmern.
(Abg. Johannes Kahrs [SPD] meldet sich zu
einer Zwischenfrage)
– Herr Kollege Kahrs darf das, weil er heute Geburtstag
hat und ich ihm herzlich gratuliere.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kahrs, bitte sehr.
Johannes Kahrs (SPD):
Ich danke für das erteilte Wort. – Wenn das alles so
tragisch ist, dann frage ich mich, warum du alleine, auch
gegen die CDU/CSU, die Kürzung in Höhe von 450 Millionen
Euro beim diesjährigen Etat der Bundeswehr
durchgesetzt hast; denn das Geld fehlt doch jetzt.
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Das will ich gerne beantworten. Wir haben in den Bereichen
Kürzungen vorgenommen, in denen wir festgestellt
haben, dass im Etat zuvor die Mittel nicht abgeflossen sind.
Ich bin für Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit; das
heißt, wenn das Verteidigungsministerium meint, dass
die Mittel knapp sind, dann muss man mit uns darüber
reden. Ich könnte viele Beispiele nennen, das erlaubt mir
die Zeit aber nicht; denn die Uhr läuft.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich weiß.
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Aber ich erkläre dir das gerne. Du bist ja Experte im
Bereich des Haushalts des Verteidigungsministeriums,
wie man allgemein weiß und auch in der Zeitung lesen
kann.
(Heiterkeit)
Wenn die Mittel nicht abfließen und ich als Haushälter
weiß, dass sie auch in diesem Jahr nicht abfließen werden,
dann kann ich die Kosten reduzieren. Wir haben
auch Steigerungen vorgenommen. Ich zeige es dir gern.
Ich weiß, dass du auch in den letzten Haushaltsberatungen
diese Frage immer gestellt hast. Sie wird dadurch
aber nicht besser.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Johannes Kahrs (SPD):
Deine Antwort auch nicht.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Es gibt einen weiteren Bereich, den uns auch Rot-
Grün eingebrockt hat. Herr Arnold, dabei handelt es sich
um das Gesetz, das Sie beschlossen haben, nämlich zum
Liegenschaftsmanagement. Man stelle sich einmal vor
– es muss umgesetzt werden, weil das Gesetz seit 2005
gültig ist –: Die BImA bekommt plötzlich die Verantwortung
für sämtliche Gebäude des Verteidigungsministeriums;
das sind Kasernen usw. Dort hat man gar nicht
das Personal für eine solche Aufgabe. Wir müssen versuchen,
das zu lösen. Es wird eine riesige Menge Geld kosten,
ohne dass es Sinn macht. Auch das hat uns Rot und
Grün eingebrockt. Das arbeiten wir jetzt alles ab. Wir
müssen sehen, wie wir das hinbekommen. Sie können
sich im Verteidigungsausschuss gerne damit beschäftigen.
Es ist klar – ich wiederhole: auch wir sind dabei –:
Die großen Beschaffungsmaßnahmen kommen auf den
Prüfstand. MEADS muss beendet werden.
(Elke Hoff [FDP]: Jawohl!)
Große Sorgen machen uns auch andere Themen wie
NH-90. Herr Minister, was Transportflugzeuge angeht:
Ich mahne an, dass wir endlich ein Ergebnis vorgelegt
bekommen. Es war für Mitte des Jahres angekündigt
worden, es wird also langsam Zeit. Es liegt nicht an Ihnen
allein. Sie haben Partner; aber ich denke, wir sollten
endlich wissen, wohin die Reise gehen soll.
Zum Abschluss. Ich habe in diesen Tagen das Buch
einer Soldatin gelesen, das sie über ihren Einsatz im
Ausland geschrieben hat. Das hat mich sehr bewegt. Ich
möchte daraus zitieren. Sie schreibt:
Viele Menschen denken nicht darüber nach, dass
diese jungen Kameraden ihr Leben für die Bundesrepublik
Deutschland riskieren. Die Mehrheit denkt,
die Soldaten gingen für das viele Geld in den Einsatz.
Den Soldaten fehlt einfach eine Lobby.
Ich sage hiermit zu – ich glaube, das für den gesamten
Deutschen Bundestag tun zu können; bei den Linken
weiß ich das nicht genau –: Wir werden ihre Lobbyisten
sein. Wir werden uns um die Soldatinnen und Soldaten
kümmern. Das muss ein Schwerpunkt unserer Politik
sein. Wenn das Parlament Soldaten zum Einsatz ins Ausland
schickt, dann müssen wir – schließlich ist es eine
Parlamentsarmee – die Lobbyisten sein.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Paul Schäfer für die
Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
folgerichtig, dass wir hier nicht über einzelne Etatposten
im Einzelplan reden, sondern über die geplante Reform
der Streitkräfte, also über die Zukunft der Bundeswehr –
nicht mehr und nicht weniger.
Fragt man die Leute, so sagen 82 Prozent, bei der
Rüstung könnte und sollte angesichts der Haushaltsschwierigkeiten
gespart werden. Eine seit langem stabile
Mehrheit von deutlich über 60 Prozent erklärt, dass die
Bundeswehr schnellstens aus Afghanistan abgezogen
werden müsste. Ja, so klug sind die Leute.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich finde es auch interessant, dass die neueste Shell-
Jugendstudie herausgefunden hat, dass die Mehrheit der
Jugendlichen, die befragt worden sind – das ist ein großer
Unterschied zu früher –, gegen die Auslandseinsätze
ist. Auch hier hat sich etwas verändert.
(Elke Hoff [FDP]: Wir reden über den Haushalt, nicht über Mandatsverlängerungen!)
Dass die Mehrheit der Bevölkerung bei den Rüstungsausgaben
kürzen will, zeigt, dass sich diese Mehrheit
nicht mehr einer akuten Gefahr ausgesetzt sieht. Anders
kann man das nicht erklären. Das deckt sich auch
mit Ihrer sicherheitspolitischen Aussage: Deutschland ist
auf absehbare Zeit nicht militärisch bedroht.
Unter dieser Voraussetzung sagt die überwältigende
Mehrheit, dass wir uns einen Wehretat von mehr als
34 Milliarden Euro nach NATO-Kriterien nicht länger
leisten können und wir das Geld an anderer Stelle dringender
benötigen. Auch das sagen die Leute deutlich.
Für mehr Kita-Plätze, für eine vernünftige soziale
Grundsicherung und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs
soll das Geld ausgegeben werden, sagt
die Mehrheit der Bevölkerung, und das ist vernünftig.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Mehrheit für den Abzug aus Afghanistan ist damit
zu erklären, dass die Leute sehen, dass dort etwas
grundsätzlich schiefgelaufen ist. Sie wollen nicht, dass
wir und nicht zuletzt unsere Soldatinnen und Soldaten
immer tiefer in den Morast eines Krieges gezogen werden,
der nicht zu gewinnen ist.
Ich finde, beides sind vernünftige Positionen. Das ist
eine Messlatte für die Bundeswehrplanung, für die Reform
der Streitkräfte. Rüsten Sie kräftig ab, oder tun Sie
es nicht? Beenden Sie diese militärischen Abenteuer
oder nicht? Das sind die Grundfragen.
(Beifall bei der LINKEN)
Für uns geht es in dieser Debatte tatsächlich darum:
Soll nur das Bestehende effektiviert und optimiert werden,
oder soll eine neue Grundrichtung eingeschlagen
werden? Die Linke will, dass es eine andere Sicherheitspolitik
gibt, die darauf setzt, dass wir uns an keinen Kriegen
in der Welt beteiligen, dass wir uns NATO-Militärinterventionen
verweigern, dass wir Ernst machen mit
Konzepten ziviler Krisenvorbeugung und wir durch Abrüstung
viel Geld für zivile Krisenvorbeugung und -bewältigung
umschichten können.
Wir sind der Meinung, dass die drängenden sicherheitspolitischen
Fragen, mit denen wir zu tun haben, ob es
sich um die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen
oder die Hilfe für sogenannte auseinanderfallende
Staaten oder um die postfossile Energieversorgung oder
den Terrorismus handelt, mit zivilen, friedlichen Mitteln
bearbeitet werden müssen. Das leiten wir daraus ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Und wir sagen: Deutschland soll eine bestimmte Rolle
spielen. Bei Abrüstung, gerechter Entwicklungszusammenarbeit,
Energiewende, mehr humanitärer Hilfe, die
jetzt zum Beispiel in Pakistan dringend notwendig ist,
oder rechtsstaatlicher Kooperation kann sich Deutschland
hervortun, aber nicht mit Spezialkräften, Einsatzbataillonen
und Kampfhubschraubern.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Das ist unsere Grundposition.
Sie sagen wiederholt selbst: Eigentlich ist die dringende
Aufgabe der Zukunft die Prävention, die Vorbeugung,
also die Gewaltvermeidung. – Nur tun Sie das Gegenteil.
Sie stellen sich mit Ihrer Bundeswehrreform auf
das Gegenteil ein. Sie wollen die Bundeswehr als globales
Expeditionskorps effektivieren und optimieren. Sie
sagen: Es geht nicht um ein Expeditionskorps. – Im Kern
geht es aber darum. Die Truppen sollen schneller an jeden
beliebigen Ort verlegt werden können, dort länger
durchhalten und schlagkräftiger werden, wobei ich mir
jetzt die Bemerkung schenke, was „schlagkräftiger“ in
diesem Zusammenhang bedeutet. Wenn dann bei diesem
Umfeld noch hinzugefügt wird, man müsse das Militär
künftig auch mehr für die Durchsetzung wirtschaftlicher
Interessen einsetzen, dann wird es brandgefährlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Ob Sie dann noch – wenn das Ihre Richtung ist – zum
rigorosen Sparen bereit sind – ob Sie es durchsetzen
können, steht auf einem anderen Blatt –, weiß ich nicht.
