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Neuer Schub für EU-Armee

Vorstoß von Kommissionspräsident Juncker zum Aufbau einer europäischen Truppe stößt auf große Zustimmung in Berlin. SPD zu "100 Prozent" einsatzbereit

Von Jörg Kronauer *

Für Hans-Peter Bartels kommt der Vorstoß von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerade recht. »Die vergangenen zehn Jahre haben für Europas Verteidigung wenig gebracht«, klagt der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag und designierte Wehrbeauftragte des Parlaments und meint: »Es braucht einen neuen Schub.« Diesen könnte Juncker jetzt liefern. In der Welt am Sonntag plädierte er gerade für den Aufbau einer EU-Armee. »Eine solche Armee würde uns helfen«, äußerte der Luxemburger, »die Verantwortung Europas in der Welt wahrzunehmen« – »Verantwortung« ist natürlich, wie üblich, nur die verschleiernde Chiffre für Einmischung bis hin zur militärischen Intervention. Hans-Peter Bartels ist zufrieden, und sein Kollege Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, stimmt in das Lob ein: »Wir sind zu 100 Prozent bei Juncker.«

Den Aufbau einer EU-Armee verlangt die Bundesrepublik schon lange. Der Grund liegt auf der Hand: Alleine ist die Bundeswehr kaum stark genug für die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts. Soll Deutschland auch militärisch zur Weltmacht werden – und das will man in Berlin –, dann muss man die Streitkräfte der EU-Staaten eng zusammenschließen. Eine gemeinsame europäische Verteidigung hatte deshalb schon Franz Josef Strauß anvisiert; auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert den Aufbau einer EU-Armee. Bartels hat aber durchaus recht: In den vergangenen zehn Jahren hat sich in dieser Hinsicht nicht so viel bewegt, wie Berlin es gern gehabt hätte. 2004 wurden als erste europäische Kampftruppen die »EU Battle Groups« gegründet, seit 2007 sind sie einsatzbereit. Genutzt wurden sie allerdings noch nie.

Das hat seine Ursache. Vor allem Deutschland und Frankreich sind sich lange uneinig gewesen, wo EU-Truppen eingesetzt werden sollen. Paris hatte gewöhnlich Interventionen in seinen ehemaligen Kolonien in Afrika im Visier. Berlin war nicht bereit, eine Stärkung seines innereuropäischen Machtkonkurrenten durch Operationen von EU-Truppen in französischem Interesse zuzulassen. An diesen Widersprüchen scheiterte bereits der erste Einsatz einer »Battle Group«, den Frankreich im Jahr 2007 für die EU-Intervention im Tschad gewünscht hatte. Im September 2011 publizierte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) eine Studie zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU – und stellte fest, diese werde vor allem von deutsch-französischen »Blockaden« gehemmt: »Obwohl Berlin und Paris treibende Kräfte sein wollen, sind sie sich über die Ausrichtung der GSVP unschlüssig.« Exemplarisch zeige sich das an der Deutsch-Französischen Brigade, die schon 1989 »als Symbol für die deutsch-französische Zusammenarbeit geschaffen worden« sei: Sie sei immer wieder in Südosteuropa eingesetzt worden, also im deutschen Interessengebiet, aber praktisch nie für französische Ziele. Die DGAP urteilte: »Das Experiment stößt an seine Grenzen.«

