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Bundeswehr-Auslandseinsätze - Weniger Mitsprache durch das Parlament?

Ein Beitrag von Reinhard Mutz in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Der Bundestag muss bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr zustimmen. Das hat vor 20 Jahren das Bundesverfassungsgericht entschieden. Immer wieder ist zu hören, dadurch werde eine schnelle Reaktion der NATO im Krisenfall verhindert. In der vergangene Woche hat sich eine Kommission konstituiert, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen soll. Die Oppositionsparteien befürchteten eine Schwächung der Parlamentsrechte, und haben es daher abgelehnt, sich an diesem Gremium zu beteiligen. Reinhard Mutz berichtet:


Manuskript Dr. Reinhard Mutz

Unumstritten war er noch nie, der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Ein Beispiel. Auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagierte das westliche Bündnis mit dem Aufbau der NATO Response Force. Ihr Auftrag, so Nicholas Burns, damals amerikanischer NATO-Botschafter – Zitat: „Tödliche Schläge mit punktzielgenauen Präzisionswaffen schnell und flexibel austeilen“.

Es versteht sich von selbst, dass ein solches Überfallkommando keine ausholende öffentliche Debatte verträgt. Energisch mahnten Washington und Brüssel die Abkürzung nationaler Beschlussverfahren an: Müsse die Einsatzentscheidung binnen Tagen oder Stunden fallen, seien umständliche parlamentarische Prozeduren ein Hindernis. Damit gemeint war niemand sonst als die Bundeswehr.

Inzwischen ist die NATO Response Force aus dem Blickfeld gerückt, das Thema punktzielgenauer Waffen nicht. In Gestalt von Angriffsdrohnen steht es wieder auf der politischen Agenda. Das Verteidigungsministerium bekundete reges Interesse an diesem Waffensystem, desgleichen der Wehrbeauftragte, ebenso der Bundeswehrverband, also die Interessenvertretung der Soldaten.

Nur Ursula von der Leyen, die neue Hausherrin im Bendlerblock, hält sich mit dem eigenen Votum noch zurück. Für ihren Amtsvorgänger Thomas de Maizière hingegen schien der Ankauf von Kampfdrohnen für die Bundeswehr schon so gut wie beschlossen. Er sah sogar – so der CDU-Politiker wörtlich - „einen erheblichen ethischen Fortschritt für den Schutz von Zivilisten darin, dass man nicht ganze Stadtteile zerstört, um Feindstellungen unschädlich zu machen“. An welchen Feind und wessen Stadtteile hier gedacht sein könnte, ließ er offen.

Auf die operativen Möglichkeiten des neuen Waffensystems ist das geltende Parlamentsbeteiligungsrecht nicht eingestellt. Nach derzeitiger Rechtslage unterliegt jeder „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes“ der Zustimmung des Bundestages.

Keine Frage, ein Drohnenangriff der Bundeswehr wäre ein Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte, und die Schadenswirkung träte im Ausland ein, also außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes. Nur selbst den Fuß auf ausländisches Territorium setzen oder es überfliegen, müsste kein deutscher Soldat. Folglich könnten Zweifel entstehen, ob ein von deutschem Boden geführter Drohnenangriff der Bundeswehr ein Auslandseinsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes wäre.

Sollte dieses formalen Umstands wegen die Kontrollkompetenz des Bundestages ausgehebelt werden? Die meisten Auslandseinsätze, die regelmäßig parlamentarische Zustimmung finden, sind von viel harmloserer Art. Sie kosten keine Opfer an Menschenleben und sie vernichten keine Sachwerte.

Beim Einsatz von Angriffsdrohnen wäre die Tötung von Menschen das ausdrückliche Ziel. Konsequenterweise gehören sie unter die Aufsicht der Volksvertreter. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz von 2005 muss daher entsprechend novelliert, d.h. erweitert werden. Es sei denn, die Bundesrepublik verzichtet auf die Beschaffung des umstrittenen Waffensystems.

Möglicherweise gibt es weitere Entwicklungen, die Korrekturen am derzeitigen Umfang der Parlamentsrechte bei Bundeswehreinsätzen nahelegen. Um dies herauszufinden, hat sich der Bundestag eigens eine Kommission zugelegt. Aber schon an der Namensgebung entbrannte der Streit. Ein wichtiger Aspekt sei völlig ausgeblendet, beklagte der Außenpolitiker und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken Wolfgang Gehrcke im vergangenen Monat im Bundestag:

O-Ton Gehrcke
„Sie schreiben, die Kommission wird eingesetzt ‚zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte‘. Da fehlt doch was. Warum taucht nicht der Begriff auf ‚Stärkung der Parlamentsrechte‘?“

Ja warum nicht? Weil es nur darum gehe, die Rechte des Parlaments zu beschneiden. Ob sich nicht umgekehrt auch gute Gründe finden, die Befugnisse auszuweiten, wolle man gar nicht wissen, argwöhnen außer den Linken auch die Grünen. Insofern könne von ergebnisoffener Kommissionsarbeit keine Rede sein.