Ich weiß: Sie wollen durch Personalabbau und die Aussetzung
der Wehrpflicht in der Tat Kosten reduzieren.
Vielleicht schaffen Sie es sogar, die Gesamtsumme des
Rüstungshaushaltes vorübergehend etwas zu drücken;
ich komme am Schluss meiner Rede noch einmal darauf.
Aber wenn Sie 10 000 statt wie bisher 7 000 Soldaten für
Dauereinsätze einplanen, dann ist das mehr als eine theoretische
Möglichkeit oder eine rein abstrakte Planungsvorgabe.
Das kann morgen Realität werden. Wenn Sie an
diesem Kurs „Interventionsarmee weltweit“ mit einem
möglichst breiten Fähigkeitsspektrum und breit angelegten
Einsatzoptionen festhalten, dann reden wir in naher
Zukunft nicht über Abspecken oder Gesundschrumpfen,
sondern leider wieder über neue Aufrüstung, neue Rüstungslasten.
Dafür muss man, glaube ich, kein Prophet
sein.
Leider marschiert nicht nur die Bundesregierung in
die falsche Richtung, auch die vormaligen Regierungsparteien
bewegen sich in diesem Mainstream, und wenn
es darauf ankommt, schleichen sie lieber um den heißen Brei herum. Die Grünen haben Afghanistan fest im Blick und wollen vom Einsatz her denken. Da bleibt
nicht mehr viel Kritik. Die SPD wirft der Regierung vor,
diese verordne der Truppe ein Spardiktat, das in diesem
Maße nicht gerechtfertigt sei. Nach dem Motto – Sie, lieber
Kollege Arnold, haben es an anderer Adresse erwähnt
– „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ wollen Sie
beim Personalumfang und bei den Rüstungsausgaben
den Minister Guttenberg noch toppen und ihn dazu bringen,
wieder etwas draufzupacken. An der Musterung
wollen Sie sogar festhalten. Ich sehe mich in einer verkehrten
Welt. Wo aber wollen Sie eigentlich hin?
(Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie das!)
Ich finde, es wird Zeit, dass sich die Parteien, die uns
den Militärinterventionismus mit dem Sündenfall
Kosovo eingebrockt haben, neu besinnen und auf eine
Beendigung der NATO-Militäreinsätze drängen.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die Linke besteht kein Zweifel: Deutschland
braucht eine andere, eine friedlichere Außen- und Sicherheitspolitik.
Wir schlagen dazu Folgendes vor.
Erstens. Keine deutsche Beteiligung an Auslandskriegseinsätzen.
Gerade Afghanistan hat gezeigt, wie
schwer oder unmöglich es ist, wenn man erst einmal in
der Gewaltspirale ist, dort wieder herauszukommen.
Wenn man sich auf so etwas einstellen will, heißt das: Es
werden enorme Ressourcen verschlungen, für U-Boote,
Fregatten oder Langstreckenflugzeuge, die wir uns sparen
sollten.
Zweitens. Tiefgreifende Abrüstung ohne Sicherheitseinbußen
ist möglich. Das muss jetzt energisch vorangebracht
werden. Die Bundeswehrführung hat es
gerade noch einmal bestätigt: Eine unmittelbare Bedrohungslage
existiert nicht. Daher ist eine erhebliche Verkleinerung
der Bundeswehr, ist der Verzicht auf eine
Reihe von Waffensystemen ohne Sicherheitseinbußen
möglich. Dadurch werden sogar Mittel frei für eine Außen-
und Sicherheitspolitik mit friedlichen und zivilen
Instrumenten, die eine tragfähige Entwicklung in anderen
Regionen der Welt ermöglichen und damit unter dem
Strich unsere Sicherheit erhöhen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die atomare Abrüstung – das sagen alle – steht mehr
denn je auf der Tagesordnung. Leisten wir doch unseren
Beitrag zu Global Zero, indem wir mit der Null hier in
Deutschland anfangen und die nukleare Teilhabe endlich
auf den Müllhaufen der Geschichte werfen! Das wäre
nötig.
(Beifall bei der LINKEN)
Dann kann man auch das Luftgeschwader der Bundeswehr,
das diese Terrorwaffen ans Ziel bringen soll, auflösen.
Drittens. Das Grundgesetz stellt fest, dass der Bund
Streitkräfte zum Zweck der Verteidigung aufstellt. Wir
wollen, dass man sich auf die Landesverteidigung im
Bündnis konzentriert. Wenn wir Verteidigung sagen,
dann meinen wir das auch so. Deutschland benötigt
demzufolge keine Führungskommandos für schnelle
Eingreiftruppen, genauso wenig wie geheime KSK-Operationen
im Ausland. Meine Meinung zumindest ist, dass
Multinationalität der Streitkräfte gut ist, aber nicht, wenn
diese Einheiten für Interventionen in anderen Staaten
konzipiert sind. NATO-Response-Force und EU-Battle-
Groups können unseres Erachtens aufgelöst werden. Wir
sollten uns nicht länger daran beteiligen.
(Beifall bei der LINKEN)
Viertens. Aufhebung der Wehrpflicht. Das erklärt
sich von selbst. Die Zahlen, die der Herr Minister so beeindruckend
vorgetragen hat, sind hier schon dutzendmal
erwähnt worden. Es ist darauf gedrängt worden,
endlich mit diesem Anachronismus Schluss zu machen.
Aber Sie hatten sich hier verhakt. Dieser Zwangsdienst
muss ein Ende haben, und zwar nicht irgendwann, sondern
sofort.
(Beifall bei der LINKEN)
Fünftens. Wir möchten alles, nur keine reine Berufsarmee,
sondern eine Bundeswehr, die im Kern eine Freiwilligenarmee
ist. Die Soldaten auf Zeit, die dann in das
bürgerlich-zivile Leben übergehen und schon in ihrer
Militärdienstzeit darauf vorbereitet werden, sollten das
Rückgrat der Truppe bilden.
Ansonsten ist alles, was Zivilität in den Streitkräften
bewahrt und weiterentwickelt, zu verteidigen und auszubauen.
Das beginnt bei der zivilen Wehrverwaltung,
reicht über zivile Anteile bei der Ausbildung der Soldatinnen
und Soldaten und endet bei der Revitalisierung
des Prinzips des Staatsbürgers in Uniform.
Sechstens. Wir wollen einen sozial verträglichen Umbau
und Konversionsprogramme, mit denen dieser Umbau
organisiert wird; denn diese Umstellung ist nicht
zum Nulltarif zu haben. Das wissen wir auch. Personalkürzungen,
Standortschließungen und die Beendigung
von Rüstungsprogrammen müssen gut vorbereitet werden. Deshalb brauchen wir jetzt Überlegungen für Konversionsprogramme.
Meine Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
eine Schlussbemerkung. Ihre Absichten, bei den großen
und überdimensionierten Beschaffungsprogrammen jetzt
auf die Bremse zu treten, Herr Minister, sind wenig
glaubhaft. Es erscheint mir sehr kühn, dass ausgerechnet
Sie, genauer gesagt: dass ausgerechnet die Hauptlobbyparteien,
die derzeit die Regierung bilden, jetzt die Rüstungswirtschaft
in die Schranken weisen. Das ist in
meinen Augen Fantasy pur. Ich traue Ihnen einiges, ja
sogar vieles zu, lieber Herr zu Guttenberg, aber das traue
ich Ihnen nicht zu.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie über Priorisierung reden, sollten wir festhalten,
dass allein für drei Waffensysteme – A400M,
Puma und Eurofighter – in den nächsten vier Jahren
mehr als 8 Milliarden Euro verplant sind. Daher kann es
nach unserer Auffassung nicht darum gehen, Vorhaben
zu strecken, zu modifizieren oder zu schieben. Vielmehr brauchen wir bei diesen Großprojekten einen hundertprozentigen
Ausgabenstopp. Die Zeit der Alimentierung
der deutschen Rüstungsindustrie muss endlich vorbei
sein.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Alexander Bonde.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die vergangenen Auseinandersetzungen über den Bundeswehretat
haben wir noch gut in Erinnerung. Sie fanden
zu Beginn dieses Jahres statt. Schon damals habe ich
darauf hingewiesen, dass es eine Verschwendung ist,
knappe Ressourcen fortdauernd in sicherheitspolitisch
nicht mehr zu begründende Strukturen zu stecken. Außerdem
haben wir Grüne darauf hingewiesen, dass der
Erhalt des Grundwehrdienstes zu einem erheblichen
finanziellen Mehrbedarf führt, der nicht mit einem sicherheitspolitischen
Mehrwert verbunden ist.
Das Neue an dieser Debatte ist, dass diese zwei Sätze
nicht mehr von mir stammen, sondern vom Generalinspekteur,
und keine wütenden Proteste der Union und
der FDP mehr hervorrufen, sondern Teil dessen sind,
was Sie uns heute als neue Erkenntnisse vorgestellt haben.
Die spannende Frage ist, woraus diese Wende resultiert.
