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Vergessene Opfer

Abgereichertes Uran: An den Folgen der US-Angriffe 1991 und 2003 leiden die Iraker bis heute. Erhöhte Rate von Krebserkrankungen und Mißbildungen bei Neugeborenen

Von Karin Leukefeld *

Die Leiterin des UN-Programms für humanitäre Hilfe, Valerie Amos, hat bei ihrem jüngsten Besuch im kurdisch geprägten Nordirak »Gewalt und Brutalität« beklagt. »Terroristische Organisationen« wüteten gegen die Zivilbevölkerung. Sie habe viele Familien in Flüchtlingslagern besucht, so Amos, und verspreche, alles zu tun, um den Menschen »Schutz, Zuflucht und grundlegenden Beistand zu leisten, darunter auch Schulbildung und gesundheitliche Versorgung«. Man werde sicherstellen, »daß die Iraker nicht vergessen werden«.

Nicht vergessen zu werden, das wünschen sich viele irakische Familien schon seit Mitte der 1990er Jahre, als Ärzte in den Kliniken im südirakischen Basra erstmals einen sprunghaften Anstieg von Fehlbildungen bei Neugeborenen feststellten. In den Jahren darauf hatten sich die Zahlen erhöht, hinzu kamen Krebserkrankungen in großem Ausmaß. Vieles deutete daraufhin, daß die Erkrankungen und Tode auf den Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium – DU) zurückzuführen waren. Tonnenweise hatten die US-Truppen und ihre Verbündeten im Frühjahr 1991 DU-Munition eingesetzt, um die irakischen Truppen bei ihrem Rückzug aus dem Nachbarland Kuwait niederzumachen. Die Angriffe brachten der Strecke zwischen Basra und Kuwait-Stadt einen neuen Namen ein: »Autobahn des Todes« wird die Straße bis heute genannt.

Irak wurde in der Folge mit Sanktionen der Vereinten Nationen belegt. Vergeblich versuchte das Zweistromland, Hilfe von der »internationalen Gemeinschaft« zu bekommen. Allen voran waren es die USA, die sich weigerten, dem Irak mit wissenschaftlicher und medizinischer Erfahrung internationaler Organisationen wie der Weltgesundheitsbehörde zu Hilfe zu kommen. Statt dessen sorgten Ärzte und ausländische Nichtregierungsorganisationen für Aufklärung. Doch bis heute gibt es keine offizielle Untersuchung über das Ausmaß und die Folgen der Angriffe von damals. Erneut wurde DU beim Angriffskrieg auf den Irak 2003 eingesetzt. Auch in der Stadt Falludscha, die 2004 von den Amerikanern belagert und schließlich militärisch eingenommen wurde, kam es zum Einsatz der hochgiftigen und radioaktiven Kampfstoffe. Verseuchung in hohem Ausmaß fand man zudem bei Mossul, Qaim und bei Nadschaf.

Die niederländische Hilfsorganisation PAX kritisiert in einem umfassenden Bericht die Untätigkeit gegenüber den Folgen der DU-Munition im Irak. Das betreffe vor allem den Südirak, der die größte Last von drei Kriegen (1980–88, 1991 und 2003) getragen hätte. Verantwortlich für die anhaltenden Gefahren seien die irakische Regierung, die Staaten, die DU-Munition bei den Kriegen eingesetzt hätten, und die Vereinten Nationen. Keiner der Genannten habe etwas zur Untersuchung und Beseitigung der Schäden unternommen. Die Verursacherstaaten verweigerten die Auskunft darüber, wo und in welchen Mengen DU eingesetzt worden sei. Ärzte und die Bevölkerung blieben sich selbst überlassen. »Die Bevölkerung ist auch Jahre nach dem Krieg der radioaktiven und giftigen Verseuchung durch die Schwermetalle ausgesetzt.«

DU ist ein Abfallprodukt der Urananreicherung und wird als radioaktiver Abfall der mittleren Kategorie eingestuft. Internationale Vorschriften, wie mit dieser Art verseuchtem Müll umzugehen ist, wurden – sowohl von den Verursachern als auch von der irakischen Regierung – ignoriert. Die Führung in Bagdad habe zudem nicht die technischen Kapazitäten, um eine sichere Entsorgung zu gewährleisten, kritisiert PAX. Zudem gibt es keine internationalen Verträge darüber, daß diejenigen, die für die Verseuchung durch DU verantwortlich sind, auch für die Schadensbeseitigung sorgen müssen. PAX stellt allerdings fest, daß nach den »zivilen Standards zum Schutz vor Radioaktivität eindeutig die Verantwortung beim Verursacher der Verseuchung liegt«.