Die den Oppositionsfraktionen zugedachten vier Sitze werden leer bleiben, was sich als Eigentor erweisen könnte. Denn das Parlament hat die Kommission verpflichtet, die Öffentlichkeit laufend über ihre Tätigkeit zu unterrichten. Die Chance, den eigenen Argumenten Gehör zu verschaffen, wird also verschenkt.

Mit wenig Enthusiasmus blickt auch der kleinere Koalitionspartner auf die bevorstehende Kommissionsarbeit. Ein bewährtes Verfahren bedarf keiner Änderung, ist aus Reihen der SPD zu hören. Insbesondere der Einwand, eilbedürftige Entscheidungen müssten schneller zustande kommen, leuchte nicht ein. Hans-Peter Bartels, der neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, hat nachgerechnet:

O-Ton Bartels
„Im Durchschnitt aller bisher erteilten Mandate dauerte das elf Tage. Die schnellste Mandatserteilung dauerte einen Tag: vormittags Kabinettssitzung, am frühen Nachmittag Einbringung in den Bundestag, Fristverzichtserklärung der Fraktionen, Beratung in den Ausschüssen, um 15 Uhr Wiedereröffnung des Plenums und um 16.30 Uhr war das Mandat beschlossen. Wenn es wirklich schnell gehen muss, dann ist das Parlament schnell. Das ist die Praxis.“

Die sich angesichts dieser stattlichen Bilanz aufdrängende Frage beantwortete sein SPD-Fraktionskollege Rainer Arnold im Parlament verblüffend freimütig:

O-Ton Arnold:
„Wenn das alles so gut ist, warum brauchen wir dann diese Kommission? Ja, diese Frage kann man tatsächlich stellen. Ich antworte ganz ehrlich: Weil wir in einer Koalition sind und weil man in einer Koalition auch Kompromisse macht. So ist die Welt.“

Mit anderen Worten: Am liebsten würde die SPD fortfahren wie bisher und die Mitsprache des Bundestages bei Auslandseinsätzen deutscher Soldaten unangetastet lassen. Aber dem widersetzt sich die Union. Ihre profiliertesten Sprecher auf diesem Gebiet sind die Abgeordneten Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter. Sie verstehen sich als Streiter für ein integriertes Europa, das enger zusammensteht und gemeinsam handelt. In den Worten Schockenhoffs:

O-Ton Schockenhoff:
„Wenn Europa seine Interessen wahren und seiner Verantwortung in der globalisierten Welt auch künftig nachkommen will, wird es einen wirksamen außenpolitischen, sicherheitspolitischen und auch militärischen Beitrag dazu leisten müssen. … Das aber bedeutet konkret mehr Verantwortung Deutschlands und mehr gegenseitige Abhängigkeit, auch mit Blick auf militärische Einsätze.“

Konkreter haben sich die CDU-Abgeordneten Schockenhoff und Kiesewetter vor dem Plenum des Bundestages nicht geäußert. Das mussten sie auch nicht. Unter Berliner Fachpolitikern sind ihre Reformvorstellungen bekannt. Sie haben sie vor zwei Jahren in einer gemeinsamen Studie dargelegt.

Danach wird unter dem Diktat leerer Kassen künftig kein Land in Europa mehr das gesamte Spektrum nötiger militärischer Einsatzmittel bereithalten können. Um die politische Handlungsfreiheit zu bewahren, ist eine arbeits- und lastenteilige Rüstungsstruktur unter EU- oder NATO-Regie unabdingbar. Alle Partner müssen sich darauf verlassen können, dass die individuell zugesagten Fähigkeitsprofile im Bedarfsfall der Gemeinschaft auch zur Verfügung stehen.

Seinen Verbündeten abrufbereite militärische Leistungen zuzusichern und im Einsatzfall der nationalen Volksvertretung die politische Letztentscheidung vorzubehalten – das ist ein Zielkonflikt, den keine noch so geschickte Verfahrensregel aus der Welt schaffen kann. Dann bleibt als Ausweg nur, zwischen zwei Prinzipien zu wählen und einem davon Priorität einzuräumen – entweder der Bündnisbindung oder dem Parlamentsrecht.

Was die Karlsruher Richter dazu meinten, haben sie vor zwanzig Jahren in ihr Grundsatzurteil über die Parlamentsarmee Bundeswehr geschrieben. Wörtlich heißt es dort: „Der verfassungsrechtlich geforderte Parlamentsvorbehalt gilt ungeachtet näherer gesetzlicher Ausgestaltung unmittelbar kraft Verfassung.“ Das Parlamentsrecht hat also Vorrang vor den Bündnisverpflichtungen.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 19. April 2014; www.ndr.de/info


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