Das werden wir heute nicht erörtern. Wir können
Ihnen aber sagen: Wir sind froh, dass Sie sich endlich
aus der Verweigerungshaltung herausbegeben und erkannt
haben, dass sich auch die Bundeswehr der Frage
eines effizienten Mitteleinsatzes stellt und stellen muss.
Wir sind dabei an einem spannenden Punkt, weil Sie
über die Ankündigung bisher noch nicht hinaus sind. Sie
haben heute ein Modell vorgestellt – mit 163 500 Soldaten
– und sind gleich wieder zurückgerudert mit der Ansage:
Es dürfen auch gerne noch mehr werden. – Im Verteidigungsausschuss
haben wir einen Wettbewerb von
CDU und SPD erlebt hinsichtlich der Frage, wie viel
mehr es noch werden dürfen. Ich bin gespannt, ob Sie in
diesem Wettbewerb der Volksparteien zum Schluss
wirklich noch etwas reduzieren, wenn es Ihnen darum zu
gehen scheint: Wer bietet eigentlich mehr Soldatinnen
und Soldaten?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie wissen auch, dass Sie bei der Effizienz noch nicht
da angekommen sind, wo Sie anzukommen versprochen
haben. Sie haben den Verteidigungsetat jetzt der Sparfrage
unterworfen. Sie haben angekündigt – das bringt
der Finanzplan zum Ausdruck, den wir heute mit beraten –,
dass Sie bis 2014 in der Lage sein werden, dem Finanzminister
4,7 Milliarden Euro an Einsparungen im Jahr zu
liefern.
Ihr Sparbeitrag für dieses Jahr ist, dass Sie laut Haushalt
1 Milliarde Euro mehr brauchen. Selbst Ihr optimistischstes
Modell lässt im Jahr 2014 eine Lücke von
2,7 Milliarden Euro. Das lässt einen aufhorchen, wenn
gleichzeitig ein Überbietungswettbewerb stattfindet.
Insofern ist die Nagelprobe für den Heeresreformer
zu Guttenberg nicht das Ankündigen, sondern das Umsetzen.
Wenn es in die richtige Richtung läuft, haben Sie
uns kritisch an Ihrer Seite. Wir passen aber auf, weil die
Reform bisher ein Papiertiger ist, dessen Sprungweite
noch zu definieren ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen wissen, wie weit Sie gehen. Es gibt in dieser
Debatte ja bizarre Situationen. Sie haben endlich eingesehen:
Bei der Wehrpflicht muss etwas passieren.
Nach langem Festhalten am Musterungsprozess haben
Sie jetzt sogar verstanden, dass auch die Musterung fallen
muss, weil es keinen Sinn macht, 5 000 Leute in
Kreiswehrersatzämtern vorzuhalten, die keine Funktion
mehr haben.
In dieser Frage ist übrigens die Haltung der SPD interessant.
Ich habe heute Morgen gelesen, dass der Kollege
Bartels gesagt hat, auch bei Aussetzung der Wehrpflicht
brauche man die Musterung, um Kontakt zu potenziell
Freiwilligen zu haben.
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Arnold [SPD]: Lesen Sie den
nächsten Satz auch!)
Ich weiß nicht, welchen Kontakt Sie bei der Musterung
hatten. Ich kann nur sagen: Das Kommando „Hinter die
Wand und jetzt bitte husten!“ hat die Bundeswehr für
mich nicht attraktiver gemacht, Kollege Bartels.
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU,
der SPD, der FDP und der LINKEN)
Aber geschenkt.
Die entscheidende Frage ist: Kommt die Reform jetzt
tatsächlich auf den Weg? Sie haben sicherheitspolitisch
einen weiten Weg zurückgelegt, den Sie strukturell noch
nicht unterfüttert haben. Eine Nagelprobe wird sein, wie
Sie mit den Rüstungsbeschaffungen umgehen, die
schon heute nicht mehr in die Finanzlinie zu bekommen
sind.
Vor der großen Kehrtwende – bevor Sie die Blockadehaltung
Ihres Vorgängers beendet haben, der in Sachen
Wehrreform überhaupt nichts zustande gebracht hat bzw.
zustande bringen wollte – haben Sie Ihre Unterschrift
noch unter richtig große Kostenblöcke gesetzt: dritte
Tranche Eurofighter und A400M. Massive Kostensteigerungen
haben Sie einfach in Kauf genommen, auf die
Strafzahlungen der Industrie verzichtet und die Chance
nicht genutzt, in Neuverhandlungen zumindest eine massive
Reduzierung, wenn nicht die Einstellung dieses Projekts,
von dem keiner weiß, ob es jemals funktioniert, zu
erreichen. Die Strategie „Erst bei den Kosten auf das
Gaspedal treten, um hinterher die Bremse anzukündigen“
ruft schon die eine oder andere Frage nach Ihrem
sicherheitspolitischen Führerschein hervor, Herr Minister.
Sie haben jetzt Zeit, diese Fragen zu beantworten. Wir
verstehen, dass Ihr Konzept einige Parteitage durchlaufen
muss. Wir verstehen nicht, dass Sie uns heute nicht
sagen, wo Sie die globale Minderausgabe in Höhe von
800 Millionen Euro in Ihrem Haushalt aufbringen wollen.
Aber das werden Sie uns bestimmt noch verraten.
Ab sofort gilt: Gemessen werden Sie nicht an einem
„Top Gun“-Bild auf Seite eins der Bild-Zeitung, sondern
daran, welche konkrete sicherheitspolitische Veränderung
Sie am Ende liefern.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Ernst-Reinhard Beck
für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Der Kollege Arnold hat etwas sehr
Richtiges und Wichtiges gesagt. Er hat gesagt: Im Mittelpunkt
steht bei all unseren Überlegungen der Mensch. –
Insofern gilt mein erster Dank denen, die in der Bundeswehr
treu ihren Dienst leisten, den Soldaten in den Einsatzgebieten
und zu Hause und auch den zivilen Beschäftigten.
Herr Kollege Arnold, wenn dies Ihr Maßstab ist, kann
ich nicht verstehen – das hat mir weniger gefallen, als
ich es in den Zeitungen gelesen habe –, dass Sie mit
Blick auf Oberst Klein und nach all dem, was geschehen
ist, noch nachtreten und ihn in einer Art und Weise behandeln,
die er nicht verdient hat. Das muss ich Ihnen an
dieser Stelle sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsberatung
zeigt, dass wir eine wichtige Weichenstellung
vornehmen. Dem großen Umformungs- und Strukturveränderungsprozess
unserer Streitkräfte müssen wir
den notwendigen finanziellen Rückhalt geben.
Herr Kollege Arnold, Sie haben gesagt, dass jetzt verschiedene
Modelle vorgestellt werden, und dem Minister
vorgeworfen, es ginge ständig hin und her. Das ist nicht
ganz schlüssig. Denn der Minister hat im Grunde eine
sehr stringente sicherheitspolitische Analyse vorgenommen
und sich daraufhin gefragt – das ist die entscheidende
Frage –: Was ist im Hinblick auf die Abwehr von
Gefahr für unser Land notwendig, und welches sind die
Fähigkeiten, die unsere Streitkräfte vorhalten müssen?
Damit ist die Reihenfolge klar: Es geht um den Schutz
des eigenen Landes, Deutschlands und seiner Bürger, die
Bündnisverteidigung und die internationalen Verpflichtungen,
die wir in NATO, EU und UN übernommen haben.
Damit haben wir ein breites Spektrum an Fähigkeiten
vorzuhalten. Deshalb ist es völlig legitim und auch
notwendig, einmal nachzufragen: Können wir mit der
vorhandenen Struktur all diese Aufgaben so erfüllen,
wie es notwendig ist?
Ich fand das Vorgehen richtig, eine Defizitanalyse
durchzuführen und zu sagen, wo bestimmte Veränderungen
notwendig sind. Es ist doch jedem einsichtig, dass
bei 250 000 Soldaten Truppenstärke eine Zahl von 7 500
oder vielleicht auch 9 000 Soldaten – so viele hatten wir
ja schon einmal im Einsatz –, wenn man die Einsatzorientierung
sicherstellen will
(Rainer Arnold [SPD]: 11 000 hatten wir
schon!)
– 11 000 auch, Herr Kollege Arnold –, im Hinblick auf
die Effizienz zu gering ist. Ich glaube, darüber besteht
Einigkeit in diesem Haus.
Wenn man dann in einem weiteren Schritt fragt, welche
Strukturen notwendig sind und was man dafür
braucht, um die Sicherheit auch auf mittlere und längere
Sicht zu garantieren, dann kommt die Sprache auf die
Wehrform. Ich sage ganz ehrlich, dass ich hier mit einer
gewissen Wehmut stehe. Durch die Wehrpflicht wurde
die Sicherheit unseres Landes über viele Jahrzehnte hinweg,
in der gesamten Zeit des Kalten Krieges, garantiert.
Im Grunde wurden durch sie auch Leistungen erbracht,
die für die Integration der Streitkräfte in demokratische
Strukturen unschätzbar sind. In der heutigen Zeit hört
man manchmal, vor allem vonseiten der Linken, die
Wehrpflicht sei im Grunde ein Instrument der Militarisierung.
Nein, die Wehrpflicht war in der Geschichte der
Bundesrepublik ein wichtiges Instrument zur Einbettung
des Militärs in demokratische Strukturen, und dafür sollten
wir dankbar sein. Dank verdienen auch all die, die
der Wehrpflicht nachgekommen sind und als Reservisten
über die ganze Zeit ihren Dienst geleistet haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der SPD – Johannes Kahrs
[SPD]: Dann dürft ihr sie jetzt aber nicht abschaffen!)