Im kommenden Monat wird sich die Vollversammlung der Vereinten Nationen erneut mit dem Thema befassen. Im Jahre 2012 war eine Resolution zur Ächtung von DU-Munition von 155 Staaten angekommen worden – gegen die Stimmen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Israels.

Die deutsche Sektion der Internationalen Kampagne zur Ächtung von Uranwaffen fordert Bundestag und Bundesregierung auf, sich für eine umfassende Ächtung von DU-Munition einzusetzen und den Opfern zu helfen. Unterstützt wird die Kampagne von der Ärzteorganisation IPPNW. Deren Vorsitzende Susanne Grabenhorst mahnte unlängst die Bundesregierung, sich nicht an einer »Neuauflage des sogenannten Krieges gegen den Terror« zu beteiligen. »Auch ohne Obamas Luftschläge sterben nach wie vor viele Iraker an den Folgen des Krieges gegen den Terror im Irak.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch 24. September 2014


Hintergrund: Internationales Uranfilmfestival

Uran (chemisches Zeichen U), von Klaproth 1789 entdecktes Metall, findet sich im Uranpecherz, Uranglimmer, Uranocker und Uranvitriol«, informiert der Brockhaus über das Metall, das weltweit gefragt und sehr teuer ist, obwohl es für Tod und Verderben sorgt. Verbindungen mit diesem Stoff »leiten sich hauptsächlich vom Uranoxyd ab«, so das Lexikon weiter. Das Uranpecherz wird als »grünlich-schwarzes Mineral« geschildert, das »Uran, Blei und Sauerstoff« enthält. Der einzige, wenn auch nur indirekte Hinweis auf die Gefährlichkeit des Metalls findet sich in der Bemerkung, daß es »Becquerelstrahlen« aussendet. Im Gegensatz dazu rückt das »Internationale Uranfilmfestival« die Problematik ins Zentrum. Das nächste findet vom 29. September bis zum 3. Oktober in Berlin statt. Fünf Tage lang werden im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz Filme »vom Uranbergbau bis zum Atommüll, von der Atombombe bis zum atomaren Unfall, von Hiroshima bis Fukushima« gezeigt. Filmemacher und Aktivisten stehen Rede und Antwort.

Quelle der Filme ist das Dokumentationszentrum in Rio de Janeiro in Brasilien, wo seit 2006 Filme aus aller Welt archiviert werden, die sich mit den Gefahren von Uran und Atomkraft auseinandersetzen. Hinter dem Archiv steht die Nichtregierungsorganisation »Yellow Archives«, die sich den Schutz und Erhalt von Kulturen auf die Fahnen geschrieben hat. Als Warnung und Aufforderung für die Zukunft erinnert »Yellow Archives« an Menschen, Landschaften und Kulturen, die durch Raubbau, Unfälle und Krieg ihre Lebensgrundlagen verloren haben.

Reaktorunfälle wie Three Mile Island (1979), Tschernobyl (1986), Goiania (1987) und Fukushima (2011) wirken bis heute nach. Die Folgen des Einsatzes von Munition aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium – DU) haben seit mehr als 20 Jahren die Menschen im Irak zu tragen. Sie sind mit furchtbaren Verstümmelungen bei Neugeborenen, erhöhter Kindersterblichkeitsrate und Krebs in vielen Variationen konfrontiert. Die Folgen sind weder erforscht noch behoben, da wird im Irak schon wieder bombardiert. Filme und Diskussionsrunden am 3. Oktober widmen sich den Folgen des Uranwaffeneinsatzes im Irak. (kl)

