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Kaum einer merkte es

Wie eine Heimatarmee zum Einsatz im Innern entstand

Von Ulrich Sander *

Unter der Bezeichnung LÜKEX 2010 – länderübergreifende Krisenmanagement-Übung – fand jetzt die vierte Übung dieser Art in der Nachfolge der WINTEX-Übungen aus der Zeit des Kalten Krieges statt. „Übung für Atom-Anschlag am Flughafen“ titelte der Kölner Stadtanzeiger seinen Bericht – wo es doch wohl „gegen“ heißen müsste. Oder? Gemeint war: Der weltweite Terror wird nicht nur in Afghanistan bekämpft, sondern auch bei uns zu Hause. Und „Terroristen“ sind auch Demonstranten, Globalisierungsgegner und ähnliche. Nicht nur in Afghanistan spielt zudem die Polizei als Bundeswehrhilfstruppe ein große Rolle, sondern auch im Inland soll die Bundeswehr mit der Polizei zusammenwirken. Zwischen 1000 und 1500 Polizisten und Soldaten waren gemeinsam in Köln im Einsatz.[1]

Mit den Zeitungsüberschriften ist es so eine Sache. Mit den wirklichen und den nicht erschienenen. Spätestens am Samstag, dem 19. Februar 2005 wäre folgende Schlagzeile in den Zeitungen fällig gewesen – sie unterblieb jedoch: „Bundeswehrkader um Millionen Reservisten vergrößert – Einsatzalter auf 60 Jahre angehoben“.

Am 17. Februar 2005 war des Nachts vom Bundestag das „Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes“ beschlossen worden. Ohne mündliche Aussprache – und fast ohne Berichterstattung der Medien. Der Kern des Gesetzes ist die Anhebung des Alters auf 60 Jahre, bis zu dem Reservisten zu Einsätzen – nicht nur zu Übungen - mobilisiert werden können. Reservistinnen und Reservisten wurden in den Umbau – man sagt hier „Transformation“ - der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen. Mit § 6c des Gesetzes wurde der Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland geregelt. Er wies Reservistinnen und Reservisten entsprechende Aufgaben zu.[2]

Die zweite unterbliebene Schlagzeile wäre am 29. August 2009 fällig gewesen. Sie hätte lauten müssen: „Bundesregierung will mit Bundeswehr Streiks bekämpfen“.

Eine Antwort der Bundesregierung an die „Linke“ im Bundestag vom 28.8.09 besagte eindeutig, dass die Kampfbedingungen der Gewerkschaften erheblich eingeschränkt werden. Zumindest im öffentlichen Dienst steht Streikbruch mittels Bundeswehr auf der Tagesordnung. Denn in der Antwort der Bundesregierung an den Bundestag schließt das Bundesverteidigungsministerium nicht aus, dass die ZMZ-Kommandos (Zivil-Militärische Zusammenarbeitskommandos) bei Demonstrationen zum Einsatz kommen. Dies obliege den Landesbehörden. Selbst der bewaffnete Militäreinsatz anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird nicht ausgeschlossen - eine Entscheidung darüber sei „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten“.[3]

Die Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke Ulla Jelpke dazu: „Die Bundesregierung hält sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus.“

Eine weitere Schlagzeile hat es wirklich gegeben: „Militarisierung schreitet voran“, meldet Neues Deutschland am 31. Mai – auf Seite 14 unter „Aus den Ländern“. Berichtet wird über Verträge der Bundeswehr mit den Job Centern Arge und den Schulministerien der Länder, die den Zweck verfolgen, Schüler und Berufsanfänger militaristisch zu indoktrinieren und anzuwerben. Ein Thema, das weit größere Beachtung verdient.

Denn der heutige globale Kapitalismus steuert weltweit „auf einen autoritären Ausweg“ zu, schreibt Conrad Schuhler [4]. Die Teilung in Menschen im Überfluss und solche in Not und Unsicherheit fände sich zunehmend in den „Wohlstandsgesellschaften“ selbst: Einerseits gute Arbeit, Mitgestaltung und Konsum für Wenige, andererseits sinnentleerte Arbeit, Kommandostrukturen und Existenzminimum für Viele. Die soziale Spaltung reißt weiter auf, die Zahl der „Verlierer“ wird national und global weiter zunehmen. Zäune um die Wohlstandsinseln zu errichten, werde nicht genügen. „Die wachsenden Massen der Armen und Hoffnungslosen“, so Schuhler, „müssen unter Kontrolle gehalten werden, und die Kontrollmaßnahmen werden um so mehr Zwang enthalten, je mehr das Einverständnis oder das bloße Stillhalten der Verlierer abnimmt. National müssen aus der Logik dieser Art von Kapitalherrschaft Elemente des Polizei- und Überwachungsstaates, international der immer totaleren militärischen Kontrolle erwachsen.“

Dass in Deutschland der Einsatz der Bundeswehr im Innern und die Verschmelzung aller Sicherheitssysteme – vor allem Militär und Polizei - mit immer größerem Nachdruck von den politischen und ökonomischen Eliten gefordert wird, beleuchtet diese Entwicklung ebenso wie die Behauptung, dass man in Afghanistan keinen altmodischen Krieg, sondern militärische und polizeiliche Entwicklungshilfe beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft führen müsse. „Solche und ähnliche Aufgaben nach innen und außen werden der Bundeswehr und der NATO nicht ausgehen. EU-Strategen sehen die Hauptlinien, die zu militärischen Konflikten führen, nicht mehr zwischen den Staaten, sondern zwischen den Klassen in den einzelnen Gesellschaften. Hier müsste ‚der Westen’ überall jederzeit militärisch eingreifen können, um in den betreffenden Ländern Ordnungen in seinem Sinne durchsetzen zu können.“[5]

Fußnoten
  1. Kölner Stadtanzeiger 4. 1. 2010
  2. Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode, 17.2.09, Protokoll Seite 14757 bis 14761.
  3. BT-Drucksache 16/13847 vom 26. August 2009
  4. Conrad Schuhler in „Wirtschaftsdemokratie und Vergesellschaftung – Zu einer solidarischen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus“, isw Report Nr. 79, München 2010, Seite 16
  5. Ebenda



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