– Lieber Kollege Kahrs, das enthebt uns ja nicht der
Überprüfung, ob die Wehrpflicht angesichts der aktuellen
und zukünftigen Herausforderungen noch die richtige
Wehrform ist.
Ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass man
bestimmte Elemente übernimmt. Wenn man die sicherheitspolitische
Analyse, die die Bundesregierung durchführt,
aber ernst nimmt, dann sieht man, dass die sicherheitspolitische
Begründung dafür nicht mehr gegeben
ist. Die Panzerarmeen des Warschauer Paktes haben sich
Gott sei Dank aufgelöst. Wir brauchen keine entsprechende
Anzahl Soldaten mehr, um die Wehrgerechtigkeit
annähernd zu erreichen. Das ist aber auch das Problem,
das es zu lösen gilt. Wenn die sicherheitspolitische
Begründung nicht mehr vorhanden ist, dann stellt sich
die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit – Stichwort:
Wehrgerechtigkeit. Dass diese Situation nicht neu ist, ist
jedem hier klar. Im Grunde hätte bereits der Schritt von
375 000 auf 250 000 Soldaten, der eine drastische Reduzierung
der Anzahl der eingezogenen Wehrpflichtigen
bedeutet hat, zu solchen Überlegungen führen müssen;
aber ich glaube, der Blick sollte nach vorne gerichtet
sein.
Der Blick ist richtig nach vorne gerichtet, wenn ich
sage: Die staatspolitische Begründung der Wehrpflicht
kann natürlich auch über die „Pflicht“ hinaus Wirkung
entfalten. In dem Augenblick, in dem gesagt wird: „Tu
etwas für die Gemeinschaft, leiste etwas für dein Land“
und man diesen Impetus durch die Neugestaltung der
Freiwilligendienste erreicht – Herr Kollege Arnold, Sie
haben ja zu Recht ausgeführt, dass wir nicht nur für den
Wehrdienst, sondern auch für die anderen Dienste in dieser
Gesellschaft zu einer Freiwilligkeit finden müssen –,
sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich sage ganz eindeutig: Der Staatsbürger in Uniform
war sicher ein wichtiges und notwendiges Element.
Ein Stück weit nehmen wir davon Abschied; der
Staatsbürger als Soldat ist mit diesem Einschnitt im
Grunde Vergangenheit. Das heißt aber nicht, dass die
Soldaten nicht weiter Staatsbürger sind und ihre staatsbürgerlichen
Rechte nicht in Anspruch nehmen. Was wir
alle gemeinsam verfolgen sollten, ist, dass das Prinzip
der Inneren Führung, das unsere Armee im Vergleich zu
vielen anderen Armeen dieser Welt auszeichnet, innerhalb
der neuen Struktur neu definiert wird. Es kann uns
nicht gleichgültig sein, wer den Nachwuchs stellt und
welcher Geist in dieser neuen Bundeswehr herrscht. Ich
habe überhaupt keine Bedenken, dass dies ein guter
Geist sein wird, getragen von der Inneren Führung und
vom Leitbild des Staatsbürgers in Uniform.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kahrs?
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Aber gerne.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kahrs, bitte.
Johannes Kahrs (SPD):
Herr Kollege Beck, ich habe in den letzten Jahren gemeinsam
mit Ihnen für die Wehrpflicht gestritten. Das
haben wir gut hinbekommen, egal ob Rot-Grün oder die
Große Koalition in diesem Land regiert hat.
Wie man das, was Sie machen, bewertet – geschenkt.
Die Probleme, die Sie deswegen in Ihrer Partei und mit
Ihren Wählern haben, müssen Sie selber aushalten. Aber
wenn Sie sagen, dass der Staatsbürger in Uniform mit
der Abschaffung der Wehrpflicht nicht mehr Realität sei,
dann frage ich mich allen Ernstes, wo die Union gelandet
ist. Staatsbürger in Uniform sind auch der Zeitsoldat
und der Berufssoldat. Deswegen können Sie sich doch
nicht hier hinstellen und sagen – bei aller Freundschaft
und aller Sympathie –, wenn die Wehrpflicht weg sei,
seien die Zeit- und Berufssoldaten nicht mehr Staatsbürger
in Uniform. Dann weiß ich überhaupt nicht mehr,
wohin die Union will.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Lieber Kollege Kahrs, ich habe nicht behauptet und
werde nicht sagen, dass wir uns vom Bild des Staatsbürgers
in Uniform verabschiedet haben. Natürlich sind unsere
Zeit- und Berufssoldaten – und sie waren es immer –
Staatsbürger in Uniform und Teil unserer Parlamentsarmee.
Aber Sie müssen mir doch zugestehen, dass ich
sage, dass wir, wenn man von der Pflicht zur Freiwilligkeit
übergeht, von dem Leitbild, dass jeder Bürger dieses
Landes ein geborener Verteidiger desselben ist – das ist
ein Zitat von Scharnhorst –, ein Stück weit Abschied
nehmen. Deshalb habe ich betont: Umso wichtiger ist es,
dass wir das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform und
die Innere Führung in den Streitkräften mit der entsprechenden
Orientierung auf Auslandseinsätze weiterhin
stark betonen. Nichts anderes wollte ich damit gesagt haben.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eine Frage,
die für mich beinahe noch entscheidender und wichtiger
ist als die Frage der Wehrform, ist die Frage des Umfangs
und der Fähigkeiten der Streitkräfte, die wir jetzt
neu definieren. Ich sage ganz offen: 163 500 Zeit- und
Berufssoldaten, von denen der Minister spricht, plus
7 500 Freiwillige sind für mich persönlich die Untergrenze
dessen, was ich für vertretbar halte.
(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist zu wenig!)
Deutschland ist eine Landmacht in der Mitte Europas.
Wir haben entsprechende Verpflichtungen gegenüber
den Bündnispartnern, vor allem im Osten, wo noch bestimmte
Ängste vorhanden sind und wo man schon von
der schieren Zahl her bestimmte militärische Optionen
und Fähigkeiten verkörpert, auch gegenüber der NATO.
Ich meine, das müsste noch einmal überprüft werden,
auch in finanzieller Hinsicht. Man sollte, Herr Kollege
Bonde, nicht in einen Wettbewerb von Zahlen verfallen,
sondern in einen Wettbewerb um Fähigkeiten eintreten
und – möglicherweise in Absprache mit den europäischen
Bündnispartnern – schauen, was angesichts einer Sicherheitsvorsorge
notwendig ist.
Ich persönlich wünsche mir ein funktionsfähiges, führungsfähiges
Landheer. Wir sind eine Landmacht, die
Landstreitkräfte braucht. Im ozeanischen Zeitalter brauchen
wir eine Marine, die unsere Interessen entsprechend
vertreten kann. Herr Kollege Koppelin, Sie haben
auf die Sanität hingewiesen, etwa ein Attraktivitätsprogramm
für den medizinischen Bereich. Auch das scheint
mir unbedingt notwendig zu sein. Es wird Sie nicht wundern,
dass ich sage: Wir brauchen auch bei Freiwilligenstreitkräften
eine gut strukturierte, engagierte und qualifizierte
Reserve. Hierfür brauchen wir eine neue Reservistenkonzeption,
die Nachhaltigkeit und Aufwuchsfähigkeit
garantiert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die „größte gestalterische Herausforderung“
hat der Minister diesen Prozess genannt. Es
geht nicht nur um Umfang und Struktur, sondern auch
um den entsprechenden Aufbau des Ministeriums. Es
geht um eine Neuformulierung von Ablauforganisationen,
von Materialbeschaffung und Materialerhaltung. Dies ist
ein wichtiges, ein großes und ein mutiges Projekt. Ich meine, dass der Minister dafür die Unterstützung des
Hauses verdient. Die Unterstützung meiner Fraktion hat
er auf jeden Fall.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Brinkmann
für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Koppelin, nicht nur, weil Sie gestern einen besonders
schönen Geburtstag gefeiert haben, sondern weil es auch
völlig richtig ist, was Sie zu den Problemen bei der Sanität
gesagt haben, will ich zu Beginn meiner Ausführungen
deutlich darauf hinweisen, dass dies auch die volle
Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion finden wird.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Allerdings ist das Problem nicht erst seit gestern bekannt,
sondern schon etwas länger. Hier besteht dringender
Handlungsbedarf wie in vielen anderen Bereichen
auch, auf die ich im Laufe meiner Ausführungen noch
zurückkommen werde.
Wer ernsthaft behauptet, mit der Globalen Minderausgabe
und den Kürzungen, die Sie, die CDU/CSU und die
FDP, zu verantworten haben, könnte die Truppe gut leben,
der redet zu einem Prozentsatz jenseits der
90 Prozent an den Realitäten vorbei.
(Beifall bei der SPD)
Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.