www.uraniumfilmfestival.org




Der »Islamische Staat« im Irak und seine Schöpfer

Von Karin Leukefeld **

In New York versammeln sich in diesen Tagen mehr als 140 Staatschefs aus aller Welt am Sitz der Vereinten Nationen zur alljährlichen Generalversammlung. Unter anderem soll darüber beraten werden, wie die Bevölkerung im Irak vor Angriffen der Miliz »Islamischer Staat« (IS, früher ISIS) geschützt werden kann. Am heutigen Mittwoch wird US-Präsident Barack Obama den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates übernehmen und die Welt über seinen Plan informieren, wie der Strom ausländischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak gestoppt werden kann. Seit gut drei Monaten greifen die USA Ziele im Irak an, die sie mit IS in Verbindung bringen. Nach Angaben von Pentagon-Sprecher John Kirby kostet der aktuelle Militäreinsatz täglich 7,5 Millionen US-Dollar. Die Gesamtkosten belaufen sich demnach mittlerweile auf über 700 Millionen US-Dollar.

Am Friedenstag der Vereinten Nationen am vergangenen Sonntag hatte das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in Bagdad zu einer Zeremonie ins irakische Parlament in Bagdad eingeladen. Parlamentssprecher Salim Al-Dschuburi erklärte vor den versammelten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland, daß »für jeden die Zeit gekommen ist, die Stimme gegen die Händler des Todes zu erheben«. Alle »politischen, ethnischen, konfessionellen« und anderen Konflikte müßten beendet werden, die Welt müsse endlich über »international verbotene Waffen« reden. Regierungen und Terroristen, denen »Völkermord zum Hobby geworden« sei, müßten zur Rechenschaft gezogen werden.

Tags darauf traf der australische Verteidigungsminister David Johnston in Bagdad ein, um mit der irakischen Regierung über den Einsatz von Militärmaschinen und Piloten seines Landes zu verhandeln, die sich – wie zuvor schon Kräfte Frankreich – der US-Allianz zum »Kampf gegen den IS-Terror« anschließen sollen. Man werde »bis zu acht Hornet-Kampfjets« schicken, sagte Johnston nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Haidar Al-Abadi. Stationiert sind die australischen Flugzeuge in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Man habe nicht vor, Bodentruppen zu senden, sagte Johnston. Der irakische Premier habe ausdrücklich erklärt, daß er keine ausländischen Bodentruppen in seinem Land dulden werde.

Neben der militärischen Hilfe hat Australien auch humanitäre in Höhe von zwei Millionen US-Dollar angekündigt. Das Geld ist für »Hunderttausende Frauen und Mädchen gedacht, die von der aktuellen Gewalt betroffen sind«, heißt es in einer Erklärung des australischen Außenministeriums.

Der ehemalige australische Ministerpräsident John Howard erklärte derweil, er sei beschämt darüber, daß die US-Geheimdienste »unwahre Angaben« über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak geliefert hätten. Auf Grundlage dieser Informationen habe er 2003 australische Soldaten in den Irak-Krieg geschickt. »Die Wucht der Sprache«, in der das Ganze vorgebracht worden sei, habe ihn »erschlagen«, sagte Howard am Sonntag in einem Fernsehinterview. Er glaube allerdings nicht, daß der »Islamische Staat« Ergebnis der Irak-Invasion im Jahr 2003 sei, so Howard weiter.

Der Abgeordnete Andrew Wilkie beschuldigte Howard, durch Analysen des australischen Geheimdienstes sehr wohl über die wahren Kriegsgründe der USA und Großbritanniens informiert gewesen zu sein. Wilkie, selbst ein ehemaliger Geheimdienstoffizier, zeigte sich überzeugt, daß die Gruppe »Islamischer Staat« aus der Intervention 2003 hervorgegangen sei. »Wenn wir den Krieg vor elfeinhalb Jahren nicht begonnen hätten«, so der Parlamentarier, »hätte es keine Entwicklung gegeben, in der IS hätte entstehen und stark werden können«.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 24. September 2014


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