Da Berlin nicht durchdringt, versucht es nun Juncker, der Mann, der schon 1988 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband erhielt und dem Merkel, als sie ihm 2013 zusätzlich das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verlieh, sagte: »Die Hoffnungen, die 1988 auf dich gesetzt wurden, hast du seitdem mehr als erfüllt.« »Mit einer eigenen Armee könnte Europa glaubwürdig auf eine Bedrohung des Friedens in einem Mitgliedsland oder in einem Nachbarland der Europäischen Union reagieren«, äußerte Juncker nun in der Welt am Sonntag: »Eine gemeinsame Armee der Europäer würde Russland den klaren Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen mit der Verteidigung der europäischen Werte.« Es geht also – natürlich nicht nur, aber eben auch – gegen Moskau. Damit lässt sich Polen einbinden, mit dessen Streitkräften die Bundeswehr bereits eine engere Kooperation eingeleitet hat (siehe junge Welt vom 15. Dezember 2014), und damit kann man in Großbritannien zumindest mal vorsprechen, obwohl kaum jemand davon ausgeht, dass London sein Militär einem fremden Kommando unterstellt. Frankreich wiederum ist zur Zeit so geschwächt, dass es kaum Widerstand leisten kann, wenn die künftige EU-Armee ihren Fokus einmal mehr auf das deutsche Expansionsgebiet in Osteuropa richtet und nicht auf die Françafrique. »Wer hat, dem wird gegeben« – das gilt eben auch in der EU.

Was eigentlich meint Juncker mit der »Bedrohung des Friedens in einem Mitgliedsland«, auf die die EU-Armee »reagieren« soll? Prorussische Aufstände im Baltikum, wie sie derzeit immer wieder herbeihalluziniert werden? Die »Solidaritätsklausel« in Artikel 222 des »Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union« sieht vor, dass die EU »alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel«, nutzen darf, um »terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedsstaaten abzuwenden« oder »im Falle einer (…) vom Menschen verursachten Katastrophe« in einem Mitgliedsstaat zu intervenieren. Was als »Terror« oder als »Katastrophe« gilt, ist nicht definiert und steht der Interpretation weit offen. »Eine EU-Armee könnte sogar ein Instrument zur Niederschlagung von sozialen Bewegungen in der EU werden«, warnt die Bundestagsabgeordnete Sabine Lösing (Die Linke) mit Blick auf die Zuspitzung der Krise in Griechenland: Die Truppe könnte auf der Basis der »Solidaritätsklausel« sogar »Streiks gegen die neoliberale Kürzungspolitik der EU niederschlagen«.

Ganz unumstritten ist Junckers Vorstoß im deutschen Politestablishment allerdings nicht. Kritik kommt vor allem vom harten Kern der Transatlantiker, aus der Welt und aus Teilen der FAZ. Denn die EU-Armee ist natürlich auch eine Alternative zur NATO. Zuletzt hat das ausgerechnet die CSU offiziell festgestellt, in einem außenpolitischen Positionspapier, das sie auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth Anfang Januar diskutierte. Darin heißt es, ganz in Straußscher Tradition: »Die EU sollte anstreben, im Einzelfall auch ohne direkte Unterstützung der USA handlungsfähig zu sein.« Dazu strebe man »die gemeinsame Nutzung militärischer Fähigkeiten« an – eine EU-Armee eben.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. März 2015

Zugriff auch auf Atomwaffen

Schon Konrad Adenauer passte es nicht, dass die Bundesrepublik nicht über Atomwaffen verfügt. Es sei »unerträglich, wenn zwei große Staaten« – gemeint waren die USA und Großbritannien – »allein im Besitz von nuklearen Waffen sind und damit das Schicksal der Völker dieser Erde in der Hand haben«, erklärte er auf einer Sitzung des CDU-Bundesvorstands im September 1956. Am 19. Dezember 1956 verlangte er im Bundeskabinett ausdrücklich, »eine Zusammenfassung Europas voranzutreiben und nukleare Waffen in der BRD herzustellen«. Die Idee, die Bundesrepublik könne nur wirklich mächtig werden, wenn sie sich in den Besitz der Bombe bringe, ist alt. Allerdings sind bekanntlich weder Bonn – trotz aller Bemühungen von Adenauer und von Franz Josef Strauß – noch Berlin damit erfolgreich gewesen.