Der Minister hat eine Sommerreise gemacht. Viele
Kolleginnen und Kollegen waren ebenfalls in der Sommerpause
unterwegs. Ich habe mir das auch in dieser
Zeit zu eigen gemacht und mich vor Ort informiert. Herr
Minister zu Guttenberg, wenn wir Attraktivitätssteigerung
gemeinsam wollen, ist es nach meiner festen Überzeugung
unerträglich, dass Soldatinnen und Soldaten,
die nach Berlin reisen, um sich weiterzubilden und an
Plenardebatten teilzunehmen, ihre Fahrtkosten selber zu
zahlen haben, weil dafür kein Geld mehr zur Verfügung
steht. Das ist ein Skandal. Dies müsste relativ schnell in
Ihrem Haus, Herr Minister zu Guttenberg, im Interesse
und zugunsten der Soldatinnen und Soldaten pragmatisch
gelöst werden.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der sich
wie ein roter Faden durch die Haushaltsberatungen ziehen
wird. Die Größenordnung des Einsparvolumens
ist mehr als nebulös. Zunächst wurde eine Summe von
8,3 Milliarden Euro angekündigt. Dann ist aufgrund der
absehbaren Faktoren berechnet worden, wo man denn
landen könnte. Es gibt Berechnungen des Finanzministeriums
und des Bundeskanzleramtes, die auf 1,5 Milliarden
Euro kommen. Das ist von 8,3 Milliarden Euro weit
entfernt. Kurz vor der Sommerpause hat die Bundeskanzlerin
dazu in der Financial Times Deutschland zum Ausdruck
gebracht, dass darüber noch nicht das letzte Wort
gesprochen worden sei; wegen 2 Milliarden Euro würde
sie die deutsche Sicherheit niemals infrage stellen, geschweige
denn gefährden. Was gilt denn nun? 8,3 Milliarden
minus 2 Milliarden sind 6,3 Milliarden. Sind es
5 Milliarden oder 1,5 Milliarden Euro? Das ist das Ergebnis
einer Struktur, aus der nicht erkennbar ist, wohin die
Reise gehen soll. Ein Blick in die Finanzplanung zeigt,
dass Sie auch im Hinblick auf die beiden letzten Jahre
einen hohen Milliardenbetrag in die nächste Legislaturperiode
verschieben. Das hat mit Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit nichts zu tun.
(Beifall bei der SPD)
Was die Ausgabenblöcke im Verteidigungshaushalt
angeht, wird deutlich, dass ein hoher Prozentsatz, nämlich
ungefähr 53 Prozent, für Personalkosten und Pensionslasten
vorgesehen ist. Auch wenn man die Bundeswehr
verkleinert – um welche Größenordnung auch
immer; darüber kann man sich austauschen oder auch
darum ringen; ich will auch ausdrücklich aufgreifen, was
Sie gesagt haben, Herr Minister, nämlich dass es dazu einen
breitestmöglichen Konsens geben sollte – und die
Zahl der Zeit- und Berufssoldaten um eine Größenordnung
X reduziert, werden diese Ausgaben nicht in voller
Höhe eingespart; denn wer nicht mehr dient, hat Anspruch
auf Pension. Insofern fordere ich Sie auf bzw.
bitte ich Sie herzlich: Legen Sie im Laufe der Haushaltsberatungen
die Berechnungen vor, welche Einsparung
unter dem Strich netto erzielt wird, damit wir Haushälter
genau wissen, worauf wir uns in diesem Bereich einzurichten
haben.
Ich bin dem Kollegen Beck dankbar, dass er sich bei
den Soldatinnen und Soldaten bedankt hat, die hier im
Land und darüber hinaus in Auslandseinsätzen – das
gilt auch für die zivilen Beschäftigten und viele andere –
ihren Dienst leisten. Er ist nicht einfach und teilweise
auch gefährlich. Ich zolle ausdrücklich allen Soldatinnen
und Soldaten sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Bundeswehr höchste Anerkennung und spreche
ihnen großen Dank aus. Ich gehe davon aus, dass das
– ausschließlich der linken Seite dieses Hauses – einen
gemeinsamen Beifall finden kann.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn man die Diskussion über das Thema Wehrpflicht
verfolgt, dann stellt man beeindruckt fest, wie
sich innerhalb weniger Monate festgefügte Meinungen
verändern. Ich war 1970 bei der Bundeswehr, und zwar
– damals war dort eine stationiert – bei einer Panzergrenadierbrigade
in Hildesheim. Schon damals haben wir
über dieses Thema diskutiert. Natürlich ging es um ganz
andere Prozentsätze bei der Einberufungsquote. Aber eines
steht fest: Nachdem Sie den Grundwehrdienst auf
sechs Monate reduziert hatten, war der nächste Schritt
nicht mehr zu verhindern. Wir werden im Laufe der
nächsten Zeit erleben – wenn es nach der FDP geht, wird
es etwas schneller gehen –, dass wir uns Schritt für
Schritt auf eine Berufsarmee zubewegen. Wenn das denn
gewollt ist
(Elke Hoff [FDP]: Das ist vollkommener
Quatsch!)
– Frau Hoff, ich mache ja einen Vorbehalt –, sollten wir
bereit sein, sehr offen darüber zu diskutieren, wie viel
eine Berufsarmee letztendlich kostet und welche Belastungen
sie für künftige Bundeshaushalte bringt.
Die Sicherheit Deutschlands und die Bewältigung
der damit verbundenen Herausforderungen für unsere
Streitkräfte müssen auch künftig durch die erforderlichen
Finanzmittel gewährleistet sein. Daher muss die
Bundesregierung schnell und klar eine Antwort auf die
Frage finden, welche Bundeswehr wir uns künftig noch
leisten wollen. Einige Zeit ist darüber gesprochen worden,
welche wir uns noch leisten können. Das war aber
eine falsche Vorgehensweise.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Ausschussberatungen
und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Elke Hoff (FDP):
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ein etwas störender Aspekt in dieser Debatte ist die
Begriffsverwirrung. Deswegen nehme ich Ihre Äußerungen
zum Anlass, lieber Herr Kollege Brinkmann, um die
Position meiner Fraktion noch einmal klarzumachen.
Wir sind für eine Freiwilligenarmee. Wir sind für die
Aussetzung der Wehrpflicht. Wir sind für einen vernünftigen
Anteil an Kurzzeitdienenden. Hier haben wir eine
etwas andere Auffassung als der Minister; darüber werden
wir diskutieren müssen. Wir sind in keinem Fall für
eine Berufsarmee. Wir sind weiterhin glühende Anhänger
einer Parlamentsarmee.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU])
Ich muss an dieser Stelle auf Paul Schäfer eingehen.
Der Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass ein globales
Expeditionskorps oder eine Interventionsarmee durch
den geplanten vernünftigen Umbau der Bundeswehr aufgebaut
werden soll, läuft schon alleine deswegen völlig
fehl, weil dieses Haus an dieser Stelle über jeden Einsatz
der Bundeswehr entscheiden wird und nicht die Bundesregierung
oder der Bundesminister der Verteidigung.
Das ist für uns alle ein hohes Gut.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Eben wurde kritisiert, der Minister habe mehrere Modelle
vorgelegt und habe sich nicht klar und deutlich für
eines ausgesprochen. Art. 87 a des Grundgesetzes sagt
eindeutig, dass sich Umfang und Struktur der Streitkräfte
aus dem Haushaltsplan ergeben. Ergo entscheidet das
Parlament darüber. Herr Minister, ich begrüße, dass Sie
Respekt vor dem Hause gezeigt und die Szenarien und
ihre Konsequenzen aufgezeigt haben, wenn wir uns so
oder so entscheiden, und zwar auch vor dem Hintergrund
der finanziellen Situation. Ich bin sehr froh, dass
zum ersten Mal ein Minister gesagt hat: Es gibt – auch
im Haus selbst – keine Denkverbote. Sie haben damit einen
Prozess im Haus in Gang gesetzt, der schon lange
überfällig war. Wir haben in den vergangenen Jahren
auch in diesem Haus immer wieder beklagt, dass die
Bundeswehr unter verkrusteten Strukturen und unter
Zwängen leidet, die nicht nur den Einsatz, sondern auch
die Motivation der Soldatinnen und Soldaten nachhaltig
beeinträchtigen. Es ist Ihnen und unserer Koalition zu
verdanken, dass wir diese mutigen Schritte nach vorn
machen. An dieser Stelle möchte ich meinen persönlichen
Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen von
CDU und CSU zum Ausdruck bringen. Ich weiß, dass
das für Sie schwer war. Sie haben aber bewiesen, dass
Sie aufgrund der Faktenlage in der Lage sind, anhand
von Sachargumenten Ihre Positionen zu überdenken.
Hier hat auch der Generalinspekteur eine hervorragende
Rolle gespielt. Das möchte ich an dieser Stelle ganz klar
zum Ausdruck bringen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Herr General Wieker, Sie haben uns Parlamentariern
durch Ihre nüchterne, sachbezogene und sehr klare Vorlage
von Informationen die Möglichkeit eröffnet, diese
schwierigen Schritte zu vollziehen. Ich bin überhaupt
nicht bange, dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten
nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft befinden. Es ist
übrigens ein Nebenaspekt, den man nicht hoch genug
einschätzen kann und den ich sehr begrüße, dass über
eine Reform des Wehrdienstes junge Frauen endlich die
Möglichkeit haben, von Anfang an gleichwertig mit ihren
männlichen Kollegen Zugang zu den Streitkräften zu
finden, und zwar auch im Sinne eines freiwilligen Engagements
für unsere Gesellschaft.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Wir werden die qualifizierten jungen Frauen in Zukunft
mehr denn je brauchen, nicht nur, weil sie in vielen Bereichen
qualifizierter sind, sondern auch, weil uns die
demografische Entwicklung dazu bringen und auch
zwingen wird, die Bundeswehr für alle gesellschaftlichen
Gruppen zu öffnen. Insofern ist es wichtig, dass wir
eine vernünftige Nachwuchsgewinnungsstruktur auf den
Weg bringen, die flächendeckend ist, und dass die Bundeswehr
attraktiver wird.
Die entscheidenden Momente sind nicht, wenn wir im
Parlament entscheiden. Die Arbeit fängt danach an. Es
muss uns gelingen, die Lebenswirklichkeit junger Männer
und Frauen auch in den Streitkräften abzubilden. Die
Vereinbarkeit von Dienst und Familie wird ein ganz
wesentliches Moment für die Attraktivität des Arbeitgebers
Bundeswehr sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinzu kommt:
Wenn wir so viel Wert darauf legen, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft ist, dann müssen wir
– stärker, als wir es in der Vergangenheit bewirkt haben –
endlich zu Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten
im Einsatz kommen, die an Seele und Körper
verwundet aus dem Einsatz zurückkommen. Es ist heute
mit Recht sehr häufig den Soldatinnen und Soldaten und
den zivilen Mitarbeitern gedankt worden. Ich finde, wir
müssen an dieser Stelle auch den Familienangehörigen,
den Freunden und den Bekannten von den Soldatinnen
und Soldaten danken, die damit leben müssen, dass das
Leben ihrer Partner, wenn sie aus einem Einsatz zurückkommen,
in den wir sie geschickt haben, aus den Fugen
geraten ist und nichts mehr so ist, wie es vor dem Einsatz
war. Hier fängt unsere Verantwortung an. Ich glaube,
dass wir an dieser Stelle – wenn wir uns um genau diese
Soldatinnen und Soldaten mehr als bisher kümmern –
wirklich beweisen können, dass die Bundeswehr in der
Mitte der Gesellschaft ist. Ich wäre sehr dankbar, wenn
wir das gemeinsam schaffen würden.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der
SPD)
Es wurde eben auch über das Thema Einsparungen
geredet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube,
wenn wir alle der Meinung sind, dass Sicherheitspolitik
nicht nach Kassenlage erfolgen soll, dann werden wir einen
attraktiven Arbeitgeber Bundeswehr finden und uns
durchaus mit dem Gedanken anfreunden, dass wir Einsparziele
erreichen wollen – wenn auch vielleicht nicht
so schnell wie geplant – und dass das eine gemeinsame
Anstrengung ist. Ich glaube, dass wir als Parlamentarier
von unserem Recht Gebrauch machen, über Struktur und
Umfang der Streitkräfte so zu entscheiden, wie es die Sicherheitsbedürfnisse
und die Sicherheitslage unseres
Landes und unsere Bündnisverpflichtungen erfordern.
Ganz kurz an dieser Stelle, bevor ich fertig bin: Kollege
Schäfer, gerade der Balkan, gerade der Kosovo, hat
deutlich gemacht, dass eine militärische Intervention in
politischen Situationen dazu führen kann, dass Menschen
und Nationen am Ende der Reise in Frieden und
Freiheit leben können. Das Kind hier mit dem Bade auszuschütten
und zu sagen: „Wir brauchen die Streitkräfte
für solche Dinge nicht“, halte ich an dieser Stelle für
politisch verfehlt.
(Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Bartels
[SPD])
Ich darf mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit
bedanken und wünsche dem Minister und uns allen viel
Erfolg bei der Umsetzung dieser sehr ehrgeizigen Reform.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Der Kollege Omid Nouripour ist nun der nächste
Redner aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Karl-
Theodor zu Guttenberg vor sechs Monaten – Zitat –: Die
verkürzte Wehrpflicht W 6, das sind sechs bestens genutzte
Monate für junge Menschen. – Derselbe vor zwei
Monaten: Es wäre fatal, die Wehrpflicht abzuschaffen. –
Derselbe Minister vor zwei Tagen, überraschenderweise
in einer Talkshow und nicht im Parlament – ich zitiere –:
(Dr. h. c. Susanne Kastner [SPD]: Das ist doch
so üblich!)
Die Musterung ist ebenso schwer zu rechtfertigen wie
die Wehrpflicht als solche. – In einem anderen Zusammenhang
hat er erklärt, W 6 sei ein entbehrlicher
Schnupperkurs. Herr Minister, ich weiß nicht, welches
Getränk der Erleuchtung Sie in den letzten zwei Monaten
getrunken haben. Es wäre schön, dieses in den eigenen
Reihen weiterzureichen. Ich kann nur sagen: Die
Hoffnung, zu verstehen, was Sie eigentlich wollen, habe
ich längst aufgegeben. Mein Eindruck ist: Sie wissen
selber nicht, was Sie wollen, und Sie wollen es auch
nicht wissen. Wenn das anders wäre, hätten Sie wenigstens
den Übergangsmurks – wir haben derzeit eine
Wehrpflicht von sechs Monaten –, den Sie wider besseres
Wissen vor wenigen Wochen verabschiedet haben, in
den Haushalt geschrieben. Nicht einmal das steht im
Haushalt. Das heißt, wir beraten heute über einen Einzelplan,
der Makulatur ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Es gibt aber noch mehr Probleme. Sie haben es geschafft,
in den letzten Monaten zu jeder erdenklichen
Frage jede erdenkliche Position einzunehmen,
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer war immer dagegen!)
was dazu führt, dass Sie, völlig gleichgültig, was herauskommt,
sagen können: Das habe ich doch gesagt. – Das
ist beliebig. Beeindruckend dabei ist, dass Sie es schaffen,
diese Beliebigkeit in Zahlen zu gießen. Das nennt
sich dann Wehretat 2011. Wer so beliebig ist, muss sich
natürlich Sorgen machen, ob das Auditorium tatsächlich
wach ist. Das ist eine berechtigte Frage. Da diese Angelegenheit
aber sehr ernst ist, kann ich Ihnen versprechen,
dass wir sehr wachsam sind und zuschauen, was Sie eigentlich
treiben.
Ich komme zu den fünf Modellen. Sie scheinen in Ihrem
Haus eine unglaubliche Überkapazität zu haben. Im
Übrigen: Herr Generalinspekteur, vielen Dank für Ihre
seriöse und detaillierte Arbeit. Herr Minister, Sie lassen
in Ihrem Haus fünf Modelle erarbeiten und sagen von
vornherein, vier von diesen seien überhaupt nicht machbar.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)
Frau Kollegin Hoff, diese fünf Modelle sind keine echten
Modelle, wenn der Minister so nebenbei sagt, das
eine sei nicht finanzierbar und mit dem anderen sei die
Bündnisfähigkeit nicht gewährleistet. Das ist nicht ernst
gemeint.
(Elke Hoff [FDP]: Das ist seine Einschätzung!)
Er scheint es nur mit einem einzigen Modell ernst zu
meinen. Herr Kollege Arnold hat gesagt, was daran unredlich
ist. Es fehlen dort einige Elemente. Ich weiß
nicht, ob ich ihn ernst nehmen soll, wenn der Minister
sagt, das einzige Modell, das einen Sinn ergebe, sei das
Modell mit 163 500 Soldaten, aber die Zahl sei gar nicht
so wichtig und könne nach oben korrigiert werden, das
sei relativ egal. Das zeugt nach meiner Ansicht von Beliebigkeit.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist eine falsche Interpretation!)
Dabei braucht die Bundeswehr jetzt Führung, Überblick
und Voraussicht. Das alles ist nicht sichtbar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein Problem habe ich: Ich muss Sie jetzt eigentlich
loben – das ist nicht mein Job als Oppositionspolitiker –,
weil Sie Realitätssinn gezeigt haben, indem Sie sich endlich
an die Wehrpflicht herangewagt haben. Das hat
keine große Tradition in Ihren Reihen. In diesem Zusammenhang
muss ich ein Wort zur Sozialdemokratie loswerden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben
sieben Jahre lang gemeinsam regiert. Hätten Sie damals
die Blockade, die ich bis heute nicht verstehe, aufgegeben
und gemeinsam mit uns die Wehrpflicht abgeschafft,
was wir damals gefordert haben – das war damals genauso
sinnvoll wie heute –, dann könnte der Minister
heute nicht den harten Macher spielen und die Bundeswehr
hätte sich in den zehn Jahren strukturell weiterentwickelt.
Es ist sehr bedauerlich, dass dies damals nicht
gelungen ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundeswehr braucht Führung, weil die beabsichtigten
Einschnitte immens sind. Zur Führung gehört aber
auch, dass man die Ziele benennt und sagt, was man eigentlich
vorhat. Sie wollen Strukturen schaffen, alles auf
den Kopf stellen und verändern und am Ende ein neues
Weißbuch herausgeben. Das ist komplett falsch. Sie
müssen erst die Aufgabenkritik machen und formulieren,
was die Bundeswehr können muss. Sie müssen zuerst
beschreiben, welche Fähigkeiten wir brauchen, und
dann können Sie die Strukturen verändern. Sie dürfen
aber nicht Fakten schaffen und die Debatte komplett auf
den Kopf stellen. So ergibt das überhaupt keinen Sinn.
Ich nenne als Beispiel die vernetzte Sicherheit. Alle
wissen – das ist Konsens in diesem Hohen Hause –, dass
die komplexe Sicherheitsrealität des 21. Jahrhunderts
nur ein Instrument kennt, mit dem man arbeiten kann,
und das ist die vernetzte Sicherheit. Ich finde das bei Ihnen
bisher nicht. Ich weiß nicht, wo das vorkommen
soll, wo sich das in den Strukturen findet. Im Übrigen
fehlt auch ein Bekenntnis zum Primat des Zivilen. Das
werden wir möglicherweise in zwei Jahren in einem
Weißbuch lesen, wenn die Debatte um die Reform der
Bundeswehr vorbei ist.