Als Ersatzvehikel gilt in der Bundesrepublik seit vielen Jahren die anvisierte EU-Armee. Im Jahr 2003 forderte exemplarisch der damalige Führungsstab der Bundeswehr die »Überführung nationaler Atomwaffenpotentiale einiger EU-Staaten in integrierte europäische Streitkräfte«. Der Grundgedanke: Wer eine voll integrierte EU-Armee in der Praxis dominiert, hat bestimmenden Einfluss auch in Nuklearfragen. Nach Lage der Dinge ist das auf absehbare Zeit Deutschland. Im Jahr 2004 hieß es in dem »European Defence Paper«, das die EU-Staats- und Regierungschefs damals hatten erstellen lassen, die EU müsse »Stabilitätsexport zum Schutz der Handelswege« betreiben; dazu sollten »die französischen und die britischen Atomwaffen explizit oder implizit einbezogen werden«.

Die Idee ist unvergessen. »Die Rolle der französischen und der britischen Nuklearstreitkräfte in einer integrierten europäischen Armee« müsse »diskutiert« werden, verlangte die Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik der SPD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier im Jahr 2007. In ihrem jüngsten Vorschlag vom November 2014 schweigt sich die AG über diese Forderung höflich aus. Taktisch ist das klug: Wieso soll man auch lauthals fordern, was im Verlauf eines EU-weiten Zusammenschlusses der Streitkräfte wohl ganz von allein auf die Tagesordnung kommen wird – zum Vorteil deutscher Machtpolitik. (jk)




SPD will »Weißbuch« für die gemeinsame Militärpolitik

Von Jörg Kronauer **

Die SPD gehört schon lange zu den entschiedensten Verfechtern einer EU-Armee. Exemplarisch zeigte sich das etwa in einem Positionspapier, das die »Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik« ihrer Bundestagsfraktion 2007 veröffentlichte. Damals nutzte die große Koalition die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, um in der Sache Druck zu machen. Die AG der SPD-Fraktion trat mit konkreten Vorschlägen hervor, die unter anderem die Stärkung von EU-Institutionen in Fragen von Krieg und Frieden betrafen. So forderte sie, im Europaparlament solle ein vollwertiger Verteidigungsausschuss den bisherigen Unterausschuss ersetzen. Auch müsse es einen »echten« Verteidigungsministerrat geben. Wozu die Zentralisierung? Langfristig sei es »nötig, die Entscheidungsverfahren für Entscheidungen über Krieg und Frieden (jus belli et pacis) zu bestimmen«, hieß es in dem Papier. Dazu müsse »die Übergabe der Souveränität durch die EU-Staaten und der Transfer der Entscheidungsbefugnisse auf eine demokratisch legitimierte europäische Ebene diskutiert werden«. Mit einer Souveränitätsübergabe würden die demokratisch gewählten nationalen Parlamente entmachtet; der Parlamentsvorbehalt des Bundestages etwa entfiele. Und vor allem: Der Staat, der die meisten Abgeordneten ins Europaparlament schickt, erhielte den stärksten Einfluss auf künftige EU-Kriege. Er heißt Deutschland.

Im November hat die Verteidigungs-AG der SPD-Fraktion erneut ein Positionspapier veröffentlicht, das die Forderungen von 2007 weitgehend aufgreift, allerdings einige strittige Formulierungen auslässt – so etwa diejenige zur Souveränitätsübertragung an die EU. »Wir als Sozialdemokraten«, heißt es in dem Papier, »wollen in Europa die treibende Kraft auf dem Weg zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee sein und diesen konsequent beschreiten.« Dazu fordert die AG etwa ein einheitliches »Weißbuch« für die EU-Militärpolitik, die »Schaffung einer Europäischen Militärakademie oder -universität« und eine Ausweitung der »Zahl gemeinsamer europäischer Manöver und Übungen«, um »die Zusammenarbeit der verschiedenen Streitkräfte weiter zu verbessern«. Auch solle ein »Marinehauptquartier Ostsee« aufgebaut sowie »die Einrichtung eines ständigen militärischen Hauptquartiers der EU mit allen Führungsgrundgebieten« forciert werden. Wozu? »Vorteil wäre die ständige Einsatzbereitschaft sowie die zentrale Planung und Durchführung der Einsätze«, schreiben die Sozialdemokraten.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. März 2015


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