Der Kahn „Bundeswehr“ ist in schwierigen Gewässern;
das wissen wir alle. Auch den Reformbedarf kennen
wir alle. Es wäre jetzt Ihre Aufgabe als Verteidigungsminister,
die Bundeswehr vor parteipolitischen
Spielchen zu schützen; stattdessen tragen Sie das Chaos
in den eigenen Reihen, allen voran in der CSU, in die
Bundeswehr hinein. Sie machen nicht Sicherheitspolitik
nach Kassenlage, Sie machen Sicherheitspolitik nach
Parteitagsterminen, und das ist nicht das, was die Soldatinnen
und Soldaten, die einen knochenharten Job machen,
verdienen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Niemand weiß, wohin die Reise geht. Die Generalität
weiß es nicht. Die einzelnen Soldatinnen und Soldaten
wissen es nicht und ihre Familien auch nicht. Sie müssten
jetzt Kapitän sein. Stattdessen sind Sie ein Verkäufer
von Last-Minute-Reisen. Sie sagen uns: Da, wohin wir
gehen, wird es ganz schön, aber was genau das Ziel ist,
erkläre ich euch dann, wenn wir angekommen sind. –
Das ist nicht das, was die Bundeswehr braucht. Das ist
nicht verlässlich. So führt man diese Armee nicht in einen
sicheren Hafen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Elke Hoff [FDP]: Das war eine schlechte
Rede!)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollegin Karin Strenz für die CDU/
CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Karin Strenz (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bei aller Pflicht zum Sparen ist klar: Wir kürzen
nicht auf Kosten der Sicherheit unserer Soldaten.
Wer Soldaten in den Einsatz schickt, muss nicht nur für
die bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung sorgen,
sondern auch für die bestmögliche Betreuung. Das gilt
für die Zeit im Einsatz genauso wie danach. Ich bin der
Kollegin Elke Hoff für ihre Einlassungen zu seelischen
Verwundungen sehr dankbar; darauf möchte ich mich
konzentrieren.
Mehr als 460 Kameraden ließen sich im vergangenen
Jahr wegen Posttraumatischer Belastungsstörungen
behandeln – doppelt so viele wie im Jahr 2008. In diesem
Jahr werden es wahrscheinlich 600 traumatisierte
Frauen und Männer sein. In Wahrheit aber sind es sehr
viel mehr; denn die Dunkelziffer ist sehr hoch. Es ist unsere
Pflicht, die seelischen Wunden genauso ernst zu
nehmen wie die körperlichen. Soldaten erleben im Einsatz
Grausamkeiten, die sie manchmal nicht ohne professionelle
Hilfe verarbeiten können. Oft dauert es viereinhalb
Jahre – viereinhalb Jahre! –, bis ein Soldat eine
einsatzbedingte Traumatisierung überhaupt erkennt und
zugibt. Deshalb reicht es nicht, nur die Vorgesetzten zu
sensibilisieren. Wir alle müssen diese besondere Krankheit
aus dem Schatten holen.
Da die seelisch Verwundeten doch im Dienst für unseren
Frieden und für unsere Sicherheit ihr Leben riskiert
haben, ist es selbstverständlich unsere Pflicht, ihnen
zu helfen, gesund ins Leben zurückzufinden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Eine seelische Wunde darf kein Stigma sein. Wer sich zu
seiner Schwäche bekennt, ist kein Schwächling.
Gerade vorgestern saß in meinem Büro ein Soldat aus
meiner Heimat; nachgewiesen PTBS. Auf dem Tisch
zwischen ihm und mir: ein Aktenberg. Er musste einen
langen Weg durch viele Instanzen gehen, um sich in einem
Wirrwarr von Zuständigkeiten und Gesetzen zurechtzufinden.
Er hat nicht die optimale Für- und Nachsorge
erfahren. Auch das ist noch Realität, aber das wird
sich ändern. Nicht nur dieser Mann braucht Hilfe, nicht
nur er wird die Bilder aus dem Einsatz nicht los, liegt
nachts wach, schreckt auf, wenn draußen eine Autotür
zuknallt, und war fast dabei, sich aus dem Leben zu verabschieden.
Wir haben die Soldaten in den Einsatz geschickt. Wir
müssen ihnen auch die Rückkehr garantieren. Damit
meine ich: teilnehmen am Leben, die Kinder zur Schule
bringen, dem Partner zur Seite stehen können und den
Alltag meistern. Das gilt auch für ihre Familien; denn in
gewisser Weise ziehen sie selbst mit in den Einsatz.
Auch sie müssen mit ihren Sorgen kämpfen.
Was sie allerdings sehr beruhigt – das als ein Beispiel –,
ist das Krankenhaus in Masar-i-Scharif – ich war dort –,
welches mit modernster Technik und großem Know-how
ausgestattet ist und um das uns andere Nationen beneiden.
Es gibt Sicherheit, ein Höchstmaß an Qualität und
schnellstmögliche Hilfe.
Das Berliner Psychotrauma-Zentrum im Bundeswehrkrankenhaus
stellt sich den enormen Herausforderungen,
etwa bei der lückenlosen Erfassung und Behandlung
von PTBS-Patienten, aber auch bei der Vernetzung
von nationalem und internationalem Fachwissen. Dort,
wo wir Expertise haben, muss man das Rad nicht neu erfinden.
Es hilft bei der Schulung des Personals von Familienbetreuungszentren
zur Betreuung der Patienten
oder Soldaten und deren ebenfalls belasteten Familien.
Es steht für stärkere Vernetzung regionaler Betreuungseinrichtungen
und Selbsthilfegruppen. Es geht auch um
die Organisation einer professionellen Begleitung bei
Versorgungsansprüchen.
Das ist ein Fortschritt, aber auch eine große und
schnell zu leistende Aufgabe. In diesem Fall heißt es
nämlich nicht „Zeit ist Geld“, sondern „Zeit ist Leben“.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf aber nicht
nur für die aktiven Soldaten gelten, sondern auch für die
betroffenen Militärpfarrer und die Reservisten. Das ist
eine Frage der Gerechtigkeit und des politischen Anstands.
Es ist kein Geheimnis, dass wir im Sanitätsdienst einen
akuten Personalmangel haben. Es fehlen Pfleger
und Ärzte. So hat die Bundeswehr beispielsweise nur 23
Psychiater bei doppelt so vielen Planstellen.
(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
Es ist nicht leicht, Fachleute zu finden. Sie sind Mangelware.
Vorerst können nur Psychologen diese Lücke
schließen, und eine Dauerlösung ist das nicht. Es fehlen
auch Ärzte, die bereit sind, in den Auslandseinsatz zu
gehen. Es stellt sich die Frage: Wie kann man das lösen?
Erstens vielleicht mit Planungssicherheit. Auch ein
Bundeswehrarzt will wissen, wo er die nächsten fünf
Jahre arbeiten und mit seiner Familie leben wird. Das
kostet nichts.
Zweitens vielleicht mit Bemühen um Konkurrenzfähigkeit
und Bürokratieabbau. Die Bundeswehr steht im
Kampf um Bewerber zivilen Kliniken gegenüber. Hier
spielt Geld sicher eine Rolle, aber nicht nur. An der angemessenen
Vergütung von Bereitschaftsdiensten und
Rufbereitschaften arbeitet der Minister bereits. Aber unklare
Kompetenzen sind für Bewerber ein Ärgernis. Es
dauert oft drei bis vier Monate, mitunter sogar ein halbes
Jahr, bis ein Arzt eingestellt wird. Ich frage Sie: Wer hat
so viel Geduld? Dies zu ändern, kostet nichts.
Drittens vielleicht durch höhere Anerkennung des Berufsbildes.
Wir müssen den Ärzten die Angst vor dem
Einsatz nehmen. Schon in der Ausbildung muss eine
Einsatzrealität präsent sein. Dieser Job ist eben anders
als der der Kollegen im Kreiskrankenhaus nebenan. Sie
werden vielleicht selbst in Gefahr sein, sie werden Leben
retten müssen, im Gefecht.
Es wäre, meine Damen und Herren, sehr viel einfacher,
wenn manch einer hier in sich kehren würde und
Soldaten, ob Feldjägern oder Medizinern, den gleichen
Respekt entgegenbringen würde wie dem Feuerwehrmann,
dem Polizisten und den Einsatzkräften des THW
in der Heimat; denn sie alle riskieren ihr Leben für uns.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In der Attraktivitätsagenda 2011 des Bundeswehr-
Verbandes gibt es einige Vorschläge, die wir umsetzen
könnten und auch sollten, zum Beispiel bei Vereinbarkeit
von Beruf und Familie, bei der Regelung der Einsatzdauer
und beim Laufbahnrecht. Ich denke, Herr
Minister, Sie selbst werden einige weitere Vorschläge
berücksichtigen wollen.
Dass es eine attraktivere Bundeswehr nicht zum Nulltarif
geben kann, ist klar. Aber manches kostet eben den
Mut, den Fehler im System, von dem so viele reden,
nicht nur erkennen zu wollen, sondern ihn einfach abzustellen.
Erst dann werden wir behaupten können, alles
für das körperliche und auch für das seelische Wohl unserer
Soldaten und ihrer Familien getan zu haben. Das ist
unsere moralische Pflicht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin Strenz, dies war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und
alle guten Wünsche für die weitere Zusammenarbeit!
(Beifall)
Das Wort hat nun Klaus-Peter Willsch für die CDU/
CSU-Fraktion.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bin der Kollegin Strenz dankbar für den Beitrag,
den sie geleistet hat, weil sie eine sehr menschliche
Seite der Bundeswehr aufgezeigt hat. Diese Seite machen
wir uns nicht immer bewusst, wenn wir über Einsätze
reden, die Soldaten in Einsätze fern der Heimat
schicken, in diese ständige Bedrohung mit Gefahr für
Leib und Leben. Auch die Tatsache, dass, wenn der Einsatz
vorbei ist, nicht alles andere auch vorbei ist, sondern
manche Erlebnisse in den Menschen weiterarbeiten,
müssen wir uns immer vor Augen halten, wenn wir hier
über die Bundeswehr reden.
Der Verteidigungsminister hat gesagt: Strukturen und
Prozesse sollen konsequent an den Erfordernissen des
Einsatzes ausgerichtet werden. Ich glaube schon, Kollege
Nouripour, dass diese Abfolge – Sie haben sie angesprochen;
das ist das Henne-Ei-Problem – das richtige
Herangehen ist. Während meiner Zeit bei der Bundeswehr
in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre
(Markus Grübel [CDU/CSU]: So jung ist der!)
war die Lage natürlich völlig anders: Die Landesverteidigung
stand im Vordergrund. Warschauer Pakt und
NATO standen sich waffenstarrend in der Mitte unseres
Vaterlandes gegenüber. Wir mussten stark genug und so
disloziert sein, dass der Gegner, bei dem eine aggressive
Ideologie vorherrschte, abgeschreckt wurde, sich nicht
traute, Einschüchterungsversuche zu unternehmen oder
uns gar militärisch anzugreifen.
Vor 20 Jahren ist im Zuge der deutschen Einheit die
Integration der unbelasteten Teile der Nationalen Volksarmee
hervorragend gelungen. Seitdem ist Schritt für
Schritt der Übergang zu einer Armee im Einsatz erfolgt.
Es ist sicherlich richtig, dass wir uns, ausgehend von der
Frage, was die Bundeswehr leisten soll, zunächst mit
dem Umfang der Streitkräfte beschäftigen. Genau das
hat der Verteidigungsminister mit seinen Überlegungen,
die auf den Arbeiten des Generalinspekteurs fußen und
für die ich ihm auch noch einmal ganz herzlich danken
möchte, getan. In diesen Überlegungen ist die Aussetzung
der Wehrpflicht enthalten.
Ich finde es ein bisschen unfair, Herr Kollege
Nouripour, dass Sie uns dafür loben, dass wir uns diesem
Thema nähern,
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist immer unfair, Sie zu loben! – Lachen bei der CDU/CSU)
und dass Sie zugleich unterstellen, hier würde Verteidigungspolitik
nach Parteitagsterminen gemacht. Natürlich
gibt es hier demokratische Entscheidungserfordernisse,
die Sie als ausgewiesene Basisdemokraten ohne
Mühe nachvollziehen können müssten. Das behindert in
diesem Jahr unsere Haushaltsberatungen ein wenig, da
wir letzte Gewissheit erst nach Beschlüssen von demokratisch
legitimierten Delegiertenversammlungen wie
Parteitagen bekommen. Aber dieses Vorgehen in eine
solche Kiste zu packen, wie Sie es getan haben, finde ich
ein bisschen unfair.
Herr Arnold, Sie beklagen, dass es Auswahlmöglichkeiten
gibt. Ich finde es intellektuell redlich, dass man
nicht davon spricht, es gebe keine Alternativen, sondern
dass man verschiedene Möglichkeiten präsentiert, wie
man vorgehen kann. Der Minister bleibt nichts schuldig,
wenn es um die Frage geht, welche Variante er für die
geeignete und richtige hält.
(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Es
bleibt nur eine übrig! Das ist das Problem!)
Es ist gegenüber dem Parlament ein völlig fairer Ansatz,
wenn man verschiedene Möglichkeiten durchrechnet
und eine bestimmte Variante hervorhebt.
Es wird noch im Herbst die Beschlüsse von Parteitagen
und die Ergebnisse der Weise-Kommission geben.
Dann sind wir mit der Festlegung des Umfangs der
Streitkräfte durch. Danach schließt sich natürlich die
Frage an, wie es um die Standorte steht. Die klare Ansage
ist: Nicht vor Mitte des nächsten Jahres werden wir
darüber Aufschluss in Form von Vorschlägen des Ministers
bekommen.
Die Festlegung von Ausrüstung und Ausstattung ist
der nächste Schritt, der folgen muss. Die Frage nach dem
„level of ambition“, also danach – ich will hier im Parlament
deutsch reden –, was die Bundeswehr leisten soll,
hat erheblichen Einfluss auf Ausrüstung, Ausbildung
und Gerät. Dieser Punkt beschäftigt den Haushaltsausschuss
natürlich ganz besonders.
Ich habe in diesem Jahr zur Entscheidungsvorbereitung
mehrere Wehrübungen gemacht und mehrmals die
Truppe besucht. Ich will ausdrücklich sagen, dass der
Einsatz der Reservisten an den Heimatstandorten, von
denen aus Kontingente in den Einsatz gehen, sehr wichtig
ist. Permanent sind ungefähr 500 Reservisten im
Auslandseinsatz. Diese Tatsache können wir nicht hoch
genug würdigen. Auch in Zukunft soll ein sinnvoller
Einsatz der Reservisten möglich sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Beschaffungsvorhaben haben uns in den letzten Jahren
im Haushaltsausschuss schon häufig beschäftigt. Die
Vorwürfe lauteten: zu teuer, zu spät und nicht alle Eigenschaften
abdeckend, die gefordert sind. Solche Vorhaben
werden wir uns eines nach dem anderen anschauen müssen.
Aber ich will dazu noch eines sagen: Als wir in
zweiter und dritter Lesung den Haushalt 2010 behandelt
haben, habe ich gesagt, dass wir den Einzelplan 14 aufgrund
seiner Enge, mit der er gestrickt ist, nicht mehr dafür
nutzen dürfen, um Strukturpolitik oder Sektorpolitik
zu betreiben. Wir sehen, dass wir im Bereich der Rüstungsindustrie
hervorragende Güter produzieren, mit denen
wir technologisch an der Spitze liegen. Die Bundesregierung
soll helfen – die entsprechende Aufforderung
ist aus meiner Sicht richtig –, den Markt zu erweitern,
um die Exportmöglichkeiten auszubauen. Die Bundesregierung
kann für unsere Industrie in diesem Bereich
Türen öffnen und ihr beim Exportgeschäft helfen. So können wir die Technologieführerschaft in diesen Bereichen
erhalten oder vielleicht sogar noch ausbauen.
Die Probleme bei der Budgetplanung will ich ausdrücklich
belegen. Ich habe schon etwas zu den Abläufen
gesagt, bei denen sich natürlich Veränderungen ergeben
können. Ich erlebe auch, dass aus dem
parlamentarischen Raum verschiedene Zahlen genannt
werden, die von dem abweichen, was der Minister als
seine Empfehlung vorlegt.
Ich bin weit davon entfernt zu sagen, wir machen Sicherheitspolitik
nach Kassenlage. Man muss aber zur
Kenntnis nehmen, dass Haushalte, über die man spricht,
und Zahlen, die man aufschreibt, auf irgendeiner Grundlage
basieren.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haushalt ist immer nach Kassenlage!)
Jeder muss wissen, dass das, was an Zahlengerüst
vorliegt, auf Zahlen vom Jahresbeginn basiert, das heißt
auf 156 000 plus 7 500, also 163 500 Soldaten, und dass
für Attraktivierungsprogramme, die wir uns im Einzelnen
noch gar nicht ausgedacht haben, nur eine Grundausstattung
vorgesehen ist. Jeder, der mehr will, also
nicht Verteidigungspolitik nach Kassenlage machen will,
muss bereit sein, mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Allein mit der ausgebrachten globalen Minderausgabe in
der Größenordnung von 838 Millionen Euro liegt noch
ein sehr schwerer Weg vor uns, den wir in den Detailberatungen
im Haushaltsausschuss bewältigen müssen.
Herr Präsident, ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen;
daher komme ich zum Schluss. Ich bin – wie der
Kollege Koppelin – der Meinung, dass wir uns das
Thema BImA noch einmal ganz genau daraufhin ansehen
müssen, ob das, was durch das BImA-Errichtungsgesetz
auf den Weg gebracht worden ist, wirklich schon
Veranschlagungsreife hat. Vielleicht kann das ein wichtiger
Ansatz für die Auskleidung der globalen Minderausgabe
sein.
Zum Schluss will ich der Hoffnung Ausdruck geben,
dass Martin Walser recht hat. Wir sind auf einem Weg,
bei dem wir noch nicht wissen, wie alles genau werden
wird. Aber ich glaube, dass wir uns in die richtige Richtung
bewegen und dass wir damit den Erfordernissen der
Truppe im Einsatz gerecht werden können. Martin Walser
sagt: Den Gehenden schiebt sich der Weg unter die
Füße. – Wir wollen hart daran arbeiten, dass das so geschieht.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 58. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. September 2010; Plenarprotokoll 17/58; S. 6104-6123
http://www.bundestag.de
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